(KS 2018)
Rückblick. Briefe von damals annotiert.
Dem Archivar, der entscheidet, was als Zeugnisse von Vergangenheiten aufbewahrt wird oder nicht, erzählen Tote Geschichten als lebten sie noch heute. „Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute“, empfiehlt uns das Märchen zum guten Schluss seine Figuren: vielleicht interessieren sie noch heute. Wenn „wirkliche“ Menschen von denen Zeugnisse und Dokumente „sprechen“, gewiss nicht mehr leben: auch ihre Geschichten sind nicht unbedingt zeitgebunden, sie bereichern ein Wissen von wechselnden Umständen, Taten und Verhaltensweisen, bereichern um Referenzen für unser Denken und Handeln in der Gegenwart. Vielleicht nicht zuletzt wenn sie von Mentalitäten und Verhaltensweisen zeugen, die von Aufforderung zu Hass und Missachtung anderen und eigenen Lebens, von Völkermord und Krieg berührt oder bestimmt wurden. Allerdings bleibt wohl immer fraglich, was besser in zeitgebunden persönlichem Gedächtnis aubewahrt bliebe, und was, wie auch immer öffentlich, zu tradieren nicht überflüssig und kein Unsinn ist. So auch hier.
S.1-5 Kindheit in der Republik, Jugend in der Diktatur; S.5-14 April 1939 - November 1939: Paramilitär; S. 14-23 Dezember 1939 – Juni 1940: Militärschulen; S.23-34 Juli 1940 - Dezember 41: Frankreich; S.34 -58 Januar 1941 - Juni 1942: Höhere militärische Bildung; S.58-77 Juli 1942 - November 1942: Zerstörertraumata; S.77-93 Dezember 1942 - April 1943: Fernaufklärer der Aussichtslosigkeit; S.93-110 Mai 1943 - August 1944: Posttraumatische Emanzipation; S. 110- 121 September 1944 - Januar 1945: Letzte Flüge.
Zwei Vorbemerkungen:
Die Ich-Form des Textes entspricht zwar der Hauptsache, der Wiedergabe der Briefe, aber in dem, was im Übrigen von "mir" gesagt wird, sind es des öfteren auf Eindrücken und Erinnerungen beruhende Projektionen und Zuschreibungen von mir (KS).
Der junge Mann, der hier eine "Karriere" in einem propagandistisch beladenen Elitesektor der Diktatur vorhat (mit der Verpflichtung zum längeren Militärdienst zum Ingenieurstudium zu kommen), ist sich nur zu bewusst, dass seine Post gelesen wird und ein "falsches Wort" böse Konsequenzen haben kann. Sicherlich war am Anfang auch die "patriotische" Überzeugung da. Später kommen Einsichten, zumal 1942 in Russland, die nur im vertraulichen Gespräch offen und in Briefen in interpretationsbedürftigen Andeutungen und Hinweisen zum Ausdruck kommen. Ob oder in wie weit die hier vorgenommene Interpretation der Entwicklung im Denken des jungen Schreibers entspricht, bleibt in der Schwebe.
* * *
Kindheit in der Republik, Jugend in der Diktatur.
Ich kam am 21. Januar 1921 zur Welt. Meine Mutter, die Musch, Erzieherin ausgebildet im protestantischen Berliner Pestalozzi-Fröbel-Haus, war fast 36 Jahre alt. Der Babo, mein Vater, zwei Jahre älter als sie, früh ein Staatsstipendiat, war seit seinen Jahren im Tübinger Stift und seiner Promotion bei Richard Gans über das physikalische Phänomen der „Spitzenentladung“ ein württembergischer Demokrat und überzeugter „Reformlehrer“. Ich bin ein „Nachzügler“. Meine ältere Schwester Hilles wurde im Januar 1911 geboren und Löles, die jüngere im November 1914. Die Familie, - ohne mich - war 1919 aus Essen nach B gezogen, wo Muschs Mutter und einer ihrer Brüder, der Onkel R lebten, Musch hatte drei Brüder, R, K und G. G hatte mit 28 Jahren 1916 im Krieg in Frankreich sein Leben verloren. Die Großmutter habe ich nicht wirklich gekannt, sie starb als ich 3 Jahre alt war. In Essen hatte Babo über ein Jahrzehnt an der Luisenschule, einem Mädchengymnasium unterrichtet, am Gymnasium in B gab es auch nach der Revolution 1918 nur wenige Mädchen.
Ich schrieb an Babo, als der Demokrat und Staatsparteiler 1933 während seiner alljährlichen Sommerreise ins Schwabenland „abgebaut“ wurde. „Lieber Äffi“ schrieb ich (bei meinen ersten Sprechversuchen hatte ich ihn so genannt, weil sein Vorname Alfred war). Ich schrieb, dass ich mich sehr freue, dass wir jetzt Kaninchenställe bauen würden, "dann brauchtMutter nicht mehr so viel Fleisch vom Metzger kaufen…“ Mit meinen 12 Jahren war mir absolut nicht entgangen, dass der Lehrer an meiner Schule seinen Job ganz und gar, und wir unser Einkommen zu einem beträchtlichen Teil verloren hatten. „Aber wir lassen den Kopf nicht hängen“, schrieb ich und gleich weiter, dass ich ins Kino gehe: „Deutschland erwacht“ - ich sah die offizielle Dokumentation der neuen großen Männer und der großen Ereignisse seit dem 30 Januar. Wir sind erwacht: wir züchten, schlachten und essen Kaninchen!
Im Mai 1934 nimmt mich der Freund meiner älteren Schwester im Auto mit nach Aachen, der Stadt seiner Familie. Er zeigt mir ein riesiges Feld, ein Meer von blaublühenden Lupinen und auch die enormen Gruben vom Braunkohlentagebau in der Ville. Der 21 jährige Student, mein späterer Schwager, war begeisterter Segelflieger und bis zum Vorjahr im Universitäts-Segelfliegerklub. Dann war er ausgetreten. Er täuschte sich nicht, sehr viel länger wäre seines Bleibens ohnehin nicht gewesen, sein Vater hatte eine „nichtarische“ Mutter. Der Babo war aus politischen Gründen abgesetzt worden. Er hatte Anfang der 20er Jahre angesichts wachsender extrem deutsch-nationaler Tendenzen in B und auch im Kollegium, die Kreisgruppe der neuerdings verhassten Deutschen Demokratischen Partei ins Leben gerufen. Ich wusste nicht, und es hatte auch keine Bedeutung für mich, dass meine Calwer Großmutter mit ihrem Mädchennamen Schabbes hieß, ihre Vorfahren, wie auch sie waren protestantisch getauft. Die Verwaltung im Königreich Württemberg hatte vor langer Zeit den christlichen Taufzwang eingeführt. Neuerdings ein Schutz vor Diskriminierung, wenn auch kein absoluter.
Zwei Jahre lang ging ich einmal, im zweiten Jahr zweimal die Woche nachmittags mit Jungen und Mädchen meines Alters in einen zweistündigen „Konfirmandenunterricht“ des Pfarrers in B. Zwar gab es theologische und auch pädagogische Differenzen zwischen dem „orthodoxen“ Vertreter der unierten protestantischen Kirche und dem im Tübinger Stift theologisch gebildeten Babo und Ple, Löles Mann, beide Vertreter einer „liberalen“ Theologie und eines religionsgeschichtlichen Schulunterrichts. Aber, wie schon meine beiden Schwestern, lernte ich Liedstrophen und Bibelstellen und wurde mit 14 Jahren konfirmiertes Kirchenmitglied. Ganz wie die Geburtstage, war dieser Konfirmations-Palmsonntag vor Ostern Anlass zur Familienfeier. Unter meinen Geschenken war ein gelbeingebundenes Buch im Oktavformat, aufgedruckt der Autor in roter Fraktur: Bengt Berg, der Titel in Hellblau: Arizona Charleys Junge. Vom Autor ins Deutsche übersetzt, geschrieben 1927. Wie kaum eine andere Lektüre hat mich diese Geschichte aus dem Leben eines 14 jährigen Westgotenjungen damals begeistert und die Figur des Jungen hat mich später so manches Mal ermuntert.
Berg (1885-1967), schwedischer Lehrerssohn, Präparator, Tierfotograf und -Filmer, Erzähler, Ökologe, Tierschützer, Fischer, Jäger und Opportunist in Beziehungen zu deutschen NS-Größen, hatte gerade seine Aufnahmen von Riesenstörchen und Elefanten im britisch-kolonialen Darfur in einem Erzählband „Abu Markub“ veröffentlicht. Eine Arbeit, der der Dichter Oskar Loerke (1884-1941), derzeit Kritiker des Berliner Börsenkurier, „schlichten, guten Humor“ bescheinigt, und: wenn der sich selbst zurücknehmende „Dichter“ jemanden rühme, so sei es „sein Freund und Reisebegleiter, ein schottischer Major“ oder „sein getreuer brauner Mohammed oder der schwarze Kapitän“ des alten Dampfers, oder „dieser Noahkasten selbst.“ Diesen Reisebericht und seine Figuren hat Berg ein Jahr später zu seinem einzigen Abenteuerroman verarbeitet: Zwei Brüder wandern aus armen Verhältnissen in Mittelschweden nach Amerika aus. Der eine wird Cowboy, dann Film-Pferdezüchter in Kalifornien, der andere kehrt zurück um ihrer beider Liebe zu heiraten. Sie stirbt, als der Sohn 12 Jahre alt ist. Wir finden Sohn und Vater in New York, Ulle als Laufbursche und gelegentlicher „Schwarzfahrer“ eines Obsthändlers, den Vater als Bauarbeiter. Der Junge rennt wie Weltmeister Nurmi (Paavo Johannes, 1897-1973), sein Vorbild, und er nährt seine Traumwelt in wöchentlichen Kinobesuchen mit dem Vater. Als der vom Gerüst stürzt und stirbt (Autor Berg hatte seinen Vater mit 12 verloren) kommt der vierzehnjährige zum Onkel in die kalifornische Pferde- und Filmwelt, wo das eigentliche Abenteuer seinen Ausgang nimmt, die Afrika-Expedition eines spleenigen Öl-Milliardärs der ein aussterbendes Großtier für seinen Zoo fangen will und nach diversen Abenteuern schließlich auch fängt – nicht ohne die ebenso entscheidende wie unwillkürliche Hilfe von Ulle. Das Werk wäre heute kaum zu publizieren. Es ist gespickt mit allen rassistischen Vorurteilen gegen Schwarze und Araber, die dem Volksmund in Amerika und Europa seinerzeit zur Verfügung standen. Die antijüdischen, die heute in einem Atemzug zu nennen wären, kommen nicht vor, ein „alter Jude“ spielt eine kleine positive Rolle am Anfang des „Szenario“. Denn das ist der Text auch: ein Szenario von Ulles „Dummheiten“ die sich fast immer als Glück bringend erweisen. Die Handlung ist unglaublich dicht und reich an szenischen Einfällen aller Art. Des „Dichters“ Kunst der atmosphärische Schilderungen von Tieren und Landschaften unterstützt wohldosiert die Dramaturgie im inneren „Film“ der beim Lesen abläuft und die Spannung hört nicht auf, hält die Phantasiebegabten nicht weniger, aber bedeutend länger als ein Kinofilm in Atem. Wer bereit ist, hinter den meist gutmütig formulierten wiewohl gar nicht lustigen Vorurteilen einen Willen zu erkennen, der aus diesen herausführt und den Vorurteilen in exemplarischen Rollen widerspricht, mag den Text noch immer gern lesen. Das unwillkürliche Glück, das Ulle widerfährt spiegelt eine andere Lebensphilosophie und Traumrealität, als etwa die, die der Held in Karl May‘s Romanserien wiedergibt, von denen ich „Durchs wilde Kurdistan“ besaß, was mir im Tausch die spannende Lektüre ganzer May-Serien eröffnete.
Ein Jahr später, in den großen Ferien, - ich bin jetzt 15 - radele ich mit G und K Elf, Lehrerssöhne wie ich, nur dass ihr Vater nach wie vor amtiert, nach Norden: Sauerland, Teutoburger Wald, Lüneburger Heide, die Ostsee. Ich schicke Ansichtskarten nach Hause. Haffkrug an der Westseite der Lübecker Bucht. Von dort mache ich einen Abstecher zum Oberhof an der Ostseite der Bucht. Ein wunderschönes Landgut ein großes Herrenhaus, der Besitz einer Fabrikantenfamilie des Siegerlandes. Musch und ihre Brüder hatten aus der Jugendzeit Freunde in dieser Familie. „Denkt mal, Onkel P. hat 8 Pferde und 20 Kühe und meint das sei noch nicht viel“, schrieb ich - und gleich darauf: „heute gibt es Schweinebraten.“ Von Oberhof fuhr ich in zwei Tagen, Samstag und Sonntag die 140 km nach Neubrandenburg. Ich besuchte die Familie: Muschs Bruder, Onkel K, praktizierender Arzt, Tante M und meine beiden viel jüngeren Cousinen L und H und das Kleinkind, meinen Vetter V.
Im Frühjahr 1939 habe ich mein Abiturzeugnis in der Tasche, acht Jahre Realgymnasium hinter mir. G Elf ebenso wie ich, nur im anderen, im Gymnasialzweig der Schule wie sein Bruder K schon vor zwei Jahren. Die ersten beiden Jahre war der Babo noch an der Schule, dann hatte er gehen müssen und Löles, meine jüngere Schwester hatte 33 ihr Abitur und Hilles, die ältere hatte schon drei Jahre zuvor ihr Philosophiestudium begonnen. Ich war der Sohn des geächteten Lehrers. Ich hatte gänzlich ungerecht gefunden, was meinem Vater geschah und die lärmenden Schmährufe der Hitlerfans vor unserem Haus hatten auch mich entsetzt. Aber nach anfänglichem Schock geriet ich zunehmend in Zwiespalt. Die Familie und ihr Freundeskreis fanden wenig Gutes am „neuen Staat“, aber unter den Schulkameraden und auch bei den Lehrern war überwiegend Enthusiasmus angesagt. Ich merkte bald, wie Löles‘ Mann Ple, mein Schwager, 20 Jahre älter als ich, sein Freund O und noch der ein oder andere Kollege mit ihrer Meinung, die ich ja von zu Hause kannte, sehr vorsichtig geworden waren und sich nach außen mehr oder weniger angepasst und gelegentlich über-angepasst verhielten. Auch kam es vor, dass der gemaßregelte Babo nicht ganz so vorsichtig war, den Hitlergruß „vergaß“, und dann die Musch den NSDAP-Kreisleiter aufsuchte und ihn, als gute Patriotin sich gebend, überzeugen konnte, ihren Mann nicht weiter zu verfolgen. Mein Vater hatte obendrein den „Fehler“, kein Veteran des 1.Weltkrieges zu sein. Alter, Beruf und relativ zarter Körperbau hatten ihn davor bewahrt - das Wehrgesetz vom Mai 1935 bekräftigte die bevorzugte Behandlung von Veteranen z. B. bei Bewerbungen. Ich hing an der häuslichen Umgebung, aber ich schämte mich meines Vaters, seiner „Halstarrigkeit“ in der Haltung zu „Deutschlands Aufschwung“, seines Mangels an „Optimismus“. Ein paar Jahre später schrieb ich an meinen Schwager Ple, ich hätte den Babo zeitweilig sogar gehasst.
Ich schaffte jedoch den „diplomatischen“ Spagat von der häuslichen zur Außenwelt in dem ich die politische „Gleichschaltung“ mit einem Propaganda-konformen Interesse an Fliegerei verband und mich mit gleichaltrigen in der Flieger-Hitlerjugend traf. Anders als dem Babo, gefiel mir die Propaganda in vielem. Allerdings nicht da, wo Mitschüler sich veranlasst sahen, den ein paar Jahre jüngeren jüdischen Schüler aus dem Nachbardorf auf dem Schulweg zu hänseln und zu belästigen. Die Begleitung durch den FliegerHJ-ler schützte ihn gelegentlich bis er 1938 nicht mehr zur Schule kam. Heute weiß ich, dass Ende Oktober 1938 Tausende, darunter seit Jahrzehnten in Deutschland lebende Juden mit polnischen Papieren, unvorbereitet verhaftet und mittellos abgeschoben wurden. Dass Hermann Grynszpan in Paris, so alt wie ich und kümmerlich lebend, vor diesem Hintergrund – seine Schwester hatte ihm geschrieben und um Geld gebeten - auf den Botschaftsangehörigen geschossen hatte, dessen Tod dem Hitlerdeutschland den Novemberpogrom „erklären“ sollte. Die angebliche „jüdische Weltverschwörung“ überzeugte mich so wenig, dass ich mich umso mehr bestärkt fand in der zweifelhaften Vorstellung von der Existenz einer, nicht weniger als die Täter und alle Antisemiten, „patriotischen“ aber in dieser Hinsicht „anders denkenden“ Menschheit. Ich kriegte zweifellos auch mit, dass „dem Nöck“, einer liebenswürdigen Großstadtgrundschullehrerin, die oft zu Besuch nach B. kam. nach dem Novemberpogrom 1938 abverlangt wurde, einen Zettelvordruck zu unterschreiben:"Auf Grund des gemeinen Meuchelmordes in Paris bin ich nicht mehr in der Lage, den Religionsunterricht zu erteilen und Lehre und Gestalten eines Volkes zu verherrlichen, dass allein vom Hass gegen Deutschland lebt. Hiermit erkläre ich, dass ich den Religionsunterricht niederlege“.
Die agrressiven Reden Hitlers gegen die Prager Regierung, das Münchener DIktat Ende September 1938 wurden zu Hause geflissentlich interpretiert, aber ich war mit dem nahenden Abitur, den Perspektiven meiner Zukunft und der Segelfliegerei beschäftigt und sowieso hatte der Babo, dachte ich, verständlich zwar aber ungerechtfertigt "defaitistische" Ansichten. Als im März 1939 deutsche Truppen in Prag einmarschierten schrieb Babos Neckar-Zeitung, die Menschen hätten die Hitlertruppen freudig begrüßt. Mein Vater schrieb am Rand: "Und die Juden?!"
Die „Vernünftigen“ hatten, hoffte ich, unter den doch seit dem Krieg mit dem Nimbus der „Ritterlichkeit“ behafteten Fliegern ihren Platz. Allerdings wurde mir schon mit 15 Jahren der Nachweis abverlangt, dass ich nicht „jüdischer Mischling“ sei, und ich wusste wohl, dass gerade die propagandistisch hochgelobten Flieger als eine besonders peinlich auf ihre Abstammung geprüfte NS-Elite galten. Aber das sah ich leichtfertig als abwegige Bürokratie, die mir doch meine Zukunft nicht verbauen sollte.
Ein Dorfschullehrer unweit der höchsten Erhebung unseres Mittelgebirges animierte eine Segelfluggruppe zunächst zum Modellbau. Ich schnitt und klebte einen wunderschönen „Vogel“ aus feinem Sperrholz und Seidenpapier zusammen, mit einer Spannweite von 1,80 m. 1935 war der erste Hanggleiter angekommen, wir hatten jetzt ein Gebäude im Reichsarbeitsdienstlager auf der Höhe, unser „Führer“ hatte alle Fluglehrerprüfungen abgelegt und ihm gelang ein erster 5-Minutenflug im Aufwind, bevor er uns verließ und wir uns bis auf weiteres selbst verwalteten. Wir bauten unseren Gleitflieger, flogen ihn zu Bruch und reparierten. Kameraden wie die beiden Söhne unseres Nachbarn, deren Vater Zimmermann war, brachten das handwerkliche Können ein. Meine Wochenenden und die Ferien waren weitgehend der Gruppe gewidmet, wir nahmen die Fahrräder oder fuhren 12 km mit der Bahn und liefen dann 5 km zu Fuß. Im Lauf der Jahre war ich zum „Scharführer“, zu einer Art „Unteroffizier“, befördert worden. Allerdings war von der paramilitärischen Ausrichtung der HJ in unserer „Flugschar“ nicht viel zu merken. Ab 1937/38 wurde die Flieger-HJ zwecks Rekrutierung für die Luftwaffe mit Gleit- und Segelmaschinen, mit Funkausrüstung und Ausbildung in Sommerlagern erheblich gefördert (1938 zählte man 20 000 Gleitfliegerprüfungen). Da ich also zur „fliegerischen Bevölkerung“ zählte, war ich laut Musterungsverordnung zur Luftwaffe einzuziehen. Meine zweijährige Dienstpflicht würde mit dem 20. Lebensjahr beginnen. Ich war beim Schulabgang gerade mal 18 Jahre alt, es gab die Möglichkeit den Militärdienst freiwillig früher abzuleisten. Ich meldete mich freiwillig in der Hoffnung, möglichst bald zum Fliegen zu kommen. Allerdings war ein 6 monatiger obligatorischer Arbeitsdienst vorgeschaltet, den ich als Freiwilliger ebenfalls früher ableisten würde. Die Musterung hatte mich zu meinem Kummer von der eigentlichen „Fliegertruppe“ ausgeschlossen, mir wurde eine zum Flugzeugführer nicht ausreichende „Sehschwäche“ attestiert. Ich optierte für die erst seit 1935 bestehende „Luftnachrichtentruppe“. Ich hatte zwar eine Vorstellung von Aufgaben und Geräten der „Funker“ aber nicht von ihrer Bedeutung als „Führungstruppe“, vom Ausmaß der Abhängigkeit der Luftwaffe von diesen Einheiten.
April 1939 - November 1939. Paramilitär.
Mit dem Ende der Schule war auch das Ende der Segelflug - Wochenenden gekommen. Nahtlos schloss sich der Arbeitsdienst an. Am 27. April 1939 schrieb ich aus dem Ausbildungslager in Remagen an die „Liebe Mutter“ dass ich leider, wegen zu wenig Zeit zum Waschen, ihr meinen 4 Wochen lang getragenen Drillich zur Kochwäsche und vorsichtigem Auswringen schicken müsse, das täten auch die Kameraden. Wir hätten den 2. Drillich gerade erst erhalten. „ Wir exerzieren jetzt schwer für den 1. Mai genaue Spatengriffe. Ich bin zur Ordnung eingeteilt und brauche sonst nicht viel zu tun und habe den Vorteil, dass ich in aller Ruhe essen kann und soviel Butter etc. wie ich lustig bin. Aber auf Deine Bratsduffeln (Bratkartoffeln) freue ich mich doch sehr. Eben wird Zapfenstreich geblasen. Hoffentlich klappt die Stubenabnahme, dass wir nicht alle aus den Betten und auf die Spinde müssen. Gute Nacht Euer E. - Es hat geklappt nur ein paar mussten raus und die Stiefel nachputzen. Ich habe bis jetzt noch nie aus dem Bett gemusst. Also Servus.
Gleich vom nächsten Tag schrieb ich, das wir die Führerrede am Radio gehört hätten: „Roosevelt hat sicher geschwitzt“. Am 15. April 1939 hatte der US-Präsident in einem Brief Hitler gebeten, Ängste der europäischen Nachbarn durch eine Nichtangriffserklärung für die nächsten 10-25 Jahre zu beschwichtigen. Die Presse hatte Roosevelt mit Schmähungen überhäuft und am 28 redete Hitler vor dem Reichstag und griff zur Rechtfertigung seiner doch so überaus friedlichen Gebietsansprüche tief in die Geschichte seines „heißgeliebten Volkes“. Eine deutsche Bedrohung sei eine Propagandalüge der demokratischen Regierungen. Die Rede zielte und traf auf den Traum in unseren unkritischen Köpfen von einstiger und jetzt zurückzugewinnender nationaler Größe.
2 Wochen später gratuliere ich der Musch zum Geburtstag (der 54.): „Kräht der Hahn früh am Morgen usw...“ Das war das Geburtstagslied in der Familie, Verse von Paula Dehmel-Oppenheimer (1862-1918), eine vielleicht famlieneigene Melodie, jedenfalls nicht die übliche. „… und pack Dich fest lieb“ schrieb ich und dann, dass wir am nächsten Sonntag zum Nürburgring, zum großen Autorennen fahren „ich freu mich schwer darauf“ und: „Übrigens ist Hitler auch hier in der Gegend und es ist gar nicht unmöglich, dass er uns mal besucht… So, nun muss ich Schluss machen, ich habe nämlich keine Wache und schreibe unter „Lebensgefahr“ während der Arbeitszeit… Dein Pitter.“ Das Eifelrennen sahen wir am 21 Mai 1939, Gewinner war Herrmann Lang in einem Mercedeswagen.
Anfang Juni liege ich 9 Tage mit einer fiebrigen Erkältung im Bett.“Während dieser Zeit ist unsere Abteilung schwer geschliffen worden, denn am Sonntag war sie in Bonn zum Kreisparteitag und hat auch ganz gut abgeschnitten...“ Genesen, schreibe ich, dass die Mutter wohl jetzt in Neubrandenburg sei und mit ihres Bruders neuem DKW über Land führe. „Ich kann mir das alles so schön vorstellen. - So jetzt ist die Wache gleich zu Ende und dann steige ich sofort ins Bett, Viele herzl. Grüße, Dein E.“ - Der F8 der Deutschen-Kraft-Wagen-Werke Augsburg von Onkel K hatte Frontantrieb, 18 PS, wog 700 kg und schaffte die Höchstgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern...
In den folgenden Wochen, Monaten und schließlich Jahren schrieb ich regelmäßig, manchmal fast täglich. Nicht nur nach Hause an die Eltern und Löles mit Familie in der ersten Etage und an die wechselnde Mieterfamilie im oberen Stockwerk. Auch an die Verwandten und Bekannten in Neubrandenburg, an Onkel R in S, an Muschs Freundin in F, manchmal an die Calwer Verwandten und Stuttgarter Freunde der Familie, an die Aachener Familie, an Pls Mutter in „Gütsel“. Sie alle schrieben mir und schickten Päckchen und manchmal Pakete. Es geht in meinen Briefen und Karten meist um Dank für Zigaretten und „Schoko“, manchmal auch für Kuchen und Äpfel und wenn ich an die Eltern schreibe, geht es auch um kleine Geldbeträge, um Kleidung und Wäsche, um Dinge wie Dokumente oder einen Füller oder auch einen Schlafanzug aus meinen Schubladen in B, und immer wieder um „Rauchwaren“. „Schickt mir doch auch bitte 1 oder 2 Schachteln meiner „Loyd Privat“ Zigaretten mit (von meinem „Gehalt“ abziehen)“. Ich schreibe immer wieder „Liebe Musch“, „Lieber Babo“ und oft „Ihr Lieben“ und zum Schluss meist „Herzl. Gruß (bzw. Grüße) Dein (bzw. Euer) E.“. Für die Musch bin ich auch oft ihr „Pitter“. An zu Hause so gut wie nie, nur an Onkel R steht am Schluss manchmal „Heil Hitler“. Ich weiß ja, dass Musch‘s Bruder – manchmal unausstehlich für den Babo – als Veteran, Stahlhelmer und „moralisch“ kläglich gescheiterter SS-Wachmann große Stücke auf den „Führer“ hält.
Ich korrespondiere regelmäßig auch mit L der Nachbarstochter, die als Telefonistin im Postamt von B. arbeitet, mit B, P‘s Schwester, bald meine „Schwipschwägerin“ und mit G, Abiturientin im Jahr vor mir und angehenden Ärztin, jüngere Schwester von A, der seinerzeit im Namen seiner Schulklasse öffentlich für den Babo eingetreten war, mit der „Base“ in Mühlacker, mit der Tocher von Babos Freunden, den Leons.
Ich erzähle in Bruchstücken aus meinem Alltag, noch spielen in unserer ganz aufs militärische ausgerichteten Ausbildung Geheimhaltungsvorschriften keine Rolle: „Am vorigen Sonntag haben wir wieder Feuerwehr bei einem Brand in einer Remagener Möbelfabrik gespielt. Wir haben den Brand sehr erfolgreich mit Wassereimern bekämpft, weil die Feuerwehr versagte. Der Besitzer der Fabrik hat uns schon seinen "handgreiflichen" Dank in Form von 5 Hektoliter Bier versprochen, wovon ich ja wenig habe. Heute abend ist Kameradschaftsabend in unserer Abteilung. Der Gaumusikzug kommt nämlich und anschließend spielt unsere Hauskapelle z. Tanz. Bald steigt auch eine große Rheinfahrt und im August ein großartiges Sommerfest. Unser Lager wird von Tag zu Tag schöner.“
„ Es wäre grimm“, schreibe ich, „wenn Hilles mich mal besuchen käme. Andernfalls können wir uns ja in Bonn treffen, was mich ja nur -70 ch (Pfennig) kostet“… „So jetzt muss ich wieder raus aufs Auto und Erde fahren, denn wir bedecken die ganzen Anlagen mit gutem Mutterboden, aber bald ist alles fertig.“ Der Babo hat mich in Remagen auch besucht und er hatte Freunde in der Stadt, die mich einluden und zu denen ich am Wochenende manchmal ging. Remagen ist ja laut Ansichtskarte „der beliebte Ausflugsort am schönen Rhein“. Am 7. Juli 1939 schreibe ich an die Musch kurz vor ihrer Abreise aus Neubrandenburg: „Wir werden augenblicklich schwer hochgenommen, denn unser Lager ist Reichsausbildungslager geworden und wir haben viele neue Männer bekommen, und viele alte sind weggekommen, auch G Elf. Mir tun sämtliche Knochen weh nach Paradeschritt kloppen. Hoffentlich kann ich am nächsten Sonntag nach Hause kommen und mal im Fluss oder in W baden gehen. Auf Dein Päckchen freue ich mich schon sehr.“
Dass ich mein Vorwärtskommen durch unvorsichtige Äusserungen auch in meinen Briefen gefährden konnte, wusste ich von zu Hause schon. Später befleißige ich mich mehr und mehr eines "double-talk": schreibe ich "kritisch", überkompensierte ich mit Propaganda-Parolen. Ich weiß dass mein jugendlicher Jargon "Rossevelt hat sicher geschwitzt" zu Hause nicht optimistisch aufgenommen wird. Als ich Mitte Juli von einem Wochende in B zurückfahre beobachte ich „endlose Güterzüge mit Truppen- und Material…“ „auch alle Kameraden berichten dasselbe. Es scheint also schwer was im Gang zu sein. Soweit ich gehört habe, haben Arbeitsdienst und Militär ab 20. Juli Urlaubssperre… Es sind ganze Abteilungen Arbeitsdienst nach dem Osten zur „Erntehilfe“ verladen worden. Nun, wir warten der Dinge die da kommen werden und exerzieren mal weiter für Nürnberg.“
Anfang August erfahren wir, das wir nicht als „Vorbeimarschabteilung“ für den Parteitag ausgewählt wurden, sondern nur als platzfüllende „Ergänzungsabteilung“. Der Ausgang in die Stadt ist uns untersagt wegen Diphterie-Erkrankungen dort und auch im Lager. Mitte August schreibe ich, dass ich Freudensprünge gemacht hätte, als nach einer Woche endlich Post gekommen sei, Meine ältere Schwester Hilles und P haben geheiratet und sind wieder in Berlin. „Eben habe ich mein Komißbrot gefressen, nach dem man regelmäßig Bauchschmerzen bekommt, so auch jetzt. Zigaretten haben wir auch bekommen, aber es gibt jetzt nur noch billige Eckstein-Zigaretten mit denen man sich nur die Lunge aus dem Hals raucht. Aber ich hoffe, dass es in B. noch etwas besseres zu rauchen gibt. Hier in der Gegend ist in weitem Umkreis alles ausverkauft. / Meine schlechte Schrift musst Du entschuldigen, aber ich liege hier an der Fuhrmannslampe auf dem Bauch im Stroh und benutze den Spaten als Unterlage. Trotzdem wir jetzt deutsche Wehrmacht sind, haben wir unseren Spaten immer noch mitgeschleppt und jetzt wird er hier verrosten. / Nun so will ich mich ins Stroh einschieben und hoffentlich kommt morgen Dein Brief. Morgen haben wir Ruhetag, der zufällig auf den Sonntag fällt.
Jetzt bin ich also als Arbeitsdienstler in einem Baubataillon der Wehrmacht noch in der Remagener Umgebung auf dem Absprung zum Westwall. Am 23. August wird der „Hitler-Stalinpakt unterzeichnet. Wie bald herauskommen wird, mit einem geheimen Zusatzabkommen zur Aufteilung besetzter Gebiete. Ich schreibe nach Hause:
Ja, was sagt Ihr nun zur Außenpolitik? Wir waren hier über den Nichtangriffspakt zw. D u. R. jedenfalls leicht geplättet, obwohl wir ja von den deutsch-russischen Verhandlungen wussten. Heute abend haben wir schallend gelacht, als Luxemburg meldete, dass bei der Ankunft Ribbentrops der Moskauer Bahnhof mit Hakenkreuzflaggen geschmückt war. Übrigens, in dem Aufmarschplan für Nürnberg ist auch eine Arbeitsdienstabteilung aus Danzig vorgesehen, die aber bis jetzt noch nicht besteht. / Eben haben wir Generalappell in sämtlichen reichseigenen Sachen gehabt. Ein Glück, dass ich keine Wäsche mehr zu Hause hatte. Das war ein Durcheinander. Wir mussten innerhalb 10 Min. unseren ganzen Krempel in eine Wolldecke packen und auf dem Appellplatz antreten. - Heute Nacht erwarten wir zu allem Überfluss noch einen Luftschutzalarm. Augenblicklich haben wir auch wieder kein Wasser und können weder Wasser trinken noch uns waschen. Das Wasser zum kochen müssen wir aus Remagen holen. Schickt mir bitte mein Geld früh genug. Wenn es geht 20 M. Nach dem Parteitag bekomme ich ja während des Urlaubs 6 M Verpflegungsgeld, die kann ich dann dem Babo ja geben“.
Es schien in der Tat absurd: man hatte uns gründlich eingeschärft, dass die Kommunisten unsere schlimmsten Feinde seien und wir ebenso für sie und jetzt paktieren wir mit ihnen und sie empfangen unsere Delegation mit allen Ehren. Mit keinem Gedanken dachte ich an Konsequenzen für Moskau-treue Kommunisten in Belgien und Frankreich. Nur ein paar Tage später wurden sie Feinde im eigenen Land. Dann war der Krieg da und Danzig, schon seit Juni 1933 nationalsozialistisch regiert, kein „Vorposten“ mehr. Wir haben jetzt eine Feldpostnummer, nämlich die der 4. Kompanie des Baubataillons bei der 5. Armee zur „Grenzsicherung am Rhein“. Am 24. August, einem Donnerstag, ist uns Schreibverbot erteilt worden. Erst am 5. September 1939 kann ich wieder berichten.
„ … wenn der "Krieg", so weiter geht, bin ich zufrieden. Für uns ging alles ziemlich plötzlich. Ich hatte von Donnerstag auf Freitag Wache. Freitag morgen kam dann der Befehl, dass wir Samstag schon nach Aachen kämen, Wir packten dann noch bis ungefähr 11 Uhr nachts unsere Tornister und als ich eben in der Klappe lag, wurde ich z. … gerufen. Da war eben für den Arbeitsdienst Großalarm befohlen worden und ich sollte als Meldeführer eingesetzt werden“.
Der Meldeführer hatte Befehle und Meldungen in jeder Form zu überbringen. Auffassungsvermögen und klarer Ausdruck waren gefordert. Das Lager wurde vollständig geräumt und auf unseren Sonderzug verladen. „In einem Dorf bezogen wir dann für 5 Tage Quartier, wurden aber von der Feldküche verpflegt. Ich habe aber meistens in meinem Quartier gegessen für wenig Geld, weil die Feldküche immer nur "Quer durch die Eifel" kochte.“ Wir langweilten uns. „Erst als dann Adolf im Reichstag sprach, ging die Stimmung schnell in die Höhe. Am letzten Sonntag sind wir dann 25 km weiter marschiert und gestern weitere 40 km (dabei haben viele schlapp gemacht, E aber nicht!) und liegen nun scheinbar in unserem endgültigen Standort und ruhen uns aus. Die Verpflegung ist jetzt gut. Gestern Abend 1 ganzes Schwein im Essen. Wo ich liege darf ich Euch begreiflicherweise nicht schreiben. Ich hoffe jetzt nur, dass sich alle Verwicklungen bald lösen und wir mit nicht allzu viel Verspätung nach Hause kommen können.
Ich hoffe, nach Hause zu kommen, dabei haben vor zwei Tagen England und Frankreich uns den Krieg erklärt. Wie sollten sich da "alle Verwicklungen bald lösen" ?
Der Angriff auf Polen hatte am Samstag den 26 beginnen sollen, war am 25. August 1939 abends abgesagt worden. Allerdings hatte der Funkspruch einen Vortrupp im tschechisch-polnischen Bergland nicht erreicht, er überschritt die Grenze, völkerrechtswidrig zum Teil in polnischen Uniformen, wurde abgewehrt und die Heeresleitung hatte sich noch am 26. bei den Polen entschuldigt. Einen Vorfall den Hitler unterschlug, als er in seiner Rede am 1. September den Polen alle Schuld gab, den Krieg als notwendig hinstellte, zur nie kapitulierenden Gemeinschaft aufrief und mit der Parole Sieg oder Untergang pathetisch sein persönliches Schicksal verband. Aus unserem Nachhausekommen sollte nichts werden. Der Auftakt zu diesem Krieg war wohl ein Kriegsverbrechen der Luftwaffe: der Luftangriff auf Wilun gleich am 1. September früh morgens, noch vor dem Beschuss der Westernplatte. Bis zu 1200 Zivilisten starben. Dieser Auftakt blieb unbeachtet. - Ich frage nach P und Ple, den Männern meiner Schwestern: „Ist P noch nicht eingezogen? Und läuft der Ple noch frei herum? In unserer Kompanie sind nämlich auch viele in Ples Alter.“
In der Tat war P, jungverheiratet, bereits mobilisiert. Der 38 jährige Ple blieb bis Mai 1943 verschont.
„Ich bitte sobald wie möglich um ein großes Paket mit viel Kuchen und Schokolade. „Ich habe nämlich einen wahnsinnigen Hunger nach so etwas, denn überall wo wir gewesen sind, war nichts mehr dergleichen zu bekommen … Geld brauche ich hier keins, denn wir bekommen pro Tag 1 M und 12 Zigaretten. Mehr kann man ja nicht verlangen.“ Solange wie wir hier in der Hocheifel am Westwall bauen, schreibe ich fast täglich. So am 8. September 1939 schon wieder:
"Ihr Lieben! Aus Langeweile schreibe ich Euch schon wieder und kosten tut es ja auch nichts. Das bißchen Dienst, was wir hier machen, ist kaum der Rede wert. Im Übrigen bekommen wir ganz großartiges Essen, das Wetter ist wundervoll und ab und zu gehen wir baden und freuen uns dieses ruhigen Krieges. Mir fehlt etwas zum lesen und vielen fehlt das Bier… Postsendungen an mich braucht ihr natürlich nicht frei zu machen. Nur anstelle der Briefmarken "Feldpost" hinschreiben, / Gerade haben wir mal wieder "gefrühstückt". Ich habe heute morgen fast eine ganze Kilodose Tilsiter Käse verdrückt, weil einige keinen essen wollten."
Ich erkundige mich nach „den Aachenern“, die doch sicher evakuiert und in B. gelandet seien. Ich bestelle auch oft Grüße an vier Familien der Nachbarschaft in B. Gleich am nächsten Tag schreibe ich an Onkel R:
„ Eben haben wir alle vor den Fenstern eines Bauernhauses die Rede Hermann Görings gehört und sind alle begeistert, wie er es den Engländern gegeben hat. Ob die wohl jetzt noch Lust haben, weiter Krieg zu spielen? Ich glaube nicht.“
Göring hatte am 9. September 1939 vor Arbeitern der Borsig-Rheinmetallwerke in Berlin-Tegel gesprochen und wurde entsprechend bejubelt, wenn er sagte „ Wir werden nicht zulassen, dass auch nur eine einzige Bombe auf das Ruhrgebiet fällt.“ Zum britischen Abwurf von Flugblättern hatte er gemeint „Wehe aber wenn sie den Propagandazettel mit einer Bombe verwechseln sollten, dann wird die Vergeltung keinen Augenblick auf sich warten lassen."
„Wir hoffen aber alle in 3 Wochen wieder zu Hause zu sein. Also hoffen wir das Beste. Gruß und Heil Hitler E.“
Ein paar Tage später beklage ich mich, dass es mit der Feldpost noch nicht so ganz zu klappen scheint. Alle anderen läsen ihre Briefe und packten ihre Päckchen aus.
„Aber was nicht ist , kann ja noch werden! - Wir müssen jetzt jeden Tag ziemlich schwer arbeiten, aber die Arbeit macht wenigstens mehr Freude als in Remagen. Heute war seit Sonntag wieder der erste schöne Tag. Sonst haben wir immer im Regen gearbeitet und kamen abends klatschnass ins Quartier, die Stiefel bis obenhin voll Schlamm, sodass wir morgens eine halbe Stunde Arbeit hatten, bis wir sie an den Füßen hatten. Gesundheitlich geht es mir sehr gut. Nur abends bekommen wir alle Heimatstimmung: Ach, noch einmal ne Pfanne Bratkartoffeln sagt einer, nein, ich zieh ein Schnitzel vor, ein anderer: noch einmal in der Badewanne sitzen und den ganzen ?-dreck abwaschen! - und so geht das dann immer weiter und endet dann schließlich bei Thema 1 : Mein Mädel. Ja und immer wird gepennt und zwar so fest, dass wir morgens regelmäßig das Wecken verschlafen, die Zähne nicht noch putzen können und ohne Kaffee auf die Baustelle ziehen müssen. Da dreht sich dann meist das Gespräch um unsere Entlassung. Wenn irgendein hohes Tier kommt, wird jedes seiner Worte auf etwaige Hindeutung auf Entlassung abgewogen und dann gehen die berühmten Latrinenparolen los. Heute hieß es z. B. nach dem Besuch eines Oberfeldmeisters, am 29. werden wir entlassen und zu unserem Truppenteil eingezogen.“
Ich erkundige mich nach jedem einzelnen im Haus in B., auch nach den Kindern, frage ob es Nachrichten von den Elf-Brüdern gibt, ob die Oma im Nachbarhaus noch lebt, was den Aachenern geschehen ist, ob der O jetzt auf der Flugwache hockt, ob der Babo noch kein Pöstchen bekommen hat und „Gibt es viele Äpfel?“. Ja der O hockt schon auf der Fluwa auf dem westlichen Berg über B und ja, der Babo ist jetzt Luftschutzblockwart.
„Doch nun zum Geschäftlichen: Liebesgaben sind sehr erwünscht, aber leider nur Päckchen bis 250 g erlaubt ... Also wie gesagt, schickt Zigaretten in rauen Mengen, möglichst meine Marke (Loyd privat und Overstolz) in möglichst großen Packungen. Schickt ruhig mal 100 Stück her. Wenn Mutter sagt, sie gäbe keinen Pfennig für Zigaretten aus, dann soll sie die Schoko kaufen. Das Geld für die Zigaretten bekommt Ihr von mir wieder, denn Geld hab ich genug, weil man hier auch rein gar nichts kaufen kann und die Zigaretten vom Bataillon kommen ziemlich spärlich und sie sind noch das einzige bisschen Gemütlichkeit, was man hier hat … So, nun will ich mir meine Stiefel und Jacke ausziehen und unter Decke und Mantel ins Stroh kriechen. Meine Kameraden sind schon feste am koksen. Also gute Nacht Euer E. Hoffentlich brauch ich nicht lange auf Post zu warten.“
Der erste Kriegsmonat war für mich ereignis- und erlebnisreich, aber auch von Heimweh geprägt. Am 18 September 1939 schreibe ich
„Ich bin ja nur sehr gespannt, ob der Babo wieder pauken wird. Dass die Aachener bei Euch sind, hatte ich mir ja schon halb gedacht, aber ich glaube, dass sie bald wieder abhauen können. Noch in diesem Monat werden wir aus dem ehemaligen N.S. Spatenbund entlassen werden und erhalten eine militärische Kurzausbildung, wahrscheinlich 8 oder 12 Wochen … Dann möchte ich doch mal gerne wissen, ob die Musch noch Kaninchen im Glas hat, sonst komm ich schon gar nicht erst nach Hause. - Zu verflixt, nun hatte ich mir auf der Briefstelle soviel überlegt, was ich alles schreiben wollte und nun bin ich so müde, das alles wie weggeblasen ist. Also mach ich Schluss. Herzl. Grüße und vielen Dank für Eure Briefe Euer E."
Nein, im Krieg erst recht wird man die Erziehung des soldatischen Nachwuchses nicht einem "ungedienten", politisch unzuverlässigen „Pauker“ anvertrauen. Zwei Tage später, am 20. September 1939:
„Liebe Musch! Heute Morgen bekam ich Dein Päckchen und hatte die Schokolade innerhalb 2 Minuten verputzt: Der Babo wird sicher sagen: "Hano, des hätt der Buab sich doch a bissel verdeile könne", aber ich hab sie auf einen Schlag gefressen … So langsam fängt ... hier in der Hocheifel die Kälte und damit auch die Erkältung an bes. wo wir meist in undichten Scheunen liegen. Aber bald geht es ja zu Preußens. Herzl. Grüße und feste lieb packt Dich Dein Peterle. - An Dein Lied denke ich jeden Morgen um 9 Uhr. Abends bin ich meist schon zu müd und höre es dann im Traum.“
Meine Mutter hat eine warme Altstimme und begleitet ihr Lied mit einfachen Griffen auf einer Laute, die der jugendbewegte Freund Palmedo, Musiker und Komponist als Soldat durch den Weltkrieg gebracht und ihr geschenkt hatte. „Ihr Lied“: „Maria sitzt am Rosenhag und wiegt ihr Jesuskind / Durch die Blätter leise weht der warme Sommerwind“. Musik Max Reger op. 76, Nr. 52; Text Martin Boelitz (1874-1918), Bankkaufmann, Verleger, Buchhändler, Dichter aus Wesel, der 1904 in Nürnberg „Schöne alte Kinderlieder“ herausgegeben hatte.
Ich schreibe dem Babo, dass ich sein Zigarettenpäckchen zu meiner größten Freude zusammen mit seinem Brief erhalten hätte. Dass Onkel R mir eine Segelfliegerzeitschrift geschickt habe, die ich während der Arbeit studiert hätte:
“ Da habe ich nämlich Zeit dazu, weil wir uns wegen des schweren Bodens immer in der Arbeit ablösen. Heute morgen hat es zum ersten Mal gefroren. In der Nacht ist es immer lausig kalt und meistens ist dann so warm, dass man bald baden gehen möchte. Das "schönste Gefühl" ist es, wenn man morgens aus dem Stroh steigt und sich am Bach wäscht. Im Winter würde das sicher nur einmal in der Woche der Fall sein. Übrigens habe ich jetzt auf einmal 2 Illustrierte geschickt bekommen. ... So etwas ist hier natürlich sehr gesucht. (Fortsetzung am 27 auf der Baustelle) Wir warten hier jetzt jeden Tag auf den Befehl zur Entlassung. Wir werden aber sofort , ohne Urlaub, in die Kaserne kommen, ob zu unserem Truppenteil, ist auch noch die Frage.“
Ich schreibe dem Vater auch, dass ich mich wegen einer Ingenieuroffizierslaufbahn beim Kreiswehramt erkundigen wolle, ob meine Meldung noch Zweck habe. „ Übrigens sind bei uns auch, wie G Elf, die zur Marine eingezogenen schon weg“.
Am 27. September 1939 ruhten in Warschau die Waffen. Die Führung kapitulierte. Die polnischen Soldaten zerstörten oder versteckten ihre Waffen. Die Schlacht um die Stadt hatte weitaus mehr Zivilisten als Soldaten das Leben gekostet. Brest an der Markierungslinie zum vereinbarten "sowjetischen Teil" Polens war schon seit Tagen in deutscher Hand. Am 5. Oktober nimmt Hitler die Truppenparade beim Einzug in Warschau ab. - Ich bitte den Babo, einem Kameraden der zur Kriegstrauung in der Nähe von B. ist, meinen Fotoapparat und Filme Agfa Isopan 21/10 DIN 24x36mm Taglichtspule mitzugeben. „DIe Hoffnung auf Entlassung haben wir jetzt aufgegeben und uns schon mit "Westwallweihnachten" abgefunden.
Löles hat mir eine kleine Zeichnung von einem mir vertrauten idyllischen Wiesental geschickt. Ich habe mich besonders gefreut, schreibe ich, nicht nur sehr gefreut, was eine der häufigsten Wendungen in meinen Briefen. Das Essen spielt für mich immer eine sehr große Rolle:
„ In der letzten Woche habe ich für die hiesigen Verhältnisse ein paar Mal recht gut gelebt. Einmal habe ich Spiegeleier mit Salat usw. dann Rouladen und gestern abend mit noch 18 Mann ein Spanferkel gegessen. Ich kann Euch sagen, wir haben gefr...(essen): ungut, jedenfalls habe ich jetzt noch Bauchschmerzen von dem ungewohnten Essen. Natürlich (kostet) so etwas eine Stange Geld,“
Am Abend des 5ten zurück in Berlin spricht der Diktator vom „besten deutschen Soldatentum“ und am darauffolgenden Tag macht er in einer Reichstagsrede ein heuchlerisches Friedensangebot auf der Basis des status quo. Göring dankt mit einem „Führer befiehl, wir folgen“. Auch ich folge mehr oder weniger unbekümmert in meiner Baukompanie an der Westfront. Im Radio, nach den Tagesmeldungen tönt neuerdings das Löns-Lied von 1914, der Refrain „ Denn wir fahren gegen Engelland...“ In der allernächsten Zeit werden 60 000-80 000 potentiell unbequeme Polen umgebracht und noch im Oktober wird angeordnet in allen ländlichen Gebieten die Juden zu vertreiben. Im „Reich“ wird, eugenisch und kriegswirtschaftlich begründet, die geheime Massentötung von Kranken und Behinderten organisiert.
Mit meiner Resignation hinsichtlich „Westwallweihnachten“ habe ich mich getäuscht. Am 10. Oktober kann ich mitteilen:
"Wir werden Sonntag entlassen. Wahrscheinlich kommen wir nach Koblenz zur Aushebung und von da aus sofort zur Kaserne. Vielleicht bekommen wir von unserem Standort aus einmal Urlaub."
Und am 16., einem Montag, schicke ich eine Ansichtspostkarte: "Wir sind gestern abend um 9 Uhr von der Grenze weggefahren und um ½ 6 Uhr in Koblenz angekommen. Hier ist eine große Massenabfertigung. Was nun aus mir wird, ob ich zu meinem Truppenteil komme, weiß ich noch nicht."
Die „Ansicht“ zeigt eine junge Frau wartend unter einer Standuhr und im Hintergrund einen Soldaten der mit anderen, aus einem Zugfenster winkt. Legende: „Ich habe Dich versetzt, denn ich bin versetzt.“ In Koblenz konnte ich unerwartet einen kurzen Besuch zu Hause einlegen und am 21. kann ich dann berichten:
„Ich bin gestern gut in Layenhof angekommen, und zwar bin ich mit der Straßenbahn von M(ainz) nach hierher gefahren. In Layenhof sind wir aber nicht lange geblieben, sondern nach Idstein i. Taunus verfrachtet worden. Es war eine saumäßig kalte Nachtfahrt auf offenen Lastwagen und unterwegs fing es zum Überfluss noch an zu schneien.“
In Layenhof bei Mainz waren Arbeitsdienstler dabei, Gelände für ein Flugfeld trocken zu legen. In der mittelalterlichen Stadt Idstein im Taunus gab es früh schon ein Arbeitsdienstlager im alten Schloss.
„Bevor wir noch keine Stiefel haben, machen wir noch keinen Dienst, sondern spielen von morgens bis abends Skat. Von mir aus kann es die übrigen 3 Wochen so weiter gehen. Länger werden wir wohl nicht hierbleiben, trotz des guten Essens verfresse ich mein ganzes Geld in der Kantine. Aber dem Babo werde ich seine 10 M doch so bald wie möglich schicken. Von Mutters Kuchen habe ich heute den letzten Rest verputzt. Schickt mir in dem Paket doch bitte eine Portion Äpfel mit. Wir liegen hier in der Stube mit 27 Mann. Ich bin Stubenältester.“Dies unter dem 25. Oktober und am 31. schreibe ich: „Wenn ihr mal was übrig habt, dann schickt mir doch bitte mal etwas Wurst oder Margarine. Die Postsendung ist ja sehr schnell. Aber nur, wenn ihr selbst auch genug habt.“
Am 8 November erfahren meine Lieben, dass wir für die Post arbeiten, - was bedeute, dass wir 50 ch Verpflegungszuschuss bekommen - und dass ich die Wurst zum zweiten Frühstück auf der Baustelle brauche, weil es Morgens nur trockenes Brot und etwas Marmelade gäbe. - An diesem 8.11. hatte Georg Elser (1903-1945) versucht, Hitler wegen seiner Kriegspläne im Münchener Bürgerbräukeller zu töten. Der Schreiner Elser hatte das Attentat sorgfältigst vorbereitet. Seine Bombe explodierte wie programmiert, aber Hitler hatte unerwartet 13 Minuten früher die Rednertribüne verlassen. Die Bombe tötete 8 Menschen, 7 Parteimitglieder und eine Kellnerin. Elser wurde auf der Flucht in die Schweiz in Konstanz festgenommen, gefoltert, in den Kz‘s Sachsenhausen und Dachau in Einzelhaft genommen und am 9 April 1945 auf Anweisung aus Berlin ermordet. Erst nachdem die Verhörprotokolle in den 60er Jahren gefunden wurden, fand Elser und seine Attentat einen Platz in der Geschichte des Widerstands. - Ich schreibe der Musch am folgenden Tag, dem 9. November 1939:
„Heute mittag, als das Auto mit dem Essen kam, erfuhren wir von dem Attentat auf den Führer. Wir wollten es alle nicht glauben und liefen extra 2 km zum nächsten Dorf, um die Nachrichten zu hören. Als wir dann das Gerücht wirklich bestätigt fanden, waren wir zuerst vollständig niedergeschmettert, allein von dem Gedanken, welche unübersehbaren Folgen ein Gelingen dieses Attentats im Augenblick gehabt hätte. Aber ich glaube die Wirkung, die dieses Attentat haben sollte, ist nun gerade ins Gegenteil umgeschlagen, denn jeder sagte sofort: das ist kein Schicksal oder Zufall sondern Gottes Fügung. Bes. die Bewohner der Dörfer waren in heller Entrüstung und Wut gegen die Täter und in doppelter Begeisterung für den Führer. / In solch einem Augenblick wird einem tatsächlich mal klar, welche moralische und dann auch militärische Niederlage es bedeutet hätte, wenn Hitler auf einmal nicht mehr da wäre. Aber gottseidank ist es ja anders gekommen. So dann möchte ich Dich noch bitten, mir möglichst bald noch ein Stück Toilettenseife zu schicken. Herzl. Gruß Dein E."
Am 13. November ist u. a. Wieder das Essen Thema über das ich mich beklagt hatte, es sei nicht ganz schlecht, aber zu wenig: Morgen nachmittag sind also Mama S und L bei Dir zum Kaffee l. Musch. Dann regt Euch aber bloß nicht zuviel auf über unser gutes Essen. Zum Sterben ist es ja immer noch zu viel und solange geht es ja. Schreibt mir dann aber bloß nicht so "gehässig" wie Onkel R von Apfelkuchen mit Schlagsahne. - Löhnung haben wir noch keine bekommen. Wir sind nämlich jetzt eine selbständige Kompanie geworden, und da muss der Verwaltungskram erst umgekrempelt werden.“
Am 18.11. „bin ich mal wieder Wachhabender und es geht andauernd etwas kaputt. Ich musste außerdem den Ufz.vom Dienst übernehmen und habe daher wenig Zeit. Eben wurden wir alarmiert zur Räumung der Reichsautobahn, die durch einen tollen Sturm, der den ganzen Tag schon wütet, vollständig gesperrt ist. ich habe mindestens 20 Wirtschaften angerufen um unsere Autofahrer und Männer herbeizukriegen, denn heute abend ist ja Ausgang. Nun sind sie glücklich abgefahren … Ple hat mir den "Wanderer" nicht an die Westfront geschickt, sondern ich glaube etwas anderes von Flex … Ahoi! E. - Die „etwas andere“ Lektüre war ein 1926 erschienenes Novellenbändchen. Geschrieben zwischen 1907 und 1914, Erzählungen von Menschen in psychischen Krisen. Texte die unverkennbar vom vaterländischen Ideal des Autors zeugen. Walter Flex (1887 -1917), Germanist, Hauslehrer der Bismarck Famlie, die ihm "undeutsch" schien, ,Kriegsfreiwilliger, war, als er 1916 die Kriegserzählung „Wanderer zwischen zwei Welten“ herausbrachte, geprägt vom Kriegtod 1915 seines 7 Jahre jüngeren Gefährten, Theologiestudent und ebenfalls Freiwilliger. Flex starb 1917 auf Saaremaa vor Estland an einer Verwundung.
Am 21. November zeichnet sich ein Ende unserer Bautätigkeit ab: "Ich hätte mich über einen Besuch von Babo natürlich sehr gefreut. Die Sachlage hat sich aber mittlerweile wieder geändert. Wir kommen nämlich Ende dieser oder sonst in der nächsten Woche wieder von hier weg, da unsere Arbeit hier zu Ende ist. Vielleicht kommen wir auf die Lippe (b. Burbach/Kreis Siegen) das wäre ja grimm, weil ich dann leicht nach Hause kommen kann. Vielleicht kommen wir auch nach Bad Nauheim od. Limburg. Also vorläufig ist alles noch unbestimmt. Anbei ein paar nicht bes. gelungene Bilder von der "Strecke"."
Dezember 1939 – Juni 1940. Militärschulen
Nachdem am 2. Dezember, einem Samstag, bekannt wurde, dass „alle Luftnachrichtenfreiwilligen nach Wiesbaden kommen“ kann ich am 3. Dezember 1939 mitteilen:
„Nun bin ich also endlich richtig bei den Soldaten und zwar bei einer Bordfunkerkompanie. Ob ich allerdings wirklich als Bordfunker Verwendung finde, entscheidet sich erst nach 3 Monaten. So lange dauert nämlich die Ausbildung bis zur Frontverwendung. Wir sollen im März die alten Soldaten an der Front ablösen. - Wir liegen hier in einem großen, aber wunderbaren Barackenlager. Von Innen merkt man allerdings nicht viel von den Baracken. - Natürlich pfeift hier jetzt ein anderer Wind wie bei den österreichischen Führern in Idstein". -
Die Unteroffiziere haben ein „prima Kino“ eingerichtet, ich sehe gleich am ersten Abend den Kurt Hoffmann - Streifen „Paradies der Junggesellen“ mit Heinz Rühmann und dem Song „das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“ den ich mir gleich aneigne und mit meiner „Quetschkomode“ einstudiere „Keine Angst, keine Angst, Heidemarie...“ Mein Repertoire für mein derzeitiges Publikum enthielt unter anderem den Kölner Karnevalsschlager „Heidewitzka Herr Kapitän, mem Müllemer Böötche fahre mer su jän …“ - Eine Woche später ist das Programm:
„ der Fliegerfilm "D III 88" den ich Euch auch sehr empfehlen kann, wenn Ihr mal etwas Einblick in das Fliegerleben gewinnen wollt. - Eben haben wir unsere Uniformen gefasst, alles fast neue Klamotten. - Ich schlafe übrigens im 3. Stock und muss daher immer waghalsige Kletterpartien und Verrenkungen machen, besonders beim Bettmachen.“
Tatsächlich glorifiziert der Fliegerfilm des wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ 1933 entlassenen Theatermannes und aktuellen Propagandafilmers Kurt Maisch die Flieger des Weltkrieges und kolportiert die „Dolchstoßlegende“ vom unbesiegten Heer, dem die Revolution 1918 den Boden entzogen hätte. Erst einmal finde ich jedoch in jenem „Fliegerleben“ mein jugendliches Idol. Meine Adresse: "Funker E. 18 FLn.- Ers. Abt. III/12 Wiesbaden - Dotzheim 8. K." (Korporalschaft).
In Wiesbaden residierte seit April 1938 das früher Gießener Kommando des Luftgaues 12 (Wehrkreis 12: Rheinprovinz, Hessen-Nassau, ab 1941 Wehrkreis 13: Franken, Ost-Bayern) dem u.a. die Einsatzhäfen Biblis und Lippe und die Flugleithorste Gießen, Wiesbaden, Mannheim-Sandhofen unterstellt waren. Im Lager Wiesbaden-Dotzheim war die „Fronttruppe“ des Luftgau – Nachrichten - Regiments 12 der Luftflotte III stationiert und in der Ersatzabteilung meine Einheit, die 18. Kompanie.- Nach der zweifelhaften „Durststrecke“ der letzten Monate bin ich jetzt einigermaßen überzeugt, „auf dem rechten Weg“ zu sein. Am häuslich-traditionellen Nikolaustag, dem 6. Dezember, schreibe ich in bordfunkermäßigem Telegrammstil :
"1. Mir gefällt es hier ganz ausgezeichnet / 2. Ich bekomme keinen Weihnachtsurlaub / 3. Ich brauche Einwilligungserklärung, dass Vater mit meiner Wahl der Ing. Offizierslaufbahn einverstanden ist. / Essen immer ausgezeichnet. / 5. Dienst sehr interessant u. abwechslungsreich. /6. Hoffe ich morgen Post von Euch zu erhalten. / 7. Langer und anstrengender Dienst, aber wie gesagt sehr schön. / 8. Muss ich gleich noch den Stoff des letzten Unterrichts ausarbeiten. / 9. Schickt mir bitte Briefpapier / 10. Rauchen ist hier sehr eingeschränkt (das wird Euch ja freuen) /11. W's und auch Hilles auch schon geschrieben/ 12. Gruß E."
Zum ersten Mal werde ich Weihnachten nicht zu Hause sein: „Ihr müsst dann eben in diesem Jahr mal ohne mich feiern.“ Ich habe zwei Wünsche, ein paar Lederhandschuhe zur Uniform und eine Geldbörse, die ich mir aber selbst in Wiesbaden kaufen will. Ich schreibe am 9. Dezember:
„Wir haben unsere Stube auch recht nett weihnachtlich eingerichtet. Ein schöner großer Adventskranz hängt um die Lampe mit roten Bändern und dicken roten Kerzen. Ich habe mit meinem Kaporalschaftsführer die Tannenäste geholt. Lieber hätte ich sie ja nach alter Tradition mit dem Babo im Wald geholt. Habt Ihr eigentlich wieder großen Adventsrummel gehabt mit anschließend Äpfel im Schlafrock? Ich habe am vorigen Samstag abend sehr an Euch gedacht. / Die Sache mit meiner Ingenieursausbildung scheint zu klappen, ich habe mich bereits für 4 1/2 Jahre verpflichtet."
Am 12 Dezember will ich wegen der knappen Zeit nur kurz auf Vaters Brief antworten: „Über einen Neujahrsbesuch würde ich mich natürlich sehr freuen und werde auch Ausgang haben. Auf das Münchener Schreiben warte ich natürlich. Bin aber sowieso für 41/2 Jahre verpflichtet, sozusagen als praktische Vorbildung. Die Bewerbung geht von hier aus. Mein arischer Nachweis ist ziemlich abgenutzt und liegt wahrscheinlich bei meinen Büchern in einem Schnellhefter oder in der Nachttischschublade. Bitte erneuern lassen. Aufgefordert worden sind wir nicht. Je früher ich mich melde, umso schneller geht Ausbildung und Beförderung wegen des Krieges. Mit d. Papieren bitte noch 6 Passbilder von meinem Wehrpassbild beim Photographen. 18 ist Kompanie, 8 ist Korporalschaft (bitte nie vergessen) Über die 5 M und die Aussicht auf weitere habe ich mich sehr gefreut. Beim ersten Ausgang werde ich einkaufen gehen“.
Und zu meiner Mutter‘ Zeilen: „Bitte möglichst dicke Socken. Über die kleinen Erinnerungen aus der Kinderzeit zu Weihnachten habe ich mich sehr gefreut und kann mir den K und die B gut vorstellen, dass sie es genau so machen wie ich damals. Ja das war noch schön und friedlich. - War gestern Abend mit meinem Führer und einigen Kameraden in unserem "bunten Abend" von K.d.F. Großer Mist! -
Die „Gemeinschaft Kraft durch Freude“, diese „Freizeit-Organisation“ der Zwangsgewerkschaft „Deutsche Arbeitsfront“ nach dem Vorbild der faschistischen Dopolavoro war in Arbeiterkreisen mit Reise- , Sport- und Unterhaltungsangeboten bis zum Krieg sehr wirksam. Gegen Robert Ley, dem DAF-Organisator aber auch gegeneinander beanspruchten Goebbels und Rosenberg mit unterschiedlichen Konzepten die erfolgreiche Massenorganisation für ihre Machtbereiche. Wenn es anfänglich Ansätze zu einem kulturellen Bildungsprogramm im Arbeitsdienst gab, bald schon hatte die KdF das Programm übernommen und veranstaltete stattdessen „Bunte Abende“. Mit meinem Urteil war ich nicht allein.
„Unsere Weihnachtsfeier scheint ganz nett zu werden aber sie kann das zu Hause doch bei weitem nicht ersetzen. Ich habe auch einen Adventskalender und zwar meine Essmarken. Jeden Tag reiße ich eine Marke ab.- „Wir müssen feste pauken, beinahe wie in der Schule. Hier kommt es viel mehr aufs "Köpfchen" an als auf das Militärwissen und es ist nicht einfach in der kurzen Zeit alles zu beköppen? Leider kann ich Euch über meine ganze Tätigkeit nichts schreiben, es wär ja auch für Euch sehr interessant, aber Ihr wisst ja, wie es damit ist. / Also feiert recht froh u. vergnügt Euer Weihnachtsfest mit dem Onkel R , Löles und Ple, und K und B. Der K soll mir auch schreiben, was er zu Weihnachten bekommen hat. Ihr denkt an mich und ich an Euch Herzl. Weihnachtsgrüße an das ganze Haus Euer Funker. Das schreibe ich am 21. Dezember.
Am 26 kann ich erzählen, was zu Weihnachten bei mir angekommen, von zu Hause und überall aus dem Verwandten- und Freundeskreis. Natürlich war vieles „auf einen hungrigen Soldatenmagen abgestimmt“. Das Schönste war aber doch ein kleines „Heimatalbum“. Bei unserer Kompanie-Weihnachtsfeier, war uns nur beim ersten Lied „Stille Nacht“ Wehmut hochgekommen „und wir wären gern mit einem Satz nach Hause gesprungen. Aber das ging auch vorbei“.
Wir hatten Ausgang und ich geriet in ein Lokal, wo das Kännchen Kaffee (1 ½ Tassen) 1 M 35 kostet. Ich habe mir schnell ein anderes Lokal gesucht. Ich freue mich sehr auf Babos Besuch und erkläre wie er am besten nach Dotzheim kommt.- Der Dezember 1939 war "international" vor Allem vom sowjetischen Versuch einer Invasion Finnlands bestimmt. Die Finnische Regierung bat den Völkerbund um Unterstützung, der schloß die Sowjetunion aus und England und Frankreich unterstützten die Finnen mit Waffenlieferungen. Nicht hinreichend, was zum späteren finnisch-deutschen Bündnis führte. Ende Dezember hatte die sowjetische Armee die erfolglose Operation eingestellt bis die erforderliche Kampfstärke zur Verfügung stehen würde.- Am Neujahrstag 1940 schreibe ich:
„Das Neue Jahr habe ich im Bett begonnen, allerdings nicht schlafend. Unser großangelegter Plan einer Sylvesterfeier ist nicht durchgeführt worden aus bestimmten Gründen. Es war nur ein allgemeines Besäufnis an dem ich wenig Interesse hatte.
Die "bestimmten Gründe" waren ein allgemeines absolutes Verdunkellungsgebot und ein ebenso absolutes Verbot allen Lärms. - Am 21. Januar 1940, meinem 19.Geburtstag, schreibe ich:Draußen ist es schon seit 2 Tagen ununterbrochen am schneien. Gestern war ein richtiger Sturm. Wir waren auf dem Schießstand und weil wir ja ganz im Freien schießen, war es verflucht kalt. Allmählich haben wir uns aber jetzt an die Kälte gewöhnt. Wenn man muss, geht eben alles. Der Schnee ist schon ordentlich dick. WIe schön wäre es, wenn ich jetzt zu Hause Schilaufen könnte. Bei uns auf unserer Segelfliegerhöhe muss doch sicher hoher Schnee liegen und unser Fliegerlager ist sicher dick eingeschneit. Das waren doch noch schöne Zeiten, als ich Samstags mit meiner Karre dorthin zog, auch wenn Du Musch es lieber gesehen hättest, wenn ich mal zu Hause geblieben wäre, mich aber trotzdem immer gut mit Fresserei versehen losließt“.
Am 24 Januar komme ich mit einer fiebrigen Erkältung ins Revier, bin aber am 28. Januar wieder auf den Beinen. Nicht nur die Familie versorgt mich mit Nahrhaftem und mit Leckereien, auch ein Wiesbadener Freund von Babo bringt mir „einen Haufen Äpfel und ein Glas Pfirsiche“.
Zum 7tn Jahrestag seiner Amtsübernahme, dem 30 Januar 1940, zieht der Diktator im Sportpalast groß angelegte Bilanz seit er mit dem demokratischen Geschwätz ein für alle Mal aufgeräumt habe. Seit 1918 und lange vorher auch schon verweigerten England und Frankreich den Deutschen den Lebensraum, Churchill sage im Gegensatz zum frommen Friedensapostel Chamberlein ehrlich, dass er Deutschland zerstören wolle, wünsche sich offenbar das Deutschland von 1648 zurück. Französische Generäle ebenso. "Es geht nicht an, daß 46 Millionen Engländer 40 Millionen Quadratkilometer der Erde einfach blockieren und erklären: Das ist uns vom lieben Gott gegeben, und wir haben vor 20 Jahren noch etwas dazubekommen von euch. Das ist jetzt unser Eigentum, und das geben wir nicht mehr her. Und Frankreich mit seinem wirklich nicht sehr fruchtbaren Volksboden, knapp 80 Menschen auf dem Quadratkilometer, hat selber auch über neun Millionen Quadratkilometer Raum; Deutschland mit über 80 Millionen noch nicht 600 000 Quadratkilometer. Das ist das Problem, das gelöst werden muß und das genau so gelöst werden wird, wie alle sozialen Fragen gelöst werden.". Chamberlain habe versucht, sich mit dem Atheisten Stalin zu verständigen. Ihm sei nicht gelungen, was er, Hitler, geschafft habe: "durch Jahrhunderte haben Deutschland und Rußland in Freundschaft und in Frieden nebeneinander gelebt. Warum soll das in der Zukunft nicht wieder so möglich sein? Ich glaube, es wird möglich sein, weil die beiden Völker das wünschen. Und jeder Versuch der britischen oder französischen Plutokratie, uns in einen neuen Gegensatz zu bringen, wird scheitern, einfach scheitern aus der nüchternen Überlegung der Absichten dieser Kräfte, der Erkenntnis dieser Absichten" usw..
Am 4. Februar schreibe ich, dass ich mich einer Fliegertauglichkeitsprüfung in Giessen unterziehen muss und am 26. Februar 1940 dass die erste Ausbildungsphase abgeschlossen sei:
„Heute sind wir feste am packen. Jetzt muss ich also schon wieder einmal umziehen, wie schon so oft und mich auch von meinen Kameraden trennen, mit denen ich 3 Monate lang die Freuden und Leiden der Aspiranturzeit geteilt habe. Es fällt nicht immer leicht, besonders wenn man wirklich nette Kameraden gehabt hat. Na, ich hoffe aber, dass ich noch mit einigen zusammenbleibe.“
Am 1. März 1940 kann ich berichten: „Nun bin ich also hier in Mannheim. Am Mittwochmorgen sind wir zu 50 Mann nach hier versetzt worden. 50 sind nach Fritzlar u. Kassel gekommen und 50 auf den Hunsrück nach Kastellaun. Ich hatte sogar die Ehre, den Transport hierher nach Mannheim zu bringen und hatte daher vorher keine Zeit mehr, nach Hause zu schreiben. Wir sind hier aber nur vorübergehend und können vielleicht schon heute Nacht wieder wegkommen. Wohin, weiß noch keiner ... Das Essen ist hier sehr gut. Wir bekommen auch wieder Zigaretten und 50g Butter am Tag. Damit kann man schon etwas anfangen. Heut haben wir unseren Zimmerboden gespänt. Hier ist nämlich Parkett in den Stuben. Schon wieder mal etwas gelernt. Überhaupt sind die Kasernen sehr schön und die Zimmer groß und luftig mit Zentralheizung.“
Zwei Tage später habe ich „mal wieder für einige Zeit das Umziehen aufgesteckt und habe wieder festen Fuß gefasst“ Der neue Standort ist Biblis, aber das durfte ich nicht schreiben: „Den Umständen entsprechend gefällt es mir hier wieder ganz gut und ich fühle mich schon wieder ganz wohl in meiner neuen Umgebung. Nur ist man hier wieder ganz von der Zivilisation abgeschnitten und auf die Kantine angewiesen. Der nächste Bahnhof ist 1 Stunde entfernt, von da ist es ungefähr ¾ Stunde Bahnfahrt nach Ludwigshafen. Der Dienst ist sehr einfach. Heute Morgen haben wir auf dem Flugplatz Fußball gespielt, das Wetter ist ja wunderbar, nur nachts ist es noch sehr kalt. Tischtennis haben wir auch hier und als Meister kann ich jetzt Billard spielen. Heute Nachmittag mache ich einen Spaziergang um den Flugplatz mit einem älteren Kameraden, an den ich mich schon etwas näher angeschlossen habe.“
Hilles, meine ältere Schwester in Babelsberg hat mir zu Ostern (24. März 1940) Lektüre geschickt. Ich hatte ihre längst antworten wollen, als wir am 9. April erfahren, dass die Marine Dänemark und Norwegen angegriffen hat. Dänemark hat gleich aufgegeben und in Norwegen wurden die wichtigen Häfen überraschend schnell besetzt so dass die Briten, als sie am 14. eingreifen, wenig ausrichten. Am 17. April schreibe ich endlich nach Babelsberg :
„Ich danke Dir noch recht schön bes. für das Büchlein. Ja , ich habe mir auch so meine Gedanken darüber gemacht. Die beiden hatten doch nun ein sehr schönes Familienleben und liebten sich doch auch recht innig. Aber ich denke, den Mann hat eben noch mal eine zu große Jugendlichkeit überfallen und da er bei den anderen Herren einen Widerhall fand, ist diese eben zum Ausbruch gekommen. Ich glaube, so ein jugendliches Grünenüberkommt die meisten Männer auf der Höhe ihres Lebens, wenn es heißt von der Jugend zum Alter überzugehen. Ja, und die Frau, mit ihrem großen verstehendem Herzen steht ganz gewiss weit über dem Durchschnitt. Sie hat eben alles mit dem gütigen Verständnis einer Mutter aufgenommen und in sich verarbeitet. Sie weiß ganz genau, dass ihr Mann sie sehr lieb hat und sie niemals würde entbehren können. So erkennt auch der Mann, nachdem er seinen jugendlichen Ausbruch überwunden hat, was ihm seine Frau eigentlich bedeutet, er weiß es sicher noch stärker als vorher. Und so finde ich es bei solchen Menschen mit den gleichen Gefühlen und der gleichen Reife ganz natürlich, dass sie sich wieder zusammenfinden. / So, nun hast Du mal meine nichtssagende Meinung gehört. -
Schnitzlers „Traumnovelle“ von 1926 hat mir Hilles zu lesen gegeben, mir mit meinen 19 Jahren und familiärer "Triebverzichtsprägung" und einer nicht gerade emanzipierten Mutter-Frauenrolle im Kopf. - Hier ist noch alles beim alten. Am Samstag bekomme ich wahrscheinlich eine Woche Urlaub, um dem Babo im Garten zu helfen. Prima, was? Wir haben in der letzten Zeit viel gearbeitet und nun haben wir einen schönen Garten mit Büschen und einer Laube angelegt. Ebenso die anderen Einheiten. Nachher gibt es den Preis für den schönsten Garten. In der Ausgestaltung der Unterkünfte haben wir auch einen Wettbewerb gemacht und als beste abgeschnitten. / So, nun herzl. Grüße an Dich und PDein E.
Ich hatte um den Urlaub ersucht und er war mir in Aussicht gestellt worden, wenn der Vater mich förmlich anfordern würde. Aber schon am nächsten Tag muss ich dem Babo absagen: „Vorgestern kam Dein Gesuch hier an, aber leider ist die ganze Sache schon wieder Essig, weil vor einigen Tagen 22 Mann aus unserer Truppe rausgezogen worden sind und der Rest nun natürlich nicht zu entbehren ist. Es tut mir schrecklich leid, denn ich hätte doch so gern nochmal mit Dir im Garten „geschäffelt“, also da ist nun nichts zu machen“.
Ich schreibe auf kleinem grauen Falt-Feldpostbrief – Brief und Umschlag ein Blatt -, mit bräunlichem Bildaufdruck .Ein Idyll: eine junge Frau an einer Schwengel-Pumpe, ein Leiterwagen, ein Soldat lehnt an einem Baum, schaut zu ihr rüber, sie zu ihm hin. Die gleiche Zeichnung wie auch auf den Feldpostkarten. - Die Musch hat mir einen „langen Erzählbrief“ geschrieben. Die angehende Ärztin G schrieb mir aus dem Arbeitsdienst in der Pfalz und ich schreibe einen Geburtstagsbrief an L, die Nachbarin im Postamt in B.. Ich schicke Dosenmilch nach Hause und bitte von dort um Schuhwichse, „möglichst große Dose“.
Am 8. Mai 1940 steht das Pfingstwochende an: „ Mir geht es ganz gut, habe nur augenblicklich viel zu tun. Ich hatte einen sehr schweren Husten und musste sogar manchmal brechen. Ich habe dann auf dem Revier Heissluftbestrahlungen bekommen und es geht mir jetzt wieder besser. Unkraut vergeht nicht. Augenblicklich habe ich wieder Nachtdienst. Ich lese ein Fliegerbuch, dass mir O heute geschickt hat. Es ist sehr schön. Im „großen Krieg“ habe ich auch schon ein ganzes Stück gelesen. Ich habe das Buch immer unter meinem Kopfkissen liegen und lese abends im Bett noch drin“.
Propagandakonforme „Fliegerbücher" waren seit 1933 in großer Zahl erschienen, so des Welkriegsfliegers, Wasserkuppenseglers und SA-Mannes Fritz Stamer „Jungen werden Flieger“ 1938; oder des Pressesprechers der Lufhansa und Görings Ministerialrat Heinz Orlovius' „Flieg, deutscher Adler, flieg“, oder auch die bebilderte Zusammenstellung „Fliegerbuch der deutschen Jugend“ von Otto Winter und H.G. Schulze 1933, mit einem Vorwort des bekannten aber Göring nicht genehmen Weltkriegsfliegers, Transatlantik-Pioniers, Nur-Flügel und Junkers-Testflieger Hermann Köhl. Das Buch erschien neubearbeitet mehrfach bis 1940. Solche Lektüren waren sehr beliebt, ich war da keine Ausnahme. - “Der große Krieg 1914-1918. Kurzgefasste Darstellung auf Grund der amtlichen Quellen des Reichsarchivs“des Stabsoffiziers und Mitarbeiters der Kriegsschuld-Untersuchung im Auftrag der Verfassungsgebenden Versammlung, Erich Otto Volkmann (1879-1938), seit 1920 Reichsarchivrat Potsdam. Erschienen 1922. Die Schilderung schließt mit dem Satz: „Viele Sterne der Vergangenheit leuchten dem deutschen Volke in die Zukunft hinüber“. Die militaristische Überzeugung Volkmanns in weiteren Publikationen entsprach den Absichten der Diktatur.
„Der Pfingsturlaub ist für alle gesperrt. Gut, dass ich nochmal vorher zu Hause war. Bleibt Ihr alle zu Hause oder tut Ihr auch ein bisschen ausfliegen? An Pfingsten ist doch bestimmt schönes Wetter. Ich werde dann wahrscheinlich auch mal etwas aus dem Bau gehen.“ Schrieb ich noch am 8. Mai Der Grund für die Urlaubssperre wurde am 10. Mai klar: Die Wehrmacht greift jetzt auch im Westen an, sie soll möglichst schnell die Häfen der Kanalküste besetzen, so dass wir am ganzen europäischen Festland Großbritannien „im Griff“ haben. Aber im Gegensatz zum ersten Plan vom Herbst 1939, der durch ein wetterbedingtes Abdriften des Kurriers und Notlandung jenseits der belgischen Grenze in alliierte Hände gelangt war, wurden die Panzertruppen jetzt über die in den Augen der französischen Militärs unwegsamen Ardennen geschickt, was hinreichend gelang. Nicht zuletzt durch die Unterstützung der 3. Luftflotte, also auch durch uns. Hitler hatte den Erfolg des „Entscheidungskampfes wieder mit seinem persönlichen Geschick verbunden. Dank irriger Vorstellungen von der Stoßrichtung des Gegners bei den Franzosen konnten die Panzer unerwartet schnell geradenwegs westlich vorstoßen. - Der Flughafen Biblis war 1936 im Eiltempo gebaut worden, ein Arbeitsdienstlager bestand ein Jahr zuvor. Wir waren „Einsatzhafen für Junkers Ju 52 und Ju 87, die dreimotorige Standard-Tranportmaschine der Luftwaffe mit geringer Geschwindikeit aber kurzen Start- und Landestrecken und der einmotorige „Sturzkampfflieger“, schändlich „ausprobiert“ im Spanienkrieg und im ersten Kriegsjahr das „Blitzkrieg-“Symbol.
Übrigens schreibe ich ab sofort nicht mehr in der üblichen Sütterlinschrift sondern in der in den Fremdsprachen in der Schule geübten lateinischen. Wir beim Militär, machten den Anfang, die Umstellung an allen Schulen folgte 1941. Am 14. Mai schreibe ich einen Geburtstagsbrief an die Musch:
“einen lieben, lieben Gruß und einen recht herzlichen Glückwunsch von Deinem Pitterchen aus der Ferne … beinahe hätte ich es vergessen, Dir zu schreiben, aber wie Du siehst, habe ich doch noch im letzten Moment dran gedacht. Es wäre ja auch allerhand gewesen, wenn ich Dich über all den Geschehnissen hier vergessen hätte. Nun sind wir aber mitten drin im schweren und grausamen Entscheidungskampf. Wir hier werden ja noch sehr wenig davon berührt, aber wir sehen die Spuren des schweren Kampfes, wenn unsere Flieger vom Feind zurückkommen. Wir sind sehr stolz auf unsere Kameraden in der Luft und bestürmen sie mit Fragen, wenn sie aus ihrem Kasten steigen. Aber nebenbei ist dann immer der brennende Wunsch auch mitfliegen zu können und der Gefahr ins Auge zu sehen. Doch wir sind dazu verdammt hier in der Etappe rumzukrebsen. Aber solche muss es ja auch geben.“
Mein "Ich" scheint im pathetischen "Wir" unterzugehen und taucht gleich wieder auf: Zum 3-jährigen Geburtstag meiner Nichte reime ich dem Löles: Kräht der E spät beim Nachtdienst: / wenig Zeit, wenig Zeit! / Schade liebes Schwesterchen , / dass Du bist so weit, so weit! / Gestern kam Dein Brieflein an, / hatte sehr viel Kreide dran, / Sei bedankt mein lieber Schwan, / Gleich steig ich in meinen Kahn, / Bin sehr müd und abgespannt, / schicke Dir von fern die Hand. / Grüß die Anderen von mir, / Mehr krieg ich nicht mehr zu Papier / Herzl. Gruß E
An diesem 14. Mai 1940, der Geburtstagsfeier zu Hause, zerstörten am frühen Nachmittag 57 Bomber der Luftwaffe 2,6 Quadratkilometer in Rotterdam, vornehmlich die Altstadt. Über 800 Menschen starben. Formal war das nicht wie 1937 Guernica ein Kriegsverbrechen, weil die Stadt zur Festung erklärt war. Dass die Verteidiger gerade kapituliert hatten, aber der Funkspruch die Angreifer zu spät erreichte, steht auf einem anderen Blatt.
Am 21. Mai 1940 schreibe ich hochmütig: „ Wir warten jetzt immer darauf , dass wir von hier wegkommen, denn allmählich wird der Weg nach Frankreich für unsere Flieger zu weit. Unsere Truppen machen ja gewaltige Fortschritte. Nicht wahr? Jetzt sind sie sogar schon am Kanal, haben die Engländer abgeschnitten und drängen sie alle ins Wasser. Jetzt habe ich auch mal an vielen Beispielen gesehen bzw. gehört, wie verlogen der feindliche Nachrichtendienst ist, nicht nur an einem, sondern an unzähligen Beispielen. Besonders als sie berichteten, dass ihre Luftwaffe nur den 4. Teil an Verlusten hätten, wie unsere, musste ich laut lachen. Wie es sich in Wirklichkeit verhält, kann ich ja hier selbst beobachten, und unsere Flieger sind auch bestimmt im dicksten Dreck dringewesen. So könnte ich Euch noch viele Beispiele schreiben. Dass wir Namur einfach umgangen und liegen gelassen haben, ist doch auch eine Sache, die man im Weltkrieg nie gemacht haben würde. Und dann vor allem der schmale Keil, den unsere Panzertruppen in die franz. Front hineingetrieben hatten und der sich ja jetzt mächtig verbreitert hat. Diesem Keil hatten die Franzosen übrigens alles schlechte prophezeit, aber sie haben sich gewaltig getäuscht. Habt Ihr Euch eigentlich auch eine Karte gemacht, wo Ihr die Front immer mit Nadeln abstecken könnt? Das ist nämlich sehr interessant. Au! Gerade kommt die Erläuterung im Wehrmachtsbericht. Den muss ich hören. Also macht es weiterhin gut.
Am 19. Mai waren die deutschen Panzer des „Keils“ bei Abbeville an der Kanalküste angekommen und bewegten sich nördlich zur Eroberung der Kanalhäfen. Das britische Expeditionskorps, die belgischen und französischen Armeen wurden eingeschlossen. Auch weil Millionen zivile Flüchtlinge Straßen und Wege verstopften, scheiterte ein Versuch der Belgier und Franzosen auszubrechen, während die Briten sich bereits auf eine Evakuierung auf dem Seeweg einstellten. - Die Verluste der Luftwaffe angehend war kein Grund zum Lachen, sie verlor 1940 insgesamt 6800 Maschinen, die Alliierten eher mehr als weniger.
„Die Schoko schmeckte ja noch fabelhaft, und Mutters lange Briefe sind immer so schön, und man meint, man wäre gerade mal in Urlaub gewesen.“ Ich schicke 4 M und bitte mir Zigaretten zu besorgen. Am 2. Juni schreibe ich ausführlicher als gewöhnlich an die Mutter:
"Liebe Musch! / Heute hat es die Post noch mal gut mit mir gemeint. Dein Brief kam, vom Babo das Zigarettenpäckchen und von Hilleschen ein langer Brief. Ich habe mich schrecklich gefreut und ich habe , trotzdem ich den ganzen Tag Dienst gemacht habe, doch noch etwas vom Sonntag gemerkt. Auf das angekündigte Päckchen mit Süßstoff bin ich sehr erpicht. Übrigens kam gestern auch von L ein langer Brief: Eigentlich wollte ich sie jetzt auch mal einen Monat ohne Post von mir zappeln lassen, aber ich glaube, ich bringe es doch nicht übers Herz. Zur Feier des Sonntags habe ich heute morgen eine ganze Dose „Seefisch in Gelee“ verdrückt, die ich glücklicherweise in der Kantine geschnappt habe. Das war mal eine schöne Abwechselung. Ich wollte sie Euch schon mal schicken, aber mein Hunger war doch stärker als mein guter Wille. Aber Kondensmilch kann ich Euch wieder schicken im Bedarfsfall, aber ich glaube, dass Ihr in den nächsten Tagen auch genug bekommen könnt, weil wegen Hinzukommen der holländischen Vorräte die eigenen zur Ausgabe gelangen. Nun will ich Euch noch eben sagen, wie Ihr mich in dringenden Fällen erreichen könnt. Ihr meldet ein Gespräch an nach Biblis bei Worms, Fliegerhorst. Wenn sich unsere Vermittlung dann meldet, verlangt Ihr den Nachrichtenoffiizier. Nun wisst Ihr hoffentlich Bescheid. - Dass Du, liebe Musch mal etwas in F. ausgespannt hast (ihre Freundin L wohnte dort oben am Waldrand) ist ja sehr schön. Schade, dass das Wetter nicht so schön war. Wir hatten übrigens auch einen ganz tollen Hagel hier. Dann schriebst Du noch, dass Dich der Verlust Narviks so schmerzte. Ich glaube, Ihr habt die Sache nicht richtig kapiert. Uns geht es ja nicht um Narvik, sondern um die Sicherstellung und Freihaltung der Erzbahn nach dem Süden, die für uns sehr wichtig ist. Weil nun die Verteidigung der Stadt Narvik wahrscheinlich mit zu vielen Verlusten erfolgte, haben unsere Truppen die bedeutend leichter zu verteidigenden Bergstellungen um Narvik herum bezogen. So nun bist Du hoffentlich beruhigt und kannst mit Deiner neuen Weisheit glänzen.“
Wir achten beide auf unsere Sprache, wenn wir uns über „sensible“ Themen verständigen. Die Seeschlacht um den eisfreien Hafen Narvik in Nordnorwegen verlor die deutsche Marine und büßte ihre 10 Zerstörer ein. An Land entgingen die Besatzer durch ihren Rückzug. Erst als die Alliierten Verbände eilig nach Frankreich abgezogen wurden, konnten die Deutschen den Hafen wieder besetzten.
Am 7. Juni 1940: „Liebe Eltern! / Des Chefs unerforschlichem Ratschluss hat es gefallen, mich heute zum Gefreiten zu befördern. Um gleich auf des Pudels Kern zu kommen, die Sache hat natürlich eine Stange Geld gekostet. Das weil ich der einzige glückliche war. Ich möchte also den Babo bitten, mir mit 10 M unter die Arme zu greifen. Meine Kameraden hatten nämlich bei der augenblicklichen großen Hitze einen nicht gerade geringen Durst...Hier ist jetzt eine Bullenhitze und die Schnaken sind wahnsinnig frech und in großer Zahl vertreten, weil ja alles Sumpfgebiet hier ist.Man kann schon gar nicht einschlafen. / Herzl. Grüße / Euer „teurer“ E“
Am 26.Juni 1940 verlasse ich das Sumpfgebiet: „Nun ist es aber endlich wahr, dass wir wegkommen. Seit gestern Mittag liege ich jetzt auf dem Bahnhof hier in einem von unseren Funkwagen. Alles ist jetzt verladen. Eigentlich sollten wir schon heute morgen fahren. Nun ist aber die Abfahrt um 24 Stunden verschoben worden. Zuerst werden wir bis nach Chalons fahren. Von dort erhalten wir unseren Standort angegeben. Bis Bittburg fahren wir mit Sack und Pack per Bahn. Dann geht es auf der Achse weiter, also per Auto. Die Fahrt wird sicher sehr schön. Wir fahren über Charlesville. Ich denke, dass wir auf einen Flughafen in Küstennähe kommen“
Juli 1940 - Dezember 41. Frankreich
Am 7 Juli folgt ein langer Bericht an L, die der Familie den wesentlichen Teil abtippt: „Nun sitzen wir also glücklich in Frankreich und zwar in der Nähe von Paris. Die Fahrt hierher war wunderbar, am Rhein entlang von Bingen bis Sinzig, vorbei am Niederwalddenkmal und dann die Aar aufwärts. Ich bin noch nie diese Strecke am Rhein entlang gefahren. Ich sass schön mit meinen Kameraden auf dem flachen Güterwagen vor unserem Funkwagen und es war sehr gemütlich. Abends waren wir in Bitburg und wurden dort ausgeladen. Am nächsten Tag sind wir auch noch dort geblieben, und ich habe den ganzen Tag in meinem Wagen gepennt, weil ich noch viel nachzuholen hatte. Ich habe überhaupt bis jetzt immer im Wagen gelebt, da ich als Wagenleiter immer bereit und da sein musste. Das war ganz praktisch, ich konnte meine Klamotten schön unterbringen und wusste auch, wo ich nachts schlafen würde. Seit dem 2. 7. sind wir nun hier, und heute haben wir angefangen, uns eine Bude zu bauen. Wir sind hier 4 Mann und sind dauernd hier bei unserem Funkwagen stationiert, während die Kompanie ein paar km weiter liegt. Mit der franz. Bevölkerung verstehen wir uns ganz gut. An der Grenze war noch kein Mensch zu sehen. Hier sind schon fast alle Bewohner wieder zurück. Zerstört ist eigentlich nicht viel, nur dort, wo sich die Franzosen festgesetzt hatten. In Luxemburg hat man überhaupt nichts gesehen, aber gleich hinter der Grenze ging es los. Als ich zum ersten Mal wieder meine franz. Sprachkenntnisse ausprobieren wollte, brachte ich wahrhaftig keinen Ton heraus. Aber jetzt geht es wieder ganz gut. Jedenfalls kann ich alles was ich sagen will, den Leuten klar machen, Augenblicklich gehe ich jeden Tag zu einem belgischen Bauern, bei dem ich oft bis in die Nacht hinein sitze. Es ist ein netter junger Kerl, genau wie ein Deutscher. Dort hole ich auch immer Eier und Milch. Ein Ei kostet 60 centimes (drei Pfennig nach unserem Geld) und ein Liter Milch kostet 2 Franken, das ist 10 Pfennig. Infolgedessen fressen wir natürlich Eier am laufenden Band zu jeder Tages- und Nachtzeit. Morgen bin ich sogar bei dem Belgier zu echtem Bohnenkaffee eingeladen. Den Zucker muss ich selbst mitbringen. Die Bewohner sind hier ganz ohne Nachrichtenverbindung. Wir sind durch Ortschaften gekommen, wo wir zuerst für Engländer gehalten wurden. Vom Waffenstillstand hatten sie noch gar nichts gehört. Radio können sie gar nicht in Betrieb setzen, weil es schon seit Kriegsbeginn keinen Strom mehr gibt. Von ihren Soldaten haben sie noch nie einen Brief erhalten und können auch selbst nichts schreiben. Die franz. Soldaten, die Engländer und besonders die Schwarzen haben dem Land noch schlimmer mitgespielt als die Deutschen. Pferde, Autos, Fahrräder usw. haben sie alles requiriert ohne zu bezahlen. Da haben wir nun einen guten Eindruck auf sie gemacht. Von Hass kann man nichts merken. Ganz im Gegenteil. Unterwegs haben wir auch viele Flüchtlinge getroffen, die zurückkehren. Sie sind alle in einem bedauernswerten Zustand. Vielen haben wir Brot geschenkt, damit sie überhaupt was zu essen hatten. Wenn ich wieder nach Hause komme, werde ich Euch viel erzählen.“
Für wen und für wie lange haben die Besatzer einen erträglichen oder gar guten Eindruck gemacht? Sicher nicht für die, die nicht zurückkehren durften, weil Gebiete annektiert wurden oder mit deutscher Verwaltung ausgebeutet werden sollten. Auf Dauer und bei zunehmenden Gewaltmaßnahmen und Einschränkungen war vielleicht noch mancher Deutsche sympathisch aber die Besatzer schlechthin verkörperten Unrecht und Erniedrigung. Mit der Zwangsarbeit in Deutschland kommt schließlich das Ende der letzten Sympathien. Und für die jüdische Bevölkerung bestand von Anfang an Lebensgefahr.
Am 18.Juli 1940 will ich „noch mal etwas von mir hören lassen“: „ Wir haben hier noch gar keine Post bekommen. Ich freue mich schon schwer auf die ersten Briefe aus der Heimat, Man merkt doch schwer, dass man nicht mehr in Deutschland ist, Eigentlich bin ich sehr enttäuscht von Frankreich, bes. weil die uns so gewohnte Sauberkeit fast überall fehlt. Ich kann jetzt auch die stark parfümierten Franzosen gut verstehen. Meine franz. Sprachkenntnisse haben sich wesentlich gebessert. Ich gehe fast jeden Abend zu einem belgischen Bauern hier in der Nähe. Er hat einen schönen, großen Hof und dort ist auch alles viel sauberer als bei den Franzosen. / Wir haben uns jetzt hier bei den Wagen eine Bude gebaut wo wir zu Viert drin hausen. Die Kompanie liegt etwa 5 km entfernt in einem Ort. Bis jetzt haben wir immer nur im Zelt geschlafen. Aus franz. Tarnnetzen haben wir uns prima freischwebende Betten gebaut. Mit Moneten sind wir jetzt auch reichlich versorgt, da wir als eingesetzter Verband Frontzulage bekommen. Also bekomme ich jetzt alle 10 Tage 22 M. Damit kann man schon etwas anfangen“.
Für ungebetene Leser bin ich "eigentlich sehr enttäuscht von Frankreich" und gebe Klischeevorstellen zum Besten, so die "stark parfümierten Franzosen". Wievielen solchen mochte ich wohl begegnet sein?. Ich bitte wiederholt, mir Filmmaterial zu schicken, es ist immer sehr schnell „verknippst“. Am 1. August 1940 schreibe ich von einem neuen Standort:
„Ich habe Euch mal wieder lange nicht geschrieben aber das kam daher, dass wir mal wieder eine ganz nette Anzahl Kilometer näher an den Englishman rangefahren sind und eine Zeit lang nicht schreiben konnten. Ob Ihr wohl meine anderen Briefe bekommen habt? Hier das ist der 4. Von Euch ist noch immer keine Post hier. Noch keiner von unserer Kompanie hat Post bekommen. Soviel ich gehört habe, ist unsere Post von Paris aus zurückgeschickt worden, weil niemand sie geholt hat. Ich möchte so gern mal wissen, was Ihr macht und vor allem ob der Papa W. wieder da ist. Dass ich im letzten Monat sehr schreibfaul war, werdet Ihr wohl gemerkt haben. Es ist ganz komisch, manchmal vergisst man ganz, dass man noch ein zu Hause hat. Wo man später mal wieder hin zurückkehren will. Das liegt alles so fern wie hinter einem Nebel. Na ich will aber versuchen, mich zu bessern. Ich habe sonst noch an niemand geschrieben, nur an L einen einzigen Brief, aber ich denke, dass Ihr ja die Briefe alle zusammen lest.“
Aber schon 2 Tage später, am 7. August 1940. muss ich mich durch 10 Briefe, 6 Karten, 6 Päckchen und 5 Zeitungen „durchfressen“: „Meinen Kameraden geht es genau so, sie hocken auf ihren Strohsäcken und verdauen die frohen und traurigen Nachrichten. Leider musste ich auch gleich in einem der ersten Briefe die traurige Nachricht lesen, dass mein alter treuer Freund Felix gefallen ist. Das hat mir gleich einen schweren Schlag gegeben, den ich so schnell nicht wieder los werde. Aber dass Papa W wieder heil und gesund zurückgekehrt ist, hat meine Stimmung wieder etwas gehoben … Eben brummen wieder die Engländer durch die Nacht, aber die können uns nicht aufregen. Wenn ich jetzt zu Hause wäre, könnten mich keine 10 Pferde in den Keller bringen. Dass Ihr so oft runter müsst, tut mir leid, aber ich denke, dass das auch nicht mehr sehr lange dauern wird. Ja, liebe Musch, Du kannst jetzt ruhig abends Deinen Blick zur Küste wenden, so ungefähr stimmts. Mit der Kondensmilch ist es ja nun leider vorbei, aber morgen oder übermorgen geht ein Päckchen mit „Herzenströster“ (Kaffee) an Dich ab, allerdings französischer aber der wird auch nicht schlecht schmecken. Dass Euch der Wein geschmeckt hat, freut mich, allerdings glaube ich nicht, dass dem Babo die französische Zigarette bekommen ist, denn das ist ein abscheuliches Kraut. Wir rauchen sie jedenfalls nur im äußersten Notfall und verschenken sie sonst an die gefangenen Schwarzen, die immer höchst erfreut sind. Nur die englischen Zigaretten kann man rauchen. Die Sachen, die wir kaufen, bezahlen wir mit Deutschen Reichsmarkscheinen, die Rentenmarkscheine haben in Frankreich keine Gültigkeit … ich schrieb vor kurzem noch, dass die Heimatgedanken stark verblassen aber jetzt mit der Postverbindung ist das Alles wieder anders geworden.“
Felix war mein Freund in unserer Segelfliegergruppe. - Am 16. August hat „ unser Feldwebel, der die Post bei der Kompanie abgeholt hatte, die ganze Tasche mit unserer Post verloren und wir haben sie nicht wiedergefunden. Das ist Pech, aber nicht zu ändern. Vor einigen Tagen sind wir ganz neu eingekleidet worden, weil unsere alten Klamotten zu sehr mitgenommen waren. Jetzt sehen wir wieder aus wie in Friedenszeiten, aber wie lange? / Der Kampf gegen England wird ja nun endlich in verstärktem Maße fortgesetzt und ich hoffe, dass sie bald klein sind. Müsst Ihr immer noch oft in den Keller“.
Meine Anschrift ist jetzt Gefreiter … L31044 Feldpost Paris. Ich frage immer nach Neuigkeiten in der Familie, wundere mich, dass Der Bengel, mein Neffe schon 5 Jahre alt geworden ist und am 28 August schreibe ich: „ Gestern habe ich mir einen prima Radioapparat für 70 M gekauft. Da staunt Ihr, was? Hoffentlich schmeißt mir der Engl. keine Bombe drauf.“
Am 5. September 1940: „Dass ich mich nicht um die technische Militärlaufbahn beworben habe, schrieb ich ja schon einmal. Vater wollte es wissen. Ich kann mich jetzt zu nichts entschließen. - Dann schrieb Vater, Ihr möchtet gern mal etwas über meine jetzige Lebensweise erfahren. Da hatte ich also scheinbar noch nicht viel drüber verlauten lassen, das will ich jetzt nachholen. - Also auf der Fahrt nach Frankreich und auch noch einige Zeit an unserem Ziel habe ich dauernd als Wagenbegleiter im Funkwagen gelebt, gegessen und geschlafen, gelesen und vor allem gequalmt. Später als der Wagen benutzt wurde, bin ich ins Zelt übergesiedelt. Wir waren zu 4 Mann Dauerbesatzung bei den Funkwagen und führten ein Leben für uns. Als uns die Zeltwohnung zu ungemütlich wurde, bauten wir eine Holzbaracke und Betten aus Tarnnetzen und allem erreichbarem „Komfort“. Aber die Tücke des Objekts oder das OKW, halt eben der Krieg, wollten es dass, als wir alles fertig hatten, wir unsere Klamotten wieder zusammensuchen und unser selbstgeschaffenes trautes Heim wieder verlassen mussten. Aber je näher es an den Tommy heranging, um so besser. Also waren wir mit der Luftveränderung auch einverstanden. Nun sind wir also seit 6 Wochen hier. Zuerst habe ich wieder einige Tage im Wagen verbracht, dann haben wir uns für unsere Funkstelle einen schönen Platz ausgesucht und auch gefunden. Wir hausen nun also mit 14 Mann in einem kleinen Dorf, natürlich in dem besten Haus, das zu finden war. Die Besitzer müssen ziemlich viel „Knöppe“ gehabt haben und dieses Haus als Sommersitz benutzt haben. Wir fanden jedenfalls noch alles gut erhalten vor und haben uns in 3 Zimmern prima eingerichtet. Schöne Polster- und Korbmöbel, Teppiche, Spiegel, Essgeschirr, elektrische Küche, Badezimmer, eigenes Wasserwerk mit fließendem Wasser kalt und warm. Heizung, WC (in Fr. eine große Seltenheit) , usw., usw. Die Wasser- und elektrische Anlage mussten wir allerdings mal wieder in Stand setzen, aber das war ja eine Kleinigkeit für uns. Die Stuben haben wir uns nach unserem Geschmack eingerichtet, in alle Fassungen neue 100 – 500 Wattlampen eingeschraubt so dass abends der ganze Bau innen in allen Ecken hellerleuchtet ist, Ich wohne mit unseren 3 Uffz zusammen in dem schönsten Zimmer mit Balkon und Bad und wir kommen uns vor wie die Fürsten. Leider kann man das Wasser hier nicht trinken, und da es in Frankreich fast keinen Sprudel zu kaufen gibt, so haben wir uns immer so gut wie möglich mit Bier eingedeckt. Eine kleine „Hausbar“ haben wir uns auch angelegt, wo manch guter Tropfen drin zu finden ist. Aber keine Angst, der Gebrauch hält sich immer in mäßigen Grenzen. Auch ich habe mich schon seit einiger Zeit mit dem Alkohol abgefunden und kann jetzt das Bier auch ohne Widerwillen schlucken. Ich glaube aber, dass ich mir das zu Hause ohne große Anstrengungen wieder abgewöhnen kann. - Die Verpflegung ist sehr gut und reichlich. Unsere elektrische Küche benützen wir auch sehr oft. Wir kaufen Kartoffeln und alle 2 Tage 90-100 Eier, Gurken und Tomaten wachsen im Garten. Salz, Essig und Öl treibt man auch irgendwo auf, na, und da kann man doch schon ein ganz anständiges Abendessen hinkriegen, nicht wahr? Weintrauben und sonstiges Obst fressen wir auch haufenweise, und wenn uns das alles noch nicht langt, dann machen wir eine paar Fleisch- oder Fischkonserven auf. Ihr seht also, dass wir uns über nichts beklagen können. Wenn wir dann manchmal denken, wie knapp dagegen alles in der Heimat ist, dann möchten wir Euch gerne was mitgeben, aber das lässt sich ja schwer machen bei 1 Pfund Päckchen. Aber meistens kommen uns unsere schönen Lebensverhältnisse gar nicht so zum Bewusstsein, weil wir sehr viel Dienst haben und in der Freizeit schlafen, essen, unsere Wohnung sauber halten oder einkaufen. Eine Sommerfrische zum ausruhen und Speck ansetzen ist es bestimmt nicht. Zu unseren freien Stunden haben wir uns jetzt auch einen französischen Geländewagen mit Raupen wieder zurecht gemacht. Er läuft jetzt ganz prima. Wenn ich mal in Urlaub komme, kann ich Euch das alles mal auf Photos zeigen. / Gestern Abend haben wir auch die Führerrede gehört. Hoffentlich geht es nun bald richtig ran an den Tommy. Über uns brummen Tag und Nacht unsere Bomber in Richtung England. Die Engländer lassen sich überhaupt nicht mehr blicken. Scheinbar haben sie schon ein anständiges Ding verpasst gekriegt. Besuchen sie Euch immer noch so oft? Ich würde gern mal ein Bild von der „heiligen Familie“ im Luftschutzkeller machen. - - - O, ich glaube der Brief ist lang genug und der Bericht des Soldaten in Frankreich erschöpfend.“
Am 4. September zur Eröffnung des Winterhilfswerks mit Beginn des 2. Kriegsjahrs erklärt der Führer, warum England noch nicht besetzt ist: „Nur einer glücklichen geographischen Situation und einer außerordentlichen Schnelligkeit im Ausrücken“ habe England zu verdanken, dass es nicht das gleiche Schicksal wie Frankreich, Russland und der Norden erfahren habe. „Was auch kommen mag, England wird niederbrechen“. Wenn man in England heute frage, „warum kommt er denn nicht? meinte Hitler: "Beruhigt Euch, er kommt!“ und er werde natürlich alles sehr sorgfältig vorbereiten, „das werden Sie verstehen“ sagt er seinem jubelnden Publikum im Sportpalast. Er trinke keinen Kaffee aber „es ärgert mich, dass andere keinen trinken können“. Der Unfug, dass ein Piratenstaat mit seiner Blockade 450 Millionen in Armut stürzen könne, müsse endlich aufhören. - Faktischer Hintergrund dieser Rede ist, dass britische Bomber seit den letzten Augusttagen begonnen hatten, nicht nur im Westen sondern auch Ziele in Berlin zu bombardieren. „Sie werden es verstehen, dass wir jetzt Nacht für Nacht Antwort geben.“ Hintergrund ist auch, dass die Führung annahm, die Briten hätten praktisch keine Abfangjäger mehr in dem „Abnutzungskrieg“, den sie führten und der auch bei den Angreifern zu großen Verlusten geführt hatte. Tatsächlich standen jedoch stets mindestens 650, dem deutschen Bomber-Befleitschutz überlegene Jäger bereit und die Produktion lief ungestört auf Hochtouren. - Wo 85 Millionen einen Willen hätten, könne den eine Welt nicht brechen, meinte der Redner in großsprecherischem Wunschdenken. Die gelungene Evakuierung von 3000 Soldaten aus Dünkirchen, der Abschuss zahlreicher von Skandinavien aus operierenden Bomber am 15. August und nicht zuletzt die Bombardierung von London brachten die Briten weitgehend auf Winston Churchills kriegerischen Regierungskurs.
Am 8. September 1940 schicke ich meinem Vater eine Ansichtskarte aus Trouville, dem populären sommerlichen Badeort der Pariser, 10 km südlich von Le Havre auf der Südwestseite der Seinemündung: „Jardins du Casino“ (die Kasinogärten): „ Vor einigen Tagen bin ich hier am Kanal für einen Tag zum baden gewesen … Also machs gut, Alter und bleib noch recht lange gesund und munter.“
Am 16. habe ich mir wieder einmal „meine berühmte Erkältung“ geholt und überwunden: „Gestern war ich auch zum ersten Mal seit April wieder im Film. Da sieht man doch mal wieder etwas anderes als Soldaten und Franzosen. Augenblicklich wohne ich in einem ehemaligen katholischen Schwesternheim. Allerdings mutet es einem mehr als eine Gerümpelkammer oder Trödelladen an. Allerdings habe ich noch einige Handtücher (ich hab nur ein einziges) und einige Taschentücher von beträchtlicher Grösse gefunden, gerade richtig für meine Dauerlaufnase, denn ich habe sowieso nur 2 Taschentücher bei mir.... Wegen Obstversorgung braucht die Musch nicht bange zu sein, wir fressen hier Weintrauben, Pflaumen, Pfirsiche usw, in rauhen Mengen. Kuchen können wir auch kaufen. Liebe Musch, Du brauchst Dir also nicht ein Küchelchen für mich zusammenzusparen. Backt Euch lieber selbst mal eins. Wir haben übergenug zu essen, während Ihr doch sicher verdammt knapp dran seid.“
Ich schicke 10 Mark direkt und 50 Mark auf Umwegen nach B. Für mein Sparkonto. Ich telefoniere mit L in der Telefonzentrale in B. „ Feine Sache, was? Wenn man bedenkt, dass man fast 1000 km durch den Draht spricht“ . Meine „berühmte Erkältung“ konnte ich manchmal als Warnung verstehen, dass es in mir nicht nur so zuginge wie ich wohl wollte. Im Oktober komme ich für 2 Wochen nach Hause. Auf der Rückreise war die Verbindung ab Paris sehr schlecht. Am 21. 10. schicke ich die in B. gekaufte Uhr zurück mit etwas Kaffee: „Einen Teil müsst Ihr Euch selbst brennen, in einer Pfanne.“ Am 6. November schicke ich nochmal Kaffee: „In dem Päckchen liegen auch noch einige Bilder vom Besuch Görings bei uns. Verwahrt sie bitte gut. / Bei uns ist augenblicklich ein sehr unbeständiges Wetter. Manchmal ist ein Sturm in dem man nicht mehr gerade stehen kann. Und dann wieder scheint die Sonne. / Schickt mir doch bitte sofort meine grauen Lederhandschuhe. Was macht meine Uhr? Ich hoffe, dass mein Kamerad sie mir mitbringt – Jetzt habe ich schon 6 Tage lang keine Post mehr bekommen. L hat seit meinem Urlaub überhaupt noch nicht geschrieben, das Aas! Vielleicht komme ich im Dez. nach Deutschland auf eine Kriegsschule, ich bin nämlich jetzt zum Offiziersanwärter auf Kriegsdauer ernannt worden und meine Beförderungssauferei habe ich auch gut überstanden.“
Am 25. Oktober 1940 hatten sich Pétain und Hitler in Montoire die Hand geschüttelt. Die anschließende deutsche Propaganda in Paris mit Parolen von „europäischer Kollaboration“ und Partnerschaft hatte zu den wildesten Spekulationen Anlass gegeben: baldige Rückkehr aller Gefangenen, Rückkehr der Regierung nach Paris, Aufhebung des Besatzungszustandes. In Wirklichkeit ging es deutscherseits um nichts anderes als maximale, wo nötig zwangsweise Beteiligung an der Kriegsanstrengung. In diesem Zusammenhang stand auch der Göringbesuch. Aber erst einmal suchte sich unser Oberbefehlshaber am 3. und 5. November eigens für ihn im Jeu de Paume ausgestellte Bilder aus jüdischem Besitz zum privaten Ankauf aus. Nachdem wir ihn hatten sehen können hatte der mächtige Vierjahresplaner dann am 9 November eine Unterredung mit Pétains Außenminister Laval zwecks militärischer „Partnerschaft“. Aber wo nach Montoire vorschnell die Vorstellung einer „echten“ Partnerschaft entstanden war, war sie angesichts der Entwicklung noch schneller passée.
Am 15. Oktober war die Invasion Englands zurückgestellt worden, Die Bilanz der „Luftschlacht“ zum Ende des Monats sah so aus, dass die Luftwaffe rund 2000 Maschinen verloren hatte, die meisten abgeschossen, und sie eine entsprechende Anzahl von toten und vermissten Piloten und Besatzungen verzeichnete, während die Briten den Verlust von 544 Piloten und 1700 Flugzeugen zu beklagen hatten. Die Aussichten, den „Tommy“ zum Einlenken zu bewegen, waren umso schlechter als seine Flugzeugproduktion der deutschen deutlich überlegen war. Am 14. November taten auch wir, die Luftnachrichtentruppe, unseren Dienst bei der Bombardierung der Industriestadt Coventry in den englischen Midlands durch einen Verband von 550 Maschinen, die in mehreren Wellen die ganze Nacht über Luftminen, Sprengbomben und 10-tausende Brandsätze abwarfen. Mindestens 568 Menschen wurden getötet, 40 000 Wohnungen, zwei Krankenhäuser, zwei Kirchen und die Kathedrale wurden zerstört sowie dreiviertel der innerstädtischen Industrieanlagen.
Am 17. schreibe ich nach Hause, dass ich in der nächsten Woche mal nach Paris kommen würde und dass ich vielleicht im Dezember nach Berlin zur Schule käme. Am 19. schicke ich an Löles einen Geburtstagsgruß : „Gestern Abend war ich im Variété. Da hättest Du deinen „kleinen“ Bruder noch mal lachen sehen können, Mensch! Uns tut jetzt noch der Bauch weh. - Gestern habe ich mich auch für meinen Offizierslehrgang untersuchen lassen. Der Arzt meinte, ich hätte einen Fehler an der Lunge. Heute morgen war ich dann im Lazarett. Dort bin ich dann von hinten und vorne beklopft und durchleuchtet worden. Man ist dann zu dem Ergebnis gekommen, dass meine Lunge vollständig in Ordnung ist. Wahrscheinlich komme ich aber erst im Januar zur Schule. Schade! Im Dez. hätte ich bestimmt Weihnachtsurlaub bekommen.“
Unter dem 21. November 1940 teile ich mit, dass 2 Päckchen mit Sardinen kommen würden und ich bitte um meinen 2. Schlafanzug auch „könnt ihr der L sagen, sie könnte mich von jetzt ab von hinten begeistern !!!. Heil und Sieg E.“ Übrigens war der drastisch vermerkte, obendrein durch die zeitgemäße Grußformel betonte Ärger über L wohl bald verraucht. "Heil und Sieg - ihr könnt mich mal..." wollte ich wohl nicht sagen. - Am 30., einem Samstag, schreibe ich:
„Morgen ist aber tatsächlich schon der 1. Advent. Ja, voriges Jahr um diese Zeit haben wir in Wiesbaden Kränze gebunden und bestimmt geglaubt, beim nächsten Mal wären wir daheim. Aber das hat nun nicht geklappt. / Schade, dass ich nicht auf die Schule gekommen bin. Mein Kamerad ist hingekommen und wird wohl auch zu Weihnachten Urlaub haben. Aber der ist auch verheiratet. Ich habe jetzt viel zu tun. Überall wurde ich ausgequetscht und muss daneben noch Aufsätze schreiben, muss mich als Fernsprecher, Peiler, Fernschreiber ausbilden. Na, wenn ich mal glücklich die Schule hinter mir hab, dann ist es bald geschafft. Die Schule ist auch so ein Ding, man fliegt 10mal leichter runter, als man rauf kommt. Da braucht man bloß mal den Mund schief ziehen, und schon wird man „untauglich“ geschrieben. / So, nun muss ich Schluss machen. Für Montagmorgen habe ich noch eine ellenlange schriftliche Arbeit zu machen. Aber trotzdem gehe ich heute ins Variété u. Morgen ins Kino und am Montag in eine Symphoniekonzert mit ???. Die Nacht ist ja auch nicht allein zum Schlafen da. Also mach ich meine Arbeit nachts. Herzl. Grüße und eine frohe Adventszeit / Euer E. / Ich lese augenblicklich ein feines Buch von Zöberlein „Der Befehl des Gewissens“ -
Ein „feines Buch“? Hans Zöberlein (1895-1964), bayr. Vizefeldwebel 1918, Freikorps Epp 1919, 1943 SA-Brigadeführer, 1945 Mörder in Penzberg, 1948 zunächst zum Tod verurteilt, dann zu lebenslanger Haft, kam 1958 aus gesundheitlichen Gründen frei. Der Roman „Befehl des Gewissens“ (1937, Auflage 400 000) handelt vom Freikorps und propagiert antisemitische Ausgrenzung („Mitleid ist Schwäche“).
„Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“, - Melodie Theo Mackeben (1897-1953), der 1928 die Uraufführung der Dreigroschenoper geleitet hatte, Text Otto Ernst Hesse (1891-1946) der 1914 über den dänischen Aufklärer Baggensen provmovierte, Journalist wurde, u.a. der „Vossischen“, und Drehbuchautor von Filmen während der Diktatur. Das war nicht nur mir ein sehr vertrauter Schlager, ja Ohrwurm, zumal hier in Paris, wo der Film „Tanz auf dem Vulkan“ (1938) des Naziregisseurs Hans Steinhoff spielt, in dem Gustav Gründgens, seinerzeit Staatsrat und Göring-Protégé, als Rebell von 1830 das Lied zum ersten Mal sang, bevor es in aller Ohren kam: doch wir woll'n im Siegeslauf / immer memorieren: / Augen auf! Augen auf! / Dann kann nichts passieren. In der Schallplattenversion fiel die letzte Strophe mit diesen Zeilen allerdings der NS-Zensur zum Opfer. Mir dagegen passte sie als trügerisches Leitmotiv.
In der Advents- und Weihnachtszeit häufen sich 1940 noch ein Mal die Briefe und Päckchen. Am 1.12. „freue (ich) mich unsäglich“ über Adventskranz und Kuchen „ Jetzt habe ich das Kränzchen angesteckt. Meine Kameraden sind alle im Kino u. ich bin also ganz allein bei meiner Adventsfeier. Neben das Kränzchen habe ich die Bilder von Euch hingestellt. Ihr habt es sicher auch so gemacht nicht wahr? Ist der Nöck (s.o)auch dagewesen? Dann schreibt Ihr sicher auch gerade einen Gruß an mich. / Vorgestern war ich wieder im Variété. Es war wieder sehr nett. Ingeborg von Kusserow, eine bekannte Filmschauspielerin mit viel Temperament, hat uns ganz verrückt gemacht. Die netten deutschen Mädels sollten sie lieber zu Haus lassen, denn „was ich nicht weiss, macht mich nicht heiß“. - Ach, jetzt verzapfe ich sicher ein Blech. Der Frankreichkoller nimmt allmählich immer beängstigendere Formen an, aber da kann man halt nichts machen!
Mit „Tropenkoller“ wurde zeitweise ein besonders auch sexuell entgrenztes Verhalten von in den Tropen lebenden Europäern bezeichnet, das irreführend, wie der Name sagt, auf das Klima zurückgeführt wurde. Ein Moment des Frankreichbildes, das bei uns kursierte waren angeblich besonders diversifizierte Sexualpraktiken und eine aufreizende Bordell-Erotik. Dies Moment in der Verallgemeinerung auf alle Franzosen führte in unserer gewaltförmigen Männerwelt zu übermäßiger, kruder Sexualisierung der Gespräche, zur Angeberei mit tatsächlichen oder phantasierten „Abenteuern“. Der Zunahme von Geschlechtskrankheiten in der zweiten Hälfte 1940 versuchte das Oberkommando durch Einrichtung von „Wehrmachtsbordellen“ zu begegnen und dort mit der Anordnung jeder Soldat habe sich der frei verfügbaren Präservative zu bedienen. - Wenn meine liebe puritanische Musch gelegentlich bedauert hat, oh je, ihr „Pitter“ habe seine „Unschuld in dem Sündenpfuhl Paris“ verloren, hatte sie zwar Recht, nur schrecklich waren die Umstände ganz und gar nicht und ganz andere als sexuelle Erfahrungen waren in der Tat schrecklich.
Ingeborg von Kusserow (1919-2014) trat 1936-1944 in deutschen Filmen auf und 1946 im ersten, britisch lizensierten Nachkriegsfilm „Sag die Wahrheit“, ein relativ einfach gestrickter Unterhaltungsfilm, die Neuaufnahme mit anderen Schauspielern einer 1944 abgebrochenen Produktion des Heinz-Rühmann-Teams. Nachdem sie und ihr Mann nach England übergesiedelt waren, spielte sie 1951-1963 in englischen Filmen. -
Oft schrieb ich an Sonntagen, so auch am 8. Dezember. Ich bedanke mich für Briefe, Zigaretten und Kandis. “Ich fand alles zusammen vor, als ich am Freitag abend von Paris kam. Es war ein sehr schöner Tag in Paris und wir haben viel gesehen. Paris ist wirklich eine eigenartig schöne Stadt. Ich glaube, das gibt es nur einmal. Aber dafür steht auch das übrige Frankreich weit unter dem Durchschnitt. - Gestern abend war ich wieder in einem netten Film, morgen kommt ein Lessingtheater her, aber ich weiß nicht, ob ich hin kann. - Es wird jetzt allerhand für unsere Unterhaltung getan.“ Am 12 dann noch: „Gestern abend haben die Tommies mal wieder einige Eier fallen lassen, aber es ist bis jetzt immer noch ohne Schaden abgegangen“.
Am 14 Dezember 1940 geht ein Kärtchen mit braun getöntem Foto eines verschneiten Dorfes hinter Tannen im Tal nach B. Aufdruck „Joyeux Noel“ und am 16. gleich auch ein deutsches mit blau getöntem Foto, verschneiten Tannen und einem Kirchlein am Hang, Ein glückliches Neues Jahr. Ich melde: „Ihr Lieben! / Jetzt sind also 5 Päckchen weg. Eins mit Apfelsinen und mit Socken, eins mit Würstchen, eins mit Schoko, eins mit Schoko und Tee u. ich denke, dass ihr das Zeug irgendwie unterbringen könnt. Die 3 Weihnachtspäckchen sind da, ich freue mich schwer. E.“ Am 20. schicke ich nochmal eine Karte, beidseitig in Maschinenschrift: „Ich bin jetzt augenblicklich auf der Schreibstube tätig, was Du ja schon aus meinen schüchternen Tippversuchen ersehen kannst. - Kriegt der K (mein 5 jähriger Neffe) eigenlich zu Weihnachten eine Eisenbahn? Oder habt Ihr keine mehr bekommen?. Ich hätte hier wohl eine bekommen können. Allerdings nicht so stabil wie in Deutschland. - So, nun Schluss. Der Chef hat mich schon angeschissen, weil ich während der Dienststunden Privatbriefe schreibe.“
In einem langen Schrieb vom Ersten Weihnachtstag 1940 kommt noch ein Mal zum Ausdruck, wie sehr ich, der bald 20 jährige, mich mit zu Hause verbunden fühle.“Nun ist der Weihnachtsmann also dagewesen mit all seinen schönen Päckchen und Sächelchen – Wir haben gestern abend zuerst alle zusammengesessen und einen schönen Glühwein getrunken… (Unseren Weihnachtsbaum)dann angesteckt und unsere Päckchen ausgepackt. Das ist doch immer der schönste Moment . Ich habe alles aus den Schachteln raus getan und in der schönen weihnachtlichen Verpackung unter das Bäumchen gelegt. Ach ja, wie nett hast Du liebe Musch, und du Löles alles eingepackt in schönes Weihnachtspapier mit Bäumchen, Tannenästchen und Kerzen. Die bunten Pappsterne ..., - Ja und dann habe ich das Buch ausgepackt. Darüber habe ich mich ganz bes. gefreut. Zwar habe ich noch nicht drin gelesen, aber dran gerochen habe ich mal. Zum Lesen war ich zu müde, und heute hab ich bis 10 Uhr geschlafen. Nun habe ich wenigstens noch mal schöne Lektüre für abends im Bett. - Dann noch das schöne Buch von Schls: ich glaube „Fleuron“ schreibt ganz fabelhaft von den Tieren. Hilles hat mir auch schon mal davon geschrieben. Von Hilles kam übrigens eben ein ganz dicker Brief. Ihr Päckchen ist noch nicht da, aber der Brief war mir die Hauptsache. - Euren Plätzchen schmeckt man aber die lange Kriegszeit gar nicht an. Da habt Ihr sicher tüchtig für gespart. Gestern abend konnte ich allerdings kaum was runterkriegen aber, fragt mal unseren grossen Mathematiker: das gibt sich „im Quadrat der Entfernung“ schon wieder. Dass die Zigaretten sehr willkommen waren, brauch ich ja garnicht besonders. zu sagen. - Ja, beinah hätt ich das Eselchen mit dem Christkind vergessen. Das hat mir erst all die schönen Weihnachtserinnerungen aus meiner Kinderzeit so richtig nahe gebracht. Etwas Besseres hättet Ihr mir gar nicht schicken können, um mich in die richtige Weihnachtsstimmung zu bringen. Das hat die Musch wieder richtig gefühlt.
Von den W's kam auch ein schönes Buch „Afrikanische Spiele“ von Jünger. Hilles schrieb mir, dass es ein sehr gutes und interessantes Buch sei. Jetzt hab ich also Lektüre massig. B's haben mir auch ein nettes kleines Büchlein geschickt. „Requiem“ eine Mozartnovelle von Grete Massé. Na, und der Onkel R hat mal wieder mein altes Fliegerherz erfreut mit einem schönen Fliegerkalender, der einen Platz über meinem Bett finden wird, und dem „ Fliegerjahrbuch“. Dann kam heute noch von E aus Heidelberg ein Päckchen mit Plätzchen, Schoko und Zigaretten. Ist doch nett, dass sie auch an mich gedacht hat. - Vom Löleschen ist nun allerdings noch gar nix da. Hoffentlich sind die Päckchen nicht fortgekommen. Ich hab so was gehört, als ob man in Frankfurt einen Sabotageakt auf das Feldpostamt gemacht hätte. Na, hoffen wir das Beste. Schade ist es ja, das die Päckchen nicht da sind.
Gestern hatte ich um 5 Uhr Dienstschluss. Ich bin noch schnell in die Stadt gegangen und habe mir 2 Kilo Apfelsinen und 1 Pfund Zwiebeln für die Feiertage gekauft. Ja was meint Ihr, was wir hier alle an Zwiebeln verdrücken, so ungefähr 2 Kg pro Mann die Woche. Überall, zu Käse, Wurst werden Zwiebeln gegessen. - Dann habe ich mir auf meiner Bude einen ordentlichen Schlag Bratkartoffeln in Butter und Zwiebelgemüse gemacht. Das hat geschmocken. kann ich Euch sagen. Darauf habe ich dann unseren Weihnachtsbaum besorgt und fertig gemacht. Das war ein Spaß. Als Ständer dient meine Gasmaskenbüchse. Die Kerzen haben zwar alle eine andere Größe, aber das macht ja nichts. Es sieht jedenfalls sehr nett aus, unser Bäumchen. Die Kameraden haben alle ihren Baumschmuck aus ihren Päckchen dazugegeben und nun steht das Bäumchen neben meinem Bett, darunter Eure Bilder. Ihr seid also immer dabei. - Heute habe ich keinen Dienst, aber morgen wieder den ganzen Tag. Dafür ist man halt Soldat, auch auf Weihnachten. - Meine Kameraden lesen eben alle in dem Büchelchen vom Eselchen, das das Christkind sucht. Das berührt sie doch alle. Da hat die Musch der ganzen Stube eine Freude gemacht. Eben ist ein Kamerad unserer Stube auf Urlaub gefahren. Da wären wir wohl alle gerne mitgegangen, aber es müssen ja auch welche da sein, die die „Stellung“ halten. Wenn man allerdings im Radio wie gestern nachmittag, die schönen Weihnachtslieder hört, dann wird es ein bisschen schwer. / So, nun aber Schluss, ich muss ja noch viel schreiben. / Für alles Liebe und Schöne was Ihr mir geschickt habt, vielen tausend Dank und fürs neue Jahr alle guten Wünsche / Von Eurem / E
Das Buch über das ich mich „ganz besonders gefreut“ habe:„Der Krug des Brenda“, Gütersloh, Bertelsmann 1940, eines der vielen Werke der „Schwarzwalddichterin“, Auguste Supper geb. Schmitz (1867-1951). Die aus dem Pietismus kommende, kirchenkritisch-protestantische, deutschnationale, antisemitische Königs- und Hitlerverehrerin, aufgewachsen in Calw, heiratete 1889 den Juristen Otto Heinrich Supper, der 1911 starb. 1898 war ihr erster Roman erschienen, „Der Mönch von Hirsau“. Sie schrieb und publizierte bis zu Ihrem Tod. Eine „Erfolgsautorin“ vor Allem im NS, lukrativ für Bertelsmann.
Svend Fleuron (1874-1966) dänischer Offizier bis 1921, war dann freier Autor auf ererbtem Landgut; Teilnahme 1941 am Weimarer Dichtertreffen, an der neuen (NS-)Zeitschrift „Europäische Literatur“, eine Werbung für Kriegsbegeisterung. Fleuron Schrieb 1912-1960 zig Tierromane und Tiergeschichten darunter „Schnipp Fidelius Adelzahn, ein Dackelroman“ von 1922, immer wieder neu aufgelegt. Mein Weihnachtsgeschenk 1940.
Ernst Jünger (1895-1998) beschreibt in „Afrikanische Spiele“ 1936 wie er (Berger im Roman), ein miserabler Schüler 1913, als 18 jähriger Schule und Elternhaus verlässt und in Verdun zur Fremdenlegion kommt. Missglückter Fluchtversuch aus Algerien nach Marokko, freigekauft vom Vater, zurück in Deutschland: „Die Zeit der Kindheit war vorbei“; Jünger war wie viele 1914 Kriegsfeiwilliger. Den Roman zeichnet, anders als seine späteren Bücher, ein Moment der Skepsis aus, dass seine militaristische, konservative Überzeugung zur Katastrophe führen könne.
Grete Massé (1883 Hamburg – Dezember 1941 deportiert, Tod in Riga) Journalistin, Erzählungen, Novellen u.a. „Das Rubinhalsband“ 1916; das Requiem 1925; Und draußen war Krieg o.J. (vor 1921) ; Autorin der vielfältigen, kulturell konservativen (patriotischen) Heftreihe „Hesses Volksbücherei“ (mehr als 1000 Nummern, Hesse und Becker, Leipzig 1837-1920).
„Wie das Eselchen das Christkind suchte“ Bilderbuch in quadratischem Kleinformat (15 cm) von Marigard Bantzer, Verlag Max Voigt Marburg/Lahn ca 1928. Bantzer war die Illustratorin, den Text schrieb Marion Darbishire (1904-1945, auch Übersetzerin von englischen. Schultexten). Marigard Bantzer (1905-1999) wuchs in Marburg auf, studierte Illustration in Leipzig, heiratete 1930 den Zeitungskarikaturisten und Comic-Zeichner Erich Ohser, Freund Erich Kästners und dessen Illustrator. Als Ohser nach 1933 diskrimiert war und kein Einkommen mehr hatte, arbeitet Bantzer für Mann und Sohn. Ohser konnte unter Auflagen wieder arbeiten (u. a. für die im Krieg erscheinende und vielgelesene, journalistisch ungewöhnlich gute Zeitschrift „Das Reich“) wurde 1944 denunziert als „Defaitist“, und gefangengenommen. Er nahm sich das Leben im Frühjahr 1944 in der Nacht vor dem angesetzten Volksgerichtshofprozess. Sein und Kästners Freund, der Redakteur Erich Knauf wurde verurteilt und im Mai 44 hingerichtet.
Das Jahr 1940 geht nicht zu Ende ohne einen weiteren Nach-Weihnachtsbrief am 31. Dezember: „Nun weisst Du also auch mal, was ein Anschnauzer von einem Unteroffizier ist. Löles' Päckchen sind also nun endlich da. Dass ich mich schrecklich gefreut habe, kannst Du Dir ja denken. Du weißt ja, was alles drin war. Ich kam an dem Abend gerade von Chartres und fand zu meiner größten Freude 7 Päckchen und 3 Briefe vor. Eins von Tante H, dann von meinem alten Segelfliegerkameraden, von B, von der Partei (d.i. Onkel R.)und 2 von L. Da hab ich dann nochmal unser Bäumchen angesteckt und zum zweiten Mal Weihnachten gefeiert. Das Päckchen von Hilles ist immer noch nicht hier, aber es wird sicher noch kommen. Das Buch von Euch habe ich an 2 Abenden ausgelesen und es hat mir ganz ausgezeichnet gefallen. Das ist so richtig ein Buch, wie man es hier gebrauchen kann, guter Inhalt und fesselnd. Doch was ganz Anderes wie die ewige Schundlektüre. Dieses Jahr habe ich aber auch wirklich nochmal einen wohltuenden Haufen Bücher bekommen. Auch meine Flieger haben mir ein schönes Fliegerbuch geschenkt. Da fällt mir übrigens ein, dass ich unbedingt noch ein Buch brauche und zwar „Der Reserveoffizier“ von Altrichter. In welchem Verlag das Buch erschienen ist, weiss ich leider nicht.“
Die im 17. Jahrhundert spielende Scharzwaldgeschichte, "gehobene" Blut-und-Boden-Literatur der "bäuerlichen", 73 jährigen Führer-Gläubigen kam bei mir an. - Friedrich Altrichter (1890-1948) war preußischer Offizier im 1. Weltkrieg, dann Reichswehr, 1929 an Reformen orientierter Kriegsschullehrer Potsdam, ab dann auch Militärschriftsteller. Im 2. Weltkrieg wechselnd zwischen „Führerreserve“ und Frontkommandeur, zuletzt Generalleutnant der Infanterie, als solcher im April 1945 noch Feldausbilder im Ostfrontabschnitt Mitte. Starb in sowjetischer Kriegsgefangenschaft in Kasachstan. 1936 Promotion Heidelberg mit „Die seelischen Kräfte des deutschen Heeres im Frieden und im Weltkriege“. Unter anderen Publikationen die um die es hier geht: „Der Offizier des Beurlaubtenstandes“, Berlin 1935 (Neuauflage 1943)
Der erste Brief im neuen Jahr geht am 5. Januar 1941 nach B.: „Eben kam Euer Brief zusammen mit 3 Päckchen von Lotte und einem Päckchen vom BDM aus Degerloch. Ich hab mich sehr gefreut Meine Päckchen sind also alle glücklich angekommen. Könnt Ihr eigentlich Apfelsinen kaufen? Sonst schicke ich noch mal einige Kilo, denn Verpackungsmaterial habe ich ja jetzt genug und die Mutter kann doch sowas immer als ??skost gut gebrauchen. Gestern kam auch noch eine Karte vom 18.12. wo Ihr alle unterschrieben habt, ausserdem endlich das Weihnachtspäckchen von Hilles und P mit sehr netten Büchlein. Hab ich eigentlich schon geschrieben, dass ich „Den Krug des Brenda“ schon gelesen habe? Das Buch hat mir ganz ausgezeichnet gefallen. - Mit dem Wintersport hat also der Babo noch nicht begonnen. Hier liegt seit einigen Tagen auch Schnee, und weil auch ein starker Wind weht, ist der ganze Urlaubsverkehr per Bahn gesperrt, weil die Strecken verweht sind und die Weichen vereist. Unsere Wagen sind auch schon oft stecken geblieben, obgleich ja nicht viel Schnee gefallen ist. Die Sache mit der Pistole habe ich wirklich vergessen, und jetzt ist mein Chef in Urlaub. Ich glaube, ich warte bis zu meinem nächsten Urlaub mit dem Brief. - Papa O bekommt auch in diesem Monat noch 20 M aber erst nach dem 20. … Von Onkel R kommen gar keine Zeitungen in letzter Zeit. Vor einigen Tagen kam allerdings „Der Adler“. Dass P Ru nun jetzt geheiratet hat, wusste ich noch gar nicht. Sie hatte mir ja damals in Worms schon gesagt, dass sie es beide vorhätten. Dass K Elf im Lazarett liegt, ist mir auch neu. Ist er ernstlich krank? Ich werde ihm gleich mal schreiben. Auch Löles will ich gleich noch mal mit einem Brief beglücken. So hat also die G auch ihr Loch gefunden – Dass die Base in Mühlacker mich mal mit einem Päckchen beglücken will, ist mir sehr sympathisch, aber, weil Ihr es ja auch immer wolltet, außer Zigaretten habe ich wirklich keine Wünsche. Süßigkeiten habe ich genug für 2 Jahre, denn mein Bedarf ist sehr gering. Rouladen oder Pellkartoffeln mit Hering könnt Ihr mir ja nicht schicken. Hoffentlich habt Ihr einige Dosen für meinen Urlaub reserviert bes. mit Mayonnaise. Ich hoffe nur, es wär schon mal wieder so weit … - So jetzt will ich aber auch noch einige andere Briefe schreiben. / Herzl. Grüße, auch an den 1. Stock und das Dachstübchen / Euer E.
Papa O.: der Uhrmacher in B. bei dem ich mir eine Armbanduhr gekauft hatte,die mehrere Male hin und hergeschickt wurde, weil sie anfangs immer stehen blieb. „Der Adler“ die 14 tägig erscheinende Propaganda-Illustrierte der Luftwaffe aus dem Berliner Scherl-Verlag in der Frankreichausgabe bilingual. P und O Ru sind die Söhne des Zimmermanns und Nachbarn in B. Wir waren zusammen in der Flieger-HJ. Im „Dachstübchen“ wohnte das „Clärchen“ solange sie der Musch im Haushalt aushalf. Hilles hat mir eine Zeichnung ihrer neuen Wohnung in Babelsberg gemacht und sie und der professionelle Sterngucker schickten mir zwei kleine „Sternenbüchlein“. Ich schrieb ihr am 6. Januar 1941:
„Ich habe mich nochmal zur Bordfunkerei gemeldet. Hoffentlich klappt es. Allerdings sieht es dann für meinen Urlaub schlecht aus. - Also sei nicht böse, dass ich so kurz angebunden bin,“ An Löles schreib ich am 11 Januar, weil ich mich bei der Gütersloher Mutter für die Weihnachtspost bedanken will, aber die Adresse verloren habe, und: „Ha,Ha !!! dass ich nicht kichere. Von wegen rauchen abgewöhnen kann ja gar keine Rede sein. Ich habe mich also mächtig über die Zigaretten gefreut ...Eigentlich hatte ich vorgehabt, heute auf Urlaub zu fahren, aber ich kann nicht weg. Da wird wohl überhaupt nix mehr draus werden in absehbarer Zeit, vorausgesetzt, dass ich zur Schule komme. - Briefpapier ist alle, also Schluss.“
Januar 1941 - Juni 1942. Höhere militärische Bildung
Am 19. Januar 1941 kann ich berichten, dass es mit der Schule geklappt hat: „Bin gut in München angekommen. Von Oberföhring bin ich gleich wieder weitergeschickt worden nach Gauting, wo ich jetzt wohl bleiben werde. Gauting liegt in der Nähe des Starnberger See. Die Kasernen sind sehr schön u. das Essen soll auch gut sein. In München habe ich noch die Frau meines Freundes besucht, und bin sehr herzlich aufgenommen worden“
Nebenbei erfährt die Familie aus meiner Anschrift, dass ich inzwischen befördert wurde: Uffz E. 16. Erg. Ln Reg.3, München Gauting. Der Poststempel vermerkt: „Schönes Siedlungsgebiet im Würmtal“ Am 22. folgt eine kurze Mitteilung: „Ich bin schon wieder mal gewechselt und zwar bin ich jetzt bei der 15. Kompanie – Meinen Geburtstag habe ich gestern Abend in München verbracht. - Auf alle Fälle weht hier wieder ein etwas anderer Wind als in Frankreich“
Das Luftnachrichtenregiment 3 hatte als „Legion Condor“ zur Unterstützung von Franco‘s Truppen 1936-1939 unter anderem 1937 Guernica bombardiert. Ein Kriegsverbrechen. Die späteren „Aktiven“ trugen als Auszeichnung für diese „ehrenvolle“ Tradition ein eigenes Armband. Wir, die Ergänzungstruppe blieben ausgenommen. - Zum 30. Geburtstag der Schwester schreibe ich, ihr „Bruderherz“, einen Tag später:
„Sei mir bitte nicht böse, dass ich nur eine Karte schreibe, aber ich muss mir in München erst wieder Briefpapier besorgen. - Was sagst Du dazu, dass ich nun hier in München gelandet bin? Fein, was? In einer Beziehung ja, man kann nämlich verdammt viel sehen in München. In militärischer Beziehung weht hier jedoch wieder ein ganz anderer Wind wie in Frankreich, bes. als O(ffiziers)A(nwärter) wird es mir nicht ganz leicht fallen hier. Hoffentlich klappt alles. Ich glaube ja nicht so ganz dran. An meinem Geburtstag bin ich abends nach München gefahren und hab die Frau eines Freundes besucht. Es war sehr nett und ich soll öfters mal kommen. Da hab ich also schon wieder jemand wo ich „Familienleben“ genießen kann.“
Nach 14 Tagen habe ich mich „so allmählich eingelebt. Eben habe ich einen 5 Tägigen Uffz Kursus mitgemacht. Das war weiter nicht schlimm. Er war nur dazu da um nachher bei den neuen Rekruten eine einheitliche Ausbildungsweise zu erzielen. Mit der freien Zeit ist es hier natürlich noch knapper wie in Frankreich. Wenn nächste Woche die Rekruten kommen, wird es ja für die erste Zeit mal wieder ganz aus sein. Obwohl wir jeden Abend bis 2 h Ausgang haben,machen wir doch meist wenig davon Gebrauch, dh. ich jedenfalls bis jetzt noch. Die neuen Rekruten sollen lauter Bayern sein. Da sehe ich ja schon schwer schwarz bes. weil man jetzt so verdammt weiche Erziehungsmethoden eingeführt hat. Wenn man einen Rekruten nur mal auf dem Bauch über den Exerzierplatz rutschen lässt, kann man schon in den Bau wandern. Man wagt schon bald gar nichts mehr zu tun, weil ein schlauer Rekrut einen dann bestimmt reinlegen kann. / Für meine Offz Sache brauche ich nochmal ein polizeiliches Führungszeugnis und meinen Ahnenpass. Schickt mir dann beides so schnell wie möglich. / Dann wollte ich mal leise anfragen, ob der Babo vielleicht ein paar Punkte (Kleidermarken) für ein Hemd übrig hat, ich würde mir nämlich gern ein Hemd für die Uniform kaufen, mit geschlossenem Kragen und Krawatte. Natürlich nur, wenn er die Punkte gut entbehren kann, denn das Hemd ist durchaus nicht notwendig für mich. / So, das wär alles für heut."
Das war am 1. Februar 1941. Ich ergehe mich vorbildlich in angemessener Unteroffiziers- Ausdrucksweise. Einen Rekruten nur mal eben auf dem Bauch über den Exerzierplatz rutschen lassen. Meine Lieben werden verstehen was ich mit den verdammt weichen Erziehungsmethoden meine: Schleiferei war und ist mir zuwider.
Am 3. schreibe ich schon wieder: „Die beiden Päckchen sind heute angekommen. Nun kann ich also endlich mal meine Wäsche wechseln. - Die Zigaretten kamen mir auch sehr gelegen. - Gestern war ich in „Peer Gynt“. Es war sehr sehr schön. Alex Golling spielte den Peer. Ihr werdet ihn vielleicht vom Film her kennen. - Er spielt ganz fabelhaft. Morgen gehe ich in die Operette „Wiener Blut“ u. am Samstag in „Maske in Blau“. Bald werde ich auch mal in die Oper gehen. Leider hat mich jetzt doch eine Erkältung gepackt und das nicht zu knapp. Schickt mir doch bitte meine Halbschuhe falls sie überhaupt noch einigermaßen salonfähig sind.“
Henrik Ibsens Peer Gynt von 1867 war ursprünglich ein Lesegedicht, dann auch ein Bühnenstück. (Schauspielmusik Edvard Grieg), und ist eine kritische Auseinandersetzung mit norwegischem Nationalfolklore. (Griegs nationalromantische Musik passte schlecht dazu?). Das Stück dreht um die lügenhaften Identitäten des Bauernsohns Peer. - Alexander Golling (1905-1989) 1934 Berliner Volksbühne, 1938 Staatsschauspieler, Intendant München war „der braune Theaterfürst von München“. Nach dem Krieg „Belasteter“, sein Vermögen wurde eingezogen. 1950 wieder Auftritte in Filmen (Veit Harlan, Liebeneiner, Karl Ritter) in den 60ern auch im Fernsehen
„Wiener Blut“, komische Operette, Musik Johann Strauß 1899, Titel nach dem gleichnahmigen Konzertwalzer von 1873. - „Maske in Blau“ Operette von Fred Raymond Berlin 1937; Raymond (1900-1954) war ein österreichischer Komponist, gefördert vom Wiener Kabarettisten und Kunstsammler Fritz Grünbaum (1880-1941 KZ Dachau) erst Bankkaufmann, dann nur noch Musiker. „Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren“ 1926 ein großer Erfolg. Viele Weitere Schlager und Bühnenstücke: „In einer kleinen Konditorei“ 1929 im ersten (nachsynchronisierten) Tonfilm. Als Soldat schrieb er „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei“ (gesungen von Lale Andersen). Nach dem Krieg zunächst Österreich, ORF, dann Überlingen. 1951 „Geliebte Manuela“ in Mannheim.
Waren meine Kraftausdrücke vom 1. Februar „ausgewertet“ worden? Wollte man keinen antibayrischen "Schleifer"? " Jedenfalls weiß ich am 5. Februar 1941, dass ich mich mit den Bayrischen Rekruten nicht anlegen muss:Ihr Lieben! / Nun ist es also doch so weit. Heute oder morgen hau ich ab zur Bordfunkerschule nach Nordhausen im Harz. Ich wäre ja lieber auf die Münchener Schule gegangen. Stellt also die Postsendungen mal vorläufig ein.
Die „Münchener“ Luftnachrichtenschule befand sich in Pocking 30 km süssüdwestlich von Passau, was ich damals nicht wußte. AlsoNordhausen in Thüringen. In der Kreisstadt war im Zug der Aufrüstung die Boelke-Kaserne gebaut worden. Der Hauptmann Boelke war im 1. Weltkrieg der zum Mythos verklärte Flieger mit den meisten „Luftsiegen“ , seine strategischen Regeln für den „Luftkampf“ hatten fortdauernde Gültigkeit, er war auch Ausbilder bis der Absturz nach einem Zusammenstoß 1916 seinem Leben ein Ende setzte. Die Kaserne beherbergte die Luftnachrichtenschule 1 zur Ausbildung hauptsächlich von Bordfunkern. Auf dem Flugplatz standen ein Paar Me111 und Ju 88 zur Verfügung.
Am 9. Februar 1941 geht die erste Nachricht aus Nordhausen nach B.:“Am 6. bin ich von München weggefahen. Um 17 Uhr war ich in Halle und habe dort noch einen Kameraden auf der Schule besucht. Gegen 24h00 war ich dann in Nordhausen und habe mich dort gleich in ein Hotel geschlichen um mich nochmal richtig auszuschlafen. Ich brauchte nämlich erst am nächsten Tag um 18 Uhr 00 in der Schule zu sein. Ich hab dann also bis Mittag gepennt, dann gut gegessen und mich darauf in der Schule gemeldet. - Unser Lehrgang besteht aus lauter Funkunteroffizieren. Morgen wird wohl die Arbeit losgehen. Da werden wir allerhand ochsen müssen, von morgens 6 ½ bis 9 Uhr ist Dienst, dazwischen 2 Std Mittagspause. Die Verpflegung könnte allerdings besser sein. Wenn wir mal ans Fliegen kommen, wird es auch wieder besser. Wenn Ihr mal Reisebrotmarken übrig habt, dann könnt Ihr mir die schicken für Brötchen und Kuchen.“
Am 15. brauche ich meine Aktenmappe aus B. um meine „ Schulbücher darin zu verstauen“. Außerdem soll mir mein Postsparbuch mit roter Ausweiskarte aus der Schublade meines Schreibtisches geschickt werden, und die Musch will mich auf der Rückreise aus Berlin nach B. in Norhausen besuchen. In einem Brief an meine „große“ Schwester Hilles berichte ich am 16. ausführlicher über meine neue Umgebung: „Beinahe hätte ich vergessen, dass in Babelsberg auch noch jemand auf Post von mir wartet. Jetzt habe ich schon 10 Briefe geschrieben und 4 muss ich noch. Dann ist aber auch der Sonntagmorgen flöten. Heute Nachmittag mache ich dann noch meine „Schulaufgaben“ und dann geht es raus zum tanzen oder ins Kino. - In der Woche komme ich kaum zum Schreiben, und da sammelt sich dann immer allerhand für den Sonntag an. - Gestern habe ich nun endlich mal wieder einen anständigen Füller erworben für 12 M, sodass die Schreiberei jetzt auch etwas flotter geht. Man ist ohne Füller ganz aufgeschmissen hier, denn man muss einen Haufen Stuss schreiben. / Unser Tageslauf beginnt um 5h30 mit dem Wecker. Um 6h45 beginnt der Dienst, der fast nur aus Unterricht besteht: Navigation, Erdkunde, Wetterkunde, Gerätelehre, Funken, Betriebslehre usw. Mann rennt mit der Aktenmappe unterm Arm von einem Lehrsaal in den anderen, genau wie in der Penne. Um 12h ist dann Mittagspause bis 14h. Dann geht der Laden weiter bis 18h. Um 20h bis 21h ist dann noch Arbeitsstunde zur Ausarbeitung des Gelernten. Die „höhere Mathematik“ kommt mir hier doch sehr zu gute, bes. bei der Navigation, Kurs berechnen usw. Mit der Physik ist es genau so. / Nach 14 Tagen werden wir einer Prüfung unterzogen und werden dann den Leistungen entsprechend in die verschiedenen Ausbildungsstufen eingeteilt. Da wir doch fast alle schon eine gewisse Ausbildung haben, brauchen wir auf diese Weise wenigstens nicht mehr die gesamte Ausbildung mitzumachen.
So jetzt weisst Du also so ungefähr Bescheid. / Dass Die Musch Euch besuchen will, ist ja ganz prima, und dass sie mich gleich auf dem Rückweg auch „heimsuchen“ kann, ist knorke. Hoffentlich kann sie ein paar schöne Tage bei Euch verbringen. - Mit Fliegeralarm habt Ihr also nicht mehr viel zu tun? Wir haben hier schon verschiedene Male im Keller gesteckt. Skatspielenderweise,. Die Wirkung zeigt sich dann immer am nächsten Tag, bes. wenn der Unterricht nicht ganz so interessant ist. / Gestern hab ich mir ein dickes Buch bestellt und zwar „Scotland Yard“ die Geschichte der englischen Polizei. Ich hatte bereits einmal drin gelesen und das Buch hatte mir sehr gut gefallen. Allerdings kostet es ganze 9,50 M. Doch was ist das schon für einen mitteleuropäischen Gehaltsempfänger, der auf Staatskosten lebt. / Ihr seid jetzt also auch Rundfunkteilnehmer geworden mit dem Kleinempfänger. Ich werde mir das Ding vielleicht auch noch überlegen. Man kann es so schön im Koffer mitnehmen wenn man, wie ich, dauernd auf Reisen ist, und ohne Radio ist das Leben einfach besch...eiden. Man traut schon seiner eigenen Uhr nicht mehr, zum Zeitungslesen ist man auch zu faul und erfährt also nix neues mehr. / Mensch, jetzt ist aber Feierabend./ Heil u. Sieg“ -„Scotland Yard“ A. L. Philipp, Leipzig Esche Verlag 16.-25. Tausend 1940 (1.-5- Tausend 1939) Banderole: „Auch das ist England“. Auch nach dem Krieg wieder aufgelegt u.a. i. d. Volksbücherei Stuttgart. „..spannend geschrieben...“ heißt es im Klappentext.
Der Kleinempfänger DKE 38 ("Goebbelsschnauze") war seit 1938 für 35 RM auf dem Markt, gerade mal 24x24x17,5 cm groß und 1,5 kg schwer, ein "Einkreiser" für Mittel- und Langwellenempfang mit einer Doppelröhre für Eingangs- und Endverstärkung und einer Gleichrichterröhre. 15 W Stromaufnahme.
Ich schreibe auch schnell an die Eltern: Das ist nun der 12. Brief und der Sonntagmorgen ist bald dahin. Gestern kamen Ahnenpass und Steuerkarte. Das pol. Zeugnis ist auch da. Vorläufig hab ich ja nun keine Verwendung dafür denn die O(ffiziers-).A(nwärter-) -Sache schläft auf der Schule so ziemlich. (gottseidank) Einen Füllhalter habe ich mir gestern erstanden für 12 M. Ihr braucht Euch also nicht mehr zu bemühen. Ein Glück, dass ich wieder so ein Ding habe. Solltet ihr schon einen gekauft haben, so schickt ihn ruhig her, ich werd ihn schon los. - Denkt Ihr auch an die Aktentasche u. das Postsparbuch? Ich muss meine ganzen Bücher u. Hefte immer so mit rumschleppen. / Meine Gehaltssache wird ja nun wohl auch so langsam in Fluss kommen. Die Steuerkarte geht heute weg. Ihr werdet dann auch sofort das Geld zurückbekommen, es waren doch 57 Mark? / Gestern habe ich mir auch das Buch bestellt aus der Geschichte der englischen Polizei, wo ich damals schon von sprach. - Mein Offz.Anw. Buch könnte ja nun auch allmählich mal erscheinen. Augenblicklich habe ich es ja nicht nötig. Jedoch könnte ich mir schon einiges draus aneignen. Eben dämmert es mir, dass die Musch ja schon auf der Bahn sitzt, wenn der Brief ankommt. Dann ist er halt nur für Dich, lieber Babo. / Eben habe ich auch einen längeren Brief nach Babelsberg geschrieben. Der wird ja dann wohl mit der Musch dort sein, denn die Post geht hier sehr schnell. / ich muss nun schon Schluss machen, denn ich habe Kohldampf u. vor dem Essen muss ich noch den 13. und 14. Brief schreiben. / Herzl. Gruß / E. / die Brotmarken habe ich natürlich auch bekommen.
Acht Tage später kann ich einen kurzen Brief nach Berlin noch gerade eben „herausschmuggeln“, denn wir sind wegen Scharlach in der Kaserne auf der Stube „interniert“ und schreiben ist auch verboten. Es sieht so aus, als würde aus Mutters Besuch nichts werden. Aber am 26 scheint es, als würden wir am folgenden Freitag entlassen und dann stünde dem Besuch nichts im Weg:
„Wenn Du in Nordhausen aus dem Bahnhof rauskommst, siehst Du direkt auf der anderen Seite des Platzes rechter Hand ein Hotel. Dort kannst Du gut und preiswert unterkommen. Ich habe dort auch schon geschlafen. / So, dann wär ja alles für den Fall des Falles geregelt. Auch wenn Du schon auf Grund meines vorhergehenden Briefes andere Entschlüsse gefasst haben solltest, komm, wie Du auf der Karte geschrieben hast. / Ich bin zu erreichen unter: Luftnachr. Schule Nordhausen, Nebenanschluss 172. / Meist werden aber nur Ferngespräche vermittelt. Falls Du mich hier aufsuchen solltest, so bin ich in der 1. Komp. Block II. (Nebenanschl. 172). Am Apparat meldet sich unser U.v.D. (Unteroffz.vom Dienst) Du musst mich dann an den Apparat holen lassen“. Der Besuch gelingt. Am 4. März 1941 schreibe ich nach B:
„Über Dein Briefchen, dass ich gleich am nächsten Tag erhielt, habe ich mich schrecklich gefreut. Über die 2 M (die die Musch bei der Bahn hat zuzahlen müssen) ja weniger. Hoffentlich bistDu gut nach Hause gekommen. - Heute kamen von München meine Papiere von der Gehaltssache. Ich soll alles hier einreichen, damit mir mein Gehalt hier ausgezahlt werden kann. - Das hätten die blöden Säcke sich freilich früher überlegen können. - Wenn der Babo kann, soll er mir doch gleich noch mal etwas „Zaster“ schicken, aber nur, wenn er es gut entbehren kann. Ich werde die Sache hier so gut wie möglich beschleunigen.“ Das gewünschte Geld kam richtig zum Wochenend-Ausgang. Ich „freue mich schon schwer aufs Fliegen“.
Leider wird nichts draus: Am 9. März 1941, einem Sonntag, schreibe ich nach B: „Stellt Euch vor, heute sollten wir fliegen und da hat nun wieder so ein Idiot von unserer Stube Scharlach bekommen. Wir platzen fast vor Wut und unsere Kameraden brummen oben in der Luft rum. So ein Pech habe ich ja nun noch nie gehabt und dazu noch auf Sonntag in der Stube hocken. Natürlich werden wir auch wieder sehr viel im Unterricht versäumen, denn da geht es jetzt mit Riesenschritten vorwärts. - Na, Schwamm drüber. Unseren Quarantäneeröffnungsskat haben wir schon gespielt. Es werden sicher noch etliche folgen. / Das Geld ist gestern genau richtig zum Ausgang angekommen. Erst hab ich mir den Bauch voll Kaffee mit Kuchen geschlagen, und dann bin ich in‘s Hotel gegangen, wo Mutter gewohnt hat und habe Lungenhaschee gegessen. Das hat mal wieder für ein paar Stunden gereicht. Sonst ist nichts Neues zu berichten.“
Am darauffolgenden Freitag schließlich: "Morgen ist endlich die Quarantäne vorbei und wir werden gleich in die Kiste steigen, Das Datum des Lorberrkranzes ist schon geändert" Und vier Tage später schicke ich eine "Künstlerkarte" ("Aquarell Trau Tlos 40") nach Hause "Rückkehr vom 1. Überlandflug": "Ihr Lieben, am Samstag sind wir wieder freigekommen und haben gleich unseren 1. Flug gemacht. Es war ganz prima. Ge...zt (gekozt) habe ich auch nicht. - Habt ihr den solange keine Post mehr von mir bekommen? Am Freitag hab ich doch geschrieben! - Jetzt soll also der P auch zum Kommiss einrücken? Na, ich glaube ja noch nicht, dass man ihn so schnell von der Sternwarte wegholt und wenn, dann wird er sicher bald wieder u.k. gestellt... Soeben ist Euer Päckchen angekommen. Vielen herzl. Dank!"
Ich irrte: der liebe Schwager rückte ein, wurde nicht uk gestellt, konnte aber, dank seiner Fachkenntnisse, den Krieg bis zum Ende abseits der Kampfhandlungen an Instrumenten zur Sonnen- und Funkwetterbeobachtung durchstehen. Die Karikatur der Karte: Ein überdimensionaler Pilot streckt seinen Hals aus einem Miniflieger, an Flügeln und Leitwerk hängt mitgerissenes Blattwerk.
Dem 1. folgen weitere Übungsflüge, die Abschlussprüfung kommt in Sicht. "Liebe Musch, für Deinen langen Brief und das Päckchen recht herzlichen Dank, ich habe mich mächtig darüber gefreut. - Wir bekommen jetzt an den Tagen an denen wir fliegen, zusätzlich 20g Butter, 1 Ei und ½ Liter Milch. Das kann man auch wirklich gut gebrauchen, denn das Fliegen strengt doch verdammt an. Wenn man 2-3 Stunden geflogen ist, ist man ziemlich erschlagen, obwohl man doch eigentlich keine körperlichen Anstrengungen hat. Sonst ist aber die Fliegerei ganz gross. - Unsere Dienststunden sind jetzt auch bis zur Prüfung (14.IV) wieder verlängert worden, und zwar abends bis 21 Uhr. Auch Samstags nachmittags u. Sonntagmorgen ist Dienst. Na, wenn bei der Prüfung alles klappt, dann hat sich ja alles gelohnt. - Eben spielen sie im Wunschkonzert das Largo von Händel. Hört Ihr es auch? Schön, was? - über Ks‘s Kirchenbesuch muss ich immer weidlich lachen! - Meine Wäsche kommt auch bald. Der neue Schlafanzug (Jacke) besteht auch nur noch aus einem grossen Loch. / Viel Post in Zukunft nicht zu erwarten. Umgekehrt erwünscht. - Ist noch eine Tube Vitam zu bekommen? Tante H hat mich auch mit Marken u. etwas Fresserei versorgt."
(Vitam R: Hefeextrakt aus den Reformhäusern: Geschmacksverstärker, Brotaufstrich. Hoher Proteingehalt. - A propos Largo: Das (Gesangs-) Larghetto aus der Oper Xerxes (Serse) 1738. Die Oper war einer von vielen Misserfolgen Händels. Xerxes‘ Lob eines Baumes wurde im 19en und 20ten Jhdt ein sentimentales Gebrauchsstück.)
Zwar hatte ich am 30. 3. gerade geschrieben, viel Post sei nicht zu erwarten, schreibe aber am 5., am 11. und am 15. dennoch kurze Nachrichten : "Ein Bild habe ich leider nicht mehr, denn eins hatte ich Tante H versprochen und eins musste ich hier abgeben. Das andere hat ja L. Jedoch hab ich bald wieder einen Film voll und da sind hoffentlich auch einige Bilder von mir drauf.- Mein Gehalt für 2 Monate ist auch endlich da. Nächste Woche werde ich 75 M abschicken. 8 M hat Vater ja schon da von meiner Frontzulage. - von Tante B und vom Nö kamen auch je ein Päckchen mit Kuchen usw. - Es ist zum Kotzen, ich habe nämlich UvD (Unteroffizier vom Dienst) und eben ist große Wochenendreinigung. Da kann man keine MInute stlllsitzen. Daher auch der abgehackte Brief. - Nun ist also bald zum 2. Mal Ostern, wo ich nicht zu Hause bin. Wie doch die Zeit vergeht. Vor 2 Jahren saß ich als frisch gebackener Arbeitsmann in Remagen und der Babo hat mich besucht. Wer hätte da an so etwas gedacht. - Nun hoffe ich, dass die Prüfung gut vorüber geht und dass mich der Chef nicht als Hilfslehrer hierbehält.... Nächstes Ostern bin ich aber sicher wieder zu Hause! Inzwischen wird der Babo mein Geld erhalten haben. Die 20 M hatte ich einem Kameraden geliehen, der sie dann gleich von seiner Bank aus hat überweisen lassen. Stimmt jetzt auch alles? - Die Fliegerei macht bei dem schönen Wetter jetzt viel Spaß. Wir schießen jetzt auch mit MG aus der Luft auf Erdziele. Das ist garnicht so einfach. - Euch allen ein recht frohes u. gemütliches Osterfest Euer Pitter. Grüßt auch bitte das K'chen (Muschs Hausgehilfin) und M's (die Nachbarn) und B's (die Mieter im Haus) von mir ... Am 2. Ostertag haben wir Flugdienst gehabt. Eben habe ich auch wieder 7 Flugstunden hinter mich gebracht und bin daher auch hundemüde. Sonntag schreibe ich Euch, wie die schriftliche Prüfung verlaufen ist. - Nun aber ins Bett. Gute Nacht.
Am Dienstag den 29. April 1941 kann ich berichten: "Wie Ihr sicher schon von L gehört habt, habe ich die Prüfung nun glücklich hinter mich gebracht. Es hat alles prima geklappt. Hinterher hab man uns dann eröffnet, dass wir alle als Hilfslehrer auf den verschiedenen Schulen vorgesehen sind, Das war uns natürlich ein Schlag ins Kontor. Heute abend ziehen wir drei Mann hoch in den Bau. Es hätte uns direkt leid getan, wenn wir um die Strafe rumgekommen wären. Doch die näheren Umstände erzähle ich später mal mündlich. / Mit Urlaub sieht es natürlich auch nicht sehr rosig aus. Aber vielleicht klappt es doch noch im Laufe des nächsten Monats. / Vaters Karte vom S (unser Segelfliegerberg) erhielt ich auch eben. Unsere alte Fliegerbude , wo wir schöne Stunden verbracht haben, geht also auch ihrem Ende entgegen. / Für heute die besten Grüße u. auf Wiederhören nach 3 Tagen." (Vermutlich war ein Telefongespräch (von L vermittelt) verabredet),
Zwar bin ich (da noch) sehr leichtsinnig und nach bestandener Prüfung übermütig, doch Immer wenn ich nach Hause schreibe setzte ich "noch eins drauf". Von wegen "Schlag ins Kontor": Ich werde früh genug erfahren, was "Feindflüge" mit sich bringen. Die „Kriegslage“ kommt in meinen Briefen nach Hause so gut wie gar nicht zur Sprache. Zu diesem Zeitpunkt schien aus meiner Sicht „alles in bester Ordnung“. Deutsche Streitkräfte waren den bedrängten italienischen Offensivtruppen auf dem Balkan und in Nordafrika fürs Erste sehr erfolgreich zu Hilfe gekommen. Die Luftwaffe war, von Sizilien und Griechenland aus operierend, „ruhmvoll“ zum Einsatz gekommen. Dass ein seit Anfang des Jahres mehr und mehr sich abzeichnender Bruch des Nichtangriffspakts mit Russland sich damit verzögerte, sahen wir nicht. Auch nicht die für diesen Fall bedeutende anderweitige Bindung von militärischem Potential. Auch sah ich darüber hinweg, dass entgegen andauernder Invasionspropaganda die „Luftschlacht um England“ verloren war und die gegnerischen Flieger zunehmend unsere Luftabwehrkräfte in Anspruch nahmen.
Ich bin nun also „Bordfunker“ und fliege endlich. Es klappt mit dem Urlaub, ich werde aber vor Ablauf per Telegramm zurückbeordert und bin am Donnerstag den 15. Mai zurückgereist. Ich hätte gern Muschs Geburtstag am 16. mitgefeiert und wie sich zeigte hätte ich das auch können. Am 21. schreibe ich nämlich:
"Ich war natürlich mal wieder der erste, der auf das Einschreiben hin hier angelangt ist. Die anderen kamen erst im Laufe ds Freitags, Samstags und Sonntags. Am Montag wurden wir dann alle zum Kommandeur bestellt, der uns fragte, ob wir nicht Peilflugleiter werden wollten, also wieder Bodenfunker. 6 Mann haben sich gottseidank freiwillig gemeldet, und so sind wir anderen dann verschont geblieben. Die Hilfslehrergefahr scheint nun auch endgültig beseitigt zu sein, denn wir unterstehen jetzt nicht mehr z.b.V. dem R.L.M. sondern sind auf den allgemeinen Schuletat gesetzt worden. Nun warten wir darauf, dass wir von einer Kampfflieger- bzw. Blinflugschule zur weiteren Ausbildung angefordert werden. / Die beiligenden Bilder bitte gut verwahren."
Am 3. Juni 1941 habe ich eben mit B, das heißt mit L in der Zentrale „gefernmeldet“ und will mir mein Badezeug schicken lassen „denn Sonntag will ich schwimmen gehen. Ich habe die Pfingsttage hier in aller Ruhe verbracht, teils schlafend, teils in der Sonne liegend oder ausgehenderweise. Das Wetter war ganz prima. Anfang nächster Woche werden auf meinem Konto in B. 300 RM eintreffen. Da kann dann der Babo also seine 50 M wieder abheben. - Dass W Bu ( einer der Söhne von Muschs enger Freundin Li in F) abgestürzt ist, ist sehr traurig. Von uns sind jetzt auch 7 Mann um die Ecke gegangen durch Zusammenstoß in der Luft. - Aber wir fliegen weiter! - Geschrieben habe ich nicht an Bus. Sowas fällt mir zu schwer und klingt vor Allem immer anders als es gemeint ist...“
W Bu (geb. 1920) war als Unteroffizier und Pilot einer BF 109F-1 der 1. Staffel des Jagdgeschwaders 53, die in Boulogne an der Kanalküste stationiert war, am 22. Mai 1941 nach einem Zusammenstoß in der Luft ums Leben gekommen. - Zu Pfingsten war „natürlich“ ein Paket gekommen, nebenbei auch Hosenträger „noch prima“ zu gebrauchen. 2 Tage vor Beginn des „Unternehmen Barbarossa“ schreibe ich „Für Mutters Brief und die Zigaretten herzl. Dank. Hatte ich mich eigentlich schon für die vorige Sendung mit dem Badezeug bedankt? - ich glaube nicht., / Heute habe ich einen schönen Flug nach Prag gemacht. Morgen früh werde ich wahrscheinlich wieder nach München fliegen. Bei dem Wetter macht die Fliegerei viel Spass. / Die Fresserei hier ist natürlich nicht besser geworden. Ich gehe allerdings oft abends zum Essen. Es gibt jetzt so viele markenfreie Fischgerichte usw. da halte ich mich dann immer feste dran. Wenn Ihr mir allerdings nochmal einige Brotmarken schicken könntet, wäre ich Euch sehr dankbar. / Der Koffer wird dann wohl auch bald kommen. Hoffentlich könnt ihr mal einen neuen für mich erstehen. / Viele herzl. Grüße an Alle und der Gütseloma vielen Dank für die Zigaretten!"
Als am 22. Juni 1941 die Sowjetunion angegriffen wird, macht man sich in B. Sorgen um mich. Ich schreibe 2 Tage später: Für Euren Brief recht herzlichen Dank. Ich bin also immer noch hier, und es besteht auch noch keine Aussicht auf ein Fortkommen. Ganz im Gegenteil beginnen wir jetzt, etwa immer 40 Mann mit unseren Maschinen für 8-10 Tage zu Ostseeküste nach Travemünde zu fliegen, um uns dort neben ein paar Stunden Flugdienst täglich zu erholen. Die ersten fliegen bereits übermorgen. / Über den Russen mache ich mir keine bes. große Sorgen. Mich hat auch die Tatsache am Sonntag nicht weiter überrascht. Ich lag im Bett, als Göbbels die Proklamation verlas, und bin schon während der Rede wieder eingeschlafen. / Zigarren bezw Zigarillos habe ich nun 60 Stück zusammen und suche jetzt nur noch eine gute Verpackung dann gehen sie ab. Der Salat kostet zusammen 5,20 M. / Für die Brotmarken auch noch herzl. Dank u. viele Grüße / Euer E
Goebbels hatte eine längere "erklärende" Proklamation verlesen: Die Russen hätten vorgehabt anzugreifen, "Daher hat der Führer entschieden... die gesamte Kulturwelt vor dem Bolschewismus zu retten und den Weg frei zu machen für den sozialen Aufstieg Europas". Deutsche und rumänische Verbände überfielen die Sowjetunion, die Finnen, jetzt im Bund mit den Deutschen, suchten im "Fortsetzungkrieg" verlorene Gebiete zurückzugewinnen. Am 24. dem Tag des Briefes rückte die Wehrmacht in Kaunas und Wilna ein. Von den 55 000 oder mehr jüdischen Einwohnern in Wilnius konnten sich ein paar tausend retten, die Mehrheit musste sich drakonischen Maßnahmen beugen, ab September in zunächst zwei Ghetto Bezirke umsiedeln. Zu Anfang der Besatzung hatten das Einsatzkommando 7a (ca 120 Mann) und seine litauischen und ukrainischen Helfer mehrere tausend Menschen erschossen. Hans Blume (1906-1974), der Leiter, Lehrerssohn aus Dortmund, wurde 1948 zum Tod verurteilt, 1951 begnadigt, 1955 entlassen. Der „Schlächter von Wilna“, der österreichische Bauernsohn Franz Murer (1912- 1994), war bis zur Auflösung im September 1943 für das Ghetto zuständig. Nur wenige entkamen den organisierten Massenmorden. Murer wurde 1948 in Wilnius zu Zwangsarbeit verurteilt, nach Österreich überstellt, dort 1963 aufsehenerregend freigesprochen, war Bauernvertreter in der ÖVP.
Am 1. Juli kann ich aus Wesendorf bei Gifhorn berichten: „Nun bin ich also doch unerwartet und schnell von Nordhausen weggekommen. Es hat ziemlich lange gedauert, bis wir dieses verlassene Nest gefunden hatten, denn wir wussten nur, dass das Dorf irgendwo in der Heide lag. In Celle haben wir es dann endlich ausgemacht und zwar liegen wir etwa 10 km weg von Gifhorn mitten in der Heide. Wir liegen in schönen Kasernen und die Verpflegung ist hier vor allem auch besser als in Nordh. Ich bin ganz froh, mal für 1 Monat, solange dauert nämlich der Lehrgang ungefähr, in eine etwas abgeschiedene Gegend zu kommen, denn in Nordh. war ja „gesellschaftlich“ ziemlich viel los. Hier werde ich wohl nochmal etwas zum lesen und vor allem auch zum schlafen kommen. / In Celle habe ich mir übrigens einen schönen und stabilen Koffer erstanden. Er kostet allerdings 20 M. Ich bin jedoch froh, dass ich überhaupt noch einen gefunden habe. Die beiden anderen Koffer werde ich dann zurückschicken. Das Päckchen mit den Zigarren habe ich noch am letzten Tag fertiggemacht und einem Kameraden zur Besorgung gegeben. Es muss also bald ankommen. Ich denke, dass es mal wieder für eine kleine Weile reicht. Einige sind mir leider bei der Sammlerei kaputtgegangen. / Dann schickt mir doch bitte noch 30 M, denn der Abschied von N. Und der Koffer haben meine Finanzen etwas ins Wanken gebracht. Außerdem brauche ich dringend Tabak für meine Piep, denn damit ist es hier schlecht bestellt, aber bitte den besten, der zu kriegen ist (Feinschnitt, kein Grümel). / Ich sitze in unserem Unterhaltungsraum. Der ist sehr gemütlich mit Radio und teilweise schönen Polstersesseln. Die Behandlung scheint hier, soviel ich auch von anderen Uffzs gehört habe, ganz anständig zu sein. Das wäre ja eine angenehme Abwechslung. / für heute nun die besten Grüße / E / In Russland geht es doch ganz nett vorwärts, nicht wahr?
Nach Wesendorf war gerade eine der 12 Blindflugschulen, ursprünglich in Celle, verlegt worden. Es geht allerdings „ganz nett vorwärts“ in Russland. Mit massivem Einsatz der Luftwaffe und im Vergleich zum Westen mit wenig Gegenwehr in der Luft. Kesselschlachten werden gewonnen, 100 000nde Gefangene gemacht. Stalin lädt den General Pawlow vor ein Kriegsgericht, er und sein Stabsoffizier werden erschossen. Minsk und Riga werden erobert. Von teilweise zähem Widerstand vor allem auch im Rücken der Truppen und blutigen „Strafmaßnahmen“, von den Mordkommandos der Einsatzgruppen habe ich mit meinem gerade mal 20 Jahren (noch) keine Ahnung.
Die Musch in ihren Ängsten um den Sohn will mich hier in der Heide besuchen bevor ich „rausgeschickt“ werde, unter dem 6. Juli versuche ich sie zu beruhigen: „Mit der Besucherei hat es, glaub ich, wenig Zweck, denn unser Horst liegt 16 km vom nächsten Bahnhof weg und nach Hannover kann ich kaum hinkommen, da wir wegen der kurzen Dauer des Lehrgangs höchstens abends mal ausgehen können, aber keinen Urlaub bekommen. Ausserdem hoffe ich nach Beendigung von hier aus nochmal Urlaub zu bekommen bevor ich zur Kampffliegerschule komme. Eingesetzt werde ich jedenfalls noch nicht, und die Kampffliegerschule dauert immerhin 4 Monate. - Das Kasinoleben ist hier ganz erträglich, das Kasino selbst ist ganz prima eingerichtet. Vor allem leide ich jetzt auch keinen Mangel mehr an Zigaretten. / Herzl. Grüße /E
Übungsflüge führen zu einer Reihe von Ansichtskarten so am 21. Juli 1941: "Ihr Lieben! / Samstag und heute abend verbringe ich in Nürnberg. Um 23 Uhr starten wir wieder nach W. Das Päckchen mit Kuchen u. auch die Wäsche sind da. Herzl. Gruß E"
Ansichtskarte Nürnberg, Albrecht Dürer Platz mit Blick auf die Burg. Rückseitig: Stadt der Reichsparteitage; Aufgenommen mit Meyer Plasmat-Optik; Echt Kupfer Tiefdruck, Nr. 522 StOJA VERLAG PAUL JANKE NÜRNBERG-A. Der Babo hat auf der Karte vermerkt, dass sie erst am 17.9. in B ankam.
Der Blindflugkurs in Wesendorf geht zu Ende. Ich schreibe schon am 26 Juli: „Leider muss ich nochmal ein Wäschepaket schicken. Damit es jedoch nicht zu schmerzlich ist, habe ich Euch etwas von meiner Sonderverpflegung beigelegt. Ich hoffe, dass ihr das zu würdigen wisst, denn daran kleben 14 Stdn Flugzeit. / Meine Prüfung habe ich hier nun auch glücklich überstanden, und in den nächsten Tagen geht es wieder weiter. Die Wäsche also erst nach Erhalt meiner neuen Anschrift abschicken. - Bin mal gespannt, wo es jetzt hingeht. Vielleicht komme ich auch zur Zerstörerschule, da bin ich dann in 8 Wochen „frontreif“. Mein Flugzeugführer, ein Leutnant, ist ein patenter Kerl und hat vor Allem fliegerisch auch was los. Hoffentlich bleibe ich mit ihm zusammen. / Herzl. Grüße E"
Drei Tage später schicke ich die Wäsche. Ich komme wie vermutet mit meinem Flugzeugführer zwar nicht nach München-Neuherberg wohl aber nach Memmingen im Allgäu zur Zerstörerschule. „Mit Urlaub ist nichts zu machen“. Auf der Durchreise verbringen wir den Tag in Hannover, reisen abends weiter, Ich schicke eine Ansichtskarte vom Großen Garten in Herrenhausen. Die Weiterfahrt war eine ziemliche Tortur: "Wir haben 10 Stunden nur gestanden." Ich bin von der neuen Schule nicht begeistert, schreibe am 8. August 1941 einen ausführlicheren Bericht:
„Liebe Musch! / Für Deinen l. Brief herzlichen Dank. Er kam heute als erste Post. Der Babo ist also nun im Ländle und Du hast den ganzen Betrieb alleine. Wird Dir das auch nicht zu viel? Die vielen Rangen machen doch sicher nicht wenig Arbeit. Das Bild von dem Struthöfer Kindergarten ist ja zu nett. / Ich habe mich hier nun auch so langsam wieder eingelebt, nachdem ich noch verschiedene Male umgezogen bin, und zwar bin ich nun endgültig be der 2.Staffel gelandet. Dahin schickt auch bitte meine Post. Wir werden mal wieder ziemlich scharf angefasst, wie jüngste Rekruten mit Exerzieren, Revierreinigen, Stuben- und Spindappel usw. Doch wir gehen mit Humor darüber hinweg, denn auch das geht ja mal vorbei. Der Lehrgang ist leider auch wieder auf 3-4 Monate verlängert worden, und außerdem ist es noch garnicht sicher, ob ich meiner Augen wegen überhaupt Zerstörer werden kann. An sich ist es die schönste fliegerische Waffe, die man sich denken kann, denn der Zerstörer wird als Jäger, Bomber, Stuka eingesetzt, als eine ganz universale Waffe. / Nun noch was „Geschäftliches“. Kannst Du vielleicht eine Tischdecke entbehren und zwar für einen Tisch von der Größe meines ehem. Schreibtischs? Wir wollen uns unsere Bude nämlich für die 4 Monate ein wenig freundlich einrichten. Ein anderer Kamerad lässt sich auch noch eine schicken, damit wir wechseln können. - Dann kannst Du mir vielleicht noch mal eine Tube Vitam besorgen? - Nicht, weil wir zu wenig zu essen bekommen, sondern weil man das Zeug überall so als schönen Beigeschmack verwenden kann. Zigaretten sind hier auch wieder sehr begehrt, denn man bekommt fast gar keine zu kaufen. Vielleicht könnt Ihr auch noch mal ein Päckchen Feinschnitttabak auftreiben, damit ich wieder meine Piep rauchen kann. Seht mal zu, was sich machen lässt. Schick mir doch bitte auch noch den Rest Rasierseife, der in meiner Schublade liegt. / So, ich glaube der Wunschzettel für heute ist fertig. Übrigens habe ich heute ein Päckchen in Blaupapier abgeschickt. Leg es bitte zu meinen Sachen. Für Euch ist nichts drin. Für den Babo habe ich auch noch 2 Kisten Zigarren… / So liebe Musch, nun will ich bald ins Bett steigen. Grüss mir die ganze Kinderschar samt Alten und besondersden Köbes (Jakob S.) , der Dir so fleißig hilft. / Viele liebe Grüße / Dein Pitter. / Über Deine Fahrt ins Ländle freue ich mich ganz besonders. Da kannst Du nochmal etwas ausspannen. / Leider sind meine guten Lederhandschuhe in die Binsen gegangen. Ob es noch welche gibt? Kannst Dich ja mal erkundigen. - Die 30 M müssen wohl auch jetzt da sein??
In B waren mit Löles' beiden Kindern vorübergehend 3 Kinder aus Wilhelmshaven versammelt, U mit ihrer Freundin K, zwei 4-5 jährige Mädchen und der 11 jährige Jakob. Wilhemshaven war seit Kriegsbeginn ständig von britischen Flugzeugen bedroht. Bis zu den schweren amerikanischen Bombardements 1943 tagsüber, war vorallem der ständige nächtliche Fliegeralarm belastend. Die Eltern hatten vor Jahren im Haus gewohnt, waren Freunde geworden und hatten jetzt ihre Kinder ins derzeit ruhige B geschickt. Den Köbes wie ich ihn, kölsch witzelnd nannte, hatte ich, als die Eltern mit ihm noch im Haus wohnten, als Kleinkind erlebt. - Der Babo, zur Zeit auch bei Freunden in Ulm, wollte mich besuchen, "aber es hat wirklich wenig Zweck und nach dem Lehrgang bekomme ich auch bestimmt Urlaub. Für Vater hätte ich dann doch wenig Zeit. /Mit der nächsten Wäsche kommt auch nochml eine kleine Überraschung für Dein schwaches Herz."
Kaffe für die Mutter und für den Vater zum Geburtstag im September eine halbe Ration Vitam R - die andere Hälfte für uns. Von zu Hause kamen Wäsche, Handschuhe, Äpfel und eine Tischdecke. Ich frage nach Handtüchern: "Mein einziges, was ich noch hier habe, sieht schon stark nach Tarnfarbe aus". Der Babo ließ sich partout nicht abhalten, wo er nun schon mal in der Nähe war.
Ich schreibe am 20. August 1941. einem Mittwoch: "der Sonntag mit Vater zusammen war sehr nett und gemütlich. Er wird Dir ja dann sicher ausführlich berichten. Die Zigarren habe ich ihm schon verabreicht. So konnte ich Doch wenigstens auch seine Freude sehen. 1 Kiste hat er gleich mitgenommen. Die andere schicke ich Ende dieser Woche mit der Wäsche. Für Dich wird auch noch eine Kleinigkeit mitkommen. / Heute bin ich mal wieder umgezogen und zwar liege ich jetzt mit einem Feldwebel zusammen auf einer Bude. Zu Zweien ist es sehr nett und gemütlich und Deine schöne Tischdecke macht die Stube erst richtig wohnlich. Nur mein Radiöchen vermisse ich jetzt schon ganz gewaltig. So 2 Monate ohne Radio bringen einen doch ganz hintern Mond. Die Musik zum Einschlafen fehlt auch sehr. Würdet Ihr mir vielleicht das Radiöchen mal wieder für eine Zeit lang abtreten? Oder bedeutet es für Euch einen zu großen Verlust, bes. für Dich, l. Musch, wenn Du Sonntags Dein Schatzkästlein oder abends Deine Nachrichten nicht hören kannst? Man müsste das Ding natürlich in einer großen Schachtel mit viel Holzwolle verpacken und außen eine entsprechende Aufschrift draufmachen, „ Vorsicht Radioapparat“ und außerdem den ganzen Kram versichern. Aber überleg es Dir gut, liebe Musch, ob Du auch ohne auskommen kannst. / Vom Nö kam übrigens auch ein Päckchen mit einem prima Kuchen, den sie mir, wie sie schrieb, in Deinem Auftrag geschickt hat. Der Kuchen hat wunderbar geschmeckt, auch der von Tante Lies, für den ich mich auch schon bedankt habe. Nö'chen schrieb, dass sie jetz nach Wilden zur Erntehilfe fahren wollte. Da wird sie doch sicher mal in B. vorbeikommen. / L schrieb mir heute von der Fallschirmjägerjagd in B. Das war doch sicher wieder ein Sensatiönchen für unser Negerdorf. Der Luftschutz musste doch sicher auch mitsuchen. Schade, dass unser Untergruppenführer nicht dabei war. Der wäre doch sicher mathematisch mit Rechenschieber, Winkelmesser und Zirkel vorgegangen. / Wann willst Du denn nun eigentlich auf Reisen gehen, l. Musch? Ich freue mich ja so, das Du mal wieder etwas „an die frische Luft“ kommst. / Nun aber gute Nacht u. viele Grüße an das ganze Haus / Dein Pitter
Das Schatzkästlein war eine Kammermusiksendung im Deutschlandsender Berlin für die der Bratschist, Komponist und geschätzte Lehrer vieler Musiker, Emil Seiler (1906-1998) verantwortlich zeichnete.
( www.bertoldhummel.de/werkbeschreibungen/biographien/seiler.html). Freund HIndemiths und neuer wie alter Musik, war ihm im NS die öffentliche Aufführung neuer Musik untersagt. - Der Babo war ja zum Luftschutzwart ernannt worden, daher die Anspielung auf "unseren Untergruppenführer". Er ist inzwischen in seiner Geburtsstadt Calw im Elternhaus bei der Familie seiner Schwester, und seine Frau trifft sich dort mit ihm:
"Da sollt ihr aber nun auch einen guten Söhnchenkaffee spendiert bekommen. Lasst ihn euch gut schmecken und denkt dabei an Euren Pitter - werde wohl nicht mehr allzu lange hier bleiben, sondern demnächst zu den Nachtjägern übersiedeln, Wohin ist ungewiss".
Diese Vorstellung habe ich am 29. August. Am 10. September schreibe ich nur kurz dem Vater zum Geburtstag: "es gibt auch nicht viel zu erzählen. Du hast ja Alles selbst beaugapfelt. - In der nächsten Woche kommt auch wieder eine Ladung Keks und Bohnenkaffee. Das Radiöchen ist schon feste in Betrieb und spielt wunderbar. Mein Fahrrad kannst Du auch ruhig schicken. Wir bleiben nämlich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit noch bis Weihnachten hier, Wenn Du irgendwelche Auslage gehabt hast am Rad und auch am Radiöchen, dann schreibe es mir bitte, denn Du sollst natürlich keine Unkosten dadurch haben. Herzliche Grüße an das ganze Haus. Dein Bua" (Bub)
Ein großer runder Stempel auf der Felpostkarte informiert: Zerstörerschule 2, 2. Staffel. - Das Radio, einen kleinen Superhet-Empfänger im hell lakierten Holzgehäuse, hatte ich mir seinzeit in Frankreich zugelegt.. Unter dem 23. Oktober 1941 bitte ich mir meine Schreibfaulheit nicht übel zu nehmen: „aber ich konnte mich einfach nicht dazu aufrappeln einen Brief zu schreiben. Es hat sich natürlich in der Zeit ein ganz nettes Häufchen Post angesammelt, und ich will heute versuchen, alles zu beantworten. / Für die 50 Eier herzlichen Dank. Ich war nämlich Freitag auf Samstag in München und bei solchen Gelegenheiten geht natürlich einiges Pulver drauf. Außerdem hatte ich vorher einem Kameraden, der in Urlaub fuhr, 50 M gepumpt. Von München kam ich also völlig blank zurück und erfuhr, dass es am nächsten Tag schon wieder nach München gehen sollte. Pumpweise konnte ich nirgends Geld auftreiben, und so habe ich dann eben kurz angerufen. - Denkt doch übrigens bitte daran, dass Sch‘s das Geld für das Gespräch zurückkriegen, es macht etwa 2,80 M . Zum 1.11. werde ich Euch das Geld wieder überweisen. / Hier geht sonst Alles seinen alten Gang. Heute Nacht fiel der erste Schnee, natürlich noch Matsch.Seit 20 Tagen haben wir keine Sonderverpflegung mehr bekommen. Wir bekommen natürlich Alles nachgeliefert und dann bekommt Ihr auch wieder Euer Päckle. / Der Musch übrigens auch noch tausend Dank für Ihre lieben Briefe, und nun will ich Schluss machen, denn es warten noch etliche Briefe auf Abfertigung. / Viele Grüße an das ganze Haus / Euer / E / Schickt mir doch bitte mal meine Mappe mit den Ausarbeitungen, aber nicht in dem dicken Leitz-Ordner. Nehmt sie dórt raus und steckt sie in einen Aktendeckel“
Die Ausarbeitungen sind am 31. Oktober schon da: „Lieber Babo! / Vielen Dank für die Sendung mit meinen Ausarbeitungen und Deinem l. Brief. / Dass ich Dir Deine Auslagen wieder zurückerstatte ist natürlich klar. Behalte dann bitte von meinem Konto 30 M. Ich werde sowieso bei Gelegenheit mal wieder etwas drauf überweisen lassen. Die 55 M werden ja nun mittlerweile auch angekommen sein, ich hatte jedenfalls meiner Bank den Auftrag zur Überweisung gegeben. / Von den Bildern habe ich leider keins mehr da, es sind aber schon 10 Stück nachbestellt, damit ich die ganze Verwandtschaft beglücken kann. Es scheint Euch ja gefallen zu haben. Meine Kameraden behaupten zwar, ich hätte richtige „Schlafzimmeraugen“ auf dem Bild. / Das K Elf da war, hatte ich schon von L (ihr Elternhaus war das Nachbarhaus von Elfs) erfahren, mit der ich mich telephonisch nochmal ausgiebig unterhalten habe. Über ihren Anruf hatte ich mich mächtig gefreut. Es ist doch mal was Anderes, als die Briefschreiberei. / Nächsten Donnerstag werde ich übrigens nach 21Uhr mal wieder anrufen. Vielleicht könnt Ihr Euch dann mal bei Sch's einfinden. L wird Euch sicher mal schnell vom Postamt aus verbinden. / Eigentlich sollte ich morgen für einige Tage nach Wien fliegen, es scheint aber nun doch nichts draus zu werden. - Schade! Mit Zigarren ist hier leider auch garnichts zu machen, lieber Babo, sonst hätte ich Dir längst schon mal welche geschickt. Ich will mal probieren, ob ich von Wesendorf noch welche ergattern kann. / So, nun muss ich mal wieder meinen Pflichten als Wachhabender nachkommen. / Herzl. Gruß an Alle / E
Ich flog dann doch am 1. November 1941 nach Wien, schickte am 3. eine Ansichtskarte: „Wien I Rathaus“. Stempel „Messestadt Wien“ und „Hilf mit im Deutschen Roten Kreuz. Ich flog am 11., einem Sonntag zurück. 2 Tage später schicke ich eine Ansichtskarte aus Stuttgart, ein Foto vom Hauptbahnhof. Auf der Rückseite: Gebrüder Greiner, Großgaststätten Hindenburgbau-Bunte Bühne Wilhelmsbau, Fernruf 24240, blaue 6 Pf Hitlermarke. Stempel „Stadt der Auslandsdeutschen“ und „Hilf mit im DRK“. Text: “Augenblicklich schmeckt uns das Dinkelacker-Bier“.
In Stuttgart gab es seit 1917 das DAI, das Deutsche Auslandsinstitut, überwiegend finanziert vom (Reichs-) Innenministerium als Dokumentationszentrum und Kontaktstelle für Deutsche im Ausland. 1933 wurden der Gründer, der vielseitige Unternehmer und Förderer von Vereinen und Institutionen Theodor Wanner (1875-1955), auch Vorsitzender des Süddeutschen Rundfunks, und der von ihm berufene Direktor des DAI, Fritz Wertheimer (1884-1968), langjähriger Redakteur und Kriegsberichterstatter der Frankfurter Zeitung, DDP-Mitglied, aller Ämter enthoben. Das DAI wurde "gleichgeschaltet", Präsident wurde der neue NS-Oberbürgermeister Karl Strölin (1890-1963), der 1935 in Berlin den offiziellen Titel "Stadt der Aulandsdeutschen" einholte.
Am 17 bin ich wieder in Memmingen und habe viel zu berichten:Gestern Abend bin ich von Stuttgart zurückgekommen. Ich musste dort an einer Tagung für Arbeitsgemeinschaftsleiter teilnehmen. Es sollen nämlich jetzt für längerdienende Uffz. Vorbereitungsstunden für den späteren Besuch der Luftwaffenfachschulen eingerichtet werden und bei dieser Tagung wurden die versch. Gesichtspunkte besprochen, nach denen diese Stunden aufgezogen werden sollen. Es handelt sich dabei um Deutsch, Rechnen, Erdk. Geschichte und Nationalpolitik. - Am Schluss der Tagung haben wir noch das Auslandsinstitut besichtigt unter der Leitung des Direktors. / Gewohnt habe ich bei K's in Degerloch und habe auch dort zu Mittag gegessen. Tante H hat sich sehr gefreut, dass Sie mich mal wieder sehen konnte. / Nun noch eine andere, nicht zu übersehende und nicht zu unterschätzende Tatsache, dass ich am 1. 12. zum Feldwebel befördert werde. Dazu brauche ich leider mal wieder einen Haufen Geld, denn da ich seit 14 Tagen wieder im Kasino bin, wird die Beförderungsfeier nicht ganz billig werden. Außerdem muss ich mir einen Offz. Dolch und eine neue Mütze kaufen und noch 50 M Schulden berappen. Und zwar brauche ich 200 M. Davon lasse ich sofort am 1.12. wieder 100 M nach B. überweisen. 50 M etwa sind ja noch auf meinem Konto und den Rest bekommt Ihr dann zum 1. Jan. wieder zurück. / Schickt mir das Geld bitte möglichst bald, etwa bis zum 26. oder 28. 11. / Ich hoffe, dass ich dann im neuen Jahr mit meinen Finanzen wieder etwas auf einen grünen Zweig komme. / Ob es mit dem Weihnachtsurlaub klappt? Ich weiß es jedenfalls nicht, hoffe aber immer. Nun erholt Euch langsam wieder und seit herzl gegrüßt von / Eurem E“
Mit meinen 20 Jahren – noch minderjährig für einen Monat – bin ich Feldwebel der Luftwaffe mit allen Insignien und kann für ein paar Tage zu Besuch nach Hause fahren. Zurück im Dienst am 9. Dezember 1941, schicke ich eine Postkarte, das Foto eines 2 motorigen Flugzeugs am Himmel : „Unsere Luftwaffe, Zerstörer Typ Messerschmidt“, „Pressephoto B. Mischke Oberhof /Thür.“ Zur Veröffentlichung durch RLM freigegeben. Stempel Zerstörerschule 2 (2): „Ich habe in K(öln)., im Hotel übernachtet und mich beim Fliegeralarm auf die andere Seite gelegt. Es war auch nichts los. 7H13 bin ich dann nach Ulm gefahren und war um 19h00 im Horst. Morgen fliege ich für einige Tage nach Brüssel z. Weihnachtseinkäufen. In Eile mit herzl. Gruß E.
Inzwischen hat sich die Kriegslage ziemlich entscheidend verändert: Am 7. Dezember haben die Japaner Pearl Habor bombardiert und damit den Weg zu den Rostoffen Südostasiens vorläufig frei. Umgehend erklären die Amerikaner den Kriegseintritt. Im Osten wird der Monat Dezember 1941 ein Desaster für die Hitler-Truppen. Sie müssen sich aus Tikhwin 200 km östlich von Leningrad zurückziehen, die geplante Vereinigung mit der finnischen Front mißlingt. Vor Moskau kann eine sowjetische Offensive die Deutschen 250 km weit westlich zurückdrängen. Im Süden wird Rostow zurückerobert. Wenn allerdings jemand gehofft hatte, damit seien die Deutschen und ihre Verbündeten zum Einlenken bereit, wurde er enttäuscht. Der wütende Führer entließ seine Generäle und gab einen Durchhaltebefehl für die ganze Ostfront.
Am Sonntag, dem 14, Dezember 1941 schreibe ich aus Brüssel: „Seit Freitag bin ich nun hier in Brüssel. Vorläufig ist die Dauer unseres Aufenthalts noch nicht abzusehen. Am Donnerstag bin ich noch Neuburg geflogen und sollte von dort mit einer Maschine nach Brüssel fliegen. Ich habe aber dort so gut geschlafen, dass die Kiste ohne mich abgebraust ist. Deshalb bin ich dann schnell per D-Zug nachgefahren. Wir sind hier sehr gut untergebracht in einem der besten Hotels (Metropole) Zu kaufen ist noch alles, allerdings zu unverschämten Preisen. 1 Schlafanzug (Seide) habe ich mir erstanden für 35 M. Da braucht Ihr also keine Punkte mehr für mich zu sammeln. 2 Paar schöne Socken habe ich mir auch noch erstanden und 2 Paar prima links gewebte Damenstrümpfe fürs Hilleschen zu Weihnachten. Jetzt will ich noch versuchen, den W-Papa zu erreichen. Leider habe ich garkeine Anschrift von ihm. Ich muss eben mal sämtliche Kabelwerke abklappern und nach ihm forschen. Wenn ich genug Geld hätte, würde ich 1 Kilo Kaffee besorgen (50 M) Aber ich weiß so schon nicht, wie ich mit den Moneten auskommen soll. Ok, bei Papa noch 180 M Schulden!!! / Das wäre so das Neuste in Kürze / Herzl. Grüße an das ganze Haus.
Der W-Papa war Hilles‘ Schwiegervater, Industrievertreter für Kabelwerke in Belgien. Als Weltkriegsoffizier und in kriegswichtigem Betrieb mit Sitz im Ausland konnte er, der „Halbjude“ der Verfolgung entgehen. Ich schreibe hier in den Tagen von Pearl Harbour und deutscher und italienischer Kriegserklärung an die USA (11.12.). Ich weiß, dass vor Moskau sowjetische Verbände mit Wintereinbruch zur Gegenoffensive übergegangen sind und nordwestlich der Haupstadt Kalinin/Tver zurückerobert haben, dass die deutschen Truppen leiden. Von alldem kein Wort, eben nur „das Neueste in Kürze“ auf gelben Briefbögen mit dem Kopf des Brüsseler Metropol. Und fünf Tage später:
„Seit gestern Mittag bin ich nun glücklich wieder in Brüssel. Wir hatten meinen Flugzeugführer mit der Maschine nach Mannheim gebracht, weil er in Memmingen die Weihnachtsfeier organisieren musste. Die Feier ist gestern gestiegen. Am Mittwoch sind wir wieder von Mannheim weg nach Aachen geflogen, wo ich gestern morgen schnell noch mit den beiden W-Frauen Kaffee getrunken habe. Bei Onkel E war ich auch am Montag. Er hatte mir noch ein Päckchen mit Butter für Tante H mitgegeben. Wir treffen uns auch morgen wieder und werden zusammen Mittagessen. Hoffentlich klappt es, dass wir bis zum 24. wieder in Deutschland sind. Zu tun haben wir gar nichts, außer Geldausgeben, wir müssen hier nur warten. Mein Kutscher wird morgen wohl wieder hier eintreffen und neue „Reserven“ mitbringen.
"Onkel E" war ein Verwandter von Musch, ein Ingenieur, der sich in Sachen Produktion belgischer Firmen für die Besatzer in Brüssel aufhielt.
Drei Tage vor Weihnachten, einem Montag bin ich noch immer in Brüssel, denke am Heiligen Abend wieder nach Memmingen zu fliegen, erhalte die Nachricht, dass ich am 1. Januar zu einem Frontverband komme und schreibe dass ich "hoffe dass die Ausbildung da nur einen Monat dauert"...„Dann kanns losgehen!“ Schickt mir doch bitte noch schnell das blaue Päckchen aus meiner Schublade nach M.- Schade, dass ich nicht einen Sack voll Geld hier habe. Ich könnte Euch so viel mitbringen. Aber man muss ja alles zum Vielfachen des Friedenspreises bezahlen. / Hoffentlich verlebt Ihr nun ein ruhiges und nettes Weihnachtsfest, durchklungen von dem Gejubel der Kleinen.
Erst am 30. Dezember einem Dienstag, bin ich wieder in Memmingen und schreibe an diesem Sylvestertag: "Am Montagabend war ich noch ein paar Stunden bei B's in Heidelberg. Sie haben sich sehr gefreut. Ich war nur sehr erschrocken, als ich A wiedersah. Er ist furchtbar gealtert und ein richtiges Nervenbündel. E ist unverändert. Ich habe ihnen von uns allen berichtet. Von Hilles hatten sie gerade einen langen Brief erhalten / Mit meinem Wegkommen hier ist es noch nicht so eilig. Bis zum 15. 1. werden wir jedoch sicher weg sein. / Den Koffer aus Brüssel hab ich schon wieder für den gleichen Preis verkauft. Nun muss ich nur mal sehen, wie ich die Sachen nach B. bekomme. Dazu brauche ich natürlich einen guten Karton. / Es ist möglich, dass wir nochmal nach Brüssel fahren. Allerdings hat mein Kutscher sehr wenig Lust dazu. / Hier lag natürlich ein ganz netter Haufen Post für mich und so habe ich bestimmt 8 Tage Arbeit, um alles zu beantworten. / Schluss für heute. Hoffentlich rutscht Ihr gut ins Neue Jahr ohne Fliegeralarm. / Herzl. Gruß / E/ ps Meine Weihnachtspäckchen hab ich natürlich auch ausgepackt. Das Büchlein vom Eselchen(s. Weihnachten 1940) ist doch immer eine liebe Erinnerung".
Es ist das dritte Weihnachten, dass der junge Mann nicht in B. verbringt. Wie schon nicht zur Kriegslage, kommen jetzt auch kaum Gedanken an zu Hause zum Ausdruck. Ersteres versteht sich als explizite Vorschrift, letzteres, wenn nicht als Vorsicht, dann vielleicht eher als Ausdruck einer einstweiligen Verdrängung der Familiensphäre in meiner gegenwärtigen Gemütslage und Inanspruchnahme unter und mit den "Kameraden".
Am Dreikönigstag nur ein kurze Mitteilung : "Heute wieder in Brüssel gelandet. Versetzung steigt wahrscheinlich nächste Woche." Das "Medium" ist diesmal eine Ansichtskarte: "Soirée de Gala". Ein schnauzbärtiger Hund steht auf den Hinterbeinen, dicke Zigarre in der linken Vorderpfote. An seiner Seite, den Kopf von ihm abgewandt ein kleineres, spitzschnäuziges Hundetier im roten, Pelzbesetzen, vorne offenen, hinten mit langer Schleppe versehenem quasi Königinnenmantel. Im Hintergrund ein Treppenaufgang, zwei Säulen, über dem Portal in großen Lettern "Opera". Blaue Nacht, eine gelbe Laternenkugel. Signiert a. Rochlenco.
Abraham Natanowitsch Rochlenko (1904-1966) war Zeichner und Illustrator, kam aus Sosniza/Tschernigow. Er emigrierte 1929 nach Deutschland, wurde 1933 inhaftiert und misshandelt. Er konnte mit Familie nach Paris fliehen und ging, als er dort keine Arbeit fand 1935 nach Brüssel. Arbeitete im Kreis des belgischen Malers Marcel Hastir (1906-2011). Während der Besatzung bot der Kreis in "Zeichenkursen" jungen Widerständlern und Verfolgten Schutz und Deckung.
Am Donnertag den 16. Januar 1942 schreibe ich aus Lagerlechfeld bei Augsburg: "Vorigen Samstag sind wir von Brüssel nach Krefeld geflogen und lagen dort wegen Schlechtwetter fest. Mein Kutscher hatte dort Bekannte, wo wir sehr nett gewohnt haben. Montag abend wurde ich dann telefonisch von Memmingen zurückgerufen und bin dann also am Dienstagnachmittag von Krefeld weggefahren und war am Mittwochmittag in Memmingen. Dort gab es natürlich dann eine tolle Hetze, denn Donnerstag um 10 Uhr ging mein Zug. Es hat aber alles geklappt. Auch den Koffer mit Packmaterial konnte ich noch abholen. Den Radioapparat habe ich mitgenommen, weil die Geschäfte in M alle kein Packmaterial hatten. Was ich nicht mitnehmen konnte, habe ich alles im Koffer per Express nach B. geschickt mit den Sachen aus Brüssel. Mein Fahrrad ist noch in Memmingen. Ich werde deswegen in M noch anrufen, dass es auf die Bahn verfrachtet wird. Ich selbst muss auch nochmal nach M zurück, vielleicht morgen schon. Für die telegraphische Anweisung noch herzl. Dank. Gut, dass es noch geklappt hat. Die Kiste mit der Pistole ist dummerweise zurückgegangen weil der Postonkel glaubte, ich würde nicht mehr nach M. zurückkommen. Schickt sie dann bitte gleich hierher. ( Achten auf Feldpostgewicht. Wenn zu schwer, dann einzelne Teile getrennt schicken oder per Express Bahnlagernd nach „Lagerlechfeld b. Augsburg“ schicken. Doch ich glaube, wenn ihr die Pist. als Einschreibepäckchen in einer Pappschachtel schickt, ist sie nicht zu schwer, oder geht Feldpost als Einschreiben nicht? Sonst muss ich Euch einfach eine Privatanschrift geben. Am besten wird aber Express bahnlagernd sein. / Der Fliegerhorst ist sehr schön. Heute liegen wir allerdings noch in Baracken, doch wird das morgen geändert. Gleich neben unserer Unterkunft ist ein wunderbares Hallenschwimmbad, welches ich heute schon ausprobiert habe. Die Verpflegung ist allgemein besser als in M., wenn auch die Sonderverpflegung wie Schoko usw. wegfällt. Also mit Böhnchen ist es nun aus, l. Musch. / Unsere Arbeit hier ist sehr interessant und wir müssen viel lernen und probieren. Wir hoffen im Februar zum Osten zu kommen. Jedenfalls wird hier ordentlich Dampf hinter den Laden gemacht. Schreiben kann ich natürlich nichts über unsere Arbeit hier / Schickt mir doch bitte gelegentlich das Buch von Hilles und das von Ws. Ich habe beide noch gar nicht gelesen. Meine Badehose ist auch erwünscht. / 2 Tuben Zahnpaste sind für Sch's. Herr Sch hatte mir nämlich das Geld dafür schon gegeben. Rauchwaren sind auch wieder dringend nötig. Tabak oder Zigaretten, denn hier ist rein garnichts zu haben. Viele herzl. Grüße / E
Im Flughafen Lechfeld war der Stab und das in West und Ost 1940/41 vielfach eingesetzte "Schnellkampfgeschwader 210" stationiert, aus dem Anfang 1942 die ersten beiden Gruppen des Zerstörergechwader 1 hervorgingen, eine dritte Gruppe wurde neu aufgestellt. Die erste Gruppe kommandierte Wolfgang Schenk (1913- ), der 1944 der Kommandeur der ersten (kaum operativen) Düsenbomberstaffel werden sollte. Außerdem hatten Ergänzungsverbände für Kampfgeschwader 54 und 40 ihren Horst in Lechfeld.
Nach meinem 21. Geburtstag schreibe ich am 25. Januar 1942: "Herzlichen Dank für Eure Geburtstagsbriefe. Sie kamen zwar mit etwas Verspätung an, aber das macht ja nichts und Ihr konntet ja auch nicht früher schreiben. Ich habe mich an meinem Geburtstag mit einer kleinen Mandelentzündung ins Revier gelegt, bin aber gestern schon wieder entlassen worden. / Wir sind nun auch endlich aus den Baracken in Steinhäuser umgezogen. Jetzt liegen wir zu 4 Mann sehr gemütlich auf 1 Stube, sogar mit fl. Wasser, sodass wir uns morgens immer in der Stube waschen können. / Durch das anhaltende nebelige Wetter sind wir mit der Fliegerei etwas zurückgekommen. Daher wird sich auch alles weitere ziemlich verschieben. Wir drücken uns also vor der Front, so gut wir können- Ha Ha!! Typischer Fall von „Denkste“. Doch was nicht geht, geht nicht. / Ich habe garnicht daran gedacht, dass Ihr mir die beiden Bücher ja garnicht schicken könnt, weil sie für ein Fp-Päckchen ja viel zu schwer sind. / Ist die Pistole immer noch nicht zurück? Ob das mit der Schickerei bahnlagernd geht (Schreibt es mir doch bitte schnell. Andernfalls muss ich eine Privatanschrift ausfindig machen. Auf ev. Urlaubsaussichten möchte ich mich nämlich nicht verlassen. / Scheinbar geht die Post teilweise mit großer Verzögerung. Nur von Euch habe ich bis jetzt welche bekommen. Scheinbar habt Ihr da meinen Brief auch noch nicht gehabt. / Ich bin sehr froh, dass wir nun mal wieder in einer abgelegenen Gegend liegen. Das ist die reinste Sparbüchse und ich habe also Aussichten, mal gelegentlich wieder von meinen Schulden runter zu kommen. Den Babo muss ich allerdings bis zuletzt warten lassen, denn ich muss noch einige Zeit knabbern, bis hier wieder alles klar ist. Hoffentlich das letzte Mal, dass ich mich so tief reinsetzte. / Übrigens, von den Sachen die Ihr dem Hilleschen geschickt habt, lasst doch bitte 5 M auf mein Konto gehen, weil ich Ihr doch zu Weihnachten garnichts schicken konnte. / Zum Hauskonzert wünsche ich Euch eine schöne erbauliche Stunde und einen durchschlagenden Erfolg. Nochmals recht herzl. Dank für Eure lieben Geburtstagsgrüße / In alter Frische/ Euer E."
1942 lud die Familie in B. zweimal zu Kammermusikabenden ein, wenn befreundete Berufsmusiker gerade in der Gegend gastierten. Der Berliner Geiger insbesondere galt in B. als "Orakel" in Sachen Politik und Kriegslage. - Zu meinem Geburtstag waren in B. im Keller eingelagerte Äpfel aus dem Garten gekommen, Kleidermarken und Zigaretten. In Lechfeld gibt der schneereiche Winter Stofff und Muße zu längeren Briefen:
"Draußen türmt sich der Schnee höher und höher. Auf den kleinsten Zweigen liegt eine dicke Flockendecke. Es ist wunderbar anzusehen, aber wir sehen die Dinge nun mal anders und haben eine Sauwut. Der Schnee, der immerhin seine 70-80 cm hat, hindert uns natürlich am fliegen, aber da unbedingt geflogen werden muss (unser Chef behauptet jetzt sogar, es sei kriegsentscheidend) so versuchen wir es eben mit allen Mitteln. Bisher ging es noch mit trampeln, aber jetzt hilft das nix mehr und so wird eben der Schnee weggefahren. Wieviel Kubikmeter man da wegbewegen muss, um eine freie Bahn von 400x1000 m zu bekommen, das kann der Babo ja schnell ausrechnen. Gefangene Russen, Bauern, Pferde, Schlitten, Kraftwagen und etliche 100 Mann von uns wirken auf dem Rollfeld rum. Wenn man denkt, man könnte vielleicht in 14 Tagen mit der Arbeit fertig sein, dann schneit es nachts wieder so dick, dass man am nächsten Tag wieder von vorne anfangen kann. - Jedenfalls ist für Beschäftigung gesorgt, denn was sollten wir auch sonst anfangen mit der Zeit. Urlaub kommt ja nicht in Frage. / Mit der Fresserei haut es auch nicht mehr so hin wie früher. Seit 10 Tagen bekommen wir keine Startverpflegung mehr (Ei, Butter, Milch) sondern nur noch normale Verpflegung. Aber wir werden trotzdem satt, wie andere auch. Ab und zu schiebt man eben mal ein Stück „Karo einfach“ (Komissbrot trocken) in den Hals. Ich habe mir immer „Vitam“ raufgeschmiert, aber jetzt ist es auch alle. Bratkartoffeln ohne Fett kommen auch sehr in Mode. Wir waren doch von Memmingen her sehr verwöhnt mit der Verpflegung und man muss sich jetzt umstellen. Dabei bekommen wir aber jetzt immer noch bedeutend mehr als die Zivilbevölkerung. Kommt bitte bloß nicht auf die Idee, mir was zu schicken. Allerdings mein Geburtstagspäckchen darf noch ankommen und zwar könnt Ihr mir jetzt Päckchen u. Pakete an folgende Anschrift senden: Lagerlechfeld b. Augsburg Offiziersheim. / Meine Wäsche habe ich nun endlich auch mal abgeschickt. Es wird höchste Zeit, dass ich nochmal frische Klamotten bekomme. Schickt das Paket auch bitte wieder als „dringend“ zurück. Sonst fliegt es 8 Tage auf der Bahn rum. / Das Dez.- Heft des XX Jahrh. habe ich leider nicht mehr. Nun wünsche ich Euch, dass ihr bald das Häuschen wieder warm kriegt, und die Omi Ihren Podex nicht mehr auf die Heizung zu legen braucht um warm zu werden / Euer E
Das schrieb ich am 5. Februar 1942. Erst am 22. lasse ich wieder von mir hören: "Wenig Zeit. Muss packen. Werden verlegt. Wäsche leider noch nichtda. Hab nichts mehr zum anziehen. Schlecht!!!". Am 25. verabschiede ich mich am Telefon: "dahin, wo es keinen Schnee gibt". Unter dem 1. März schreibe ich wieder. Das Wäschepaket ist doch noch angekommen. Ich unterstreiche verstreut Buchstaben, die zusammengesetzt "TOURS" ergeben:
"Rund 2 Tage und 3 Nächte haben wir auf der Bahn gelegen. Seit gestern Morgen sitzen wir nun wieder wie vor 1 ½ Jahren in einem der vielen französischen Châteauchen und stochen eifrig die offenen Kamine mit dicken Buchenklötzen – Ja, es ist mal wieder sehr gemütlich. Leider sind auch hier die Zigaretten sehr knapp. Aber die Verpflegung scheint gut zu sein. In den nächsten Wochen wird uns die Fliegerrei ziemlich in Anspruch nehmen, denn der Schnee hat uns sehr in der Ausbildung zurückgeworfen und das muss nachgeholt werden. Hier wird es jetzt sicher sehr schnell warm werden, und dann wird es wohl auch in Russland wieder vorwärts gehen. / Habt Ihr meinen Koffer schon bekommen? Viel war ja nicht drinnen. Mein Radiöchen hat die Reise auch gut überstanden und macht schon lustig Musik. Jetzt will ich gleich noch eine richtige Antenne ziehen". (403)
Vom Aerodrom Tours-St. Symphorien aus hatten deutsche Bomber 1940 Ziele in England angegriffen. Eine Verbandsführerschule für Kampffliegerausbildung wurde im Juli 1941 hier eingerichtet.
Bis zum Ende der intensiven Fliegerei in Tours um den 10 April kommen nur kurze Nachrichten nach B.; "Ich habe eben meiner Bank geschrieben, dass sie an Euch 70 RM überweist. Schickt mir doch bitte das Geld im Brief, wenn möglich in Kreditscheinen, die Ihr vielleicht von E R bekommen könnt. Sonst schickt es in Deutschen Geld. Es git noch allerlei zu kaufen hier und vor Allem noch Fresserei ohne Marken. Da schaufel ich natürlich soviel als möglich in meinen langen Magen, denn Hunger hab ich dauernd."... " Ihr scheint nun in der Ansicht zu leben, dass ich schon im Einsatz bin, aber das ist noch nicht der Fall. - Eben hab ich mir mal wieder ein pfundiges Abendessen gemacht: Champignons mit Zwiebeln u. Eiern gebacken und nun sitze ich gemütlich bei einer Pulle Schampus am Kamin und schreibe Briefe – Prosit!!! Das Radiöchen macht dazu gute Musik. Ich werde mir wahrscheinlich ein anderes kaufen, etwa so groß wie eine Zigarrenschachtel, aber noch besser als das was ich habe, das kann ich dann besser transportieren. - Nächstens werde ich auch mal wieder einige Kleinigkeiten zur Abtragung meiner Schulen schicken. Gute Rasierseife, Zahnpaste u. dergl. Werdet Ihr ja sicher gut gebrauchen können. - So, nun will ich dem Hilleschen schnell noch schreiben." ... "Vor vier Tagen kam Mutters Brief (vom 24. 2.) aus Berlin. Hab mich natürlich sehr gefreut. .../ Viel zu erzählen ist nicht. Die Fliegerei in den letzten Tagen war endlich mal wieder ohne Komplikationen. Heute habe ich frei und schon einen Haufen Briefe geschrieben. Ich kann Euch sagen: Schriftverkehr wie ein Bürodirektor. Wenn die Post erst wieder läuft, bekomme ich bestimmt wieder einen ganzen Haufen."...Für Babos Karte und den dicken Brief von der Musch herzlichen Dank. Meine Sachen sind nun also glücklich angekommen. Das Fahrrad ist ja ziemlich heruntergekommen, es hat ja auch lange genug seine Dienste getan. Nach dem Durchziehgummi für Löles werde ich mal sehen, sobald ich während der Geschäftszeiten mal in die Stadt reinkomme. Bis jetzt bin ich noch nie dazu gekommen. Habt Ihr eigentlich meinen ersten Brief mit dem Kreuz vor dem Datum richtig entziffert? Ihr erwähntet jedenfalls, nichts davon. Hoffentlich klappt die Sache mit den Moneten. Ob ich noch zu Böhnchen komme, ist sehr fraglich. Ja, Omi, Klubsesselchen hab ich auch und was für einen. Vom Tommy haben wir noch nichts gemerkt hier. Mit Hans M‘s Wegtreten hatte ich ja schon lange gerechnet: C‘est la guerre! Herzl. Gruß Euer E. / Haben hier auch schon 4 Kameraden verloren. / Schlüssel für Koffer nicht mehr vorhanden..."
Hans M. war der Sohn des Hausmeisters im Gymnasium, älter als ich, zeitweilig einer von Löles' Ballspielgenossen. Sah ich Hans als einen "Draufgänger" und rechnet daher mit seinem "Wegtreten"? C'est la guerre? - "Kreuz vor dem Datum" bezog sich auf den Brief mit der zu entziffernden Adresse TOURS. Am 17. und 19 März schreibe ich noch von dort, Zwei weitere Wochen waren dann nur Lehrgang und Stadtumgebung gewidmet.
" Recht herzlichen Dank für die hochwillkommenen Zigaretten. Ist doch ein Glück, dass die Musch nicht raucht, sonst brauchte sie ja die Raucherkarte für sich selbst. / Heute sind alle Offz. Anwärter in‘s Offz Quartier, ein Hotel in der Stadt gezogen. Nun wohnen wir noch vornehmer mit fl. kalt und warm Wasser, Zimmermädchen usw. Ich habe mich ja sehr gesträubt, denn wenn man dauernd in der Stadt ist, braucht man entschieden mehr Geld. Es ließ sich aber nicht umgehen. Hoffentlich habt Ihr die 70 Eier schon abgeschickt. - Eier essen wir hier jetzt massenhaft, auch verschiedene Hähnchen hab ich schon verdrückt, Spargel und Salm in Buttersoße gibt es auch mal. Ja, so leben wir! " ..." Es ist aber wirklich nicht nötig, dass Ihr mir Esssachen schickt, denn hier gibt es genug außerplanmäßige Dinge zu essen. - Hoffentlich habt Ihr das Geld nicht durch Postanweisung nach hier geschickt, denn ich kann mir im Monat nur einen bestimmten Betrag schicken lassen und den habe ich schon. Das Geld würde dann zurückgehen. Wir bekommen hier auch Bezugscheine für sämtliche Kleidungsstücke ausgestellt. Wenn Ihr die Möglichkeit hättet, mir Kreditscheine zu schicken, dann könntet Ihr ja mal Eure Wünsche schreiben. Es ist immerhin noch alles besser und billiger als in Deutschland. Ein normaler Konfektionsanzug kostet z. B. 60-70 M oder 1 qm Uniformstoff 15M . Kaffeequellen hab ich noch nicht entdeckt. Morgen beginnt ein Kompanieführer-Lehrgang an dem ich auch teilnehmen muss".
Am 13 April 1942 teile ich kurz meine neue Anschrift mit, die Luftwaffen - Kriegschule München . - Die Staffel wurde inzwischen nach Neubiberg verlegt. "Zigaretten habe ich erhalten, ebenso das Päckchen mit dem Tobak". Fünf Tage später: "Wir stecken hier leider schon mittendrin in der Büffellei. Es gibt verdammt viel zu tun. Ob ich es schaffe, weiß ich wirklich nicht. Ich wünsch mir ja fast, dass ich wieder abgelöst werde und zur Staffel zurückgehen kann. Doch nun lasse ich die Dinge erst mal laufen wie es kommt und tu meine Pflicht. / Das Essen hier ist sehr gut, nur manchmal etwas knapp. Das liegt wohl daran, dass ich von Frankreich her wieder an viel essen gewöhnt war. / In den nächsten Tagen wird wohl das Paket mit den Sachen aus Frankreich kommen, nehmt Euch davon, was Ihr braucht und schickt vor allem Hilles einen Block Briefpapier mit Umschlägen, den ich ihr versprochen hatte. Den Rest verwahrt für mich. Die Preise stehen ja überall dran, glaub ich. Die Rasierseife kostet 80 Pf (1fr. = 5 Pf) zieht dann alles von meinem Schuldkonto ab. Babo soll mir dann noch mal eine Abrechnung schicken. Für die 100 M übrigens recht herzl. Dank – Schickt mir bitte noch meinen Dolch, mein Knauers Lexikon und einen Duden für Rechtschreibung (wenn möglich neu kaufen) / Herzl. Gruß E
Mein Lexikon war, wie gesagt, das Knauersche, Ausgabe 1931/32, 35 000 Stichwörter, 2600 Abbildungen, Herausgeber der Schrifsteller, Essayist, Lexikograph und Verlagsleiter Richard Friedenthal (1896-1979), 2,85 RM. Der Vorläufer und Konkurrent de Knauer war Otto Beckmanns (1870- ) Weltlexikon und Weltatlas, ursprünglich mit dreimal soviel Stichwörtern und gut 2 mal soviel Abbildungen. Friedenthal floh 1933 nach England, war nach dem Krieg ein paar Jahre Verlagsleiter von Droemer und deutscher Vize-Pen-Vorsitzender, bevor er sich ganz nach England zurückzog. Gab 1945-1950 Stefan Zweigs Werke heraus und verwaltete dessen Nachlass.
Am 24. April, einem Samstag, schicke ich gleich nach dem Unterricht der Musch eine Nachricht: „Morgen ist Sonntag und 2 Wochen sind dann schon wieder vorbei. In 14 Tagen findet dann die erste Siebung statt .Dass Ihr das Paket abgeschickt habt, ist fein, und dass Du nichts Essbares reinlegen konntest ist doch wirklich nicht schlimm. Es hat doch seinen guten Grund. / Aus meinem Paket schickt mir doch bitte gelegentlich mal die „Crème antisolaire“ sprich Sonnencrème mit. Es ist nur eine Tube dabei. / Wenn alles klappt, wird mein Urlaub am 20. 6. steigen. Das passt ja nun garnicht in Deine Reisepläne, l. Musch. Doch ich kann ja auch ein paar Tage nach Berlin kommen. Ihr müsst halt mal sehen, wie es Euch am besten passt.“
3 Tage später bin ich etwas gesprächiger: Ihr Lieben! / Endlich ist die Hauptarbeit, die am Anfang des Lehrgangs auf einen einstürmte bewältigt, und man bekommt wieder ein wenig Zeit zum Schreiben. Arbeit gibt es natürlich dauernd, aber man hat doch wenigstens jetzt mal eine Übersicht / Heute haben wir gleich eine Arbeit über die Führerrede geschrieben. Bin mal gespannt, was unser Aufsichtsonkel dazu sagt. Mittlerweile habe ich auch festgestellt, dass es noch bedeutend dofere Leute hier im Lehrgang gibt, als ich, und so besteht ja immerhin eine gewisse Möglichkeit für mich, den Lehrgang zu bestehen. Augenblicklich arbeite ich an einem Thema „Englands Weg nach Indien“ Den Aufsatz muss ich bis zum 18. d. M. abliefern. / Mittwoch, am sogenannten Verfügungstag, werden wir in München die Ausstellung „ vom Musketier zum Feldmarschall“ besichtigen, Nachmittags ist dann Dienstfrei. / An den kleinen Verpflegungssatz habe ich mich nun so langsam wieder gewöhnt. Leider ist die Raucherware sehr knapp, denn wir haben ja auch nur eine normale Raucherkarte. Vielleicht könnt Ihr irgendwo noch Raucherkarten auftreiben und mir schicken. Was machen z.B. O's mit 3 Raucherkarten. Tante E. raucht doch bestimmt nicht, und H u. O auch nicht. u. R muss doch auch eine Raucherkarte haben, quetscht die Nichtraucher mal richtig aus!!! / Das Paket wird wohl hoffentlich in den nächsten Tagen ankommen. Ich werde dann sofort schreiben / Herzl. Grüße / Ebo
Am 26. April 1942, einem Sonntag, redete Hitler vor dem Reichstag, der zum letzten Mal zusammen getreten war und zustimmte, dass der Diktator nun auch die Justiz an sich zieht. In Zukunft kann er, wenn ihm ein Urteil nicht passt, eingreifen. Ein erheblicher Anstieg der Todesurteile wird folgen. Auch bereitet er die Deutschen auf einen 4. Kriegswinter vor: dank ihre Ausrüstung hätten seine Soldaten bei 40 Grad Kälte die Front gehalten, Napoleons Truppen wurden bei nur 20 Grad in die Flucht geschlagen….„Englands Weg nach Indien“ ist ein Buchtitel 1936, Autor Karl Bartz (1900-1956), Elsässer, Journalist, 1933 Chefredakteur des Börsenkurriers, zahlreiche Bücher von 1929 bis 1943, teils biographischen, teils historischen, besonders auch militärisch-heroischen Inhalts. 1955 nochmal 2 Titel, einer davon „Der Weg der deutschen Luftwaffe. - „Vom Musketier zum Feldmarschall“ war eine Ausstellung der drei Wehrmachtsteile und der Waffen-SS in der Staatsgalerie München : Uniformen aus 3 Jahrhunderten und dergleichen bis zur Darstellung der „Erfolge“ der letzten beiden Kriegsjahre. Dioramen, Figurengruppen, Gemälde, Fotografien, Schautafeln, Ausstellungstücke aller Art in vielen Räumen.
Nebenbei habe ich dem Schwager Ple zum Geburtstag gratuliert: „Machs weiter gut“. Ich bin gespannt wie Stoff aus Frankreich aussieht, den ich zu den Verwandten in Neubrandenburg habe schicken lassen. Hilles hat mir einen philosophischen Feldpostbrief geschickt, „meine Kameraden haben auch gestaunt, dass ich eine Schwester mit soviel „Köpfchen habe – Augenblicklich spuckt man uns hier ein wenig auf den Schwanz, Doch auch dieser Kelch wird vorübergehen.“ - Die Metapher sollte wohl soviel heißen wie man spuckt große Töne, damit wir den Schwanz einziehen, - man versucht uns "klein zu kriegen".
Unter dem 13. Mai 1942 geht ein längerer Schrieb an die Musch: „zum Geburtstag schickt Dir Dein Pitterchen die allerherzlichsten Glückwünsche. Den Geburtstagsschmatz bekommst Du, wenn ich nach glücklich bestandenem Lehrgang in B antanze. So lange musst Du dich aber noch gedulden. / Dein l. Päckchen kam heute schon an. Über die Zigaretten und das Küchelchen hab ich mich schrecklich gefreut. Das vorhergehende Zigarettenpäckchen ist immer noch nicht angekommen. Also scheinbar verlorengegangen. - Oh Schreck, jetzt hab ich doch wahrhaftig den Bogen auf der letzten Seite zuerst beschrieben. Ich hoffe, dass Du nicht allzusehr entsetzt bist über diesen Formfehler eines Offz-Anwärters. / Heute morgen haben wir mal wieder kräftig Sport getrieben. Geräteturnen, Langstreckenlauf u. Schwimmen und dann mit den müden Knochen unter die heiße Brause. Das gibt ein wunderbar entspannendes Gefühl, das bei der vielen Gehirnquälerei sehr gut tut. Nach dem Essen hab ich dann einen festen Mittagsschlaf gehalten. Ja, heute haben wir unseren freien Nachmittag. Da kann man sich solchen Luxus erlauben. Überhaupt habe ich mich jetzt ganz gut an den Betrieb hier gewöhnt und kann mir meine Arbeit ganz schön einteilen. Vor allem ist mein „Denkerhirn“ jetzt mal wieder auf Touren gekommen. Am Anfang ist mir die Lernerei verdammt schwer gefallen, doch jetzt geht es wieder ganz leicht. / Dem Babo dank ich auch noch für seine l. Karte von der Höhenwanderung. Nun steht also der gute alte Segelfliegerberg auch wieder auf dem Speisezettel (Hoffentlich nicht als Fleischspeise!) Steht eigentlich unsere alte Segelfliegerbude noch? - Ja wenn auch die Omma manchmal heimlich geschimpft hat, wenn ihr Pitterche jeden Samstag zum Segelfliegen radelte, so hab ich doch da oben mit meine schönsten Tage verlebt. War ja als vormilitärische Schulung auch nicht schlecht, wenn man im Winter manchmal morgens den Schnee auf der Wolldecke liegen hatte, weil es durch alle Ritzen pfiff. / Ach, jetzt, wo mit Macht der Frühling einzieht und die Sonne so schön warm scheint, möchte ich mich ja manchmal gerne auf meinen alten Drahthaufen schwingen und durch die Geographie radeln, wie in alten Zeiten. Doch das sind nur kurze Momente, in denen man an seine Pennälerzeit zurückdenkt wie ein alter Mann an seine Jugendzeit. Ja tatsächlich, es ist so. Dass es auch mal wieder so kommen könnte, wie es damals war, das hält man gar nicht mehr für möglich. Es ist aber auch gut so, vielleicht würde man sonst ungeduldig und und unzufrieden.
Ich kann es einfach nicht verstehen, wie ein Mensch in der heutigen Zeit überhaupt fähig ist, Opposition zu treiben, auch wenn es ihm noch so dreckig geht. Fluchen und meckern tun wir schliesslich auch, das ist gesund, doch dabei denkt doch niemand daran, den Spiess etwa umzudrehen oder zu kneifen, am allerwenigsten die, gerade von unserer Zerstörerei, die in England u Russland geflogen sind, sich tagelang nach ihrem Abschuss durch die Russen hindurchgeschlagen haben zur eigenen Truppe, die selbst schon die Pistole in der Hand hatten gegen sich gerichtet, um den Russen nicht in die Hände zu fallen und die vor allem die Verluste in ihren Reihen gesehen haben und sich schon an den Fingern ausrechnen können, dass sie beim nächsten Fronteinsatz eigentlich auch dran glauben müssten. Doch gerade das sind die Menschen, die den Geist der Truppe immer hochhalten. Leider werden es immer weniger, weil sich die nämlich immer da hinstellen, wo die Kastanien aus dem Feuer zu holen sind. Gottseidank ist im Osten die schwerste und wirklich übermenschliche Belastungsprobe bestanden, und es kann nun wieder vorwärts gehen. Hoffentlich kann ich bald mithelfen. / So liebe Musch, nun will ich Schluss machen Eigentlich ist der Geburtstagsbrief ja ein wenig verunglückt, doch er ist nun mal geschrieben. - Mit dem Zuschuss für die Schulterstücke kann sich der Babo noch Zeit nehmen. Ich hoffe, dass ich vorher noch meine Schulden tilgen kann. / Viele liebe Grüße / Dein Pitter“
"Ist aber auch gut so?" Hat der Offz-Anwärter hier seine „unsoldatischen“ oder gar nachdenklichen Anwandlungen mit angepasstem Jargon hinreichend aufgewogen? 2 Tage später schreibe ich dann noch: "Zum Muttertag sollst Du doch auch schnell noch einen lieben Gruß haben. / Gleich muss ich weg zum Kegelabend. Dienst ist Dienst. Traudl Ka kommt übrigens über Pfingsten nach hier. Hoffentlich ist das Wetter schön."
Der "Muttertag" am 2ten Sonntag im Mai, ursprünglich eine amerikanische Erfindung, seit 1922 hierzuland von der Blumenindustrie-Lobby propagiert, wurde 1933 offizieller Feiertag, im Sinn der ns-Frauenpolitik ein "Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter". Pfingstsamstag und - Sonntag verbringe ich "mit Traudl zusammen zwei nette Nachmittage in München". Am Pfingstmontag dem 25. Juni "habe ich leider Dienst. Auf diese Weise komme ich endlich mal dazu meinen Sechswochenaufsatz fertigzustellen. Es wird auch höchste Zeit, denn morgen müssen wir den Senf abliefern."
Am 1. Juni bin ich zurück von einer hochpolitischen "Verladung" nach Berlin: " Ich hatte schon bei unserm Hilleschen erfahren, das Du mal wieder Zicken gemacht hast. Als ich dann zurückkam, fand ich Löles' Brief und bin nun sehr froh, dass Vaters Karte heute berichtet, dass es Dir wieder besser geht. Nicht wahr, bis zu meinem Urlaub bist Du doch wieder auf dem Damm? Ich muss Dir dann doch mal etwas Popoklitsche verabreichen, damit Du nicht mehr so viel arbeitetest und endlich begreifst , dass Du eine Oma bist, die wie ein Museumsstück hüsch ruhig unter einer Glasglocke zu sitzen hat und bestenfalls mal Strümpfe stopft, die Nase in den Kochpott steckt oder spazieren geht. / ja, am Donnerstag abend wurden wir ganz plötzlich nach Berlin verladen, wo wir am Freitagmorgen ankamen. Mittags bin ich dann gleich zum Hilleschen rausgefahren und wir haben einen netten Nachmittag verbracht. Samstagmorgen ging es dann in den Sportpalast, wo der Führer zu uns sprach. Hilleschen hat mich dann abends auf dem Bahnhof nochmal ½ Stunde besucht. - Wirklich prima, dass ich auf diese Weise nochmal nach Berlin gekommen bin."
Die Musch litt in den Kriegs- und Nachkriegszeiten wiederholt an akuter Pankreatitis. Später nicht mehr. Sie wurde sehr alt. - Hitlers Rede am 30. Mai 1942 war eine "Geheimrede vor dem militärischen Führungsnachwuchs", daher auch in meinem Brief nicht kommentiert: "Wäre im Jahre 1933 dieser Sieg einer Weltanschauung nicht errungen worden oder wäre es damals nicht gelungen, den Neubau des Reiches durchzuführen, die Einheit des Reiches restlos sicherzustellen und vor allem die deutsche Wehrmacht aufzurichten, dann würde, ob in diesem oder einerm anderen Jahr, eine vollständig ungerüstete, wehrlose deutsche Nation das Opfer geworden sein eines GIganten, der wieder aus Asien über Europa hinweggezogen wäre ... Was anstelle dieses heutigen Europa - von unser aller eigener Heimat wollen wir gar nicht reden - treten würde , weiß derjenige, der den Osten gesehen hat." (Bialas/Fritze 2014) Oder auch:"Es ist der Kampf um die Ernährung, der Kampf um die Grundlagen des Lebens, um Rohstoffe, die die Erde bietet, die Bodenschätze, die unter ihr liegen und die Früche, die sie dem bietet, der sie bebaut." (H. Picker Hg. Tischgespräche 1976). Sozialdarwinismus und angebliche Bedrohung durch "asiatische Horden" wie ehemals durch Hunnen und Mongolen: Scharfmache für die Ostfront. Derweil waren seit dem Herbst 100 000e Juden von Einsatzgruppen ermordet worden, im Januar hatte die Wannseekonferenz zur zentralen Koordination des Völkermords entscheidend beigetragen. Erste Deportationszüge aus deutschen Städten, aus Wien und Prag in die Ghettos von Lodz und RIga fuhren im Oktober 1941, und für die noch in Deutschland lebenden Juden wurden die Einschränkungen und Auflagen noch unerträglicher. In München waren sie seit Oktober 1941 aus allen öffentlichen Verkehrsmitteln ausgeschlossen, im Mai 1942 wurde jeglicher Schulbesuch untersagt. Auf mittelbare oder unmittelbare Kenntnis vom Genozid, die uns im Osten voraussichtlich erwartete, wollte uns der Führer jedoch nicht vorbereiten.
Im Mai 1942 gelang den Deutschen die Zerschlagung einer sowjetischen Offensive im Raum Kharkiv. 240 000 gegnerische Soldaten gingen in Gefangenschaft, ein Armeegeneral brachte sich um, zwei verloren ihr Leben in den Kampfhandlungen und einer wurde gefangen genommen. Der Weg zur deutschen Sommeroffensive, der die Sowjets hatten zuvorkommen wollen, war fürs Erste frei. Der sowjetischen Führung entging, dass das erste deutsche Ziel nicht Moskau war, sondern die kaukasischen Ölvorkommen.
Unter dem 7 Juni 1942 schreibe ich "Heute verbringe ich meinen letzten Sonntag in München. Nächsten Sonntag bin ich am Schliersee und dann den Sonntag sitze ich hoffentlich auf der Bahn nach Hause." Fünf Tage später an die Familie: "Es scheint nun so als ob es geschafft wäre. Heute Nacht fahren wir für 4 Tage zum Schliersee. Hoffentlich haben wir schönes Wetter. Was macht unsere Omi? Hat sie sich wieder etwas bekrabbelt? Na, ich werds ja sehen."
Es folgte eine Ansichtskarte vom Schliersee am 15 Juni.: Teofals Gasthof Seehaus. Rückseitig: Lud. Hopfensperger, Schliersee(bayr. Alpen). Zwei braune 3 Pfg Hindenburg-Marken. - Mein Urlaub in B. dauerte kaum länger als eine Woche. Am 28. Juni abends reise ich wieder ab: "Habe in Köln den Zug nach Duisburg gerade noch geschnappt. Hier habe ich 1 1/2 Stunde Aufenthalt und fahre um 23h45 nach Berlin weiter."
DIe Adresse des Feldwebels E. ist jetzt L25082a beim Feldpostamt Breslau. Die Musch hat den Abriss vom kleinen Kalenderblock mit der roten 28 (ein Sonntag) aufbewahrt und mit Bleistift überschrieben: "Abschied von E." Im Kleindruck sind Sonnenauf- und Untergangszeiten vermerkt und die Jahresdaten 1914 Mord von Sarajewo, 1919 Unterzeichnung des Diktats von Versailles. Auf der Rückseite Denksprüche: "Wer stets nur jammert, stets verzagt Den straft Gott, dass mit Grund er klagt (E. Meßmer-Lauenstein)" und "Wer sich an andre hält, dem wankt und fällt die Welt. Wer in sich selber ruht, steht gut."
Juli 1942 - November 1942. Zerstörertraumata
Fünf Tage später, am 3. Juli 1942, melde ich mich wieder: " Mit der Fahrt hat es überraschend gut geklappt und wir sind nach genau dreittägiger Fahrt von Berlin aus bei unserer Truppe gelandet. / Alles in bester Ordnung"
Am übernächsten Tag, dem 5. Juli 1942 stelle ich dem Datum voraus "Im Zelt (Ukraine)" und schreibe: "Ihr Lieben! / Nun bin ich wieder mittendrin im Dreck und das tut mir ordentlich gut. Mit meinem Kutscher habe ich ein ziemlich feucht-fröhliches Wiedersehen gefeiert. Das Wetter ist auch ziemlich feucht aber weniger fröhlich. Mit der Regelmäßigkeit einer Uhr beginnt es gegen Mittag zu regnen und zwar Tag für Tag. Morgens ists aber immer sehr schön warm. / In der letzten Nacht habe ich zum ersten Mal wieder ohne Juckerei geschlafen. Ich bin hier nämlich gleich zum Arzt gegangen. Bekomme 4 Einreibungen. Es ist ein normaler Ausschlag, den ich mir auf der K(riegs).S(chule). geschnappt habe. / Die Fahrt nach hier ging ja überraschend schnell vonstatten, sodass wir garnicht lange auf der Bahn zu liegen hatten. / Anfang der Woche wird wohl auch mein erster Feindflug steigen. Ich freu mich schon schwer drauf. / Herzl. Gruß / Euer E."
Der erste "Feindflug" "stieg" zwei Tage später: "Alles hat tadellos geklappt. Überhaupt ist die ganze Sache halb so wild. Mein Kutscher hat gleichzeitig seinen 20. gemacht und bekommt jetzt die bronzene Spange. Er lässt übrigens recht herzlich grüßen. / Die Verpflegung ist hier auch ganz prima. Morgens Bohnenkaffee, abends außer der normalen Verpflegung 1 Ei, ½ l Milch u. 25g Butter. Außerdem für jeden Flug Schokolade, Keks usw. / Mit dem Waschwasser ist es allerdings sehr knapp. Heute bin ich mal mit meinem Staffelkapitän zu einem kleinen See gefahren, wo man schön schwimmen konnte! Morgen ziehen wir mal wieder auf einen anderen Platz. Dadurch vielleicht Postverzögerung".
In der deutschen Sommeroffensive können in erster Linie Panzertruppen die sowjetischen Armeen wie im Sommer des Vorjahres zerschlagen und bis zum Don vordringen. Die Luftwaffe ist der sowjetischen überlegen. Aber Rückzug und Zerschlagung des Gegners führt ihn zum Aufbau neuer Reserven und Nachschubwege, zu einer für die Eroberer später fatalen Stalingradfront und zum fortan beiderseits zu fürchtenden Befehl Stalins vom 28. Juli, jedes Zurückweichen als Desertion mit dem Tod zu bestrafen.
In meinen ersten beiden Wochen an der Front schreibe ich alle paar Tage. Vom 11. Juli datiert ein längerer Bericht: "Nach unserer Verlegung habe ich nun endlich mal ein wenig Zeit zum schreiben. Es ist zwar schon Nacht, aber morgen kann ich mich ausschlafen weil mein Kutscher Gefechtsdienst hat u. wir daher nicht fliegen können. Sonst müssen wir meist schon um 2 oder 3 Uhr aus den Federn, bzw. Schlafsäcken u. abends kommt man kaum vor 10 Uhr in die Falle. Ich habe mich selbst gewundert, dass ich mit so wenig Schlaf auskomme. Am Tage kann man unmöglich schlafen, sondern liegt irgendwo schachmatt im Schatten. Bei der Hitze ist man nämlich zu nichts fähig. Zuerst bin ich hier 2 Tage mit einer halben Mattscheibe rumgelaufen, ohne was essen zu können. Mein Kutscher u. viele andere Kameraden hatten schwere Magengeschichten durch zuviel Butterfressen. Ich bin gottseidank verschont geblieben. / Die Fliegerei macht auch mächtig Laune. Vorgestern habe ich meinen ersten Luftkampf mitgemacht. Wir waren zu 8 Maschinen gegen etwa 20 russische Jäger. Wir haben den ganzen Pulk innerhalb weniger Minuten zum Teufel gejagt. Die r. Jäger sind sehr feige, dafür ist aber die Flak umso besser. Im Wehrmachtsbericht habt Ihr doch sicher schon oft von uns als leichte Kampfflieger- oder Zerstörerverbände gehört. Die Infanterie kommt ganz schön vorwärts u. der russische Widerstand ist längst nicht mehr so stark. / Die schlechte Schrift lässt sich nicht ändern, denn auf der Gummimatratze ist es eine ziemlich schwabbelige Schreiberei. / Holla, da scheint eben ein Russe in astronomischen Höhen anzuschweben. Gleich wird es wieder rumpsen, doch daran hat man sich schon gewöhnt u. es ist auch ziemlich ungefährlich. / So nun setzte ich mich noch etwas vors Zelt, saufe Tee, fresse Schoko und Keks, rauche Zigarettchen u. begucke mir etwa vorhandenes Leben(?) / Hoffentlich kommt bald Post."
Mein guter Freund Otto hatte Gefechtsdienst: wir wurden turnusmäßig zu "sportlichen" Kampf- und Schießübungen kommandiert. - In diesen ersten Tagen vermisse ich sehr die Post meiner LIeben. Vielleicht, weil ich anderes im Kopf zu haben versuchte, als Bilder von Tod und Zerstörung da wo von mir ausgelöste Bomben explodierten. Bilder meiner ersten Feindflüge, die es zu "verarbeiten" galt.
"Immer noch gut warm und keine Post. Sonst nichts neues". Und: " Heute nacht habe ich geträumt, dass endlich die erste Post gekommen sei. Da muss es ja heute zum klappen kommen. - Habt ihr gestern bei den Nachrichten die Anerkennung für Hauptmann Schenk u. seine Flieger gehört? Hptm Schenk ist nämlich unser Gruppenkdr. - Die Russen laufen jetzt wie die Wilden. Wir denken schon alle wieder an unsere Zivilanzüge. Ha, ha!! Ich schicke hier 2 Marken, eine Luftpostbriefmarke u. 1. Zulassungsmarke für ein 1Kg-Päckchen. Wartet aber mit Päckchen, bis ich Euch schreibe, was ich benötige. Rauchwaren gibt es reichlich hier. Das Hilleschen ist doch auch jetzt da, nicht wahr? Grüßt es ganz besonders von mir."
"Meine Truppe" ist, was ich nicht schreiben durfte, die weiter oben erwähnte 1. Gruppe des Zerstörergeschwaders 1 im VIII. Fliegerkorps, aufgestellt in Lechfeld dann nach Neubiberg/ München verlegt. Am 30. Mai ist Belgograd nördlich Kharkiv das Stabsquartier, am 8. Juli Kostyantynivka am Torez, einem Nebenfluss des Don, am 16. Kutejnykowe, ein Dorf ost-südöstlich von Donetsk an der Bahnlinie nach Taganrog und am 23. am Taganrogsee, am 28. dann Rostow, am 5. August Belaja Glina 250 kam südöstlich von Rostow und etwa ebensoweit nordöstlich von Krasnodar, am 16. Armawir ca 250 kam östlich von Krasnodar und am 22. September schließlich Krasnodar. Anfang August verfügte die Gruppe über 52 Maschinen verschiedener Ausführungen der Messerschmidt BF 110, hauptsächlich des Typs 110E etwa ein Dutzend pro Staffel. Schenk (s.o.) war Gruppenkommandeur bis zum 20. August. Eine Gruppe zählte in der Regel 3 Staffeln und den Stab. Die zugehörige Truppe am Boden war etwa 10mal stärker als die fliegende. Die zweimotorigen Machinen hatten eine auf den Rumpf aufgesetzte Einstiegshaube aus Panzerglas, Pilot und Funker, der den Piloten dirigierte, saßen Rücken gegen Rücken, zwischen ihren Sitzen wurde im Nachhinein ein Notsitz für einen gegebenenfalls mitfliegenden Wart geschaffen. Die Machine konnte aus zwei 20mm und zwei 8mm MG im Bug und aus einem 6 mm MG im Heck feuern. Sie hatte 4 Abwurfvorrichtungen für 50 kg Bomben unter den Flügeln und 2 für 500 kg Bomben unter dem Bauch.
Am 18. Juli 1942 kommt endlich die ersehnte Post: " Hurra! Eben kam Mutters erster Brief und damit überhaupt die erste Post. Ich machte gerade eine Sitzbereitschaft in der Maschine u. habe ihn dann sofort gelesen. Bei S- Bereitschaft muss man 4 Std in der Maschine am Start sitzen um bei Fliegerangriffen sofort starten zu können. Augenblicklich ist es nämlich ziemlich trostlos. Denn es regnet schon seit gestern nachmittag fast ununterbrochen. Ich kam eben tröppelnass aus der Kiste und habe mich nun wieder umgezogen und liege bäuchlings auf der Gummimatratze. Was ein guter Regen in Russland bedeutet, das habt Ihr ja schon in der Wochenschau sehen können. Alle Wege sind sofort grundlos u. kaum noch befahrbar. Vorgestern Abend musste ich plötzlich Hals über Kopf meine Klamotten packen u. mit meinem Kutscher zum nächsten Platz als Vorkommando fahren, bei dem tollen Staub keine angenehme Sache. Nun ist es nicht mehr weit bis zum Asowschen Meer. / Die Hausschuhe brauche ich nicht, sie sind mir viel zu klein. Es sind Tennisschuhe. Die Wichsbürsten kann ich auch entbehren, denn meine Kameraden haben ja welche. Ich hatte bereits auf der Fahrt nach Berlin drangedacht. Eben mit der Post erhielt ich auch die Nachricht, dass ein guter Kamerad von mir, mit dem ich mich in der Baukompanie sehr angefreundet hatte, gefallen ist. / An die Bank habe ich auch geschrieben. Am 18. werden wieder 100 M überwiesen."
Was mir der tote Kamerad seinerzeit und bis jetzt bedeutete, schreibe ich nicht. - Unter dem 20. Juli äußere ich Wünsche auf einer Postkarte die aber erst am 30. Juli 1942 aus Augsburg abgeschickt wurde: " Hier geht alles in bester Ordnung. In dem Päckchen schickt mir doch bitte eine neue gute Mundharmonika, Taschenlampenbatterie, Kerzen, Streichhölzer u. wenn vorhanden noch 2 kurze Unterhosen. Vielleicht habt Ihr auch mal etwas Kernseife zum Waschen übrig". Am 26. Juli dann: "Rund eine Woche habe ich nichts von mir hören lassen. Oft wollte ich abends mal schreiben, aber ich war immer zu müde, weil wir am Tage 3-4 Einsätze fliegen mussten, außerdem haben wir vor 2 Tagen unseren Platz gewechselt u. morgen geht es wahrscheinlich wieder weiter. Sommerlich ist es hier, das kann man schon sagen. Tolle Temperaturen bis zu 55° in der Sonne. Oft wenn wir in die Maschinen steigen, verbrennen wir uns die Finger und unter 2000 m ist eine Bullenhitze in der Kiste, wir hatten gestern auch 2x Besuch von den Russen. - Ich war allerdings beide Male zum Einsatz über der Front. Sonst haben wir aber meist Ruhe. Mein Sonntag hat heute schon um 0200 Uhr begonnen mit Sitzbereitschaft bis 9 Uhr. Es war herrlich. Wir haben nach Sonnenaufgang auf der Fläche gelegen und dazu ein Frühkonzert vom Soldatensender Gustav gehört. / von K's kamen schon vor einer Woche 2 Päckchen mit C u R Lesestoff. Das war die 2. Post hier. Seitdem hat es noch keine gegeben. Beim nächsten Schub wird bestimmt wieder was von Euch dabei sein.Hoffentlich sind Armbanduhr, Lichter und Brille unterwegs. Gestern Abend habe ich mir einen fabelhaften Gurkensalat u. Zwiebelgemüse mit Eiern gemacht. Dauert nicht mehr lange, dann kommen auch frische Kartoffeln dazu. / Für heute genug / Euer E.
K's sind meines "Kutschers" Eltern. - Die Propaganda-Abteilung Ukraine vom Stab der Heeresgruppe Süd betrieb die Sender Martha und Gustav mit 20 kW Sendeleistung auf der Welle 767 kHz/391,1m. Schon am 31. Juli schreibe ich wieder und zwar "Endlich komme ich mal wieder zum Schreiben". In der Belastung durch meine ersten Zerstörer-Fronteinsätze suche ich in Gedanken und Briefkontakt mit "zu Hause", eine Darstellung-Selbstdarstellung mit der ich halbwegs leben kann. Die äußere und innere Realität ist eine andere, die gilt es zu verdrängen.
"Eure Briefe 2-6 u. Päckchen 1+2 sind noch am gleichen Tag angekommen, an dem ich den letzten Brief schrieb. Die Brille ist prima. Ob meine Armbanduhr wohl auch unterwegs ist? Das 2. Päckchen von K's u. Babos außerplanmäßiger Brief sind auch angekommen. - Hier alles in bester Ordnung. Mal fliegt einem nachts das Zelt überm Kopf weg, mal steht alles im Wasser, meisst aber läuft einem das Fett aus vor Hitze. Mücken und Fliegen sind sehr zahlreich. Gottseidank haben wir Moskitonetze. Schickt mir bitte noch meine Wildlederhandschuhe u. mein weisses seidenes Halstuch. Letzteres wenn möglich rot oder blau einfärben lassen. Habe nämlich meinen Seidenschal verloren. Hilles' Karte auch da. Und nun mache ich noch etwas Musike auf der Staffelquetschkommode u. dann wird gepennt. Gute Nacht!
Seit meiner Schul- und Segelfliegerzeit spiele ich Mund- und Zieharmonika. Lieder, Schlager, Erweiterung des klassischen Repertoirs von Eltern und Familie, dem Lager- und jetzt dem Soldatenleben angemessener. "Heidewitzka Herr Kapitän, mem Müllemer Böötche fahre mer su jän": Kölner Karnevalssong von 1936 usw... -
Der erste tiefe Schock lässt nicht lange auf sich warten, er kommt, einen Monat nach dem ersten "Feindflug", am 11. August 1942 und wird, gleich hinreichend auf Abstand gebracht, denen zu Hause mittgeteilt: "Heute habe ich den schwärzesten Tag in meinem Leben hinter mich gebracht: Mein Kutscher ist vom Früheinsatz nicht zurückgekehrt. Er wurde von Jägern angegriffen u. ihm wahrscheinlich beide Motoren ausgeschossen. Wir hoffen ja alle noch, dass er vielleicht eine Notlandung bauen konnte und sich halten kann, bis unsere Truppen vorstoßen. Es war der erste Feindflug, bei dem ich nicht dabei war. Ich musste ,meinen Freund Oblt. Schr. beim Gefechtsdienst vertreten. Als ich hörte, dass Otto starten sollte, rief ich telefonisch an, ob ich dann nicht mitfliegen sollte. Er liess mir daraufhin sagen, ich solle dortbleiben, er würde den 1. Wart mitnehmen. Der gute Mann ist natürlich ein vollkommener Laie in der Maschine, konnte keinen Funksprechverkehr mit den anderen Maschinen zustande bekommen, sodass Otto keine Kameraden zu Hilfe holen konnte. Weiter hat der Mann wahrscheinlich im Luftkampf auch den Kopf verloren u. nicht gewusst, wie er sich benehmen soll. Ich möchte 100 : 1 wetten, dass, wäre ich mitgeflogen, es nicht so weit gekommen wäre. Jetzt können wir eben nur hoffen! / Doch das ist noch nicht alles. Beim 2. Einsatz wurde Oblt Kurt Schr. abgeschossen u. stürzte ins Meer. Mit ihm verstand ich mich ja fast noch besser, als mit Otto. Ich glaube, ich habe Euch damals auch von ihm erzählt u. habe auch ein Bild von ihm zu Hause, noch als Leutnant. Mit ihm ist Uffz Lämmel gefallen, das gute, unschuldige Kerlchen, mit dem ich über 1 Jahr zus. in der Ausbildung gesteckt habe und von dem ich Euch auch damals erzählte. - Ja es geht verdammt fix bei der Fliegerei!!
Am Tag zuvor hatte die Wehrmacht auf dem Weg zu den kaukasischen Ölfeldern Maykop erobert (nach Rostov am 23. Juli, Stavropol am 3. August), einen Tag später fiel Krasnodar in ihre Hand. Unsere Staffel operierte zur Unterstützung der Panzertruppen. Der Absturz von Otto K. war den Eltern mittgeteilt worden: ihr Sohn werde "vermisst". Da wir gewöhnlich zusammen flogen, mussten die Ks annehmen, dass auch ich vermisst werde und riefen in B. an, bevor noch mein Brief ankommen konnte. Eine "Angstpartie" meiner Lieben.
Fünf Tage später, am 16. August 1942 mit Fortsetzung am 18. und Abschluss am 21 August, schreibe ich, auffallend munter nach den vorausgegangen "Tiefschlägen": "Heute habe ich mal einen wunderschönen Sonntag am Meer verbracht. Es ist prima, wenn man sich wieder mal richtig aalen kann, nebenbei Schoko u. Keks fressend. Bei dem anständigen Wind war auch ziemlich hoher Seegang, und das macht immer bes. viel Spaß / Über den Verbleib von Otto haben wir immer noch keine Nachricht. Ich habe ja nicht mehr viel Hoffnung, doch man kann natürlich nie wissen, was noch wird.Geflogen bin ich bis jetzt noch nicht wieder. Fast den ganzen Tag lieg ich in meinem Zelt rum und warte, dass vielleicht mal ein Bordfunker krank wird, für den ich dann einspringen kann. Leider habe ich kein einziges Buch mit hierher genommen. Jetzt hätte ich Zeit zum Lesen genug. - Pause!
18.8. So, es kann weitergehen! Eben habe ich mir zum Abendessen etwas Feines gemixt: eine Dose Ölsardinen gebraten mit rohen Tomaten und etwas eingebrocktem Brot. Das schmeckt fabelhaft. Wir bekommen hier augenblicklich sehr viel Konserven. Da muss man dann irgendwie etwas variieren, um nicht immer dasselbe fressen zu müssen. 7 (Da haben wir den Salat, Ivan hat mal wieder den Tisch abgewischt.) Morgens bekommen wir eine Milchsuppe u. 1 Ei, Butter auch genug u. im übrigen trinken wir nur Bohnenkaffee. Ausgezeichnet schmeckt der gerade nicht, denn die Bohnen sind schlecht gelagert, aber immerhin. So das wäre vorläufig mal alles / Viele liebe Grüße! - Eine russische Bombe hatte mal eben "den Tisch abgewischt"
Ihr Lieben! / Gestern bin ich zu unserem Bodenhaufen zurückgekehrt, weil der fliegende Haufen augenblicklich doch keine Verwendung für mich hat. Wir führen hier ein pfundiges Leben. Menage ist in Hülle und Fülle vorhanden: Eier, Fleisch, Obst, Tomaten, Melonen, Geflügel, Honig, Sonnenblumenöl usw. uswl!! Heute abend macht mir mein Putzer „Rievekoche mit Äppelkompott“ (Reibekuchen mit Apfelkompott) Ich freue mich schon gewaltig auf „Heimatklänge“ / Heute habe ich auch wieder prima gebadet, diesmal im Fluss. Die Strömung ist sehr stark. Wir sind etwa 2 km stromauf gelaufen und haben uns dann runtertreiben lassen- pima! / Mit gleicher Post geht ein Päckchen ab mit ein paar Stumpen, die sich der Babo mit dem Ple teilen kann. Mein E.K.II liegt auch bei. / Das wäre soweit alles. Eine Päckchen- und 2 Luftpostmarken lege ich auch noch bei. Anweisung auf 130 M für Babo geht auch zur Bank (100 Rest +28,50 für Brille). Ich hoffe dass es so stimmt."
Offiziersanwärter im Rang eines Feldwebels (wie auch Offiziere hatten einen Burschen, Putzer genannt. - Ich bleibe fast zwei Monate "am Boden". In meiner Darstellung mit Ungeduld und ich schreibe umso öfter: unter dem 28. August: "Das ruhige Leben ist immer noch nicht zu Ende, jedoch lässt sich daran nichts ändern. Gestern hat mir unser Staffelbäcker Kröppelchen gebacken. Einfach Klasse, kann ich Euch sagen. / An Euch sind jetzt insgesamt 8 Päckchen unterwegs (Nr. 0-7) 1 Päckchen mit Stumpen, 2 Päckchen mit Keks, bzw Fruchtschnitten, 5 Päckchen mit Fischkonserven. Wahrscheinlich müsst Ihr für einige Päckchen Strafporto zahlen, denn ich habe leider keine 20 Pf- Marken hier. Ich denke aber, das Ihr es gerne tut, Post haben wir seit 4 Wochen keine mehr bekommen. Wir können trotz eifriger Nachforschungen keine auftreiben. In solchen Fällen ist natürlich die Luftpost Heimat-Front reiner Blödsinn. Umgekehrt klappt es scheinbar ganz gut. / An Otto‘s Eltern habe ich gestern geschrieben. Ihr könnt ihnen vielleicht auch mal ein paar Zeilen schreiben. Es besteht jetzt keine Hoffnung mehr. - In den nächsten Tagen werden noch weitere Konserven (Fleisch) an Euch abgehen (Nr. 8 u. 9) – Habt Ihr meine Armbanduhr schon abgeschickt? Es sind übrigens 3x100 gr Päckchen pro Tag, nicht Monat erlaubt. Mit gleicher Post gehen Bilder von gef. Kameraden an Euch ab. Herzl. Grüße / Euer Ebo. / Ich weiß garnicht ob meine Schulden an den Babo nur 280,- oder 380,- betrugen. Jedenfalls hat er jetzt insges. 380,- zugewiesen bekommen."
2 Tage später: "Heute sind wieder mal einige Päckchen an Euch abgegangen (Nr.8 Fleisch, 9 Fruchtschnitten, 10 2Tuben Käse, 11 Fisch). Ihr werdet ja den Salat sicher brauchen können. Sch‘s habe ich auch 2 Dosen Fisch geschickt. / Gestern und vorgestern Nacht war der Russe wieder zu Besuch, sodass wr mal wieder die ganze Nacht mit der Schnauze im Dreck gelegen haben. Gottseidank hat es nur ein paar leicht Verwundete gegeben. Dabei merke ich doch immer, dass die Infanterie nie das Richtige für mich wäre. / Die Nächte werden jetzt schon merklich kühler, tagsüber ist jedoch noch immer schönstes Ladewetter. Wir fangen schon kräftig an Wintervorräte zu sammeln, denn hier aus der Gegend lässt sich noch allerhand rausholen. Unser Spiess fährt jeden Tag in die Umgebung zum Requirieren. Ich will versuchen, Euch in den nächsten Tagen mal etwas Speck zu schicken. Ich denke, dass das reine Fett sich solange hält, will jedoch vorher nochmal unseren Staffelmetzger fragen. - In den nächsten 8 Tagen wird auch sicher unsere Post kommen. Na, in 6 Wochen dürfte sich ja allerlei angesammelt haben. Ob wohl meine Uhr dabei ist ? Die gute Sprungdeckeluhr ist leider futsch."
Am 3. September: Es tröppelt, tröppelt, tröppelt schon seit 3 Tagen und wird auch noch immer weitertröppeln. Ja ganz plötzlich hat nun der Herbst angefangen, noch 3-4 Wochen und es ist restlos aus mit der Zelterei. Zum Glück habe ich ein gutes Hauszelt, wo es noch einigermaßen warm drin ist. In den Tropenzelten friert man jetzt schon ganz anständig. In meinem Zelt ist es auch noch, ja noch, trocken. Schlechter sind die Leute dran, die in den kleinen, aus Zeltbahnen zusammengeknüpften Zelten wohnen. Ein Feldbett hab ich auch, darauf die Gummimatratze u. den Daunenschlafsack – besser kann man es wirklich nicht haben. Meinen Spritkocher habe ich eben angestellt. Der macht die Bude schon ganz schön warm. Einen echten schwarzen Tee habe ich mir auch gekocht mit etwas Rum u. Honig drin - bestens! Schlecht war natürlich, dass ich eben bei Dunkelheit, Matsch und Regen mal zum Donnerbalken musste. Doch daran ist nun mal beim „Dünnpfiff“ nix zu machen. Ja „den“ hab ich auch – schon seit 4-5 Wochen. Er ist schon fast eine liebe Gewohnheit geworden und wird durchaus nicht mehr als unnormal betrachtet u. empfunden. / Allmählich dürfte nun doch mal die Post antanzen. Wir hoffen ja bestimmt, dass es diese Woche noch klappt, doch bei dem Regen – wer weiß?? Der einseitige Briefverkehr ist ja auch ganz nett, doch auf die Dauer geht einem der Stoff aus. / Heute war ich auch im Kino. Ja, wahrhaftig, seit 3 Tagen gibt es Kino hier. Der Film war zwar schon uralt u. ich habe ihn bereits etliche Male gesehen, doch es ist immerhin eine Abwechslung. In der Wochenschau hab ich sogar gesehen, dass Sewastopol „bald in unserer Hand ist“. Die Bevölkerung ist übrigens sehr freundlich hier. Überhaupt bin ich von den russischen Verhältnissen sehr angenehm enttäuscht. Bes. sittlich steht die Bev. auf einer sehr hohen Stufe, wir Deutschen können uns da ruhig ein Stück von abschneiden. Ob das bei den Russen nun Instinkt ist, oder wirklich bewusste Moral, das hab ich noch nicht raus. Glaube aber das erstere. / So, nun will ich noch etwas lesen, und dann knipse ich das Licht aus. / Herzl. Grüße u. Gute Nacht! / Euer Ebo / Habt Ihr mal an Otto‘s Eltern geschrieben?
Während ich noch immer auf Post warte, kommen meine Briefe und Päckchen in zwei bis drei Wochen in B. an. Ich schreibe auffallend deutlich, mit Füllhalter und blauer Tinte, auf Büttenrandpapier. Im Grund geht auch aus dem was ich schreibe hervor, dass ich nur mit Mühe einen munteren Ton anschlage. - Am 6. September:
"Nicht wahr, da freut Ihr Euch, dass schon wieder ein Brief eintrudelt. Über Schreibfaulheit meinerseits könnt Ihr doch wirklich nicht klagen. / Heute ist Sonntag. Schon wieder ein Woche rum, ohne dass Post gekommen ist. Allmählich dürfte sie wirklich mal eintrudeln. Vorgestern hatte mein Dünnpfiff seinen Höhepunkt. Wir hatten abends zu vier Mann hoch 2 Pfund Schlagsahne verdrückt, anschließend Bratkartoffeln mit gebackener Leber und Bier. Das hatte natürlich einen „durchschlagenden“ Erfolg, sodass ich mich zu einer Diätkur entschließen musste. In 24 Std. war der Schaden auch glücklich behoben – fragt sich nur wie lange! / Hum! Eben kommt mein Abendessen, Salzkartoffeln mit Gullasch. Hoffentlich schmeckt es so gut, wie es riecht. / Morgen gehen weitere 4 Päckchen an Euch ab ( Nr. 12-15) u. zwar mit bestem, selbstausgelassenem Schweineschmalz, 1 Dose Büchsenmilch u. Tabak für Ple. Das Schmalz müsst Ihr gleich aus den Dosen (7 Stk) auslassen, denn in den Dosen war Brennspiritus. Ich habe sie zwar ausgekocht u. gründlich gesäubert, aber besser ist besser. Die Büchsenmilch könnt Ihr sicher auch gebrauchen. Hoffentlich schmeckt dem Ple der russische Tabak. Wir haben hier reichlich davon. Ihr könnt mir auch mal wieder Zigaretten schicken, denn wir bekommen hier gar keine, höchstens mal französische, aber die kann ich nicht rauchen.- Ob wohl meine Päckchen alle ankommen werden? Ich bin mal gespannt. / Ich schicke hier auch noch 2 Päckchenmarken mit, wüsste aber nicht, was Ihr mir schicken könntet. / So, nun will ich zu Abend essen."
Am 9ten September 1942 erreicht mich seit langem die erste Post; "Welche Freude – eben ist Euer Luftpostbrief vom 30.8. angekommen, nach 6 Wochen die erste Post. - Ja , da habt Ihr ja wirklich bange Tage um Euer Pitterchen verleben müssen. Eure Befürchtungen waren ja auch nur zu berechtigt. Ich hatte allerdings auch nicht mit solch verwickelten Umständen gerechnet. Die Mitteilung an K's war am 15. 8. von K(rasnodar) abgegangen, durch Fernschreiben nach Ludwigshafen befördert und durch einen Offz, K's persönlich mitgeteilt worden. Auf diesem Wege dauert ja die Benachrichtigung höchstens 2 Tage. Vermisstenmitteilung erfolgt immer erst nach 4 Tagen, da die Betreffenden ja zurückkommen können. / Da sich der Postverkehr nach hier nun so langsam einzuspielen beginnt, hoffe ich, dass auch die Normalpost in den nächsten Tagen hier einlaufen wird. Unser Geschwaderstab hat schon Vorgestern 6 Säcke Post bekommen. Unsere Post war wahrscheinlich vom Feldpostamt Charkow aus nach Breslau zurückgeschickt worden, weil sie von uns nicht abgeholt wurde. Nun ist auf unsere Veranlassung hin die Post von Breslau aus nach hier unterwegs. / Seht doch bitte mal, ob Ihr für mich nicht noch ein gutes Feuerzeug bekommt, vielleicht bei W. B. Wenn möglich einen Tausendzünder. Kann aber ruhig auch ein ganz einfaches sein in Granatenform – (Zeichnung). So ein einfaches schickt mir auf jeden Fall auch mit, denn dadrin brennt jeder Sprit. / Papa Sch habe ich auch mal um eine Besorgung gebeten. Gebt ihm bitte das Geld dafür zurück. / Viele, viele Grüße/ an das ganze Haus".
B war Büchsenmacher, kriegsverletzt aus dem 1. Weltkrieg, W, seine Frau, stand im Laden in der Bahnhofstraße, Löles und die Musch waren mit ihr befreundet. Der Brief war drei Wochen unterwegs. Am 13. September, Babos Geburtstag denke ich zurück: "Als ich gestern abend so in meinem Kahn lag, da musste ich mal wieder an die Samstagabende meiner Kinderzeit denken, wenn der Babo zum „eibatsche“ (Gute-Nacht-Kuss) kam und die Musch nie ohne das traditionelle „Samstagsabends“ kam. -Ja, was wäre damals ein Samstagabend ohne das „Samstagsabends“ gewesen! - Seht Ihr, da hab ich mir dann gedacht, wie schade es ist, dass der K und das Bchen (Löles' Kinder) nicht auch am Samstagabend ihre kleine Freude haben können, weil es eben im Krieg doch garnichts geeignetes gibt. - Dem soll aber nun für einige Wochen abgeholfen werden. Ich habe heute gleich meine letzten 4 Schokoladenschachteln in 4 Päckchen gepackt und abgeschickt. 1 Schachtel ist für die Grossen u. die anderen 3 für das kleine Volk. Hoffentlich kommen alle Päckchen an. Ich kann die Schoko bei der Verpflegung gut entbehren. Gleichzeitig geht auch noch ein Päckchen mit Tabak ab. Wenn Ple ihn nicht alle rauchen kann, werdet Ihr sicher noch andere Liebhaber finden. - Gestern haben wir ein grossartiges Abendessen gehabt: Knochenmarksuppe mit Eieinlage, Gänsebraten mit Kartoffelknödel u. Sosse und Schampus u. Apfelkompott. - Heute kam auch die erste normale Post wieder, ein Brief von Hilles vom 28.8. Das war also die neueste Post. Bis die alte Post kommt, wird wohl sicher noch eine lange Zeit dauern. Post, die nach dem 30. 8. geschrieben ist, wird jetzt wieder regelmäßig ankommen Herzl. Grüße / Euer E
Gleich am nächsten Tag antworte ich meiner mit ihrem ersten Kind schwangeren Schwester in Babelsberg: "Gestern zum Sonntag kam Dein Brief vom 28.08. Als erste normale Post seit 6 Wochen. Am 9. war schon ein Luftpostbrief von zu Hause hier eingetroffen. Die Post, die zwischen dem 20.7 und dem 28. 8. abgegangen ist, wird wohl noch lange nicht hier eintreffen. Na Hauptsache ist ja, dass die neueste Post rankommt. - Von den schweren Ereignissen hier hast Du beim Schreiben Deines Briefes noch garnichts gewusst. Mutter hat Dir sicher auch nichts von dem Brief von Otto‘s Eltern geschrieben. Du bist nun also wieder mit kuriertem Magen glücklich in Deiner Bude angelangt. Dass der Bus nicht mehr fährt, ist ja direkt eine Katastrophe. Ob ich da überhaupt noch zu Besuch nach Babelsberg kommen kann? - Das muss ich mir jedenfalls noch schwer überlegen. Dass Du für Deinen kleinen Murkel schon so schön gesammelt und aufgestapelt hast, ist ja wirklich fein. Diese Vorbereitungen müssen für Dich doch furchtbar nett sein, Hilleschen. Ich kann Dich mir so richtig vorstellen, wie Du so alles zusammenklüngelst. Als frischgebackene Mutter dagegen kann ich Dich mir noch garnicht vorstellen, aber das wird schon kommen, wenn es soweit ist. - Die Nachrichten von P sind ja auch sehr zufriedenstellend. Ich hab ihm übrigens auch vor einigen Wochen mal einen Luftpostbrief geschrieben. Dass er Dich so schön versorgen kann, nimmt mir ja eine große Sorge ab. Ich habe auch bereits 20 Päckchen mit allen möglichen Sachen nach Hause geschickt. Hoffentlich langt alles gut an.
Ja, von unserem Ausgangspunkt sind wir allerdings schon ein gutes Stück weg. Deine Vermutungen stimmen so ziemlich. Augenblicklich stehen wir da wo seit Sewastopol die heisseste Schlacht geschlagen wird. - Natürlich wohnen wir immer in Zelten. Seit einigen Wochen habe ich allerdings ein schönes Hauszelt, darin mein Feldbett mit Gummimatratze u. Daunenschlafsack. Ich kann mich also in keinster Weise beklagen. Das Essen ist hervorragend. Am Samstagabend haben wir zu viert eine Gans mit Kartoffelknödeln, Apfelmus u. Schampus verdrückt, vorher noch Knochenmarksuppe. Freitagabend hatten wir auch eine Gans, allerdings ohne die anderen Beilagen. Oft mache ich mir auch Pfanne- oder Reibekuchen. - Über das Essen können wir also nicht klagen. / Die Landschaft ist sehr öde. Kein Haus, kein Baum, kein Strauch; nur kahle Wiesen und Felder. / Stell Dir vor, eben will ich meinen Mantel vom Haken nehmen, da springt mir doch wahrhaftig eine Maus entgegen. Das Biest hatte den ganzen Ärmel zerfressen. Ich habe auch gleich meine Kleidersäcke untersucht und in jedem eine Maus gefunden. Die Biester sind ganz doll hier. Nachts u. auch bei Tage laufen sie munter im Zelt rum. Die Wände rauf und übers Dach. Ich muss doch bald mal eine Mausefalle erfinden. - Fliegen gibt es hier auch zu Tausenden. Weil es jetzt oft schon ziemlich kühl ist, ziehen sie sich natürlich alle ins Zelt zurück. Sogar unter dem Moskitonetz ist man nicht sicher. Wenn man etwas Ruhe vor den Viechern haben will, dann muss man 10 Min. mit dem Handtuch um sich schlagen und dann das Zelt schnell dicht machen. - Ein Glück, dass ich bis jetzt noch keine Flöhe geschnappt habe. Die lieben Tierchen sind nämlich auch sehr verbreitet hier. / Ich habe natürlich auch schon einen Haufen Bilder gemacht. Ich will die Filme jedoch nicht schicken, weil ich sie auf keinen Fall verlieren möchte. In der letzten Zeit habe ich auch sehr viele Bücher gelesen. Wir haben nämlich eine kleine Staffelbibliothek, wo es ganz annehmbare Sachen gibt. / Kino gibt es auch ab u. zu mal. Gestern hab ich den Film „Zwischen Himmel und Erde“ gesehen, der schauspielerisch ganz ausgezeichnet ist. Gehst Du auch ab u. zu nochmal ins Kino? Jetzt kannst Du es Dir doch „leisten“. Entschuldige bitte das Geschmiere auf den Blättern, Das kommt von der Fliegentöterei. / Übrigens, wenn Du jetzt mal wieder ein paar Zigaretten übrig hast, dann bin ich wieder sehr empfänglich. Wir bekommen nämlich nur mal russischen Tabak zum Selbstdrehen, schon seit einigen Wochen. Da ist man dann natürlich froh, wenn man nochmal eine echte Deutsche paffen kann. / Ich habe so das unbestimmte und unangenehme Gefühl, als ob ich irgendeinen Familiengeburtstag verschwitzt hätte. Meinen Geburtstagskalender hab ich nicht bei mir, und im Kopf hab ich sowas auch nicht, das weißt Du ja auch. Schreib mir doch bitte gleich mal, wie sich das verhält. / So, ich glaube, für heute hab ich mal wieder genug gequaselt. / Sei herzlich gegrüßt mitsamt Deinem kleinen Murkel / von E
Sewastopol war Anfang Juli eingenommen worden. Nach anfänglichen Erfolgen der am 28 Juni begonnenen Offensive mit dem Ziel zu den Ölquellen um Maikop, Grosny, und Baku vorzustoßen, gelang zwar die Einnahme von Rostow am 23 Juli, von Krasnodar am 10. August und Maikop am 9. aber die Ölquellen waren gründlich zerstört, ebenso die Brücken und Transportwege. Grosny wurde nicht erreicht, geschweige denn Baku und an der Schwarzmeerküste stockte die Überwindung der Kaukasusbarriere. Im Ganzen ging der sowjetische Plan auf, den Gegner an der Wolga überwintern zu lassen. Die „heißeste Schlacht“ - will heißen um Stalingrad - hatte am 13. September begonnen. Schon am 9. August hatte das OK den „Ausbau von Winterstellungen“ angeordnet. - „Zwischen Himmel und Erde“ ist 1942 der erste Film von Harald Braun (1901-1960) der bis dahin u. a. als Hörspielredakteur beim Berliner Rundfunk, und seit 1937 als Assistent und Autor bei der Ufa gearbeitet hatte und nach dem Krieg eine ganze Reihe von weiteren Filmen drehte. 1942 war die Vorlage eine Erzählung, geschrieben 1856 von Otto Ludwig (1813-1865), an der Alfred Döblin den Kunstgriff des „inneren Monologs“ hervorhob und schätzte. Ein Familiendrama das im Film 1870/71 in Xanten spielt.
Am 18. September 1942 nimmt ein Urlauber einen Gruß mit: "wir haben uns jetzt Quartiere in der Stadt besorgt, in die wir in den nächsten Tagen umziehen werden . In den Zelten ist es jetzt schon mächtig kühl. Gestern haben wir auch von Charkow die Nachricht bekommen, dass 30 Sack Post für uns unterwegs sind." Drei Tage später nimmt eine Maschine einen Brief nach Deutschland mit: "Die alte Post muss nun auch bald kommen. Es sind 30 Sack unterwegs. Das wird eine Freude geben. Ob wohl meine Uhr dabei ist? / Denkt Euch, der Bruder von Otto ist ebenfalls seit dem 8.8. im Osten vermisst. Welch ein furchtbarer Schlag für die Eltern. Gestern kam ein Brief von den Eltern K an Kurt Schr, der ja auch gefallen ist. Ich habe ihn geöffnet. Er war vollkommen verworren geschrieben. Ich habe eben auch wieder an K's geschrieben. Meinen Brief haben sie scheinbar noch nicht gehabt, denn sonst hätten sie ja sicher an mich geschrieben. / Gestern haben wir wieder ein großes Gänseessen veranstaltet. Es gab außerdem Marketenderwaren, Sekt, Likör u. Steinhäger, so dass der Abend sehr fröhlich verlief und wir mit leichter Schlagseite ins Zelt und ins Bett stiegen. / Mit einer Rückkehr nach Deutschland vor dem Winter ist nicht mehr zu rechnen. Wir werden uns den Winter über hier einrichten. Da kann ich mir ja auch die Ostmedaille verdienen. / Erkundigt Euch bitte mal bei R, ob er mir Uniformstoff besorgen kann u. gebt mir bitte sofort näheren Bescheid, möglichst auch Futter für meinen dunklen Anzug zurücklegen lassen, damit er auf jeden Fall sofort in Angriff genommen werden kann, wenn ich meine Punkte habe u.i. Urlaub komme. Vielleicht kann ich Euch schon bald die nötigen Bezugsscheine schicken." Dieser Brief kam 3 Tage später schon in B. an.
Am 27.September 1942 ist endlich die alte Post gekommen "Die Post ist da, hurra, hurra!! 50 Briefsendungen 8 Päckchen u 17 Lesestoffsendungen vom Onkel R. „Is dat denn nix Marie?“ Das Zimmer wird zu enge von diesem Postgedränge. - Doch nun ganz sachlich. Angekommen sind Brief 5,9,10,11,12,14,16, langer Brief von Babo‘s Reise + 3 Karten, Rundbrief und Karte vom Ple, 37 Onkel-R.-Sendungen, Päckchen mit Uhr, Mundharmonika, Handschuhen, Plätzchen, Zigaretten, Solal und das 1 kg Päckchen. - Ach Kinners, war det ne Feude. Vom Hilleschen war natürlich auch Post da und noch von vielen anderen Freunden und Bekannten. Dass ich natürlich nicht auf jeden einzelnen Schrieb eingehen kann, ist ja klar und dürft Ihr mir auch nicht übel nehmen, auch nicht, dass ich an die versammelte Groß-Famlie ein Gesamtschreiben schicke. Ich werde so schon bestimmt eine Woche Arbeit haben, um alle Post zu beantworten, was ja nach so langer Zeit sehr dringend ist. Leider habe ich auch einige Briefe von Angehörigen gefallener Kameraden u. a. auch 2 Briefe von K's, bekommen. Die zu beantworten immer sehr schwierig ist. / Ja, womit soll ich anfangen? Es geht bei der Fülle alles etwas Durcheinander. - Die Mundharmonika ist fein. Ich habe sie gleich eingeweiht. Die Uhr, die ich immer sehr vermisst hatte, ist scheinbar prima im Schuss. Überhaupt Schwein gehabt, dass sie gut angekommen ist, denn die Verpackung ist unterwegs draufgegangen und die Uhr in Breslau amtlich verpackt worden. Die hätte sich auch gut einer unter den Nagel reißen können. Die Plätzchen vom Löles stehen zwar in Atome zertrümmert neben mir, schmecken aber noch ganz gut u. dazu ein heimatliches Zigarettchen. Sagt bitte dem O auch herzlichen Dank für seine Rauchwaren, gelegentlich werde ich ihm selbst schreiben. Dem Onkel R bin ich auch sehr, sehr dankbar für seinen Lesestoff (Brief v. Mutter mit den beiden Heftchen von Onkel R auch hier) Morgen bei Tageslicht werde ich die ganze Sendung mal durchschmökern und ihm auch bald wieder mal schreiben.
Die Schriftproben meines stolzen Neffen (7Jahre alt), sind ja ganz grandios. Dass er schon so weit ist, hätte ich garnicht gedacht. Sehr nett ist auch das Sterntalerbildchen von H (in Neubrandenburg, 8 Jahre alt). Briefe von Tante H und Hanna habe ich natürlich auch gelesen. Vor allem freue ich mich aber, dass sich die liebe Omi so langsam wieder bekrabbelt hat und den festen Willen hat, ihre „alten Knochen“ zu schonen. Das muss aber auch so sein, sonst kann ich hier nicht ruhig „kriegen“ und werde Euch alle am Kanthaken kriegen, wenn die Alte wieder Malessen macht Also….!!! / Und nun zu mir. - Am 22. 9 bin ich mit einem Vorkommando unserer Staffel per Auto (oh welche Schande) zu einem neuen Horst gefahren. Hier werden wir, bzw haben wir schon, unser Winterquartier aufgeschlagen und zwar in riesigen Kasernen, die verhältnismäßig gut sind. 4 km weg ist eine große Stadt mit Straßenbahn, Kino, Speisehäusern, Kabarett usw. Wir haben ordentlich die Augen aufgerissen, als wir das alles sahen u. dazu die hübschen, nett angezogenen Mädels, nach denen der Landser ja immer eine Stadt beurteilt (+ folgt) – Am 2. Tag bin ich dann mit einem PKW 100 km überland gefahren u. habe eine Obstgegend gesucht u. gefunden. 7 Zentner wundervolle Äpfel habe ich mitgebracht. Am nächsten Tag habe ich dann gleich mit einem LKW weitere 50 Zentner geholt. Das war ein ganz netter Erfolg. Nach so einer Fahrt im offenen Wagen ist man allerdings grau wie eine Mumie. / Hier habe ich ein nettes, mit selbst requirierten Möbeln ausgestattetes Zimmer, zusammen mit einem Leutnant mit dem ich mich im letzten Monat sehr angefreundet habe. Die Russen schmeissen oft Bomben am Tag aus riesigen Höhen, so dass man sie garnicht hört. Doch wir haben uns so daran gewöhnt, dass man kaum noch ans Fenster geht, wenn es kracht. Nachts wacht man natürlich auf, doch das ist nicht zu ändern. Streichhölzer u. Kerzen waren sehr willkommen, denn das el. Licht brennt noch nicht. Seht Ihr, eben brüllt es: Fliegeralarm. Gleich wird es wieder rumpsen. Heute Nacht haben uns die Kerle wahrhaftig ein Ding direkt vor‘s Fenster gesetzt, allerdings nur eine leichte. Nicht mal Scheiben sind geknackst. Oft gibt es auch 2-3 Blindgänger bei einem Reihenwurf. Heute ist die Staffel hier angekommen u. hat auch die Post mitgebracht. Schicke diesen Schrieb per Luftpost, damit Ihr gleich wisst, dass die wertvollen Sachen glücklich gelandet sind. Wahrscheinlich hab ich noch vieles vergessen zu erzählen, werde aber morgen die Post nochmal durchlesen und bald einen neuen Brief folgen lassen. Für heute seid alle recht herzl. bedankt, liebgepackt u. gegrüßt von Eurem E".
Der Luftpostbrief kam am 5. 10 an. Die „Große Stadt“ ist Krasnodar, wie sich aus einem späterem Brief eindeutig ergibt. Die dortige Straßenbahn geht in ihren Anfängen auf die Konzession einer französischen Firma für eine Benzol-betriebene 1m-Spurbahn noch im 19ten Jht zurück, die 1914 elektrifiziert wurde und zur Hälte bei Beginn des 2. Weltkrieges auf die russische 1,5 m Spur umgebaut war. Die Besatzer bauten 1942 Gleise ab um gesprengte Brücken damit wieder herzustellen und zerstörten Kraftwerk und Werkstatt. 1946 konnte die Bahn wieder fahren und 1950 war die Umspurung der rund 60 km beendet.
Aus Krasnodar also, am 1. Oktober 1942: "Ihr Lieben! / Kommt da nicht die Post?! - Richtig, da ist sie ja! Achtung, Achtung, welche Freude! Schon wieder zwei Briefe von Euch, 17, 18. Neulich war es doch auch schon ein ganz netter Schwung. Ob sie wohl gute Nachricht enthalten? Das kann man ja wohl hoffen. Ach wie schön ist es doch, wenn man Post bekommt. Rar ist sie ja. Nun habe ich also glücklich Babo‘s Geburtstag wieder verschwitzt. Ich hatte schon ein schlechtes Gewissen und schrieb damals an Hilles wie sich das so verhielte. Ein Drittes Mal werde ich ihn aber bestimmt nicht mehr verschwitzen. / Dass die Omi zur Kur wegfährt, freut mich sehr. Sie muss es aber auch wirklich tun u. nicht nur vorhaben. / Irgendwelche Sachen brauche ich vorläufig nicht. Dem Babo vielen Dank, dass er mir so großzügig meine Restschulden streichen will. Zur Versendung von Öl mangelte es mir damals an Gefäßen. Jetzt ist alles zur Winterbevorratung eingeteilt u. neues wird nicht mehr requiriert. / Brief von Heg hat mich sehr gefreut u. gerührt. Werde wahrscheinlich hoffentlich endlich wieder zu unserem fliegenden Club zum Einsatz zurückkehren, nachdem ich mich nun so lange bei unserem Bodenhaufen gemästet habe. Der fliegende Teil unserer Staffel steht augenblicklich unter größten Entbehrungen (Zelte, Wind, Kälte) an dem seit Wochen heiß umstrittenen Punkt der Ostfront zum Einsatz. - Habt ihr gestern die Führerrede gehört! - Gut, was?! Haben bei dem eben erwähnten Einsatz wieder 3 Besatzungen verloren, insges. jetzt 6. Die Briefe von Angehörigen häufen sich. Die Beantwortung ist immer eine schwere Aufgabe. / Wenn ich wieder fliegen sollte, schreibe ich sofort."
Während ich nicht mitfliege, hat die Staffel praktisch die Hälfte ihrer Flieger und Maschinen verloren. Was das in mir auslöst, kann ich nicht schreiben. - Am 30. September hatte Hitler im Sportpalast zur Eröffnung des Winterhilfswerks geredet. Die Rede hebt ab auf die „ungeheuren Leistungen" der Organisation des (Ost-) Raums, Straßen durch Sümpfe, die der russische „Sumpfmensch“ vielleicht nicht brauche, aber wohl ein Europäer. „1000nde von zerstörten Brücken“ seien wiederaufgebaut worden in dem Land der Arbeiter und Bauern in dem die Menschen wie nirgends in Angst vor dem Regime leben würden. Mit den Verbündeten werde Europa verteidigt und würden die Strukturen geschaffen um Europa zu ernähren. Wenn die Gegner behaupten würden, ihr Geist erfinde dauernd neue Waffen, - der Deutsche Geist ruhe auch nicht. Wenn unsere Wehrmacht nicht vorrücke, dann sei das unsere Vorsicht, erst muss die Nachschuborganisation gesichert sein. Unsere U-Boote, unsere Luftwaffe heroisch etc... Der Diktator hatte bereits am 23. Juli eine folgenschwere Entscheidung getroffen, als er befahl, Stalingrad und den Zugang zum Öl im Kaukasus gleichzeitig zu erobern - Stalingrad, damit der Gegner den Kaukasustruppen nicht in den Rücken fallen könne. Zwar waren Anfang August erste Ölquellen in Majkop in deutscher Hand, aber sie waren gründlich unbrauchbar gemacht worden. Im September stoppte die Offensive im Kaukasus und obwohl die Armee in Stalingrad unter Nachschubproblemen litt, wurde ihr befohlen weiter anzugreifen. Hitlers Personalpolitik führte zu einem gespaltenen Oberkommando und zur "Frontbewährung" als entscheidendem Karrierekriterium, auch bei der Luftwaffe, womit mehr und mehr junge, militärisch unerfahrene "Draufgänger" zu Befehlshabern wurden. Nicht mein Fall.
Am 4. Oktober ist es soweit: " Nun bin ich glücklich wieder in unserem Einsatzhafen bei meinen Kameraden gelandet. Morgen wird der erste Feindflug nach 6 Wochen starten. Ich bin ja so froh. / Euer E " Am Tag darauf, morgens um 7h39 ergänze ich: "Soeben vom 1. (44.) wieder zurück. Es war ganz groß. / E" . 10 Tage später erfuhr die Familie, dass sie sich wieder mehr um mich ängstigen kann.
Am 11. 10. 1942 kommt u.a. die Lage etwas genauer zum Ausdruck: " Vor vier oder funf Tagen erhielt ich Euren Luftpostbrief vom 23.9., für den ich Euch recht herzl. danke. Es war, glaub ich, gerade am 2. Tag, wo ich wieder im Einsatzhorst meiner Staffel war. Inzwischen habe ich wieder 4 Feindflüge hinter mir. Ganz plötzlich wurde vorgestern die Staffel auf unseren Winterhorst, wo ich ja vorher war, zu anderweitigem Einsatz, aber nur vorübergehend verlegt. Ich bin heute mit meinem Flugzeugführer nachgekommen, weil unsere Mühle nicht klar war. - Drüben hatte ich schon den Befehl erhalten, mit meinem neuen Kutscher sofort nach Wien zu fliegen, um dort auf Nachtjagd umzuschulen. Ich habe mich mit Händen und Füßen gewehrt, aber ohne Erfolg. Als ich nun heute hier ankam, lag zu meiner großen Freude der Befehl von der Gruppe vor, dass ich doch hierbleiben soll und mein Kutscher allein fliegen muss. - Nun muss ich mal sehen, mit wem ich jetzt zusammen fliegen werde. Augenblicklich steigen wieder ziemlich haarige Einsätze mit viel Flak u. so. Na, da weiß man dann auch wenigstens, wofür man seine Auszeichnungen bekommt. Übrigens werden wir im Wehrmachtsbericht meist als Zerstörer genannt, nicht als Schlachtflieger. Heute kam auch ein verspäteter Brief vom 23. 8., vom Löles, für den ich auch bestens danke. - Dass Ihr schon 4 Päckchen von mir erhalten habt ist ja fein. Morgen schicke ich vielleicht noch eins mit Stumpen und schwarzem Tee. - Übrigens kamen auch heute die Katarrh-Pastillen von Ple, die ich gleich in Gebrauch genommen habe, denn in den Erdlöchern habe ich mir einen ganz netten Pips geholt. Vom Onkel R kamen auch wieder eine Reihe Zeitungen. Nr.44-50. An Lesestoff mangelt es mir also nicht mehr. / Schickt doch bitte dem G Elf mal die kaputtne Röhre aus meinem Radio. Sie ist, glaub ich, mit einem weißen Papierstreifen gekennzeichnet. Ich habe G deswegen schon geschrieben. Und dann schickt mir bloß Zigaretten, soviel Ihr auftreiben könnt. Tabak ist noch genug vorhanden. Wenn wir noch ein paar Tage hierbleiben, muss ich mich auch mal hinter meine Bezugsscheine klemmen. So, das dürfte so das Neueste in Kürze sein."
Die Gruppe wird seit dem 20. August von Joachim Blechschmidt kommandiert, Schenk wurde Geschwaderkommodore des Zerstörer-Geschwader 1, Blechschmidt wird im Juli 43 sein Leben verlieren.
Am 14. Oktober 1942 gebe ich mich, schizophren wie immer, mit meinen 21 Jahren ganz im Sinn unserer Führung als Kriegsautomat. War ich das nicht auch? Und zugleich liebenswürdiger "Familienmensch": "Ihr Lieben / Erst heute erhielt ich Babo‘s Brief mit dem Schwarwaldbüchlein. Ja die Zeiten haben sich doch gewaltig geändert. Damals marschierten wir so schön durch den dicken Wald über die Berge u. heute fliege ich über dicken Wald und hohe Berge, in denen sich die Russen festgesetzt haben und sich den Boden meterweise abzwingen lassen. Doch auch das wird mal ein Ende haben. Und wenn ich dieses Ende erlebe, dann werde ich auch mal wieder zum friedlichen Schwarzwald zurückkehren. Doch das liegt vorläufig noch j.w.d. (janz weit draußen) / Ich hab jetzt auch wieder einen neuen Kutscher, auch ein Leutnant, bin allerdings noch nicht mit ihm geflogen, doch glaub ich schon, dass es hinhaut. / Von Hilles kam heute auch ein Gruß mit Zigaretten, Löles hatte auch dazugeschrieben. / Augenblicklich habe ich Gefechtsdienst. Leider versagt mal wieder das elektrische Licht, auf das wir nach 3 Monaten Kerzen u.Karbidlampen, doch so stolz sind. - Zu einem guten Feuerzeug gehört eben immer eine Schachtel Streichhölzer u. zu unserem elektrischen Licht eben eine Kerze. Sowas nennt sich dann Zweckmäßigkeit. / Vor ein paar Tagen, als wir noch auf dem anderen Platz lagen, hat es mir mal gewaltig gestunken. - Ich hatte zus. mit meinem neuen Kutscher Alarmbereitschaft und wir sassen beide in der Mühle. Auf einmal sahen wir in astronomischen Höhen einen Kondensstreifen ankommen – natürlich ein Russe. Wir – Motoren angelassen – Pulle rinn u. ab. Mein Flugzeugführer hing die Kiste an die Latte, dass sie hochging wie ein Fahrstuhl. Auf 5500 m saßen wir genau unter dem Russen, der etwa 500 m höher war und uns scheinbar noch nicht gesehen hatte Da verreckt uns plötzlich der Motor (das Biest! Und wir hingen mit der lahmen Krähe wie eine schwangere Wanze am Himmel u. konnten abdrehen Richtung Kochtopf – Pech muss man haben – Unser Kamerad, der etwas hinter uns war, schoss den Iwan ab mit einem müden Lächeln. / So nun will ich mich aber noch ein paar Stündchen aufs Ohr legen, denn um 4 Uhr geht der Rummel wieder los. Ich habe übrigens an Hilles denselben Tinnef geschrieben. Ihr braucht ihr den also nicht mehr anzudrehen. / Recht herzl. Grüße ! / Ebo / Der Omi noch ein ganz bes. kräftiges Px (pleib xund)."
Zwar habe ich meine Calwer Großeltern nicht gekannt, wohl aber Babos Elternhaus, denn dort wohnte seine Schwester mit ihrer Familie. Und die Umgebung hatte ich mit dem Babo erwandert, den Schwarzwald, den ich nicht wiedersehen werde.
Drei Tage später geht es mir ganz ums "äußerliche": " schick ich nun die Bezugsscheine für 2 Stiefelhosen, 1 Mantel, 1 l. Hose und 1 Waffenrock. Daraufhin werdet Ihr wohl den Stoff sichern können. Ist es eigentlich noch besserer Stoff oder schon Einheitsware? Wie ist überhaupt der Schneider in K? Hoffentlich kann er mir ein anständiges Ding bauen. - Schaut Euch auch bitte mal um, wo man sich 2 Paar Schaftstiefel bauen lassen kann. Vielleicht weiß G'scheid etwas. Die Bezugscheine für Schuhe, Stiefel, Mützen, Wettermantel u. Handschuhe behalt ich vorläufig mal hier. Ich werde Euch noch den Bezugschein für einen Leibriemen u. 1 Pistolentasche schicken. Augenblicklich habe ich ihn nicht hier. Unsere Putzfrauen haben ihn verbrannt u. ich muss mir einen neuen ausstellen lassen. Hoffentlich könnt Ihr dann in S noch einen ledernen Riemen erwischen. Die Dinger werden nämlich auch schon aus Ersatzstoffen hergestellt. Ihr müßtet ihn mir dann in einem 1 kg-Päckchen schicken. Pistolentasche ist nicht so wichtig, steht allerdings auf dem gleichen Schein. / Gestern kam das 2. große Päckchen mit den Feuerzeugen, der Arznei usw. und noch ein Brief mit Zigaretten. Habt für alles recht herzlichen Dank."
Am 21.Oktober 1942 will ich wissen, ob meine Bezugscheine richtig angekommen sind und kündige "den für den Leibriemen" für morgen an. Die Musch ist zur Kur in Bad Oynhausen: "Ich hoffe, dass Du Dich ganz feste erholst, damit Du, wenn ich in Urlaub kommen, nicht mehr mit allen Knochen klapperst. Hörst Du, Alte!!!" Sie hatte mir zwei Briefe meines 7jährigen Neffen an mich beigelegt: "K's Briefe haben mir viel Spaß gemacht." - "Denkt bitte daran, mir zu schreiben, wie der Stoff ist. / Hier ist der Betrieb sehr ruhig. Geflogen wird sehr wenig. Ich wohne jetzt mit meinem Freund von der Kriegsschule zusammen auf einer Bude. Ich habe Euch ja damals von ihm erzählt, wie er hinter den russischen Linien abgeschossen wurde. - wir schlafen morgens bis 9 Uhr, gehen dann ins Kasino zum Frühstück; anschließend wird dann wieder eine Siesta bis zum Mittagessen gehalten, während ein paar russische Frauen unsere Bude reinigen. Nach dem Essen wird wieder ein Stündchen geschlafen oder gelesen und dann schreiben wir meistens Briefe. Um 5 Uhr ist Abendessen, anschließend gehen wir dann oft ins Kino entweder in der Stadt oder im Horst. Nach dem Kino ist gewöhnlich noch eine kleine Alkoholsitzung im Kasino und dann gehts ins Bett. - Das Wetter ist augenblicklich nicht sehr berückend. Der Schlamm geht bis über die Knöchel. Die Berge sind in den Wolken, so dass wir bei unseren Einsätzen immer in den Tälern rumkrebsen müssen, zur Freude der Russen, die uns immer einen mächtigen Feuerzauber hinlegen. Unsere Erdtruppen schlagen sich fabelhaft. Ich glaube, dass wir vor Winterbeginn Tuapse noch nehmen. Stalingrad wird wohl in ein paar Tagen reif sein. / Ich freue mich sehr, dass die Musch in Oynhausen ist. Schickt Ihr bitte Diesen Brief nach."
Die Angriffsgruppe Tuapse (Gebirgsjäger) war am 23. September gebildet worden, sie kam in den Bergen nur langsam voran und hatte starke „Ausfälle“ (rund 10 000 Mann nach Meldung vom 12.10.), sie brauchte neue Kräfte, die es nicht gab. 30 km vor dem Ziel kam die Front Ende Oktober zum Stillstand. - Stalingrad: während die Generäle die Einnahme der Stadt angesichts der Schwierigkeiten allenfalls in zweiter Linie für wichtig hielten, war sie für Hitler im Gespräch am 2. Oktober aus psychologischen Gründen gegenüber Weltöffentlichkeit und Verbündeten dringend und am 10. 10. sollte dem Oberbefehlshaber. Stalingrad „herausgebrochen“ werden, „damit der Kommunismus seines Heiligtums beraubt werde“.
Mein 20 Jahre älterer Schwager, Löles Mann, hat mir unter dem 9. geschrieben, ich hatte ihm russischen Tabak für seine Pfeife geschickt. Am 27. Oktober antworte ich ihm: "Ich freue mich sehr, dass du den Tobak verwerten kannst. Ich finde, wenn man nicht allzu verwöhnt ist, kann man ihn gut rauchen. Der gute „Huntersberg“, den mir Mutter letzthin schickte, ist schon längst alle und so rauche ich auch wieder feste Kubantabak. Gestern kam allerdings wieder mal Abwechslung in Form eines Zigarettenpäckchens von E Bkh – von Mutter kam heute auch ein Luftpostbrief, in dem sie schrieb, das Löles wieder gesund ist. Zum „gute Besserung wünschen“ komme ich also gottseidank nie. Da müsst Ihr schon verdammt lange krank sein. Dass das Gchen nicht mehr mit seinem Papa zufrieden ist, ist ja köstlich. Doch das gibt sich mit der Zeit. Hab früher auch schon mal solche Ideen gehabt. / Dass ich wieder feste fliege, wisst Ihr ja nun sicher. Wir machen jetzt täglich etwa 2 Einsätze. Das ist bes. günstig, denn man bekommt im Höchstfall pro Tag 2x Sonderverpflegung und bei 2 Einsätzen ist diese Möglichkeit voll ausgenutzt. Vor ein paar Tagen haben wir uns zu zwei Maschinen mit 9 Jägern u. 6 Kampfflugzeugen rumgeschlagen. Wir hatten gerade Bomben geworfen, als wir die Russen in der Ferne fliegen sahen mit Kurs zur deutschen Front. Wir natürlich gleich hin und drauf. Sofort machte der ganze Haufen kehrt u. flog zurück, ohne eine Bombe über unserem Gebiet fallen zu lassen. Wir hatten nur ein paar ungefährliche Treffer in der Mühle. - Leider hab ich vorige Woche wieder 4 Kameraden verloren. – Mein „Dünnpfiff“ und mein „Pips“ sind schon lange weg., Hoffentlich bekomme ich keine Gelbsucht, die ist nämlich sehr verbreitet u. hier auch ansteckend. Von jeder Staffel sind 20-30 Mann daran erkrankt. - Weihnachtswünsche hab ich keine besonderen (auf Mutters Frage), allerdings hätte ich gerne Bücher. Jedoch bitte keine schweren Sachen, das ist nichts für mich. Lieber z. B. gute Romane. Übrigens Ple, mit dem Hermann Hesse in seiner Morgenlandfahrt komme ich überhaupt nicht klar. - Anbei der Bezugschein für das Koppel, Päckchenmarke ebenfalls. Die anderen Scheine sind hoffentlich angekommen. - Den Tee hab ich noch nicht abgeschickt. Er geht zus. mit Fischkonserven u. Stumpen ab. Wir bekommen nämlich jeden Tag 1 Stumpen u. die sammle ich natürlich für Euch. 1P Tee wird Euch auch noch von einem Kameraden zugeschickt werden, dem ich Geld dafür gegeben habe. Schickt den Brief auch der Musch, zu 2 Briefen langt die Zeit nicht. - Und nun, l. Ple, sei recht herzlich gegrüßt mit dem ganzen D-Haus von Deinem Schwager / E."
Die Erzählung Hesses, 1930/31 in Montagnola geschrieben, entstand in Rückbesinnung auf des Autors enge und von ihm "verratene" Freundschaft mit den "Aussteigern" vom Monte Verita im Lago Maggiore. "Unser Morgenland war ... die Heimat und Jugend der Seele, es war das Überall und Nirgends, war das Einswerden aller Zeiten. So führt die Reise durch die Geschichte und die Zukunft, durch Räume und Zeiten. Wir zogen nach Morgenland, wir zogen aber auch ins Mittelalter oder ins goldne Zeitalter, wir streiften Italien oder die Schweiz, wir nächtigten aber auch zuweilen im zehnten Jahrhundert und wohnten bei den Patriarchen oder bei den Feen ... Halb Europa und ein Teil des Mittelalters wurden durchquert." Einsamkeit und Verzweiflung, denen Hesse entgegenwirken zu können dachte, lagen dem jungen Mann im kaukasischen Morgenland wahrscheinlich auch nicht fern. Aber in seiner Umgebung hatte man die Gefühle mit rabiateren Methoden "im Griff", Morgenlandfahrten à la Hesse hätten zuviel in Frage gestellt, abgesehen davon, dass viele Namen und Anspielungen nicht ganz leicht mit der Lektüre "klar kommen" ließen.
Den Brief an den Schwager gebe ich am nächsten Tag einem Kameraden mit und am Tag danach, dem 29. Oktober 1942: "Hier ist alles in bester Ordnung. Haben das EK (I) gestern toll gefeiert. Gleich heute früh um 5 Uhr musste ich schon Einsatz fliegen. Das war natürlich bitter bei der Schlagseite. Herzl Grüße E / Besorgt mir bitte noch 4 paar Kragenspiegel für Leutnantsuniform (gelb) und schickt sie mir her. Ebenfalls Silberkordel für Kragenumrandung usw. (etwa 2 m), 2 gestickte Hoheitsabzeichen für Feldbluse"
Am 2ten und 5ten November 1942 schreibe ich an die "Lieben" zuhause: "Mutters Brief m. Zig. Vom 13.10. u. das Päckchen vom 6.10. u. Babo‘s Karte aus St. G. Vorgestern erhalten. Besten Dank. / Gestern sind abgegangen: 2 P. mit Fisch, 1P mit Fruchtschnitten u. 1 Pa m. Zigarren, Tabak, Tee, Keks, Bonbons u. Bildern. Lasst Euch alles recht gut schmecken. Die Weihnachtspäckchenmarken kommen in den nächsten Tagen per Luftpost. / Ihr müsst nun schon alle meine Päckchen, die ich Euch schicke, als Weihnachtsgeschenk buchen, denn was besonderes gibts nicht. - Vielleicht lässt man mich auch hier noch vor Weihnachten laufen und dann habt Ihr ja ein „überdimensionales“ Weihnachtsgeschenk. / Meinen 60. hab ich auch gemacht. Die Uhrzeit ist ja jetzt verdammt komisch. Um 4 Uhr ist es schon stockdunkel. Dafür muss man aber zum Früheinsatz schon um 3h30 aus den Federn. - verdrehte Welt! / Die Omi ist jetzt sicher schon wieder zurück. Hat sie sich gut erholt? Ich hoffe – Herzl. Grüße / E
"Gestern kam Löles Brief vom 19.10 u. ein Zigarettenpäckchen (24) vom 16. 10. Für alles herzlichen Dank. - Dem Löles wünsch ich zu seiner Ausstellung einen Bombenerfog, damit ich mich auch in ihrem Glanz etwas sonnen kann. Ich rennomiere doch so gerne mit meinen beiden geistig und künstlerisch hochstehenden Schwestern. Auf diese Weise entfällt dann auch immer ein Abglanz auf meine mikrige Wenigkeit. - Wenn erst mal in München Bilder von Löles hängen, dann stell ich mich den ganzen Tag drunter u. sage jedem: „ ich heiße D u. die Bilder stammen von meiner Schwester!“ / Eure Zwetschgenernte hat ja ganz fabelhafte Ergebnisse gehabt, wie ich nach Babo‘s Meldung feststellen konnte. / Gestern war ich übrigens zum ersten Mal in einer russischen Familie. Ich wurde durch einen Kameraden dort eingeführt. Es war sehr nett. Wir haben sogar feste getanzt. / Sonst geht das Leben so seinen alten Gang. Fliege täglich 1-2 Einsätze u. liege sonst auf dem Bett. / Recht herzl. Grüße / Euer E
Das ein oder andere Aquarell, Porträt und/oder Landschaft, meiner malenden Schwester wurde mit den Werken anderer, mehr oder weniger professionell arbeitender Künstler gelegentlich in S. einem städtischen Publikum vorgestellt. Ich schreibe ihr am 2ten November zum Geburtstag: "Lieber Fips! / Zu Deinem Geburtstag meine allerherzlichsten Glückwünsche und wie ich hoffe, anbei einen kleinen Blumengruß. / Zu meiner großen Schande muss ich allerdings gestehen, dass ich das genaue Datum nicht weiß, obwohl Hilles es mir erst vor 2-3 Wochen geschrieben hat. (ob der 23. stimmt) -Jedenfalls bitte ich bei Deinem Urteil um mildernde Umstände. - Im Monat habe ich mich ja, glaube ich , nicht geirrt. - Dem Papa Ple gratulie ich auch (soll doch nicht mit hängender Unterlippe daneben stehen!) - Hat der Mensch ein Schwein gehabt, dass er mit Dir Geburtstag feiern darf – und dass er Dich überhaupt gekriegt hat !!! - meine Schwester !! - Also, nun sauft‘s net zu viel – und wenn, dann jedes 2. Glas auf mein Wohl – klar?"
Am 6ten November 1942 ist dann die in Anbetracht der "Bekleidungswünsche" der letzten Wochen zu erwartende Nachricht fällig und kommt per Luftpost schon am 10ten nachmittags in B. an: "Melde mich gehorsamst als mit Wirkung vom 1.10. 42 zum Leutnant befördert. / Schickt bitte die von mir gewünschten Sachen nicht mehr ab, da über mein weiteres Verbleiben hier vollkommene Ungewissheit besteht. / Heil und Sieg! / Euer E"
Zwei Tage später: „Ich war ja sehr erstaunt, dass die Omi ihre Kur schon wieder beendet hat. Doch den Umständen nach wird es sicher richtig gewesen sein. Die Beförderungsfeier vorgestern war sehr feucht u. fröhlich. Mein Freund Cl ist auch Lt geworden. - Vorläufig werde ich nun noch hierbleiben u. auf weitere Befehle warten. Auf die Dauer werde ich hier nicht festsitzen. Ich hoffe sogar, die Weihnachtsfeiertage in Deutschland verbringen zu können. Hier schicke ich Euch mal ein Bildchen von mir, damit Ihr seht, wie wohlgenährt ich aussehe. Das Zerstörerbild hab ich aus einer Zeitschrift ausgeschnitten. / Versucht bitte auf jeden Fall ein Koppel für mich zu bekommen, aber noch nicht schicken. Hoffentlich bekommt der Schneider in Ki den nötigen Stoff. Draußen ist jetzt trostloses Wetter. Um die Häuser rum schwimmt alles. / Habe auch wieder 4 Päckchen Tee u. eine Schachtel mit 20 Zigarillos hier stehen, die demnächst abgehen…
Dieserf Brief sollte allerdings erst am 9. Dezember in B. ankommen. Die Sorge um meinen Leutnantsoutfit beschäftigt mich weiter: „Anbei einige Punkte, die ich von einem Kameraden bekommen habe. Gebt sie weiter an R für Futter u. Zutaten zum Anzug. Den Rest soll er gutschreiben. Mit der Absendung von Weihnachtspäckchen vorläufig noch abwarten. Genauer Bescheid kommt noch durch Luftpost. / Sonst alles i.O. / Euer E / Versuch u. a. U. (unter allen Umständen) ein Lederkoppel aufzutreiben. / Benutzt aber bitte auch die Sockenabschnitte.“
Am 12 November 1942 erinnere ich die Famlie: „Vorläufig bitte außer Briefen nichts mehr schicken, vor Allem keine Weihnachtspäckchen.“ Die Hoffnung auf ein Weihnachten zu Hause habe ich nicht aufgegeben: „Ich bin augenblicklich noch feste am bohren. Wenn es nicht glücken sollte, muss ich Weihnachten halt ohne Päckchen feiern. Sonst alles i.O. / Euer E
Nachdem ich weitere Punkte übersandt habe, schicke ich am 15. eine Bescheinigung zur Beantragung einer Kleiderkarte und am 19. bin ich beruhigt was meine neue Uniform angeht: „Ich bin hocherfreut, dass es mit meinen Sachen so gut klappt. Ich habe, ehrlich gesagt, etwas aufgeatmet, als ich las, dass Ihr eingutes S'ner Fachgeschäft für meine Schneiderei aufgesucht habt, denn zu einem Uniformbau gehört doch eine gute Portion Erfahrung und die dürfte der gute Mann in K kaum haben. Wenn es sich nun auch noch bewahrheiten sollte, dass ich noch guten Stoff bekomme, dann springe ich glatt bis unter die Decke, denn eine anständige Uniform ist doch natürlich der Stolz eines jeden Offiziers. / Dass das Koppel u. die anderen Sachen schon unterwegs sind, ist ja prima, dann werd ich ja wohl noch alles bekommen, ehe die Möglichkeit für „Kurs Deutschland“ besteht. - Ich habe die Feste Hoffnung, dass es klappt. - Kinners, wär das eine Freude. Die Omi darf dann aber in keinster Weise auf der Schnapsnase liegen, verstanden?!!! Nun will ich mich schnell auf die Beine machen, denn gleich ist Varietée / Die zu erwartende Zuwachsmeldung vom Löles hat mich wahnsinnig gefreut . - Deutschland braucht noch viele Soldaten! --- Vielleicht helf ich auch bald mit. / Euer E“ . Ich vergesse den Brief abzuschicken und kann am nächsten Tag gleich weiter schreiben:“Gestern kamen 2 Päckchen, eins von Löles u. eins von Euch mit Zigaretten u. ein Brief von Mutter (26) Ich hab mich riesig gefreut. u. dank Euch recht herzlich. - dass Ihr mal 3 Wochen ohne Post von mir gewesen seid, ist mir unbegreiflich. Ich habe doch bestimmt etwa jeden 3. Tag einen Brief an Euch losgelassen. / Mit gleicher Post geht eine Anweisung über 300 M für meine Bank an Euch ab. Ich denke es wird für den Stoff reichen. / Mit meinem guten Freund Cl von der Kriegsschule liege ich zusammen auf einer Stube. Er ist auch mit mir befördert worden. Er dankt übrigens recht herzl. für die Grüße u. hat mir gestern fast 1 kg durchw. Speck für Euch gegeben. Er hat 3 kg von seiner Staffel bekommen, schickt davon einen Teil der Frau eines gefallenen Bordfunkers u. hat mir den Rest gegeben, da seine Eltern im Bauerngut dergl. Dinge nicht benötigen. Ich werde das Päckchen heute noch fertigmachen. / Das wär alles / Herzl. Grüße / Euer E
Am nächsten Tag, dem 21. November 1942 schicke ich ein Foto: „Ihr Lieben! / Nun könnt Ihr den E mal mit allen Orden und Ehrenzeichen gebührend bewundern. / Heute ist der erste Schnee gefallen. Zwar ist noch ein Riesenmatsch draußen, denn heute morgen hat es noch in Strömen geregnet, aber die Erde hat immerhin einen gräulich-weißen Anstrich. - Eben war ich im Varietée – sonst ist nicht viel zu tun. - Von Onkel R kamen heute wieder Zeitungen (64-66) Ich hab übrigens jeden Tag Post, d.h. wenn überhaupt Post kommt. Dafür hab ich mich aber selbst auch mit der Briefschreiberei schwer angestrengt , bei der allgemeinen Arbeitslosigkeit der letzten Monate ja nicht schwer. / Übrigens liegen auch Bilder von meinem Freund H Cl bei, von dem der Speck unterwegs ist. Neuigkeiten gibt es keine, also herzl. Grüße u. einen fröhlichen Nikolaus ! E
Unter dem 27. November kann ich meine Versetzung ankündigen: Heute kam Euer Päckchen mit dem Leibriemen. Fein, dass er nun da ist. - Über die 3 Büchlein hab ich mich auch sehr gefreut. Der Appel hat prächtig geschmeckt. Leider haben wir hier überhaupt kein Obst mehr. Auf Eure Zigaretten brauch ich ja kein Lob mehr zu singen. Der Babo u. der Ple können sich aber auch freuen. Ich habe bis jetzt 60 Stumpen und Zigarren gesammelt. - Von Hilles kam auch ein kleines Adventspäckchen. / Nun das Neueste: Ich bin versetzt zu einem Kampfverband wahrscheinlich als Beobachter. Der Versetzungsbefehl liegt noch beim Kommodore, der augenblicklich mit der Gruppe, d. h. den fliegenden Teilen der Gruppe an einem anderen Frontabschnitt eingesetzt ist – Immer da, wo es brenzlich ist. - Mein neuer Verband soll dort auch liegen. - Ich nehme nun an, dass mich die Leute da erst mal auf einen Lehrgang schicken. Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass ich dort gleich in der Praxis ausgebildet werde. - Die Urlaubsaussichten sinken dadurch natürlich sehr stark, denn ich kann bei einem neuen Verband nicht gleich wieder in Urlaub gehen. - Vorläufig also die Postsendungen mal unterbrechen bis meine neue Anschrift kommt. Gestern abend sind wir zu 6 Mann hoch im Volkswagen in die Stadt gefahren und haben an einer Festivität des Fliegerkorps teilgenommen. Es wurde ein Querschnitt durch Opern u. Operetten gegeben, gesungen von ganz ausgezeichneten Kräften. Es war ein ganz herrlicher Kunstgenuss. bes. ein Tenor vom Reichssender Köln hat fabelhaft gesunden, ebenso eine Sopranistin vom Sender Breslau. - Anschließend haben wir dann noch das Kasino des Korpsstabes ausgeplündert. Dort gab es noch besten franz. Rotwein, Sekt, echten Cognac, Curacao usw. Wir armen Häschen, alkoholentwöhnt, haben natürlich feste einen gekippt, immer unter dem Motto: Man muss die Stäbe schädigen, wo man kann! - Im Laufe des Abends bekamen wir dann auch etwas Fühlung mit den Herren Kriegsgerichtsräten u. a. hohen Herren, die allerdings mit steifer Miene auch schon einen ganz netten Affen gefangen hatten. Wir haben dann das Gesetz des Handelns an uns gerissen u. den ganzen Laden in Schwung gebracht. Die alten Herren waren von den „Wespen“ begeistert und haben uns aufgefordert, so oft als möglich zu kommen, damit sie etwas Leben in die Bude kriegten. - Wir werden dieser Aufforderung natürlich gerne ab und zu Folge leisten. Leider ist der Autosprit sehr knapp. / Habe hier auch vor 4 Wochen den Lt. Kunibert B aus B. getroffen. Vor ein paar Tagen ist er hier ins Laz. eingeliefert worden mit Granatsplitter in der linken Hand. Er hat mich gleich rufen lassen, damit ich ihm die nötigsten Sachen besorgen soll (Zahbürste, Kamm usw.) Der arme Kerl hat nichts als seine speckigen Klamotten auf dem Bauch. - Nun recht herzl. Grüße und Dank, Euer E“
Während die Besatzer in Krasnodar feiern, wird die Lage in Stalingrad aussichtslos. Nach 4- tägiger Offensive hatten die sowjetischen Truppen am 23. November den Kessel um die 6. Armee schließen können. Des Diktators Fehleinschätzung des Gegners, sein überhebliches Eingreifen und seine Fehlentscheidung zu Gunsten einer unrealistischen Kaukasusoperation auf Kosten der Truppen an der Wolga waren die militärischen Ursachen der Niederlage. Vom 25. November datiert eine Denkschrift des Artilleriegenerals Walter von Seidlitz-Kurzbach (1888-1976) an den Chef der Stalingradarmee, auch entgegen dem Durchhaltebefehl Hitlers den Ausbruch aus dem Kessel zu wagen. Letzte Versuche, Hitler umzustimmen und ihm den Plan zur Versorgung der Armee aus der Luft auszureden, scheitern, die militärische Führung riskiert kein Zuwiderhandeln. Ausreichender Nachschub (700 t pro Tag) aus der Luft erweist sich als undurchführbar (nur etwa 100 t kamen)
Am 28. November 1942 steht meine Versetzung an: "Eben kam Euer Adventspäckchen , also grad im richtigen Moment. Wenn Ihr heute abend Kränze bindet, dann werde ich dem Löles seine Plätzchen knabbern u. von Omis Kuchen essen. Dazu mach ich mir einen guten Tee. - Die Karte mit dem Wauwau u. dem Maikäfer ist ja zunett, die steht vor mir auf dem Tisch. Mit Zigaretten bin ich auch wieder für ein paar Tage versehen, so dass die Adventszeit also ganz gut anfängt. Meine Versetzung wird ja auch in den nächsten Tagen vor sich gehen. Für den Urlaub seh ich allerdings schwarz. Von meiner neuen Dienststelle aus schreibe ich Euch sofort per Luftpost. Sonst ist nix Neues zu berichten / Herzl. Grüße u. Dank! / Euer E
Dezember 1942 - April 1943. Fernaufklärer der Aussichtslosigkeit
Am 4. Dezember 1942 ist klar, dass an Weihnachtsurlaub nicht zu denken ist: "Erhielt heute Mutters Luftpostbrief vom 26.11. u. Ple‘ s Brief vom 10.11. Seid recht herzlich bedankt für Eure l. Zeilen u. die Glückwünsche des ganzen Hauses. Ples Brief hat mir riesigen Spaß gemacht, bes. der Dialog mit B‘k (ein älterer Kollege von Ple). Dass mein guter Schwager etwas geck geworden ist, habe ich nach den ersten Zeilen seines Briefes allerdings annehmen müssen. Denkt der Kerl wahrhaftig, er könnte mit Protektionen „verdienter“ Schwäger auf die billige Tour beim Barras auf dem Zahnfleisch laufen (will sagen "billig davonkommen". Da hat er sich aber schwer getäuscht. Im Gegenteil, ich werde sogar noch dahingehend einwirken, dass ihm der Hintern mal ordentlich hochgenommen wird. Na ich will aber diese komischen Pläne nochmal als einen Ausdruck seiner schweren Zahnschmerzen betrachten. Ich hoffe übrigens, dass selbige nun restlos beseitigt sind. - Übrigens, um auf das Gespräch mit B zurückzukommen, ich kann es gar nicht glauben, dass der gute I (B'ks Sohn) Studienurlaub bekommen hat. Bei uns ist er restlos gestrichen worden. Augenblicklich sind wir eben unentbehrlich. Ich hatte auch schon mal ernstlich die Möglichkeit erwogen. Als ich aber eine Nacht darüber geschlafen hatte, habe ich den Gedanken gleich wieder verworfen. Ich würde es jetzt auf der Schulbank auf keinen Fall lange aushalten. Wer weiß, ob ich es überhaupt nochmal drauf aushalten werde. Man wird innerlich schon so alt, wenn man hier an der Front rumharkt. Ihr werdet sicher lachen, aber ich hab tatsächlich schon Heiratsgedanken gewälzt, zusammen mit meinem Freund Cl. Ist natürlich vollkommen witzlos, doch allein die Tatsache, dass ich es tat gibt mir zu denken! / Mein Freund Cl hat übrigens wiede ein tolles Ding gedreht. Er kam gestern mit einer kranken Maschine, die er von unserm Einsatzhafen nach hier überführen sollte. Hier waren allerdings die Wolken aufliegend. Vom Peiler erfuhren wir gestern, dass eine Maschine kurz vor Dunkelheit am Platz gewesen sei u. nicht hätte landen können wegen des Wetters. 5 Minuten später hätte die Maschine dann durchgegeben „ Ich mache eine Notlandung“. Ich dachte mir gleich, dass es Janny sein müsste u. machte mir ziemlich Sorge um ihn, denn bei dem Wetter ist eine Aussenlandung kein Pappenstiel. Vor 2 Stunden stürmte er auf einmal mit Horrido meine Bude u. in meine Arme. - Unsere Wiedersehensfreude ist nämlich, bes. nach solchen Zwischenspielen, immer sehr herzlich. ( Eine der wenigen Gelegenheiten, bei der wir herzlich sind). Ihr werdet schon verstehen, wie ich es meine.
Nun zu Deinem Brief, l. Musch – Dass Du noch so gute Socken und Wolle auftreiben konntest, ist fein. Mit der Verwertung der übrigen Punkte u. der neuen Karte wartet bitte, bis ich selbst komme. Die Punkte von 1942 gelten ja noch unbegrenzt weiter. Dass der Babo auch noch 28 Punkte für die beiden Monate bekommen hat , ist ja prächtig. Punkte brauch ich bestimmt noch massenhaft. - Ist eine Pistolentasche denn nicht woanders aufzutreiben? Doch Ihr werdet ja sicher alles versuchen, das weiß ich. Dass mein guter Neffe (K) Scharlach hatte, wusste ich auch noch nicht. Mittlerweile wird es wohl längst vorbei sein. / Meine weitere Verwendung hat sich nun entschieden. Seit meiner Beförderung bin ich nicht mehr geflogen. Nun bin ich zu einer Fernaufklärerstaffel versetzt worden und werde mich dort als Beobachter einarbeiten. Günstigerweise liegt die Staffel hier am gleichen Platz, sodass ich keine große Reise zu machen brauche. Morgen früh hau ich hier ab. Der Eindruck, den ich heute von der neuen Einheit erhielt, war für den Anfang ganz gut. Die Fernaufklärerei ist ja eine sehr interessante Sache u. ich bin froh, dass mein Gesuch mich so schnell zum Ziel geführt hat. Mit der Fliegerei ist vorläufig natürlich noch nicht viel los, da ich erst mal die Sache am Boden studieren muss. Später dann so 500-1000 km weit mutterseelenallein in Feindesland rumzufliegen, ist auch bestimmt kein Mondscheinspaziergang. Doch warum soll ich nicht auch weiterhin Dusel haben? / Dass die Musch doch ein Weihnachtspäckchen abgeschickt hat, ist ja nun günstig, denn mit dem Urlaub ist es ja nun restlos Essig. Vielleicht klappt es bis zum nächsten Weihnachtsfest mal – ha,ha! / Den Leutchen die eine Marke haben wollen, gebt mal ruhig eine ab. Ich bin über Päckchen jederzeit sehr erbaut, egal woher sie kommen. Die Luftpostmarke von Mutters Brief ist übrigens nicht gestempelt, ihr könnt sie also nochmal verwenden. Vom BDM Degerloch kam heute auch ein 100g Päckchen, ebenso von Ellen Bk. Sogar Onkel K schrieb mir eine Karte mit sage u. schreibe acht Zeilen, die den weitaus größten Teil der Postkarte bedeckten. Den Rest füllte Tante M aus. St's waren auch mit einer Zigarettensendung vertreten. Es hat sich doch ganz erfreulich herumgesprochen, dass ich Raucher bin u. es hier an Material mangelt. Ich schätze, die Omi hat gute Reklame gemacht. Hilleschen schickte auch vorgestern einen langen Brief. - Nun Schluss! Feiert recht fröhlich das gute alte Weihnachtsfest u. lasst euch nicht verdrießen, dass der E euch mit seinen Urlaubsgedanken an der Nase herumgeführt hat. - Herzl. Grüße an das ganze Haus / Euer E
Meine neue Einheit ist die 3. Staffel der Fernaufklärungsgruppe 121. Sie fliegt die Junkers 88D, eine Variante des "Sturzkampfbombers" Ju 88 A-4 mit Kameraausrüstung und Beobachterposten im Rumpf hinter dem Bombenschacht und mit einem zusätzlichem Treibstofftank. Im Unterschied zu meiner bisherigen 2-Mann-Fliegerei fliegen in der Ju88 der Pilot, der Bordschütze, der Funker und der Beobachter. In der Regel ist letzerer der ranghöchste und weisungsgebende. Die Maschine ist deutlich langsamer als die vorherige und längst nicht so wendig. Im November standen der Staffel 8 D-1 und 3 D-2 zur Verfügung, sie verlor eine Maschine und eine ging zur Überholung weg. Zu den 9 Maschinen im Dezember hinzu kriegte sie eine ganz neue und eine D-1 von anderen Verbänden, verlor jedoch 3 Maschinen. Zu 8 im Januar kamen 2 brandneue hinzu, aber drei gingen verloren. Zu den 7 Maschinen im Februar sind im Vormonat noch 2 A-4 Bomber hinzugekommen, jetzt kommen 5 neue Maschinen hinzu, aber 3 werden verloren, darunter einer der Bomber und 3 alte gehen zur Überholung, so dass die Staffel Anfang März über 7 Aufklärer und einen Bomber verfügen wird. In diesem Monat kommen zwar 10 neue D-1, aber 2 gehen verloren, 3 werden überholt wie auch der Bomber. Zählt man allein die "durch "Feindeinwirkung" ausgefallenen Besatzungen als solche, hat die Staffel von November 1942 bis März 1943 44 tote Flieger zu beklagen.
Am Nikolaustag teile ich mit: "Ich bin nun bei meinem neuen Verein gelandet. Morgen steigt bereits eine Verlegung. Ihr werdet also wahrscheinlich in der nächsten Zeit mit Post nicht so verwöhnt werden, wie bisher. Habe meinem Putzer mal den Auftrag gegeben, zwei Päckchen fertig zu machen. In einem sind Stumpen und Tee, im anderen guter Speck (etwa 1-1 ½ Kg) Ich hab auch noch einen dicken Schinken hier, den ich mit in Urlaub bringen wollte. Ich muss ihn aber hierbehalten, denn mit der Verpflegung haut es hier nicht so hin. / Sonst alles i. O. "
Unter dem 13. Dezember 1942 beschreibe ich meine Tätigkeit: "Nun bin ich also schon eine volle Woche bei meinem neuen Verein u. habe mich auch hier eingelebt. Es ist natürlich nicht zu vergleichen mit meinem alten Zerstörerhaufen, wo ich doch vor allen Dingen meinen alten Freund Janny Cl hatte. Doch was will man machen – Hauptsache, die Fliegerei kann weitergehen. Heute habe ich hier meinen ersten Feindflug gemacht, allerdings noch als Funker. Man muss sich aber doch verdammt erst dran gewöhnen so 4 Stunden an einem Bändel mit der Sauerstoffmaske vor der Schnauze in 7-10 000 m Höhe rumzukrebsen, dazu noch als einzelne Maschine mutterseelenallein viele hundert km tief im Feindgebiet drin. Da kann man von Spaß nicht mehr reden, und die Zerstörerei hatte doch einen Mordsspaß gemacht. Dass man vor jedem Jäger kneifen muss, ist auch nicht nach meiner Façon, aber unsere Aufgabe ist es eben nicht, uns mit Jägern rumzuschlagen, sondern wir müssen unsere Bilder u. Aufklärungsergebnisse nach Hause bringen. Abgesehen davon kann man als einzelne Kampfmaschine gegen mehrere Jäger garnichts ausrichten. - Ein Glück, dass unsere Kisten gut geheizt sind, denn bei 60° Kälte ist es auch mit Heizung schon ganz nett kühl. Gestern ist leider eine Besatzung weggeblieben. Was mit ihr geschehen ist, weiß man natürlich nicht. Vielleicht ist sie in der Nähe von Astrachan von der Flak erledigt worden ??? Leider jedesmal 4 Mann bei einer Maschine. / Heute bin ich endlich wieder mal richtig müde. In den vier „luftlosen“ Wochen hatte ich mich nämlich zu gut ausgeschlafen. Gesundheitlich u. überhaupt geht es mir sehr gut. Bald ist Weihnachten, u. schon jetzt wünsche Ich Euch allen zum Neuen Jahr alles Gute, denn sonst komm ich zu spät."
Ich hatte spärliche Post angekündigt, aber schon 2 Tage später geht wieder eine Nachricht nach Hause: "Morgen fährt ein Kamerad in Urlaub u. zwar fliegt er mit einer Maschine. Die Gelegenheit zu einem schnellen Brief ist also günstig. / Augenblicklich ist ein saumäßiges Wetter hier. Heute konnten wir garnicht fliegen. Morgen muss ich wahrscheinlich einen Kurierflug nach Armawir machen. / Von unserer neuen Unterkunft hier in Salsk habe ich euch wohl noch garnichts erzählt? Also, die ist ganz fabelhaft!. Es gibt hier eine richtige Zentralheizung, eine Wasserleitung, elektr. Licht u. einen Lokus m. Wasserspülung. - Ich glaube, Ihr könnt Euch garnicht vorstellen, was das bedeutet. - Das Gebäude ist eine ehemalige Bank. Leider haben wir keine Stühle und Tische, außer im Kasino / Wahrscheinlich bekommt Ihr diesen Brief noch vor Weihnachten. Meinen Neujahrsbrief habe ich gestern schon abgeschickt. Der wird natürlich länger brauchen. / Ich denke, dass mit der nächsten Maschine Post aus Krasnodar kommt. Die letzte habe ich am 4. 12. noch bei meiner alten Staffel in Krasnodar bekommen. / Am Weihnachtsabend sind meine Gedanken feste bei Euch u. bei der „Mutter in spe“ in Babelsberg. / Herzl. Grüße / Euer E"
Tatsächlich ist dieser Brief am 23. 12 in B, während der vorherige erst am 8 Januar 1943 ankommt. Salsk liegt etwa 180 km südöstlich von Rostow und Armavir 250 km südlich von Salsk.
Im Zusammenhang mit dem angekündigten Kurierflug kann ich am 21ten und 22ten Dezember 1942 ein "Intermezzo" zum Besten geben: Vorgestern erhielt ich mal wieder etwas Post über meine Staffel. Von Euch war nichts dabei, aber eine Karte von L. Sagt mal, wer hat es denn blos fertig gebracht, meine Beförderung usw. in unser B'er Käseblatt zu bringen? Der Zeitungsausschnitt wird ja wohl in den nächsten Tagen hier einlaufen, nehme ich an. - Inzwischen habe ich ein ganz interessantes Intermezzo hinter mir. Am 16. flog ich nach Armawir. Als ich dort ankam , erhielt ich telefonischen Befehl in Maikop den kommandierenden Genral unseres Korps abzuholen. Ich flog also nach M , lud den General ein u. flog zurück. Nach etwa 10 Minuten Flugzeit vereckten auf einmal beide Motoren in 150 m Höhe. Zum Glück war das Gelände günstig, denn zum Aussuchen eines Landeplatzes war ja keine Zeit. Die Kiste rammelte also mit dem Bauch auf dem Boden u. wir stiegen alle heil aus. Man muss eben Dusel haben! Gleich in der Nähe lag ein Dorf, und so waren wir natürlich im Nu von einer staunenden Volksmenge belagert. Wir wurden zu einem Landwirtschaftsführer geführt, der zufällig in einem Nachbardorf zu tun hatte. Der hat uns dann einen Panjewagen verschafft u. so sind wir dann mit hü und hot durch den Matsch zu einem Tscherkessendorf geschaukelt. Nach etwa 1 Std. Fahrt kamen wir dort an u. wurden von den „obersten Behörden“ mit großer Freude empfangen. Die Tscherkessen sind nämlich ganz bes. deutschfreundlich. - Der General, sein Bursche undich kamen zu dem Polizeichef des Ortes in Quartier. Dort wurde uns alles verfügbare aufgetischt. Nachts mussten wir die Betten der Familie benutzen, die Leute selbst schliefen auf dem Fußboden. Da die Wohnung und die Leute sehr sauber waren, hat das weiter keine „ungezieferlichen“ Folgen gehabt. - Da im Umkreis von 10 km keine Dienststelle war, konnten wir unsere Dienststelle von der glatten Notlandung nicht mehr verständigen. Dort war natürlich riesige Aufregung, denn wenn ein General so plötzlich verschwindet, ist das keine Kleinigkeit. Man hatte uns schon aufgegeben, wie ich nachher erfuhr. - Wir wollten am nächsten Tag mit einem Panjewagen zur Bahn fahren. Morgens kam jedoch auf einmal ein Storch angeflogen, der unsere Maschine fand u. bei uns landete. Nacheinander sind wir dann mit dem Storch zurück nach Maikop geflogen. / Unserem Quartierwirt schenkte der General ein Bild von sich mit einer Widmung worüber sie sich wahnsinnig gefreut haben. Das Bild bekommt bestimmt einen Ehrenplatz. Mit einem Geldgeschenk würde man die Leute nämlich nur beleidigen, außerdem können sie nichts damit anfangen. - In Maikop waren wir dann Gäste des Generals, der uns gut bewirtete u. sogar einige Pullen deutschen Wein stiftete. Am nächsten Tag ließ er uns mit einer Maschine zu unserer Truppe bringen. Mein Staffelkapitän hatte inzwischen das Ritterkreuz bekommen / In drei Tagen ist nun also Weihnachten. Von einer weihnachtlichen Stimmung ist allerdings noch nichts zu merken. Ich weiß auch nicht, woher das kommt. - Wir haben sogar zufällig einen Tannenbaum bekommen. Die Dinger sind nämlich verdammt selten hier u. im Umkreis von einigen 100 km nicht zu finden. Ohne Weihnachtsbaum wär es ja nun auch ganz übel gewesen. / Eben erfahre ich, dass mein 2. Kutscher, Lt. R's, auch seit heute vermisst ist. Ich sprach eben telefonisch mit meiner alten Gruppe. Das Weihnachtspäckchen scheint auch dort zu sein u. noch andere Post. Ich werde also wohl alles noch vor Weihnachten bekommen, ebenso ein Fresspaket von meiner Gruppe. / Das wär alles für heute. / Herzl Gruß / Euer E
Maikop ist heute die Hauptstadt der autonomen Tscherkessenrepublik Adygeja in der allerdings die Adygejer neben den majoritären Russen nur 24 % ausmachen. 1864 waren die Tscherkessen in der Nähe von Maikop den Truppen des Zaren unterlegen, wurden ins Osmanische Reich deportiert. Die zaristische Soldateska verübte ein fürchterliches Massaker unter Frauen und Kinderm. 1920 erhielt der gerade mal 25 jährige Tuchatschewski von Lenin den Auftrag, den Weg nach Baku zu sichern. Denikins Truppen wurden geschlagen. Maikop war Schauplatz roten Terrors. - Storch war eine von Fieseler in Kassel ab 1938 in größeren Stückzahlen (mehr als 2000) aus Holz gebaute „Short takoff and landing (STOL)“- Maschine mit für den Straßentransport einklappbaren Flügeln, 50 m Startstrecke, 20 m Landestrecke und minimaler Fluggeschwindigkeit von 50 km/h (max ca 130 km/h) Reichweite (ohne Zusatztank) etwa 300km. Zulast 3-400 kg. Der General des IV. Fliegerkorps war Curt Pflugbeil (1890-1954) ein Berufsoffizier des 1. Weltrkiegs, der Reichswehr, zeitweilig in geheimer Mission in Russland zwecks Aufbau der verbotenen Luftwaffe, getarnt als Zivilist. Mit gleicher Aufgabe ab 1933. 1935 dann Inspekteur der Kampfflieger usw. 1945 in Russland zu 25 Jahren Gefangenschaft verurteilt, 1954 wegen Krankheit begnadigt. Der Staffelkapitän und Ritterkreuzträger war Erich Putzka (1912- "Ardennenoffensive" Dez.1944). In der Staffel flog auch Hans Baasner (1916-1983) Ritterkreuzträger ab März 1943
Am 25. Dezember 1942 schreibe ich:"Gestern haben wir also Weihnachten gefeiert. Es war ganz nett, aber die Stimmung fehlte. Leider war von Euch keine Post da, nur ein Päckchen von K's u. ein Brief von L u. Ego und zwei Zeitungen vom Öhm. Möchte nur wissen, wo das Weihnachtspäckchen von Euch steckt. Sonst alles i.O. / Herzl. Grüße! / Euer E / Hurra! Eben ist Euer Luftpostbrief vom 15.12. angekommen. Nun bin ich also restlos glücklich und kann das Weihnachtspäckchen gut verschmerzen. Schade ist es natürlich, dass das Eselchen dieses Jahr nicht rechtzeitig eingetroffen ist. - Über das Weihnachtsgeschenk (Sven Hedin) freue ich mich ganz mächtig. Ich glaube bestimmt, dass mir das Werk viel Freude machen wird.- Herzl. Dank l. Babo – hastde fein gemacht! Aber meine Heiratsgedanken hast Du scheinbar doch zu tragisch genommen. Es sollte ja nur zur Demonstration des Zustandes dienen. Vorerst fehlt ja überhaupt noch die Frau, und die hab ich noch nicht gefunden. Über das Urteil über meine Bilder von der Musch: (Dicker bist Du aber nicht geworden) musste ich doch sehr lachen. So was sieht die Alte doch immer zuerst. - Das mein Stoff noch gut ist, freut mich riesig. Bis zum Ausmessen wird es aber leider noch ein Weilchen dauern. / Nun aber Schluss./ Nochmals herzl. Grüße / Euer Pitter
In B. hatte ich seinerzeit die beiden 1911/12 erschienenen Bände „Von Pol zu Pol“ verschlungen. Sven Hedin (1865-1952): viel geehrter schwedischer Zentralasiengeograph, Forschungsreisender, Schriftsteller und Zeichner. Bewunderer Hitlers und Unterstützer des NS-Regimes, der antisemitischen Verfolgung und der Deportationsplanung. Als Gegenleistung für seine Zustimmung zur "Anpassung" seiner Schriften und wohlwollendem Verhalten gegenüber dem Regime erreichte er Begnadigungen und Hafterleichterungen für manche Kollegen und für junge norwegische Widerständler. 1942 erschien in Zusammenarbeit mit dem Propagandaministerium "Amerika im Kampf der Kontinente". Das Material zum Projekt eines Asienatlas, beschlagnahmt bei Perthes/ Gotha, diente nach dem Krieg den Amerikanern zur Auswertung von Satelitenphotos. In B. standen 2 Bände im Bücherschrank „Von Pol zu Pol“, in erster Auflage publiziert 1912. Hedins großes Vorbild war Adolf Erik Nordenskiöld (1832-1901), in Helsingfors/ Helsinki aufgewachsener Polarforscher, der 1878/79 mit der Vega die Nordostpassage erschlossen hatte.
Um ein Haar hätte ich noch vor Jahresende das Los so vieler Kameraden geteilt. Am 30. Dezember 1942 berichte ich: „Ihr Lieben! / Nun sollt Ihr aber schnell noch aus dem alten Jahr einen Gruß haben. Zeit habe ich heute genug. Gestern und vorgestern habe ich je 5 Stunden in der Kiste gesessen, besser gekniet. Als Beobachter hängt man nämlich dauernd auf Knien und Händen vorne in der Kanzel. Da ich Diese Art von Fliegerei ja noch nicht gewöhnt bin, bin ich natürlich nach jedem Flug wie gerädert u. habe auch jetzt noch einen anständigen Muskelkater. Gestern hat es auch ziemlich Dunst gegeben. Durch Flak, Jäger u. Infanteriebeschuss. Wir mussten nämlich ziemlich tief am Boden rum fliegen. Da hat mir doch irgend so ein Aas 20 cm vor meinem Kürbis ein MG-Geschoss durch die Kanzel gejagt. 1/100 Sekunde später und ich hätte das Ding in der Rübe gehabt. - Immer das gleiche, Glück muss man haben. Übrigens habe ich jetzt ein Gesuch zur Flugzeugführer-Ausbildung eingereicht. Wenn es klappen würde, wär prima. Es ist doch bestimmt ein anderes Gefühl, wenn man die Kiste selbst in der Hand hat. Bis der endgültige Bescheid kommt, wird sicher eine ganze Zeit vergehen, ich schätze etwa 2 Monate. So lange muss ich also noch auf jeden Fall hier aushalten. / So das wäre das Neueste in Kürze.
Am 3. Januar 1943 schrieb ich: „Gestern hat es die Feldpost mal wieder gut mit mir gemeint. 2 Päckchen, 18 Briefe und 6 Zeitungen. 1 Päckchen war von St‘s, das andere von Euch, ebenso eine Briefkarte von Euch, die Ihr mit der Nö-Tante u. dem Ew zus. geschrieben habt. - Seid herzl. bedankt für alles, ich hab mich schrecklich gefreut. Das Eselchen hat ja nun schon eine ganze Menge Tradition im Bauch. / Ich hab mir ein Kännchen Böhnchenkafffee (ja Omma, Du liest richtig) aufschütten lassen u. fress dazu die Plätzchen aus B und Wilhelmshaven. Das Zigarettchen steigt auch bald. - Ja solche gemütlichen Stunden sind jetzt selten geworden. Denn hier ist man ein gehetzter Mann. Ich stehe jeden 2.Tag um 3 Uhr auf, sonst um 4h30. Allerdings liege ich auch abends um 7 oder 8 schon auf der Schnauze, wenn möglich. Ein Glück, dass ich kein Nervenbündel bin, bes. wenn man dazu noch fliegen muss. Leider brauchte das alles gar nicht so zu sein, aber unser Chef macht hier das ganze Offzscorps zur Schnecke, und das ist nicht sehr schön. Da habe ich mich bei meinem alten Haufen doch wohler gefühlt. Ich muss mich hier so alle 2-3 Tage mal im Dienstanzug beim Chef melden u. werde dann kräftig angeschissen. Doch mein Fell ist dick, das wisst Ihr ja und hat sich hier auch schon langsam rumgesprochen., / Dass sich unser Löles über den Blumengruß gefreut hat, kann ich mir denken. Ich möchte aber auch gerne mal wissen, ob er einigermaßen rechtzeitig angekommen ist. / Das große Ereignis bei unserem Hilleschen ist ja nun auch nicht mehr allzu weit entfernt. Ich werde ihr auch bald schreiben, denn sie hat von mir lange keine Post mehr bekommen. / Sind nun mittlerweile auch das 2, Speckpäckchen u das Päckchen mit den Zig u. dem Tee angekommen? Hoffentlich geht nichts verloren. / So ich glaube sonst hab ich nichts mehr zu erzählen.
Dieser nicht gerade enthusiastische und in Bezug auf den hochdekorierten Erich Putzka, nachmalig auch NS-Führungsoffizier beim Luftwaffenstab in Griechenland, geradeheraus unfreundliche Schrieb erreichte die Empfänger nach einem Monat. Ein militärisch irrellevantes Foto, Nebenprodukt meiner Fernaufklärungsarbeit kam auch an. Auf dünnem Fotopapier, 10x13 cm , seitlich ausgefranzt, ein schneebedeckter Gipfelzug im Vordergrund, dahinter, in der Ferne sich im Dunst verlierend, niedrigeres, zerklüftetes Gebirge, schneebedeckte Hänge. Auf dem weißen Rand die Unterschrift „Elbrus (5630 m)“. Rückseitig schreibe ich „Auch ein Feindflug kann ein Naturgenuss sein.“ Ich war kein Sven Hedin, der diese Landschaft am Boden bereist hatte, ich flog in einer Kriegsmaschine über sie hin, quasi als ein Teil der Maschine und unfähig Natur zu "genießen". Ins Visier nehmen und abdrücken, das war Kriegsroutine. Ausnahmsweise mal ein "Schnappschuss". Foto und Satz passten ins unwirkliche Bild, dass ich von mir und auch für mich - als sei ich noch immer "so wie früher" - abzugeben bemüht war.
Am 9. Januar 1943 "geht ein Urlauber in's Reich". Der kurzen Mitteilung des Lt mit FP (Felpostnummer) L137329 wird in Strahlsund am 21. ein Poststempel aufgedrückt: "Vergiss nicht Straße und Hausnummer anzugeben", zwei Tage später kommt sie in B. an: " hier geht alles gut. Habe heute meinen 80 u, 82. Feindflug gemacht und bin jetzt ziemlich müde. Bis wieder Post kommt, wird es sicher noch einige Zeit dauern, weil die Umstände augenblicklich ziemlich ungünstig sind"
Die Umstände sind nach dem Durchbruch sowjetischer Truppen an drei Stellen am mittleren Don in der Tat „ungünstig“. Zwar gelang es eine erste nach Süden auf Rostow vorstoßende Panzertruppe einzukreisen und am 28. Dezember zu zerschlagen, auch wurde endlich beim "GröFaZ" (Größten Feldherr aller Zeiten) ein Rückzugsbefehl für die Kaukasustruppen erwirkt, aber mit einem zweiten Vorstoß sowjetischer Armeen drohte einer Million deutscher Soldaten die Einkreisung.
Mein nächster Brief geht am 17. Januar 1943 ab, als sowjetische Truppen gerade Pjatigorsk zurückerobern, die Bäderstadt nördlich des Kaukasus, in der einst der Dichter Mikhail Lermontov (1814-1841) im Duell umgekommen war (Er wurde kaum älter als ich, Offizier im Kaukasus wie ich, doch welch ein Werk...) Auch 200 km nordwestlich verschiebt sich die Front sehr schnell in Richtung Maikop und Armavir und auch an Don und Manych mit dem Ziel Rostow.
"Ihr Lieben! / Schon vor einigen Tagen kam Euer Geburtstags-Luftpostbrief, über den ich mich sehr gefreut habe. Auf die diversen Päckchen, die noch unterwegs sind, bin ich sehr gespannt. Vor allem werden Zigaretten dringend benötigt. Schickt mir doch bitte auch gelegentlich mal ein paar hundert Zigarettenblättchen zum Selbstdrehn, Tabak bekommen wir hier vorläufig noch genügend. - Dass der Speck nun endlich angekommen ist, ist ja fein. Mir schwahnte schon so was, dass der Speck nicht mehr ganz astrein war. Der andere wird wohl hoffentlich noch gut sein. An Kaffee ist leider nicht ranzukommen. Wir trinken zwar jeden Morgen unseren Bohnenkaffee, aber Bohnen bekommen wir nicht. / Hier ist seit etwa 10 Tagen auch ein ganz anständiger Winter eingebrochen, Schnee liegt noch nicht viel, aber es ist antändig kalt, meist so zwischen 20° und 30°. Dazu pfeift fast dauernd ein anständiger Sturm, der den Schnee in endlosen Bahnen u. Schleiern vor sich hertreibt. Wenn man das schon sieht, muss man frieren. Doch der Krieg geht weiter, auch wenn es kalt ist, und die Pflicht macht einem alles Schwere leichter, weil man ja gar keine andere Möglichkeit hat. / Vor ein paar Tagen haben wir übrigens ein russisches Flugzeug zur Landung gezwungen, die Besatzung floh und wir schossen anschließend den noch laufenden Motor aus. Zufällig stießen zur selben Zeit noch einige eigene Panzer vor, die die Mühle in Brand schossen. Augenblicklich werfen wir den Russen auch tüchtig Bomben auf den Kopf – eine abwechslungsreichere Arbeit , als die sture Aufklärerei. / Den Urlaub hab ich mir für die nächsten Monate aus dem Kopf geschagen. Augenblicklich habe ich aus verschiedenen Gründen auch gar keine Lust zu fahren. Vor allem jetzt im Winter nicht. - Heute kam ein Hauptmann von uns aus dem Urlaub, der erzählte, dass es auf der Bahn jetzt ziemlich doll aussieht. - Das wäre so das Neueste in Kürze. / Herzl. Grüße u. Dank für den Brief / Euer E
Bomben werfen eine abwechsellungsreichere Arbeit? Kriegsarbeit, was sonst? Am 25. Januar hat die Staffel sich aus Salsk wegbewegen müssen und ist in Stalino, heute wieder Donetsk, 180 km nordwestlich von Rostow stationiert. Gegnerische Spitzen haben sich Rostow bis auf 30 km genähert, bis sie gezwungen sind auf Nachschub zu warten: der noch andauernde Rückzug deutscher Truppen aus dem Nordkaukasus ist auf höchste gefährdet.
"Endlich habe ich einen Briefumschlag aufgetrieben und vor allem mal etwas Zeit u. Muße zum Briefschreiben. / Die letzten 10 Tage haben wir unter ziemlich primitiven Um- und Zuständen verlebt. Schlechte Unterkünfte viel kalt, wenig Schlaf, viel geflogen usw. Gepäck habe ich gar keins mehr bei mir, außer einer Aktentasche mit Waschutensilien. Mein einziges Paar Strümpfe besteht nur noch aus Löchern u. die Unterhose ist dunkelweiß. Ein Glück, dass ich wenigstens ein dunkelblaues Hemd anhabe. Kleider ausziehen zum Schlafen u. waschen, Zähneputzen usw. ist ziemlich selten. Wenn man Wasser haben will, muss man immer erst einen Haufen Schnee auftauen, und dazu hat man ja meistens keine Zeit. Seit gestern haben wir nun eine den Verhältnissen entsprechend gute Unterkunft. Vorallem genug Holz zum Feuern. Eben habe ich mich auch mal wieder richtig gewaschen und rasiert. / Ich schreibe diesen Brief mit Unterbrechungen, denn ab. u. zu müssen wir uns flach legen, wenn die Bomben allzu nahe runterrauschen. Der Russe ist ab Dämmerung sehr rege tätig. In der letzten Nacht sind in meiner Stube die Fensterscheiben eingefallen, aber ich habe so feste gekokst, dass ich von dem ganzen Rummel nichts gehört habe. - Morgen habe ich endlich mal keinen Frühstart u. kann länger schlafen, bes. günstig ist das auch, weil beim Aufstehen die Bude schon geheizt ist. - Die Temperatur ist immer so zwischen -20° und -30°. bes. schlimm ist der Wind. Wenn man 5 Minuten gegen den Wind geht, hat man sämtliche Gesichtszüge erfroren. Ich bin jetzt mal 1 Tag und 1 Nacht in einem Kübelwagen durch die Gegend gefahren. 20 Stunden für eine Strecke von 90 km. Ich kann Euch sagen, ich wusste nachher nicht mehr, ob ich Männchen oder Weibchen bin. Wenn in Deutschland mal einer meckert, dann schickt ihn mal nach Russland. Er wird dann bestimmt als der glücklichste Mensch in seine vorher bemeckerten Verhältnisse zurückkehren.
Gottseidank habe ich gesundheitlich gar keine Schwierigkeiten. Das Wetter ist ja auch an u. für sich nicht ungesund. / Seit einigen Tagen fliege ich auch als selbständiger Beobachter. Leider haben wir wieder eine prima Besatzung verloren. Morgen steigt mein 100. Feindflug. Ja, ja, allmählich wird man ein altes Frontschwein. / Schreibt mir doch bitte mal , ob ich bei dem Schneider in S auch eine Schirmmütze u. eine Fliegermütze (Schiffchen) bekommen kann, natürlich gegen Bezugsscheine. / Post habe ich seit Eurem Geburtstags- Luftpostbrief nicht mehr bekommen. Es wird auch noch einige Zeit vergehen, bis wieder etwas kommt. Mein Postausgang ist ja auch vollkommen abgestoppt. Den letzten Brief an Euch habe ich noch ziemlich lange in der Tasche mit rumgeschleppt. Er wird daher sicher mit viel Verspätung ankommen. / Habt Ihr Euch eigentlich schon mal erkundigt, ob ich mir in S oder sonstwo 2 paar Stiefel machen lassen kann? / Was wird jetzt wohl unser Hilleschen machen? Ob der Murkl schon da ist? Hat sich die Omma wirklich nach Babelsberg begeben? - Meinen Geburtstag hatte ich beinahe vergessen. Ich dachte erst daran, als ich das Datum auf meine Fliegermeldung schrieb. / So nun wisst Ihr mal wieder etwas Bescheid über Euren Pitter.
Ich schrieb den Brief mit Bleistift auf einem grauen A4 -Vordruck für meine Beobachter-Fliegermeldung. Inzwischen ist in Babelsberg ein Sohn zur Welt gekommen. Im Nachhinein mutet skuril an, wie sehr meine Bekleidung mich und meine Lieben immer wieder beschäftigt.
Ich schreibe am 31. Januar 1943: "Liebes Hilleschen! / Meinen herzlichen Glückwunsch zum W-Stammhalter. - Alle Achtung, das hast Du ja wirklich prächtig hingekriegt. Ich freue mich, dass es Euch beiden gut geht und hoffe, dass es so bleibt. - Mit dem Patenonkel bin ich einverstanden – Ehrensache! Ist ja nur schade, dass ich die Taufe nicht mitmachen kann, denn mit einem Urlaub ist in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. - Dass Papa P in Urlaub kommen kann, ist ja die Hauptsache, denn ohne Papa geht‘s doch garnicht ( Ich meine die Taufe!) Ob er wohl noch da ist, wenn mein Brief ankommt? Wenn ja, dann ihm selbstverständlich auch noch meinen herzl. Glückwunsch. Wie fühlt er sich denn überhaupt als Familienoberhaupt? / Von mir ist weiter nichts zu erzählen. Ich bin jetzt bei meinem 100 Feindflug angelangt u. fühle mich immer noch sauwohl. Der Winter bringt zwar manche Unannehmlichkeiten mit sich, doch die gehören nun mal dazu . Wenn es wieder Sommer wird, dann wird der Krieg wieder schöner, u. dann kann man vor allem auch wieder an Urlaub denken. / Mit unserer Post ist es jetzt leider sehr schlecht. Seit 3 Wochen haben wir keine bekommen, außer Luftpost. / Da fällt mir ein, ich habe mich ja noch gar nicht für mein Weihnachtsbuch bei Dir bedankt . Es ist zwar schon reichlich spät, aber ich habe eben für solche Sachen ein Gedächtnis wie ein Sieb. / Also liebes Hilleschen, Dir u. Deinem Murkl alles Gute u. herzl. Grüße / Dein E
Am 23. Dezember war der Versuch, die in Stalingrad eingeschlossene Armee zu befreien, abgebrochen worden, weil sowjetische Truppen am mitttleren Don an drei Stellen durchgebrochen waren und die Panzereinheiten zur Abwehr gebraucht wurden. Hitler lehnte Ausbruchspläne nach wie vor ab, Göring gab vor, den Eingeschlossenen aus der Luft Nachschub liefern zu können, was bei weitem nicht gelingen konnte. Am 8 Januar hatte die Führung ein sowjetisches Kapitulationsangebot in Stalingrad abgelehnt. Am 2. Februar kapitulierten schließlich die letzten Besatzer. 150 000 waren tot, etwa 100 000 gingen, größtenteils völlig entkräftet, in Gefangenschaft, nur ein paar tausend überlebten. Von den anfänglich 600 000 Zivilisten in der Stadt starben tausende bei den massiven Bombenangriffen schon im August, Zu spät wurde evakuiert, auf die 75 000 verbliebenen Zivilisten nahm keiner Rücksicht, die meisten kamen durch Hunger und Kälte um.
Drei Tage später, am 5. Februar 1943 in meinem Brief zu all dem pflichtschuldigst kein Wort. Allerdings war die fliegende Truppe ohne Unterbrechung im Einsatz, sowjetische Verbände stießen zügig auf Charkiv vor und noch musste der Korridor bei Rostow für den Rückzug freigehalten werden. Aus Charkiv zogen sich die Deutschen, im Rahmen des strategischen Plans einer Offensive, Mitte Februar zurück. Im Norden hatten russische Verbände Anfang Januar endlich einen Korridor in die deutsche Front um Leningrad erkämpft. Nach Stalingrad machten sich deutscherseits Erschöpfung und Abgespanntheit im Norden und in der Mitte der Ostfront bemerkbar, auch wurden überall Einheiten in den Südosten abgezogen.
"Es scheint so, als ob ich heute mal einen Ruhetag haben sollte. Um 7 Uhr bin ich aufgestanden, habe gründliche Wäsche gemacht, frische Wäsche angezogen und anschließend gemütlich gefrühstückt. Das ist für mich also Sonntag, obgleich nach dem Kalender keine fällig ist. Aber hier muss man die Feste eben feiern wie sie fallen. Gestern bin ich auch endlich wieder zu meinem Gepäck gekommen und bin nun wieder im Besitz von Wäsche, Briefpapier usw. / Vorgestern hatten 3 Jäger mal wieder die Absicht, uns das Lebenslicht auszupusten. Mein M.G. war das einzige welches überhaupt schoss. So hab ich den Bengels, die glücklicherweise nie alle drei zusammen anflogen, kräftig was vorgesetzt u. gleichzeitig den Flugzeugführer tolle Kurven fahren lassen. Es hat alles so gut geklappt, dass wir ohne einen Treffer nach Hause kamen. / Gestern war es die Flak, die uns in 20 m Höhe beharkte. Ich sah die Leuchtspur vorbeiflitzen und dachte schon, wir hätten Schwein gehabt, als es auf einmal mordsmäßig krachte u. in der rechten Fläche ein dickes Loch klaffte. 60 Splitter sassen im Rumpf, wie wir nachher feststellten und keiner in der Kanzel. - Das war natürlich ein Grund zu einer kleinen Geburtstagsfeier, die abends bei einer guten Flasche verantstaltet wurde. / Von meinem alten Zerstörerverein habe ich schlechte Nachrichten. Viele von den guten alten Kameraden sind schon wieder ins Jenseits marschiert. Mein Freund Janny Cl ist anscheinend noch in Deutschland. Hoffentlich erwischt‘s ihn nicht auch mal. Wenn das Urlaubsprogramm in unserer Staffel so durchgeführt wird, wie vorgesehen, dann werde ich wohl so im August nach Deutschland jumpen. Ich hoffe aber, dass wir im Laufe der Zeit neue Besatzungen bekommen, und dann wird es hoffentlich schon früher mit dem Urlaub hinhauen. --- Stellt Euch vor, während ich hier schreibe, brennt uns unser Haus überm Kopf ab. Unsere Sachen haben wir alle gerettet und haben auch schon wieder eine neue Unterkunft bezogen, sogar der Ofen brennt schon wieder. Leider sind von einer anderen Einheit 2 Mann verbrannt. Sie sind jedenfalls nicht aufzutreiben. --- So, nun seid Ihr mal wieder auf dem Laufenden!
Am 12. Februar 1943 dann eine kurze Nachricht, die ein "Urlauber" mitnimmt und ein längerer Brief:
"Hab auch heute endlich wieder Post bekommen, 1 Brief vom 9. 1. u. einenvom 16.1. besten Dank. - Bin vorgestern mit einem Motor vom Feindflug gekommen, heute ebenfalls wieder. Ich bin dann gleich in die „Etappe“ nach Saporoshje geflogen. Morgen geht es wieder zum Einsatzhafen nach Stalino." - "Heute soll der Brief etwas ausführlicher ausfallen. / Zur Zeit geht es uns mal wieder ausgezeichnet. Wir liegen in einem Bau mit Zentralheizung, el. Licht und fließendem Wasser. Besser kann man es also nicht haben. Ich liege mit noch zwei netten Kameraden zus. auf einer Stube. Neben meinem Bett steht ein Radio u. ein Telefon, weiterhin verfügen wir über 3 Betten, einen Stuhl u. 2 Tische. Heute haben wir auch neue Leder-Pelzkombinationen bekommen, die ganz prima sind. Unsere alten Stoffkombis hingen uns schon in ziemlichen Fetzen am Bauch runter. Als Beobachter ist man nämlich in der Maschine dauernd in Bewegung und reisst sich in der Enge alles kaputt. Das Lederne wird ja nun hoffentlich halten. - Über die Post, die gestern kam, habe ich mich natürlich sehr gefreut, nachdem wir fast 4 Wochen ohne Post waren, ausgenommen die Luftpost. Im vorletzten Brief habe ich auch wieder 4 Luft- u. 2 Päckchenmarken eingelegt. / In der Fliegerei ist auch ziemlich rege Tätigkeit. Vor 3 Tagen haben mir die Russen einen Motor ausgeschossen, gestern ist mir auch ein Motor ausgefallen. Hauptsache, dass ich immer gut mit einem Motor nach Hause gekommen bin. / Dass es jetzt im Winter hier im Osten wieder ziemlich hart hergeht ist ja klar, denn die Russen finden sich in dem Klima besser zurecht, als wir. Doch lasst mal erst wieder wärmeres Wetter kommen, dann werden wir ihnen wieder eins auf die Birne geben, dem verfl… Russen. / das unser Hilleschen nun eine neue Wohnung hat, ist ja fein. Ich werde ihr auch bald wieder schreiben. - Dass jetzt in dem Gedränge vielleicht einige Post an mich flöten gegangen ist, ist schon möglich, doch nicht zu ändern. - Für den Babo u. Ple habe ich mal wieder einen ganzen Haufen Zigarren auf Lager, u. für die Allgemeinheit einen Schinken. Behalte aber vorläufig alles noch hier..."
"Burschikos" wie immer. Wir sind die "Ritter der Lüfte" meint die Propaganda, dementsprechend meine "Selbstdarstellungen". Saporoshje liegt ca 80 km südlich von Dnepropetrowsk, Stalino/Donetsk rund 200 km östlich von Saporischschja, beide Städte blieben bis zum Sommer 1943 in der Hand der Besatzer. Die sowjetische Nordkaukasus-Offensive war seit dem 4. Februar beendet. Am 12. wurde dann noch Krasnodar befreit. Auf Hitlers Befehl wurde ein "Kuban-Brückenkopf" gegenüber von Kertsch gehalten, mit der Illusion, im Sommer doch noch zu den Ölquellen in RIchtung Grosny vorstoßen zu können. Nach dem späten Rückzugsbefehl hatten die deutschen Kaukasusverbände gerade noch den schmalen Korridor von Rostow passiert. Sie entgingen knapp der Einschließung. Doch am 16ten Februar waren die Deutschen vorher schon aus Belgorod, nun auch aus Charkiw vertrieben worden und sowjetische Armeen bewegten sich Richtung Süden. Ich verbreite weiter "Zweckoptimismus": am 17. Februar 1943 schreibe ich meiner Schwester:
"Liebes Hilleschen! / Allmählich ist mal wieder ein kleiner Gruß an Dich fällig. Die Gelegenheit ist auch günstig, denn das Wetter ist sehr miese u. an einen fliegerischen Einsatz gar nicht zu denken. Stell Dir vor, seit 2 Tagen ist es hier feste am tauen. Wenn das tatsächlich schon das Ende des Winters bedeuten sollte, wäre ja großartig. Hoffentlich können wir dann im folgenden Sommer dem Russen den Rest geben. Ich glaube nämlich, dass er jetzt sein letztes Aufgebot auf die Beine gestellt hat. Als Fernaufklärer kann man sich ja ein ganz anderes Bild von der Sache machen, als ein gewöhnlicher Sterblicher. / Wie wird es Dir nun augenblicklich ergehen? Hoffentlich bist Du wiederhergestellt, feste uff den Beenen und kannst Dich Deines kleinen Bengels u. Deiner neuen Wohnung erfreuen. - Wie gerne würde ich bei der Taufe dabei sein und meine Stellung als Patenonkel würdig vertreten. / Eben ist die Sonne durch den dicken Nebel gebrochen. Ich sitze am Fenster u. schwitze beinahe, trotz Hemdsärmel, so warm strahlt sie schon. Soll man ruhig weiterstrahlen. Herzl. Gruß /E."
Mit einem veränderten Satzzeichen und ebenso einem Buchstaben konnten die Adressaten lesen: "...dass er ("der Russe") jetzt sein letztes Augebot auf die Beine gestellt hat? Als Fernaufklärer kann man sichda ein ganz anderes BIld machen!
Am 18 Februar 1943 fragte der Propandaminister sein ausgewähltes Publikum von Parteimitgliedern, die er als Repräsentanten der ganzen "Volksgemeinschaft" ansprach, in einer 109-minütigen Rede "Wollt ihr den totalen Krieg?. Die Inszenierung im Sportpalast mit Sprechchören und Symbolik war sorgfältig vorbereitet, einschließlich Lautsprecher-Applaus von der Schallplatte. Goebbels wollte Hitler und das Volk nach Stalingrad und sich abzeichnender deutsch-italienischer Niederlage in Nordafrika ("Tunisgrad" im Mai 1943) auf Konsumeinschränkung und Arbeitsintensivierung zu Gunsten der Kriegsproduktion einstimmen. Aber angesichts ausbleibender "Erfolge" waren immer weniger Menschen von der Kriegsführung überzeugt und Hitler fürchtete was er und seine Propaganda für 1918 als "Dolchstoß" propagierten, so dass Goebbels Rede praktisch folgenlos blieb, ausgenommen von weiteren Befürchtungen bei Regimegegnern und Ausgegrenzten. An diesem 18. Februar wurden in München die Geschwister Scholl und ihre Freunde verhaftet und wenig später verurteilt und hingerichtet. Ab Februar 1943 wurden die 15 jährigen als Flakhelfer eingezogen.
Am 22. Februar 1943 schreibe ich nebenbei auch "E-Lektüre" zur Sportpalastkundgebung: "Ich bin zwar mal wieder reichlich abgekämpft, aber ein kurzer Brief muss doch schnell noch steigen. Das Briefpapier ist ziemlich knapp, und so muss denn für die famliäre Korrrespondenz ein Spruchvordruck herhalten. / Vorgestern gab es zum ersten Mal seit langer Zeit wieder einen Kunstgenuss und zwar „Butterfly“, allerdings in russischer Sprache, aber sonst sehr gut. Gestern war ich in einem sehr netten Ballett „Copelia“. / Vor drei Tagen habe ich wieder mal großes Schwein gehabt. Auf dem Feindflug wurde ich von 7 Jägern überrascht., die mich sofort verfolgten. Ungücklicherweise hatten meine beiden hinteren Maschinengewehre Ladehemmung. Sodass ich vollkommen wehrlos war und zusehen musste, wie die Jäger aus allen Knopflöchern auf uns schossen. Ich ließ den Flugzeugführer dauernd Kurven fahren, um dem Feuer zu entgehen, hatte aber im Stillen schon mein Testament gemacht. Endlich konnte dann mein Funker sein MG klar kriegen u. den Russen was vorsetzen. 30 km hinter unserer Front drehten sie dann endlich ab u. wir brachten unsere Mühle ohne einen Treffer nach Hause. / Mit dem totalen Krieg scheint es ja nun nach Göbbels‘ Rede zu urteilen, endlich mal Wirklichkeit zu werden. Allmählich wird es aber auch Zeit. Wir haben hier schon lange auf sowas gewartet, denn von einem totalen Krieg konnte man bisher noch garnicht reden. Da können wir uns ruhig die Russen als Beispiel nehmen, denn die fassen ihren Krieg schon wesentlich totaler an als wir es bisher getan haben. - Hoffentlich kommen die neuen Truppen, die jetzt ausgehoben werden, noch zur Frühjahrsoffensive zurecht, denn in diesem Sommer müssen wir den Russen zerschlagen, aber auch wirklich zerschlagen, nicht nur vor uns hertreiben. Was wir im letzten Sommer gemacht haben, war ja nur Raumgewinn, und Raum bedeutet in Russland gar nichts. Deswegen sind unsere augenblicklichen Rückwärtsbewegungen auch gar nicht so tragisch. Stalingrad war natürlich ein empfindlicher Schlag für uns, doch die Lücke muss u. wird auch wieder gestopft werden. / So, Ihr Lieben, jetzt habt Ihr mal wieder etwas E-Lektüre
Das Opern- und Balett- Staatstheater existiert seit 1932 in Stalino/Donetsk. In einem neuen Theatergebäude hatte es die Saison 1941 mit Ivan Susanin von Michail Glinka eröffnet. Die Truppe war dann während des Krieges im heutigen Karakol/Kirgisistan evakuiert, aber offenbar ging der Betrieb auch während der Besatzung weiter: Madame Butterfly, "eine japanische Tragödie" komponiert von Giacomo Puccini (1858-1924) wurde 1904 in Mailand uraufgeführt. Coppélia ist ein Balett von Léo Delibes(1836-1891) nach E.T.A. Hoffmann's "Schauerroman" "Der Sandmann" (das augenausreißende Monster 1816) und zählt zum Standardrepertoire des klassischen Baletts.
Schon am 26. Februar 1943 konnte ich "mal wieder Geburtstag feiern": "Bekam in 10m Höhe einen Treffer in den rechten Motor u. habe mich mit Hangen und Bangen mit einem Motor über die Front und vor allem über die Geländeerhebungen gehungert. Eine Hochspannungsleitung, in die wir unfehlbar hineingerasselt wären, hatte zum Glück keine Drähte mehr, - Heute hatte ich nur einen harmlosen Gewehrtreffer in der Kanzel. - Haben vorgestern leider eine Besatzung verloren. Eine andere Besatzung wurde auch abgeschossen, konnte aber noch mit brennender Maschine im eigenen Gebiet notlanden. / Sonst alles i.O. / Herzl. Grüße / Euer Ebo. / 27.2. Eben vom Einsatz zurück. Brief geht wahrscheinlich mit einer Maschine nach Deutschland."
10 Tage später kam der Brief in B. an. In meinem nächsten Brief vom 2. März 1943 wieder kräftig "double talk" für unberufene Leser. Kein Zweifel, wir Fernaufklärer wissen schließlich am besten, über welche Kräfte der Gegner verfügt. Tatsächlich ging der Plan Mansteins, der aus Saporoshje die Heeresgruppe Süd kommandierte auf: Er hatte den schnellen Vorstoß des Gegners nach dessen Einnahme von Charkiw zunächst nichts entgegengehalten, um ihm am 22. Februar in die Flanke zu fallen, einen Brückenkopf über den Donets zu erreichen und weiter in Richtung Charkiw anzugreifen. Erich von Manstein (1887-1973), 1.Weltkriegs- und Reichswehroffizier hatte mit dem erfolgreichen Angriffsplan im Westen 1940 dem Führer vorzüglich gedient, hatte 1941 im Osten die höheren Orts befohlenen Morde in seinem Befehlsbereich nicht verhindert und dann auch selbst seinen Truppen antisemitische Mordbefehle erteilt. Seine Soldaten hatten Sewastopol zu Fall gebracht. In Sachen Stalingrad überworfen, doch dem Führer im März 1943 noch einmal erfolgreich gedient, bevor er entlassen wurde. Nach dem Krieg beriet er beim Aufbau der Bundeswehr.
"Vorgestern kam der Luftpostbrief Nr,11 vom Babo über den ich mich mächtig gefreut habe, denn die Post ist ja verdammt selten jetzt, Luftpost ist ja das Einzige, was durchkommt. / Dass unser Hilleschen noch dumme Komplikationen gehabt hat, wusste ich noch gar nicht. Hoffentlich ist nun alles wieder in Ordnung. Dass Hilles im Mai nach B. kommt ist ja fein. Wenn ich dann auch mal kommen könnte, wär der Laden ja perfekt. - Schön wärs! / Wenn Ihr noch eine Schirmmütze bekommen könnt, ist das gut. Brauche aber Nr. 59. / Ich komme hier aus dem Geburtstagfeiern gar nicht mehr raus. Heute ist wieder ein M.G. Schuss an meiner Birne vorbei durch die Kanzel gegangen. Außerdem bekamen wir noch einen Flakvolltreffer ins Seitenruder , ein Loch von etwa 1 qm. Ihr könnt es Euch später mal im Bild ansehen. / Allmählich schlagen wir den Russen wieder ganz nett aufs Haupt. - Den Kopf zerbrechen wir uns hier nicht, aber ich glaube, dass Ihr es tut, weil Ihr nicht in den Laden reinschauen könnt. Es ist schon alles richtig u. in Ordnung. Die Sache mit Richthofen stimmt. Und nun ins Bett. Herzl. Grüße u. dem Babo bes. herzl. Dank für seinen Brief. / Euer E
Der 3te und letzte auf blau-grau vorgedrucktem A5-Spruch- (Melde-)Formular. - Wolfram von Richthofen, Kommandeur der 4. Luftflotte zur der auch wir gehörten, war mit seinen 47 Jahren am 16. Februar zum jüngsten Generalfeldmarschall der deutschen Militärgeschichte ernannt worden. Als Stabschef der Legion Condor, war er 1937 verantwortlich für das Massaker von Guernika. Jetzt sollte die Niederlage von Stalingrad in der Bewunderung "heldenhafter" Leistung der Truppe und Anerkennung der Strategen möglichst verdrängt werden. RIchthofen quittierte wegen eines Hirntumors 1944 dem Dienst und starb in amerikanischer Gefangenschaft im Lazarett Bad Ischl.
Am 15. März 1943 erhalte ich wieder ausführlich Post, nicht nur seltene Luftpost: "Endlich läuft auch die normale Post wieder. Vor einigen Tagen kam der kleine Brief von Babo mit dem Zigarettenpapier. Vorgestern erhielt ich den ersten Brief meines Patenjungen, der den Bildern nach zu urteilen, ja ein ganz prächtiger Bengel ist. Übrigens kam auch vor einigen Tagen noch ein Luftpostbrief vom Babo. Für beide herzl. Dank. - Der Brief von Hilles ist nur 12 Tage gelaufen – grimm! Wenn es mir möglich ist, werde ich selbstverständlich das Grab von H Mer besuchen und fotografieren. Ob ich aber noch dazu komme, ist ungewiss. / Ob ich jemals wieder etwas von der Post sehe, die von Mitte Dezember bis Mitte Februar bei Euch abgegangen ist, ist fraglich! Ein Teil soll ja nach D. Zurückgegangen sein u. wird wohl demnächst eintreffen. / Entschuldigt bitte, wenn ich in letzter Zeit immer so eine Sauklaue habe, aber wenn man geflogen ist, kann man sich kaum noch zu einer anständigen Handschrift zwingen. Ich bin schon froh, wenn ich überhaupt ab u. zu einen Schrieb auf die Beine bringe. Ihr könnt Euch wahrscheinlich kaum eine Vorstellung davon machen, wie es ist, wenn man mutterseelenallein tief im Feindgebiet rumfliegt und die Veranwortung für Besatzung, Maschine u. vor allen Dingen für seine Beobachtungen tragen muss. - Das kostet Nerven. / Sagt doch bitte Elfs noch meinen Dank für ihre Geburtstagswünsche. Die Karte kam auch vor einigen Tagen hier an. / So dass wär mal wieder alles für heute. Euch u. allen Bekannten der Umgegend herzl. Grüße!"
Zwar beginnt im Westen Deutschlands die auf der britisch-amerikansichen Casablanca-Konferenz vom Januar beschlossene massive Bombardierung, am 4. März 1943 wurde der Bahnhof Hamm zerstört, einen Tag später sterben in Essen mindestens 450 Menschen und systematisch werden jetzt Angriffe auf das Ruhrgebiet geflogen. Doch mit den steigenden Temperaturen und Vorbereitung des "Endsiegs" im Osten ist auch die für die "Kampfmoral" wichtige Postverbindung im Osten wiederhergestellt. Denn seit dem 15. März war Charkiw wieder von den Deutschen besetzt und am 18. auch Belgorod. Damit war aber auch der letzte große "Erfolg" deutscher Truppen errungen. Ein Pyrrhus-Sieg, weil auf Kosten risikoreicher Schwächung anderswo und mit Kräfte- und Material zehrender Anstrengung errungen. Der im Anschluß vorgesehene Angriff auf den sowjetischen Brückenkopt um Kursk wurde um Monate verschoben. Der 17. März 1943 war mein "großer Posttag":
Die alte Post ist zwar immer noch nicht da, aber dafür umsomehr neue. Von Mutter kamen zwei Briefe aus Babelsberg vom 9.2., 15.2., und die Taufrede von Pfarrer Schubring sowie ein Luftpostbrief vom 12.3., wo auch der Babo noch zugeschrieben hatte.- Für alle l. Zeilen, Grüße un. Glückwünsche herzl. Dank. / Ich bin froh, dass die Musch den Berliner Aufenthalt so gut überstanden hat. Nun muss sie sich aber auch wieder manchmal unter die Glasglocke setzen. Ja, Das Wort: Wanderer kommst Du nach Sparta… kann man wohl auf unsere Helden von Stalingrad anwenden. - ich habe sie auch liegen sehen… / Bis jetzt bin ich noch immer in meinem alten Winterhorst. Wenn es erst mal wieder trocken ist, werden wir auch wieder vorrücken, Ich freue mich schon wieder auf das Zeltleben. / Es ist zu komisch, wenn man so stundenlang durch die Gegend fliegt, wie oft die Bodenbeschaffenheit und damit auch das Klima wechselt. Bei uns liegt z. B. immer noch etwas Schnee, 50 km weiter nach Westen ist die Erde schon schneefrei und nach Osten wird der Schnee dicker, bis zur Wüste oder hinter der Wolga, wo der Schnee teilweise auch schon verschwunden ist. - Es ist ein endloses Land, dieses Russland, aber oft schön und packend in seiner tiefen Unergründlichkeit. Ich glaube beinahe, man kann dieses Land liebgewinnen. - Wenn man doch nur mal über diese endlosen Getreidefelder fliegen könnte, ohne Krieg im Kopf und ohne Bomben unter der Maschine. Einmal muss es ja soweit kommen und dann sind alle Opfer nicht umsonst gewesen. Von den Zigarettensendungen, insbesondere meinen Geburtstagszigaretten ist noch nichts angekommen. Wenn was gekommen ist, habe ich es Euch immer mitgeteilt. Die Zigaretten von der Friedeltante sind auch gestern angekommen. / Ich lege Euch hier mal eine kleine Charakteristik der Fernaufklärerei bei, die irgendjemand anläßlich der Verleihung des Eichenlaubs an Hauptmann Fischer verfasst hat. Ein Kamerad brachte gestern einige Durchschläge mit. Das Ding ist nämlich gut und trifft den Nagel auf den Kopf. / Und nun will ich noch meine andere Post fertig machen, denn ich bekam gestern 10 Briefe. Übrigens bin ich jetzt der nächste Urlaubsanwärter in der Staffel. Ein Kamerad, der vor mir drangewesen wäre, wird nämlich zur Flugzeugführerschule versetzt. Jedoch vorläufig noch kein Gedanke u. außer dem Sperre.
Ich gebe einen Eindruck von der Weite unserer Aufklärungsflüge: bis zur Ryn-Wüste in Kasachstan, hinter der Wolgamündung am Kaspischen Meer, 1000 km östlich von unserem Standort. Erwin Fischer (1912-1996) mit 273 Feindflügen am 8. Februar 1943 hochdekorierter Fernaufklärer wurde gerade Kommandeur eines Nahaufklärungsgeschwaders. - Wilhelm Schubring, vor 1933 Mitglied der DDP, Freund meiner Eltern, liberaler Pfarrer in Berlin-Zentrum (Marienkirche, 1933 etwa 2000 Gemeindemitglieder), stritt wie die Professoren Hermann Mulert, Martin Rade und Rudolf Bultmann gegen Antisemiten unter den Theologen, trat dem Pfarrernotbund der „Bekennenden Kirche“ bei, trat aber 1938 wieder aus („Eigenbrötler“ wie sein Kollege Graue aus der Sicht der BK).
Schon 2 Tage später, am 19. März 1943 war ich wieder um eine Grenzerfahrung - soll ich sagen reicher? Ich berichte umgehend: "Ihr Lieben! / Wisst Ihr, wie es ist, wenn einem der Knochenmann schon fast in der Hand gehalten hat und einen dann doch wieder loslässt? Den heutigen Tag könnt Ihr wirklich im Kalender als meinen 2. Geburtstag ankreiden. Sämtliche Feindflüge vorher, waren zusammengenommen gegen den heutigen eine Bagatelle. Wenn ich noch nie so etwas wie Todesangst verspürt habe, heute habe ich sie gehabt. / Etwa 150 km im Feindgebiet in 8500 m wurden wir von einer Spitfire angegriffen. Unserer Bordwaffen schossen gut, so dass uns der eine Jäger wenig Kopfzerbrechen machte. Nach etwa 5-8 min Luftkampf fielen aber mein MG und das des Funkers aus. Das ist die einzige Abwehr nach hinten oben. Der Jäger merkte natürlich sofort dass wir bei seinen Angriffen nicht mehr schossen. Er kam nun bei seinen Angriffen bis auf 10 m u. noch näher ran, aus allen Knopflöchern schiessend. Auch im Sturz, Steigen und Kurven blieb er immer dicht hinten dran. Es gab also für uns praktisch keine Rettung mehr, so dass ich dem Funker schon befahl SOS durchzugeben. Inzwischen waren wir von 8500 m bis auf den Boden runter gedrückt, Dort fuhr der Jäger noch einen Angriff u. mein Bordschütze , der unten in der Maschine auf dem Bauch liegt, konnte sehen, wie die Geschosse in den Boden spritzten. Dann setzte sich der Jäger direkt hinter unseren rechten Motor, schoss aber nicht mehr. Gleich anschließend schob er hinter die Maschine und saß etwa 2m hinter unserem Leitwerk. Anscheinend war ihm die Munition ausgegangen und er wollte nun versuchen, uns zu rammen. Wir machten mit unserer Maschine die unmöglichsten Verrenkungen und dabei konnte mein Bordschütze von unten noch mal zum Schuss kommen, jagte dem Jäger eine schöne Garbe in den Bauch auf etwa 10 m Entfernung, worauf sich dieser links neben uns setzte und mit uns im Verband flog. Wir konnten den Kerl ganz deutlich in seiner Maschine sehen. Unser Funker tippte sich an den Kopf, als wenn er zu dem Russen sagen wollte: Du Dussel!. Der Russe nickte auch dazu und drehte dann ab. - Ich kann Euch sagen, das hat vielleicht gepoltert, als uns die tausend Steine vom Herzen fielen. Um ein Haar hätte ich angefangen zu heulen vor Freude. - Stellt Euch vor, wir hatten keinen Treffer in der Mühle. Das ist das größte Wunder, das mir bis jetzt begegnet ist. Ich glaube, der liebe Gott hat seine Hand über unsere Maschine gehalten, dass keine Kugel sie treffen konnte. - Eigentlich müsst Ihr auch in diesem Augenblick was von unserer Not gespürt haben. - Ich glaube, nachdem wir nun wirklich mit einem Bein im Jenseits gestanden haben, kann es nicht mehr schlimmer kommen. Der liebe Gott ist doch kein Russe, wie wir ab u. zu schon mal angenommen hatten. / Gestern kam auch eine Zigarettensendung vom 27, 12. mit Zig. Von Reu‘s, der Pfingstrose u. dem Welttannenzweiglein fein! Gleich muss auch noch eine Maschine mit Post kommen. Sicher ist wieder was von Euch dabei. Ich schreibe dann noch weiter.
20.3. 43 – Ja es war etwas dabei und zwar ein Brief mit der Geburtsanzeige von H-P. Dann ein Brief vom Babo mit der Karte von meinem Kameraden Kl und noch ein weiterer Brief vom Babo (23.1.) mit der Geburtstagskarte vom 21. 1. Herzl. Dank. Es scheint also doch so nach u. nach wieder einiges von der alten Post nachzukommen. / Gestern habe ich mit meiner Besatzung eine nette Geburtstagsfeier veranstaltet. Heute habe ich bis Mittag geschlafen und morgen kann also der Rummel wieder losgehen. Immer hinein, Onkel Otto! / Ich geb diesen Brief einem Kameraden mit, der morgen oder übermorgen nach Deutschland versetzt wird. Wird wohl etwas schneller gehen als mit der „Feldpost“. / Herzliche Grüße! / Euer E
Am 23 März 1943 erzähle ich meinem neugeborenen Neffen, das heißt seiner Mutter, auch von meinem "moralischen Tod" und "zweitem Geburtstag": "Lieber H-P! / weißt Du, ich habe ja alles für möglich gehalten, aber dass Du mir schon so bald einen Brief schreiben würdest, habe ich nicht gedacht., So sehr verwunderlich ist es ja nicht, wenn man bedenkt, dass Papa und Mama beide so große Intelligenzbestien sind vor denen wir uns alle verkriechen können. - Den Bildern nach zu urteilen musst Du ja ein ganz netter Bursche sein, kann ich von meinem Patenjungen ja auch verlangen. Mit einem guten Appetit bist Du anscheinend auch gesegnet, denn auf dem Bild schaust Du ganz verlängerisch nach der Pulle. - Ich möchte Dich ja nun ganz gerne mal in Wirklichkeit sehen und Du würdest Dich sicher auch freuen, deinen Patenonkel mal begrüßen zu können, aber es wird sicher noch einige Wochen dauern, bis es so weit ist. Die Urlaubssperre ist ja nun aufgehoben, aber im Augenblick bin ich hier halt noch unentbehrlich. Allzu lange darf es aber auch nicht mehr weitergehen mit der Fliegerei, sonst leg ich den Löffel weg, wie man das in der Fliegersprache nennt. Schließlich sind 140 Feindflüge kein Pappenstiel bes. wenn bei einigen noch bes. unangenehme Momente dazukommen. Vor 4 Tagen erst bin ich von einer Spitfire moralisch abgeschossen worden (19.3). Den Tag werde ich in meinem Leben immer als meinen 2. Geburtstag feiern. Der Oma habe ich schon einen ausführlichen Bericht darüber geschrieben und wenn ich in Urlaub komme, kann ich Dir‘s ja nochmal genau erzählen. - Sei bloss froh, dass Du nicht 20 Jahre früher auf die Welt gekommen bist, sonst hättest Du nämlich sicher auch den ganzen Schlamassel mitmachen müssen, wie Dein Papa und ich. So kannst Du nun später, wenn Du groß bist, mal das was unser Volk heute durch Einsatz seiner größten u. besten Kraft erkämpft, aufbauen und festigen helfen. Ein helles Köpfchen hast Du ja bestimmt und helle Köpfe werden wir mal dringend brauchen, wo doch die meisten heute hops gehen. - Aber was schwatz ich Dir da lauter ernste Sachen vor, die Dir doch die Mama erst plausibel machen muss. Ich sollte Dir lieber was lustiges erzählen, aber damit kann ich Dir leider nicht aufwarten. Der Krieg ist eben eine wenig lustige Sache und damit muss man sich abfinden. / Heute morgen habe ich schon einen netten Spazierflug gemacht von 4-6 Uhr. Spazierfeindflüge sind solche, bei denen man vor lauter Wolken den Boden nicht sehen kann und einem kein Russe was tut. Das Wetter scheint aber besser zu werden, und so werde ich denn wohl gleich nochmal abhauen müssen. Vorher will ich mich aber noch etwas aufs Ohr legen, das ist gut für die Nerven usw. Kannst Du Dir auch mal merken: viel Schlafen ist gesund u. ersetzt bei uns den Urlaub. / Nun aber genug für heute. / Sei recht herzl. gegrüßt und grüß auch die Mama von mir! /Dein Onkel E
5 Tage später, am 28. März 1943 mache ich mir alle möglichen Gedanken: mein Schwager Ple soll mit seinen 42 Jahren nun auch eingezogen werden. Da dann wieder ein Lehrer am Gymnasium fehlt, hoffe ich dass der Babo wieder "in den Schulbetrieb reingezogen" wird, was ganz illusorisch ist, auch da ab Februar Oberschüler ab Jahrgang 1926 als "Flakhelfer" und -helferinnen eingezogen werden und für die anderen der Unterricht wegen Luftalarm vielerorts eingeschränkt ist. - " Wir haben jetzt 3 Tage Einsatzruhe gehabt. Die haben uns sehr gut getan. Es gab großartige Verpflegung und auch etliche Pullen. Morgen wird weiter geflogen. / Ich lasse übrigens 1000 M nach B. überweisen. Legt sie bitte auf mein Konto bei der Amtssparkasse. / Versucht doch bitte noch mal in allen möglichen Geschäften eine Schirmmütze zu besorgen. Das ist augenblicklich meine größte Sorge, weil die Dinger nicht mehr hergestellt werden (Größe 59) / Nun Schluss, denn ich hab noch einen ganzen Berg Post zu erledigen..."
Am 3. April 1943 "bekomme ich allmählich Urlaubsgedanken. Vielleicht klappt es bald mal." Und am 5. sind meine Gedanken sehr bei meinen Lieben: "Eben kam ein Brief vom Löles vom 10.1. (mit dem Büchlein) und der Luftpostbrief vom 29.3. - Für beide herzl. Dank. Ich hab mich sehr gefreut, mal so einiges über die Kinder und auch über Löles‘ Malerei zu hören. Na, wenn der K (7,5 Jahre alt) jetzt schon Interesse u. Verständnis für die Astronomie zeigt, dann muss er doch schon wieder ein gutes Stück an Alter und Weisheit zugenommen haben. - Ja nun ist es ja auch schon über 9 Monate her, dass ich das letzte Mal zu Hause war. Dass das Jahr voll wird, glaube ich ja nicht – im Gegenteil! / Dass der gute Öhm R krank liegt, tut mir ja sehr leid, aber unter der „erstklassigen“ Pflege unserer guten Oma (Oma, das kleine Kriegswunder) wird er sich wohl bald wieder aufrappeln u. seinen Geldsack mit neuem Schwung durch S tragen. Ich wünsche ihm jedenfalls gute Besserung falls er noch nicht wieder auf dem Damm sein sollte. / Um den Babo mache ich mir ja auch etwas Sorgen. Er scheint doch ziemlich angespannt zu sein mit seinem Luftschutz, mit Stunden geben u. Gartenarbeit. Es ist ja gut, dass er gesund durch den Winter gekommen ist. / Wie ist das eigentlich, habt Ihr schon ein Kaninchen zu meinem Empfang geschlachtet? Es wird aber allmählich Zeit. / So, und jetzt steig ich in‘s Bett. / Gute Nacht alle miteinander! / Euer E
Mai 1943 - August 1944 Posttraumatische Emanzipation
Der Brief braucht nur 14 Tage und tatsächlich bin ich Ende April in Urlaub. Kaum zurück in Stalino/Donetsk erfahre ich, dass meinem Gesuch zur Flugzeugführerausbildung stattgegeben wurde und ich nach Warnemünde kommandiert bin. Von dort schreibe ich am 18. Mai 1943:
"Mit der Telefoniererei hat es vorgestern leider nicht geklappt. - Schade! Was sagt Ihr denn zu meiner schnellen Rückkehr von Stalino? / Die Ausbildung hier an der A/B-schule dauert nur etwa 3 Wochen. Vorher, d.i heute, fahre ich noch für 8-14 Tage zum Segelfliegen nach Fassberg. / ( Flghorst Fassberg, Lüneburger Heide, Offz-Heim. Schickt mir doch von B. bitte noch meine alten Halbschuhe, die kann ich hier z. Fliegen brauchen (Nach Warnemünde) / Demnächst mehr! / Herzl.Grüße / E. Bitte Nr. u. Verleihungsdatum meines Beobachterabzeichens schreiben.
Ich hatte längst meine 110 Feindflüge hinter mir, für die einem die Frontflugspange für Aufklärer verliehen wurde. An Flugzeugführer-A/B-Schulen wurde für die Flugzeugführer-Scheine A1,A2,B1,B2 für einmotorige Landflugzeuge ausgebildet, A1 für das Gesamtgewicht bis zu 5-600 kg, B2 für bis zu 2,5 t. Die Warnemünder war die FFS (A/B) 10. Zum Horst Fassberg gehörte neuerdings die von russischen Zwangsarbeitern gebaute Technische Schule und Triebwerk-Testeinrichtungen, und schon lange ein Bombenabwurfgelände. Der Flugplatz wird den West-Alliierten 1948/49 als Drehscheibe der Luftbrücke nach Berlin dienen. - Ich hatte aus meiner Flieger-HJ-Zeit ein Segelflugbuch, in Fassberg wurden meine Segelflieger-Fähigkeiten erneuert und geprüft. Das Ergebnis diente den Warnemündern zur Einstufung des Motorflugschülers.
"Der Horst ist sehr schön, schrieb ich am 19. Mai, nur vollkommen abgelegen. Ich habe eine fabelhafte Zweizimmerwohnung. Wenn man reinkommt, steht man in einer kleinen Garderobe, durch eine Tür kommt man ins Wohnzimmer mit TIsch, Schreibtisch und Schrank usw. Dann geht es links durch eine Tür ins Schlafzimmer mit 2 Betten, Nachttischen, Schrank und im HIntergrund eine kleine Waschnische mit fließendem warmen und kaltem Wasser. - Ihr seht, ich wohne besser als im feinsten Hotel. - Heute bin ich bereits 1 ½ Stunden ohne Motor in der Luft rumgegondelt. Es war herrlich ! (im Doppelsitzer mit Lehrer) Morgen mache ich mich dann selbständig. - Was sagt ihr zu den Bildern aus Wien? Auf der Fahrt nach hier machte ich in Wien Station. Gute Idee von M, der Musch zum Muttertag eine Freude zu machen. In Neubrandenburg gab es eine sehr nette Nacht in der Jagdhütte , auch eine Bocksleber fehlte nicht. Was ist denn mit Löles' Baby Nr. 3 los? Der Bengel muss doch bald da sein. Hoffe auf baldige Erfolgsmeldung. / Herzl. Grüße Euer E
Der Bengel war H, ein Mädchen und kam an eben dem 19. Mai zur Welt - Es war zunächst vorgesehen, dass ich bis zum 10. Juni 1943 in Fassberg segelfliege, aber schon am 5ten schreibe ich wieder aus Warnemünde: "Eben kam von Tante M die Wäsche. Sie schrieb auch, dass ihre Eltern beim letzten Angriff alles verloren hätten. Ja es ist bald nicht mehr feierlich! / Mein Ehrenpaket ist nun auch perfekt. Da habt ihr wieder etwas für die Zeitung. - Heute abend fahre ich nach Rostock. Ich mache das öfter abends. Man kann dort sehr schön essen, vor allem viel Fischgerichte ohne Marken. Im Kino war ich dort auch mal. Will versuchen, ob ich mal Theaterkarten bekommen kann. Hab ich schon geschrieben, dass ich am Sonntag in Hannover in der Oper war? (Figaros Hochzeit) Es hat mir sehr gut gefallen. Hoffentlich kommt bald mein Anzug, damit ich nicht immer in den Stiefeln rumtoben muss.
In der Nacht vom 29ten zum 30ten Mai 1943 waren 719 bombenbeladene Flugzeuge in mehreren Wellen gestartet und warfen 1700 Spreng- und 280 000 Brandbomben über Barmen ab. Es war der bis dahin zielgenaueste Angriff: 2732 Menschen, alt und jung, starben, Industrieanlagen und 4000 Wohnhäuser wurden zerstört, darunter auch das von M's Eltern. Den ganzen Juni über hört man in B. nichts von mir . DIe Zeit verging wort-wörtlich im Flug aber nicht nur, wie die Meinen später erfahren werden. Das "Ostseebad in Mecklenburg, Offene See, 500 m Mole, Herrlicher Sandstrand" - laut Poststempel - rückte neben dem soldatischen das zivile und ein anderes Gefühlsleben wieder ins Blickfeld in Gestalt einer jungen Mutter mit einem 4-jährigen Mädchen, die Mann und Vater, einen meiner Fliegerkollegen, verloren hatten.
Am 5. Juli schreibe ich: "Als ich heute von Hamburg zurück kam, fand ich Babos Karte vor u. außerdem das Päckchen mit den Hausschuhen u. das Paket mit den Halbschuhen usw. Herzlichen Dank für alles. - Ich freue mich, dass P für ein paar Tage nach Babelsberg kommen konnte. Das war doch mal wieder ein Lichtblick für unser Hilleschen. - ich bin sehr froh, dass ich noch 2-3 Monate hier in W bleiben kann. Der Sommer ist hier herrlich, die Sonnentage allerdings noch nicht sehr zahlreich. Im August soll es ja hier am schönsten sein. Macht der Babo auch wieder eine kleine Ferienreise ins Ländle? Und wie geht es der guten Omi? Ist sie allmählich wieder etwas aufgeladen, oder nimmt die Arbeit kein Ende? Sie müsst es mal so gut haben wie ich augenblicklich. - Den Babo möchte ich bitten, mir mal meinen Kontostand mitzuteilen. - könnt Ihr Tante M etwas Seifenpulver schicken? Wann kommt das erste Foto von meinem frischgebackenen Soldatenschwager? Lauter Fragen! Viele herzl. Grüße! / Euer vornehmer Herr Leutnant E"
Löles hat mir eine Karte geschrieben. Ich antworte kurz unter dem 9. 7. : "Ich würde mich sehr freuen, wenn ich bei der Taufe dabei sein könnte. - Nach neuestem Befehl soll ich hier schon am 1. August fertig sein. Ich rechne dann mit einem anschließenden Urlaub, der sich vielleicht so um den 10 August rum ergeben wird. - Doch, wie ihr ja wisst, kann ich immer nur „vielleicht“ sagen, denn etwas Genaueres weiß man ja immer erst dann, wenn man den Urlaubsschein schon in der Tasche hat. Ihr müsst also mal sehen, ob Ihr schon was veranlassen wollt, werde Euch aber hoffentlich so früh Bescheid geben können, dass Ihr noch eine Woche Zeit habt um alles zu regeln. / Herzl. Grüße an das ganze Haus!"
Und am 12. Juli 1943: "Das Geld ist heute angekommen. Besten Dank. - Genaue Aufstellung über mein Konto brauche ich nicht. Ich wollte nur mal wissen, wieviel Moneten noch vorhanden waren. - Den Stoff könntet ihr schon nach S geben. Es wäre mir allerdings lieber, wenn der Schneider den Stoff erst zuschneiden würde, wenn ich selbst dagewesen bin. - Schreibt mir doch bitte schnell mal die Röhrentype von der schadhaften Röhre an meinem Radio. Sie ist mit einem weißen Papierstreifen umklebt. - Päckchen mit „Fettmarkensatz“ geht voraussichtlich morgen ab. Ich hoffe, dass die Omi den Tausch nicht bereut. Vielleicht kann ich auch mal für die Kuchenmarken Ersatz liefern. / Mit dem Strandleben ist es augenblicklich Essig. Erstens müssen wir viel fliegen und zweitens ist das Wetter ziemlich kühl. Schade, dass wir den August nun doch nicht mehr hier erleben. / Sonst nichts Neues…
Dann erst wieder ein Brief am 23. Juli: "Besten Dank für die beiden Briefe von Babo u. der Musch. 4 Tage Urlaub habe ich nie gehabt, sondern nur Wochenendurlaub, den ich in Neubrandenburg verbracht habe. / Wenn ihr glaubt, dass ich von hier aus schon wieder zur Front komme, dann befindet Ihr Euch in einem gelinden Irrtum. Erst werde ich noch 3 Monate verschiedene Schulbänke drücken, ehe es wieder raus geht. / Heute weckte mich auf einmal mein alter Hauptmann von meiner F-Staffel aus dem Mittagsschlaf. Er soll hier auch Flfzführer werden. Die Überraschung u. Freude war natürlich groß u,. es gab viel zu erzählen. Die Staffel liegt augenblicklich in Königsberg in Ruhe. / In der Fliegerei ist Nachtbetrieb. Ich hänge von morgens bis abends am Himmel. Morgen ist theoretische Prüfung. Ich sehe schwarz für die Theorie. Doch ich will noch etwas für die Prüfg tun."
Die Alliierten hatten in den ersten Kriegsjahren festgestellt, dass gezielte Luftangriffe auf deutsche Industrieanlagen relativ geringe Wirkung hatten, und hofften mit einem "Moral Bombing" der Städte die Bevölkerung gegen Diktatur und Krieg aufzubringen. Zur Erprobung hatte ein erstes nächtliches Flächenbombardement in Lübeck am 29. März 1942 gedient, bei dem 320 Menschen starben und 15000 obdachlos wurden. Der Fliegerhorst Warnemünde und Rostock waren schon am 12. September des Vorjahres Angriffsziel, doch erst ein Großangriff in 4 Nächten vom 24.-29. April 1942 zerstörte die Alstadt, 187 Zivilpersonen starben, 35 000 wurden obdachlos. In der Nacht vom 20. auf den 21. April 1943, ein paar Wochen vor meiner Ankunft in Warnemünde hatten die Britten einen letzten Großangriff auf das schon weitgehend zerstörte Rostock geflogen. 3 Monate später "übernahmen" die Amerikaner tagsüber mit von Jagdflugzeugen begleiteten Bomberflottten. Ein paar Tage nach meiner Prüfung, am 29 Juli vormittags, zerstörten 54 4-motorige Bomber die nahen Aradoflugzeugwerke und Warnemünde. Am 5. Juli war ich noch in Hamburg gewesen, vom 24.Juli bis 3. August 1943 war Hamburg das Ziel des "Moral Bombing". Etwa 34 000 Menschen starben, das Sommerklima begünstigte Brände und "Feuerstürme", ganze Stadtteile wurden unbewohnbar. So zweifelhaft in jeder Hinsicht die Bombing-Strategie war, sie und die nächtlichen und ganztägigen Jagdflugzeugeinsätze band große Teile der Luftwaffe im Westen, die im Osten fehlten was der sowjetischen Armee entschieden die Aufgaben erleichterte.
Inzwischen waren alliierte Verbände schon am 10. Juli in Sizilien gelandet. Zwar gelang der Rückzug deutscher und italienischer Verbände über die Straße von Messina, aber nach der Einnahme von Palermo am 22. Juli setzte der Gran Consiglio del Fascismo 3 Tage später Mussolini ab, der König ließ in gefangen nehmen und Marschall Badoglio begann mit den Alliierten zu verhandeln. Am 8. September 1943 wird der in Cassibile geschlossene Waffenstillstand bekannt gegeben. Am 9. schreibe ich an meinen Vater mit den gewohnten schizophrenen "Sieg-Heil-Phrasen":
Herzlichen Dank für Deinen Brief vom 5. 9., der gestern hier ankam. Die Post geht nun doch scheinbar wieder einigermaßen normal. / Ich hatte damals bei K's nur angefragt, ob Vater K mir nicht eine Adresse sagen könnte, wo man ev. Noch Wein bekommen könnte. Da ich annahm, er hätte vielleicht irgendwelche Beziehungen. Dass er mir selbst welchen besorgen sollte, davon war keine Rede. Und ich werde es ihnen auch noch schreiben. - / Die Sache mit Italien ist ja eine dolle Schweinerei, hatte aber schon lange so etwas erwartet. Wir müssen uns jetzt verdammt anstrengen!
Ich schreibe aus Kirchenlaibach nahe Bayreuth von einer Aussenstelle der Flugzeugführerschule A/B Crailsheim. Im August hatte ich Urlaub und war mit Freundin und ihrer Tochter nach B. gereist. Ich war mir wohl bewusst, dass zu Hause, zumal bei der Musch reichlich "prüde", besser gesagt puritanische Vorstellungen vom guten Geschlechterverhältnis herrschten. Meine liebe, sonst so zugreifende und politisch und praktisch-philosophisch denkende Mutter konnte zwar lachend erzählen, dass sie lange geglaubt hätte, Frauen kriegten Kinder vom Küssen, aber das sexuelle Leben blieb einigermaßen Tabu und der Verdacht, vielmehr die Angst, ihr Sohn gerate in den Sog seines Trieblebens, lag ihr nahe. Der puritanischen Prägung aus Jugendzeiten entsprach auch, dass ihr, die sich weitgehend "natürlich"-lebensreformerisch kleidete, Puder, Lippenstift, Nagellack, "Stöckelschuhe", Ohrringe wenn nicht gar Hosen für Frauen fremd und in der Familie verpönt waren. Übrigens hatte sie auch nie schwimmen gelernt und ihre Badekleidung war immer reichlich bedeckend. Mein schwäbischer Babo war da "leichtlebiger". Nicht ganz unpassend in diesem Zusammenhang ist auch dass beide gern erzählten, wie nach einem Theaterbesuch in Essen (war es ein Ibsen-Drama?) der Babo mit seinem schwäbischen Akzent unschuldig vorschlug noch "a Gläsle" im "Lokal" zu trinken, die Musch entsetzt war, dass sie unmittelbar nach einem aufrüttelnd "tiefen" Erlebnis zum gemütlichen Genuß aufgefordert wurde. Verständnis ihrer protestantisch-puritanischen Eigenheit fand sie leichter bei Löles' theologisch gebildetem Mann, nur 16 Jahre jünger als die Musch, dem so eine "ernste Lebenseinstellung" bei aller Lebensfreude näher lag.
Ich hätte mir denken können, dass ich mit meiner Freundin T bei meiner Mutter, die im Krieg große Ängste um mich durchstand, jetzt auf einer anderen Ebene Angst um mich auslösen würde. Zumal ich der Familie gleich gestand, dass T schwanger sei und wir heiraten würden. Vielleicht erwartete ich, dass sie den Gemütszustand des 22 jährigen Sohnes hätte erahnen können. Dem waren, wo ihn der Krieg nur hoffen ließ, dass er die nächsten Stunden und Tage überleben würde, vom Krieg wegführende auf das zivile Leben gerichtete Gedanken eine Rettung und nun schien sich ihm im Denken und Fühlen die Gelegenheit zu bieten, solchen Gedanken einen "Anker zu werfen". Die Musch gab sich nicht unfreundlich gegenüber Freundin T und Kind. Sie konnte nur nicht sehen, wie T und ich uns, jedenfalls in meiner Sicht in einer Lage zusammenfanden, in der wir an einer als-ob-Zukunft Halt suchten. Ich spürte die Ablehnung. Das war alles andere als ermutigend für den wie es in der Fliegersprache hieß "abgeflogenen", "ausgebrannten" jungen Mann. Ein ernster Einwand, der so nicht zur Sprache kam und den ich mir erst recht nicht eingestand, war, dass, solange der Krieg für mich weiterging, für die kleine B und ihr Geschwister in utero das Risiko groß war, nach dem leiblichen Vater auch den "Nachfolger" zu verlieren.
Vom 20 Jahre älteren Schwager Ple, der seit Mai 1943 in der soldatischen Grundausbildung und anschließend in der zum Kraftfahrer steckte, hatte ich einen in seiner schwer leserlichen kleinen Schrift geschriebenen Brief erhalten. Ich antwortete am 1. Oktober, einem Freitag, und versuche in ungewohnter Ausführlichkeit zur erklären, was ich in B. gedacht und weiterhin denke:
Lieber Schwager! / Eben habe ich Deinen Brief erhalten. - Herzlichen Dank!. - Es hat zwar fast eine halbe Std. gedauert, bis ich ihn wenigstens dem Sinn nach entziffern konnte, und auch jetzt, während ich Dir antworte, muss ich nochmal Satz für Satz rausklamüsern, aber das macht weiter nichts. - Warum ich Dich in B nicht gefragt hatte? Wenn ich die Gelegenheit hatte, habe ich nicht daran gedacht und als es mir mal einfiel, dachte ich, Du würdest wohl schon alleine drauf zu sprechen kommen, denn dass Du den Brief von mir noch gar nicht haben könntest, darauf war ich gar nicht gekommen. Entschuldige also bitte, dass ich Dir durch meine Dusseligkeit noch Arbeit gemacht habe. Du hättest aber auch ruhig an dem Morgen mit mir sprechen sollen, denn von Bedenken wegen der Zuständigkeit kann doch wohl keine Rede sein. Ich lasse mir von jedem Menschen einen Rat geben, wenn ich weiß, dass der Rat einem Herzen u. einer objektiven Urteilsfähigkeit entspringt. - Du hattest mir übrigens sowieso schon gründlich die Stimmung verdorben mit dem Gespräch über die Warnemünder Bilder. Ich habe das Gespräch bald abgebrochen, weil ich merkte, dass wir aneinander vorbeireden, denn Du u. auch die Oma haben in diese Bilder etwas hineingelegt, was überhaupt nicht drin war. Für mich gab es da überhaupt nichts zu reden. Wenn die gleichen Bilder statt mit einem Mädel mit einem Kameraden aufgenommen worden wären, - die Möglichkeit war genau so gegeben – hättet Ihr wahrscheinlich auch anders darüber gedacht. Ich merkte aber, dass Du und vor allem die Oma Euch schon halb damit abgefunden hattet, dass der E eben den gewissen Grad von Verderblichkeit erreicht hat, der für die heutige Jugend leider so bezeichnend ist. Das mag zu einem gewissen Grad sogar stimmen, und weil ich das selbst schon lange gemerkt hatte, habe ich mich ja auch immer bemüht, den Menschen zu finden, den ich brauche, um wieder zu mir selbst zu gelangen, und in T habe ich eben diesen Menschen gefunden. Eine Erklärung über diese Bilder hätte also wahrscheinlich gar keine Aufklärung herbeigeführt, sondern wäre vielleicht als eine billige Ausrede aufgefasst worden – und da lasse ich schon lieber die falsche Meinung auf sich beruhen, als bei Euch den Gedanken an eine Ausrede aufkommen zu lassen.
Doch nun zu Deinem Brief und zu B. - Leider weiß ich im Augenblick auch nicht mehr, wie Du den Satz formuliert hattest, den ich in Deinem vorletzten Brief nicht verstehen konnte, aber ich glaube schon, dass er darauf hinauslief, wie meine Stellung zu B sein muss, um wirklich die innere Berechtigung zu haben, T zu heiraten und damit B's Vater zu sein. - Du hast natürlich recht, dass ich B nicht nur um T's willen liebhaben darf, sondern um ihrer selbst willen. Und doch sage ich, dass ich sie nur durch T wirklich so liebhaben kann, dass ich später nicht nur äußerlich, sondern auch rein gefühlsmäßig keinen Unterschied zwischen ihr und meinen eigenen Kindern machen werde. Ich weiß bestimmt , dass es so sein wird u. es gibt da für mich gar kein wenn und aber. - Die Liebe zwischen T u. mir, so kurze Zeit sie erst dauert, hat auch schon ihre Bewährungsproben bestanden, und die waren nicht etwa leichter, alltäglicher Natur. Ihr könnt das natürlich nicht wissen, denn es gibt Dinge, die man zu zweit besser trägt, weil sie von dritten Menschen doch nicht verstanden würden. - Ich möchte auch mein Verhältnis zu T gar nicht als Liebe bezeichnen, sondern viel lieber als ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Vielleicht ist das Liebe, vielleicht auch ein Vorstadium der Liebe, vielleicht aber auch schon eine Weiterentwicklung. Fast möchte ich das letztere annehmen – genau beurteilen kann ich es aber nicht. Ich bin überhaupt zu der Ansicht gelangt, dass „Liebe im landläufigen Sinne“ gar keine Grundlage für eine wahrhaft glückliche u. schöne Ehe ist, sondern nur ein Anfangsstadium ist, welches dann nachher entweder zu einem Auseinanderleben zwischen Mann u. Frau führt, oder auch zu einem Nebeneinanderleben, oder aber auch zu einem schönen, großen u. wahrhaften Zusammenleben für das „Liebe“ meiner Ansicht nach garnicht das richtig Wort ist.
So,nun hast Du mal ein paar wirre Gedanken von mir gehört. Ob Du daraus schlau wirst, ist eine andere Frage. / Bei meinem letzten Sonntagsurlaub zu Hause habe ich leider merken müssen, dass T nicht den Anklang in der Familie gefunden hat, den ich erhofft hatte. Es hat mir zwar niemand gesagt, dass das familiäre Gutachten negativ ausgefallen sei, aber man hat mir auch nicht das Gegenteil gesagt, sondern gar keine Stellung zu T, nur zu unserem Verhältnis, genommen. Das hat mich natürlich bedrückt und mir zu denken gegeben. Zuerst dachte ich, dass ich T aus meinem Gefühl zu ihr heraus vielleicht falsch beurteilt hätte, aber das ist vollkommen auszuschlagen, denn wenn ich ganz ehrlich u. objektiv urteilen soll, so muss ich sagen, dass sie in bedeutendem Umfange die weitaus besseren Qualitäten hat, als ich (ohne dabei an irgendwelchen Minderwertigkeitskomplexen zu leiden!) - Es muss also wohl so sein, dass ich aus unserem familiären Rahmen heraus und vielleicht auch abgerutscht bin, und somit ich u. mit mir T nicht so in den Rahmen hineinpassen, wie es von Euch gewünscht wird. - Du schreibst ja in Deinem Brief auch von der Welt, in der ihr zu Hause lebt. Ich gehöre also anscheinend nicht mehr so zu dieser Welt, wie ich es wohl früher einmal tat, u. darin liegt wohl des Pudels Kern, der da ist, dass man T u. mich etwas abschätzend u. abwägend betrachtet u.T als meine Braut nicht bedingungslos u. mit Selbstverständlichkeit in den innerlichen Kreis unserer Famlie aufnimmt. Äußerlich hat man es natürlich getan, das ist selbstverständlich, aber der innere Kontakt fehlt. T hat das natürlich in keiner Weise gefühlt, aber ich, denn ich kenne T u. ich kenne auch unsere Familie und kann beurteilen, was von Herzen kommt und was nur gegebenen Tatsachen entspricht. Auch eine H z. B. wird als Os Frau in Eurer Mitte aufgenommen, aber sie entspricht nicht wie O selbst, dieser Welt, und doch gehört sie zu O u. O zu ihr. Und genauso ist es meiner Ansicht nach mit T, und das hat mir sehr weh getan. Ich weiß nicht, ob Du richtig verstehst, was ich sagen will. Es ist sehr schwer, solche Dinge in Worte zu fassen, doch Du bist ja nicht auf den Kopf gefallen. / Und nun, lieber Schwager, möchte ich meinen Ergüssen ein Ende machen. Für Deinen Brief hab herzlichen Dank. Er ist bei mir schon richtig angekommen, dessen darfst Du gewiss sein. / Herzlichen Gruß u. / Hals- und Beinbruch! / Dein E"
Einen Monat später, am 5. November 1943 antworte ich noch einmal ausführlich auf einen Brief von Ple und äußere mich zu meiner einstweiligen "Lebensphilosophie" und meinen Einsichten die Familie betreffend:
"Hast sicher gedacht, dass ich auf Deinem letzten Brief hin mordsmäßig eingeschnappt sei! - Stimmt nicht! Lag nur so allerhand dazwischen, sodass mir die nötige Konzentration zur Antwort fehlte. / Mir scheint, wir reden bzw. schreiben teilweise etwas aneinander vorbei, was wohl daran liegt, dass ich nicht die anschaulich präzise Ausdrucksweise besitze wie Du, sodass Du oft unter meinen Worten etwas anderes verstehst, als ich damit sagen will. - Und dabei kommt es doch hier oft auf Feinheiten an. Ich möchte da nur erwähnen, dass ich in meinem letzten Brief schrieb, Du u. Mutter hättet Euch "mit dem gewissen Grad von Verdorbenheit schon abgefunden“. Ist vollkommen schief ausgedrückt – sehe ich schon an Deiner Antwort. Aber der Teil der Debatte ist nun erledigt. Ich geb Dir vollkommen Recht, denke aber über die Konsequenzen etwas anders als Du, Vielleicht kommen wir mal später darauf zu sprechen, und Du kannst mich auch da noch zu Deiner Ansicht bekehren. / Ob eine Familie einen Rahmen hat oder nicht, ist mir wurscht. Dass sie etwas Gewachsenes ist, ist selbstverständlich, auch für mich! Ein Bild ist aber doch etwas gewachsenes u. hat auch einen Rahmen. - Eben mal wieder ein schiefer Ausdruck von mir.
Dass ich meinen Eltern entglitten bin, stimmt auch. Ich habe das auch schon immer gefühlt, hab aber die Sache nie so zu Ende gedacht, um auf das „Entgleiten“ zu kommen – Ich habe, so lange ich denken kann, meine Eltern nicht in dem Maße geliebt, wie das normalerweise der Fall sein sollte. Vater habe ich sogar zeitweise gehasst u. versucht, ihm auszuweichen, wo ich konnte. Ich habe auch meinen Eltern gegenüber nie das große Vertrauen gehabt, wie es doch eigentlich natürlich wäre, sondern alles, was mich bedrückt hat, und auch das, was mich gefreut hat, - das immer in mich hineingefressen. Das andere kaum oder gar nicht zum Ausdruck gebracht. Es fällt mir auch heute noch schwer, das, was mich bewegt, zum Ausdruck zu bringen. - Weshalb ich damals lieber allein, bei Kameraden oder Bekannten war, als zu Hause, weiß ich nicht. Ich weiß aber das Eine, dass, wenn meine Eltern versucht hätten, mir mein Verhalten, wie Du sagst, mit aller Schärfe zu pointieren, sie wahrscheinlich das Gegenteil erreicht hätten. Die Liebe zu Eltern u. Familie kann man meines Erachtens nicht anerziehen u. man kann sie sich selbst, ohne bestimmte Voraussetzungen nicht anerziehen. Diese Liebe wird entweder durch die ganze Erziehung im Laufe der Kinderjahre mit anerzogen, besser, sie wächst organisch, oder sie ist eben nicht vorhanden. Das schließt aber nicht aus, dass diese Liebe zum Elternhaus doch einmal in Erscheinung tritt u. damit das Zugehörigkeitsgefühl zur Familie. Da möchte ich nur bemerken, dass dies wohl bei mir jetzt der Fall ist. Von wann dieser Umschwung datiert, kann ich nicht genau sagen. So genau lässt sich das eben nicht feststellen. Ist ja im Moment auch unwichtig. Hauptsache, dass er da ist. - Eben aus diesem Grunde hat es mich ja auch so bedrückt, dass ich für mich die Feststellung machen musste, nicht mehr so zur Familie zu passen, wie ich es doch gerne möchte – neuerdings. Früher hätte mich diese Feststellung wahrscheinlich garnicht so getroffen, ich wär wahrscheinlich auch nie zu einer solchen Feststellung gekommen , wenn ich noch den gleichen Kurs steuern würde, wie früher.- Ich unterbreche hier und schreibe 3 Tage später weiter:
Heute verstehe ich auch den Babo u. muss ihm innerlich vieles abbitten. Wenn ich auch in vielen Dingen anders denke, so habe ich doch wenigstens Grips genug, um seine Art zu verstehen. Früher hatte ich das nicht u. daraus hat sich eben bei mir ein falsches Gefühl entwickelt. Heute wird es mir auch viel leichter, mit den Eltern über Dinge zu sprechen, die ich früher bestimmt für mich behalten u. verdaut hätte. / Du schreibst, dass Dich mein Verhalten (wenn Du mein Vater wärst) aufs tiefste beleidigt hätte. Ich sehe das auch jetzt vollkommen ein u. würde gerne alles wieder rückgängig machen, wenn das möglich wäre. Aber, wie ich schon sagte, wenn man mir das damals gesagt hätte, wäre ich vielleicht nur noch aus einem Verpflichtungsgefühl zu Hause geblieben, während es so eine Mischung war. Doch nun genug davon. Ich hoffe, dass auch Du mal merken wirst, dass sich die Beziehungen zwischen den Eltern und mir bessern. / Deine Meinung, dass Du an eine Verbindung zwischen T u. mir noch nicht glaubst, hat mich allerdings hart getroffen. Ich kann Dir da nur entgegensetzen, dass ich fest dran glaube. Ob Du recht hast oder ich, dass kann nur die Zeit ergeben. Die Zeit vor der Ehe ist ja im Verhältnis zur Ehe viel zu kurz, als dass man 100% tig sagen könnte, dass man für‘s Leben zusammenpasst. Das kann eben kein Mensch sagen, sondern nur die Zeit – vielleicht 5, vielleicht 10 Jahre – kann das ergeben. - Dass das, was da kommen sollte, nicht der Grund zu einer schnellen Heirat war, siehst Du ja jetzt, wo dieser vermeintliche Grund nicht mehr vorhanden ist. – / Morgen fahre ich nach B, wenn es klappt / Herzl Gruß! / E.
Meine Post nach B in den folgenden Monaten fehlt hier. Zum einen schrieb ich weniger wegen anstrengender Fliegerei mit verschiedenen Maschinentypen und weil meine freie Zeit der Korrepondenz mit T. und unseren Treffen gewidmet war und unser Verhältnis wider mein Erwarten Zweifel aufwarf. Zweitens hat die gute Musch, die alle meine Briefe sorgfältig sammelte, später meine Post aus der Zeit mit T. verschwinden lassen, so dass nur meine beiden Briefe an Ple erhalten blieben. Ob mir zuliebe oder der eigenen Rolle halber, bleibt dahingestellt: Schwamm über die "Entgleisung" ihres "Pitters" (und eigenes Verhalten?).
Am 27 Januar 1944 - ich bin gerade 23 Jahre alt geworden - ist die Post wieder da. Allerdings mit größeren Unterbrechungen. Die Ausbildung zum Flugzeugführer, die nun schon fast neun Monate dauert, nimmt ihren Gang. Von Kirchenlaibach/Speichersdorf bin ich nach Pretzsch zur C-Schule 9 (neuerdings B9, Fluglehrer u.a. Fwbl. Carl-Ernst Mengel ) versetzt, fliege also jetzt auch mehrmotorig. Mein "privates", zeitweilig wohltuendes oder gar heilsames Leben mit T ist aus und vorbei. Im Osten gelingt gerade der seit Mitte Januar forschreitende große Durchbruch sowjetischer Truppen: ich schreibe am Tag der Befreiung Leningrads nach einer Blockade die , vorallem im Winter und Frühjahr 1941/42 viele Menschen dem Hungertod preisgab und insgesamt mehr als einer Million der Eingeschlossenen das Leben gekostet hatte.
"Ihr Lieben! / Ich kann Euch garnicht sagen, wie sehr ich mich über Eure l. Briefe u. Geburtstagsgeschenke gefreut habe. Habt alle herzlichen Dank. - Das Päckchen kam eben an, u. Ihr sollt gleich einen Schrieb haben, den mein Gruppenfluglehrer mitnehmen soll. Der wohnt nämlich in N'bach u. fährt heute abend auf Urlaub. Meine Bude ist in eine mächtige Qualmwolke gehüllt, denn bei dem Zigarrettensegen kann ich noch mal etwas über die Verhältnisse paffen. Heute habe ich auch zufällig mal einen freien Nachmittag u. kann es mir gemütlich machen. Morgen fahre ich mit meiner Gruppe nach Berlin ins Planetarium, wo wir uns als zukünftige Astronavigateure mal den Sternhimmel anschauen wollen. - Allmählich habe ich mich auch hier eingelebt. Gottseidank habe ich nette Kameraden gefunden. V. Ri ist noch bis zum 1. II. Im Urlaub im Allgäu. Kr kam vor einigen Tagen mit seiner Frau von der Hochzeitsreise zurück. Er wohnt mit mir zusammen auf der Bude. Wir haben es uns wieder so gemütlich wie möglich gemacht. Ein Glück, dass ich das Radiöchen dabei habe. Nur der el. Kocher fehlt mir sehr, denn den anderen habe ich in Eger gelassen. Bully musste ich leider wieder nach K‘laibach schicken, da er hier nicht geduldet wird. - Vater‘s Uhr ist auch fertig. Ich schicke sie gleich mit. Kostenpunkt 10 Mark. Zum Oberhof schreibe ich auch in den nächsten Tagen einen Bedanksbrief. - T. hat sich in Prag operieren lassen. Scheinbar hat alles geklappt. Genaueres weiß ich noch nicht. Die Sache mit dem Sturz damals war halb so wild. Das Bein war nur angeknackst u. der Kopf kam auch bald wieder in Ordnung. Viel Lärm um nichts! / Dass der Briefverkehr mit Ple immer noch nicht klappt, ist ja traurig. Aber wenn er tatsächlich in Winniza ist, hat er es gut getroffen, denn Winniza ist eine der schönsten Städte Russlands, sie hat vor dem Kriege immer zu Repräsentationszwecken bei Diplomatenbesuchen gedient. - Die Omi macht mir ja mal wieder grosse Sorgen mit ihrer Schufterei in S usw. Sieh blos zu, Alte, dass Du nicht wieder auf der Nase liegen musst, sonst muss ich Dich doch mal internieren lassen. - Von Bl kam auch ein Geburtstagsbrief. - Auch über die eingehenden Berichte aus Neubrandenburg war ich sehr erfreut. Dort geht es ja scheinbar ziemlich hoch her. - G schreibt mir öfter, ich ihr natürlich auch. / Eben bekomme ich Bescheid, dass ich fliegen muss. Für heute also Schluss. Hier noch eins: schickt mir doch bitte umgehend Zigarettenpapier. Hier gibt es keins zu kaufen. / Die beiden Bücher von Knittel, die ich mit nach B. brachte, gehören Elfs. Sie sind ganz interessant geschrieben. Man kann sie schon mal lesen bes. „El Hakim“. / Viele liebe Grüße! / Euer E"
Bully war mein lustiger Begleiter in Laibach, ein Foxterrier. - In Eger hatte T. ihre Familie. - Soldat Ple war seit Jahresbeginn "im Einsatz", laut Feldpostnummer 27347 – die Transportkompanie 602; - Winniza war die Bezeichnung der Besatzer für Winnyzja am Bug, 200 km südwestlich von Kiew in Richtung Moldawien. Dort waren 1937/38 über 9400 politische Gefangene vom NKWD ermordet worden. Im Juli 1941 verfügten die deutschen Besatzer die Ghettoisierung von 7000 jüdischen Bürgern. 2000 Menschen wurden dort erschossen. Im September 1941 wurden insgesamt 10 000 Menschen unweit der Stadt ermordet, im April 1942 noch einmal an die 5000 Alte, Frauen und Kinder bestialisch umgebracht. Von November 1941 bis September wurde in der Nähe ein "Führerhauptquartier"-Bunker gebaut, in dem von Juli 1942 bis August 1943 der oberste Befehlshaber nur gelegentlich zugegen war. Ein Zwangsarbeitslager für jüdische Männer bestand bis April 44 und ein Lager mit bis zu 19000 sowjetischen Kriegsgefangenen bis September 1943. Wehrmachts-Oberkommando und - Führungsstab hatten ihre Baracken in der Nähe und Himmler ließ 15 000 Ukrainer vertreiben um 10 000 ("Volks-") Deutsche im Umkreis anzusiedeln. Soviel zur "Schönheit" der alten Stadt Winnyzja Anfang 1944. Albrecht Goes (1908-2000), im Krieg protestantischer Militärpfarrer, und dessen Werke in B rezipiert wurden, schrieb in "Eine unruhige Nacht" 1953 eine Erzählung aus "Winniza" und 1963 "Das Löffelchen": Der Chefarzt (vor dem Krieg Klinikchef in Hamburg) eines großen Lazaretts, das im Sommer 1942 nach Winnyzja verlegt wird, will nach der Erfahrung im vorhergegangenen Kriegswinter, den zugewiesenen Gebäudekomplex nur beziehen, wenn jemand gefunden wird, der das komplizierte Heizungssystem instandhalten kann. Man verweist auf den früheren Angestellten. Der ist Jude und will sich, seine Frau und das "Jüngelchen" - so nennt er den Sohn - nicht noch mehr in Gefahr bringen und lehnt ab, gibt vor kaum Deutsch zu verstehen. Doch der Chefarzt kann ihn überreden, in dem er ihm Schutz anbietet, "Stefan, sie haben hier freie Kost und Logis!" "Stefan?"- "Hören sie gut zu: sie sind Stefan und sie halten den Mund!" Stefan erweist sich als unentbehrlicher, militärisch gesprochen "unabkömmlicher" Helfer der Crew des Lazaretts, wo immer es etwas zu reparieren gilt. Bis zu jenem 20. Dezember 1943, - der Befehl zur Vorbereitung eines schnellen Rückzugs des Lazaretts ist bereits gegeben - als ein Lastwagen vorfährt und zwei Männer barsch namentlich nach einer Person fragen, "betrifft Volk Israel". Der Wachhabende kennt den Namen nicht. Aufs höchste alarmiert ruft er den Chef, der mit der ganzen persönlichen und militärischen Autorität versucht, zwei feixende, in Parolen antijüdischer Hetze sich ergehende, doch letztlich ihrer Macht sichere Mörder, los zu werden. Unglückliche Umstände spielen mit, dass Stefan zu fünfzehn anderen auf den Lastwagen steigen muss. Als der Wagen losfährt rennt sein Sohn, das Jüngelchen, hinterher, will dem Vater seinen Mantel nachbringen und eine silbernes Löffelchen, mit dem es eine eigene Bewandtnis hat. Behend springt er auf. Vater vom Wagen und Mutter vom Straßenrand hatten geschrieen "Leib!". So hieß er. "Siebzehn" konstatiert laut der "Gelbe" auf dem Trittbrett und steigt ein. - Gelb war die SA-Uniform. Der Erzähler in seiner Rolle als protestantischer Militärpfarrer meint, dass man im eigenen Leben ein paar Dinge tut oder nicht tut deshalb, weil einem während der anderthalb Winniza-Jahre ein jüdischer Handwerker ein paarmal über den Weg gelaufen ist" und das Stefan in seinem Gedächtnis wohl am besten ohne Rede und Matka, die Frau mit ihm, dort aufgehoben seien, solange er lebe. dass jedoch Leib, der 12-13 jährige noch einmal ins Leben zurückwolle. "Leib schreit".
Goes war es auch, der im Nachhinein äußerte dass, wer 1942 hören wollte, wusste, dass die jüdische Bevölkerung systematisch ermordet wurde. - G. ist die mehrfach erwähnte Freundin aus der Schulzeit, angehende Ärztin. - John Knittel (1891-1970) war der in Indien geborene, mehr oder weniger "rebellische" Sohn einer württembergischen Missionarsfamilie, die ein paar Jahre später in Basel schweizer Bürgerrecht hatte. Ab 1908 Bankangestellter in London, dann Filmvorführer, heiratete er 1915 Frances White Mac Bridger gegen den Willen ihrer Eltern. "Die Reisen des Aaron West" (The Travels of Aaron West) 1919 war gleich ein Erfolg, der Autor lebte in der Schweiz, reiste mit Frau und KIndern in Nordafrika, wurde in Ägypten ein Bewunderer Ghandis, reiste mit Zustimmung des Bundesrates noch 1942 zu Schriftstellertreffen in Nazideutschland, hatte dort eine Begegnung mit dem Propagandaminister. Sympathie-Verdächtigungen waren die Folge. Sein Sohn Robert, Verleger in London, heiratete 1944 Luise Rainer (1910-2014) zweifache Oscar-Gewinnerin, deutsche Großbürgerstochter und Jüdin, die kein Star sein wollte. Tochter Margaret heiratete 1944 den Arzt Hubert Furtwängler (gest. 2011), mit ihr langjähriger Übersetzer des Schwiegervaters , ein Freund und Mitwisser der Geschwister Scholl. 1943 setzte John Knittel sich erfolglos für die zum Tod verurteilten Freunde ein. "El Hakim", englischer Titel Dr. Ibrahim, war 1935 erschienen.
Am 1. Februar 1944 ist mir aus B. Ple's Feldpostnummer mitgeteilt worden, und ich schreibe schnell eine Karte: "Schön, dass man Dir endlich schreiben kann. - Hier geht der Betrieb jetzt auf Hochtouren. An Kurzurlaub ist vorläufig nicht zu denken. Im Juni werde ich dann hoffentlich wieder raus kommen. Wäre schön, wenn ich Dich dann ablösen könnte. / Herzliche Grüße u. Hals- und Beinbruch! / Dein E"
Voraussetzung der Pläne der Alliierten zur Landung in Frankreich war ein entscheidende Schwächung der deutschen Luftwaffe. Vom 20ten bis 25. Februar 1944 flogen britische Verbände in einer "Big Week" nächtliche, und tagsüber amerikanische, von Jägern begleitete Luftflotten 26 schwere Angriffe mit 9800 Flugzeugeinsätzen auf Produktionsstätten an vielen Orten. Am Sonntag den 20ten Februar 1944 warem vorallem die Junkers-Produktionsanlagen im Raum Aschersleben, Bernburg, Halberstadt das Ziel, in Leipzig fielen am frühen Morgen 2300 t Bomben und am Nachmittag 700 t. 970 Menschen kamen ums Leben. In der Nacht zum Montag flogen über 500 Maschinen den bis dahin schwersten Angriff auf Stuttgart. Folge der Angriffswoche war, dass die Produktion um 2 Monate verzögert wurde, in die Zuständigkeit des Rüstungsministers Speer überging und mit Hochdruck in bombensichere Anlagen verlegt wurde. Zwar hatten die Alliierten große Verluste an Menschen und Maschinen und die deutsche Produktion wurde nicht im erwarteten Maß zerstört, aber die deutsche Luftwaffe, die infolge falscher Langfristplanung chronisch an Pilotenmangel litt, verlor im Februar, in erster Linie in Tageinsätzen, mit 366 erfahrenen Jagdpiloten 17,9 % der Gesamtheit, 225 waren tot. Damit waren die alliierten Flieger jedenfalls tagsüber dominierend.
Wärend der "Big Week", am 24. Februar 1944, antworte ich auf zwei Briefe aus B: "Bin Gestern von der Reise zurückgekommen und fand 2 Briefe von Mutter vor. Der eine mit dem Brief von G. u. Frau v. Ri u. der andere kündigte die Socken an. In einem Brief stand etwas von Lks‘ drin u. einen Brief vom vorhergehenden Abend, der aber noch nicht angekommen ist. Darin wird sicher etwas über die Nachricht von Lk's stehen. Lt. v. Ri ist am Montag nach dem schweren Angriff für 1 Tag nach Hause gefahren aber noch nicht zurück, so dass ich auch schlimmes befürchte. Das Päckchen mit den Zigaretten u. d. 10 Mark ist immer noch nicht da. Wird wohl nicht mehr kommen. / Herzl. Grüße i. Eile!! / Euer Pitter. / Bekam gestern einen Brief an meinen alten Freund Janny Cl zurück. Er ist gefallen.
Meine Hierarchie hielt mich für geeignet, wenn die Leiche eines Kameraden, was nicht sehr oft vorkam, begraben werden konnte, in Uniform mit allen Orden und Ehrenzeichen beim Begräbnis zu erscheinen. Von einer solchen Abordnung war ich am Vortag zurückgekommen. Mutters früherer Brief stand also aus, 2 Tage später war er da, mit 2 weiteren Todesnachrichten. Ich antworte kurz: "Liebe Musch! / Deinen langen Brief bekam ich vorgestern noch. Habe sofort an Lks geschrieben. Famllie Dohm kenne ich überhaupt nicht, auch den Jungen nicht. u. schreibe deshalb auch nicht hin. Zu einem Brief langt die Zeit nicht. Der Tag ist zusehr ausgefüllt u. abends bin ich zu müde. Eigentlich ist auch garnicht viel zu erzählen. / Herzlichen Gruß / Dein Pitter. / Dank Dir auch noch für Deinen Brief u. dem Babo für das Sternbüchlein. Drehbare Sternkarte haben wir nicht."
Lk's Sohn und ich waren Nachbarskinder in B. Von Ri kam zurück, seine Familie hatte bei dem Luftangriff die Wohnung verloren, seine Frau war schwanger. Ri und die intensive Inanspruchnahme durch die Fliegerei bewahrten mich davor, ins Grübeln zu geraten. Meine psychische Verfassung lasse ich eine Woche später, am 3. März 1944 in einer ausführlicheren Nachricht anklingen:
"Die Zeit vergeht so schnell, man sollte es kaum glauben. Das kommt wohl davon, dass wir hier nie Langeweile haben, sondern immer im Tempo weitermachen. Wir machen immer ½ Tag Flugdienst u. 1/2 Tag Unterricht, Morgens um 5 Uhr geht es schon aus der Falle denn um 6 Uhr ist schon Wetterbesprechung u. anschließend wird geflogen. Gestern habe ich auch meinen ersten Alleinflug auf der Ju 88 gemacht. Gleich geht es weiter. Nach Jüterborg muss ich heute auch noch fliegen. Vor einigen Tagen war ich mit der alten „Oma“ zweimal in Prag u. in Kirchenlaibach. Bully war leider in Bayreuth, so dass ich ihn nicht besuchen konnte. - Gestern ist wieder eine Maschine mit 2 Mann in den Wald gerast. Vielleicht wieder eine Beerdigungsreise für mich fällig. Besorgt mir bei W B doch bitte Rasierklingen (Rotbart) u. einen weissen Rotbart-Rasierapparat, nach Möglichkeit jedenfalls, sonst einen anderen. Ich habe nämlich meinen Apparat heute zerdeppert. - Wie geht es Euch denn? Wie ist die geistig-seelische Verfassung? Mein zeitweilig etwas erschütterter Optimismus ist wieder ziemlich gefestigt. Wir werden es schon schaffen!! / Und nun muss ich in die Mühle. / Herzlichst ! Euer Pitter".
Einen Tag später beginnt in Russland die sowjetische Frühjahrsoffensive, die zum Rückzug der Deutschen aus der Ukraine führt. Ende März entlässt Hitler die beiden Heerführer dieser Front. und ersetzt sie durch zwei "Durchhaltegeneräle", die auch nicht verhindern können, dass Truppenteile eingeschlossen und zerschlagen werden. Um Kowel, bedeutendem Eisenbahnknotenpunkt, gelang am 4. April die letzte Befreiungsoperation von Wehrmacht und SS, die, wo es fortdauernd Hiobsbotschaften zu verschleiern galt, von der Wochenschau in den Kinos umso mehr als "heldenhaft" gefeiert wurde. In der alten polnischen, heute ukrainischen Stadt südwestlich des Nationalparks Pripiat (Tschernobyl) und ost-südöstlich des ökologischen Parks von Sobibor hatten einmal zur Hälfte Juden gewohnt. - Am 10 April wird Odessa geräumt und am 12 April endet die sowjetische Offensive mit der Einnahme der Krim. Am 2. März waren deutsche Truppen in Ungarn eingefallen "um ein zweites Italien zu verhindern". Am 27. April begannen die Deportationstransporte aus Ungarn nach Auschwitz, nachdem ungarische Gendarmerie die Ghettoisierung und Gefangennahme jüdischer Bürger übernommen hatte. - Erst am 9. Mai schwinge ich mich wieder auf, meiner Mutter zum Geburtstag zu schreiben:
Liebe gute Musch! / Nun hast Du schon wieder ein Jährchen mehr auf Deinem Pückelchen u. ich glaube, es war keins von den leichtesten. Dazu dürfte allein schon Dein Sohn ein gut Teil zu beigetragen haben. - Ja,gute Alte, das soll wohl so sein, aber nun lass Dir erst mal einen lieben u. dicken Geburtstagsschmatz verpassen, und wenn nur ein Teil meiner guten Wünsche für Dich in Erfüllung geht, dann wirst Du mindestens 200 Jahre alt, u. für jeden Tag steht Dir ein Pfund Böhnchen-Kaffee zur Verfügung. Das allein dürfte ja wohl schon alle anderen Sorgen in den Schatten stellen. / - Eigentlich wollte ich ja zu Deinem Geburtstag in B. erscheinen, aber nun ist es doch nichts damit, denn heute hat die schriftliche Prüfung begonnen u. nächste Woche ist mdl. Prüfung. Dass ich da unmöglich weg kann, wirst Du Dir denken können. Dafür habe ich aber auch mein Bestes Briefpapier aus dem Stall geholt. Ich bitte das entsprechend zu würdigen. - In einigen Tagen geht hier eine Kiste ab mit überflüssigen Sachen. Dabei sind auch einige Zigarren für den Babo u. eine Menge Salzkekse, außerdem 1. P. Hosenträger u. Sockenhalter für P u. 1 P. Hosenträger für Onkel R. Die alten unelastischen Träger kann der Babo vielleicht noch verwenden. Meinen Uniformmantel gebt bitte zur Reinigung. Die Kiste schickt mir bitte sofort zurück, da ich sie zu meiner Versetzung brauche. Den Schlüssel schicke ich übrigens noch getrennt im Brief. Und nun sei nicht böse, l. Omi, wenn ich schon Schluss mache, aber ich muss mich für die Fortsetzung der schriftl. Prüfung noch etwas vorbereiten. Die dauert insgesamt 4 Tage, die mdl. Auch noch mal 3 Tage. / Herzl. Grüße u. alles, alles Gute! / Dein Pitter!
Am 12. Mai ist die Prüfung vorbei, und ich bin wieder mehr zum Schreiben aufgelegt:
"Unsere Ausbildung hier in Pretzsch geht nun so langsam ihrem Ende entgegen. Die schriftliche Prüfung ist gut überstanden u. jetzt müssen wir noch feste fliegen. Gestern nacht habe ich bis 2 Uhr Nachtflug gemacht, um 6 Uhr ging es dann morgens zur Prüfung und um 1 Uhr bin ich schon wieder bei einem 5-Stundenflug nach Prag-Wien-München-Nürnberg gestartet. Gleich muss ich wieder 5 Stunden fliegen. Ihr seht also, dass ich ziemlich beschäftigt bin. Unterricht haben wir natürlich auch noch. - Mit Urlaub rechne ich Ende des Monats, aber wie schon oft gesagt…!!! Dass ich von hier aus noch nicht zum Einsatz komme, schrieb ich ja wohl schon. / T. hat mir übrigens doch noch geantwortet u. war sehr liebenswürdig u. bat mich um ein Zusammentreffen, da sie noch verschiedene wichtige Angelegenheiten mit mir zu besprechen hätte, die man schriftlich nicht erledigen könne. Ich schrieb ihr, dass ich nicht wüßte, was wir noch miteinander zu besprechen hätten. Wenn sie tatsächlich etwas hätte, solle sie es schriftlich machen. Eine Zusammenkunft käme nicht in Frage, schon alleine aus Zeitmangel nicht. Von T's Mutter kam auch ein Antwortbrief, der mich über verschiedene Dinge aufklärte – ungewollt! Ich werde Euch alles später erzählen. Jedenfalls setzt das allem bisher dagewesenen die Krone auf. - Ich habe Frau L. darauf geschrieben, dass ich auf weiteren brieflichen Verkehr mit T verzichte u. ihre Briefe ungeöffnet zurückgehen lassen werde. - T richtet sich übrigens jetzt in Straßburg eine Wohnung ein!!! / Dass der Babo zu Deinem Geburtstag Böhnchen aufgetrieben hat, ist ja wunderbar. Natürlich übernehme ich 1/3 der Unkosten, falls niemand etwas dagegen hat. Auf diese Weise komme ich dann auch wenigstens zu einem Geburtstagsgeschenk für Dich. / Unser Öhm hat also Urlaub. Das ist ja fein. Will er denn nun tatsächlich zum Komiss gehen? - Übrigens muss ich ihm im nächsten Urlaub leider meinen Kocher entführen. Hier habe ich immer den von Lt. v. Ri, der ja z.Zt in Ungarn ist u. ich brauche unbedingt dann meinen, wenn ich hier wegkomme. Wenn Onkel R sowieso wegkommt, macht es ja auch weiter nichts aus. Habt Ihr eigentlich auch eine kleine Pfanne für mich? Ich habe nämlich T ihre zurückgeschickt. / Liebe Omma, gib meinem Patenkind bitte einen ganz lieben Geburtstagskuss von mir u. dem G'chen auch noch nachträglich meinen herzl. Glückwunsch. Zu einem extra-Brief langt die Zeit nicht mehr. Ich möchte mich noch ein Stündchen aufs Ohr legen bevor ich fliege. Die Nacht hatte nämlich heute auch nur 5 Stunden. Herzl. Grüße! / Dein Pitter / Liebe Grüße an alle.
Am 18. Mai 1944 schreibe ich der Musch zum Muttertag, der zwar keine NS-Erfindung ist aber vom Regime propagandistisch "aufgerwertet" wurde. "Zum Muttertag sollst Du doch nun auch schnell noch einen l. Gruß haben. - Eben habe ich meinen letzten Tagflug gemacht. Heute u. morgen abend mache ich noch Nachtflug u. dann kann der Prüfungsflug steigen. Am Samstag beginnt auch die mündliche Prüfung. Von einigen Fächern bin ich schon befreit zwegens dem Ergebnis der schriftl. Prüfung. Wenn alles glatt geht, hoffe ich aber Pfingsten zu Hause zu sein. Hoffentlich ist es bis dahin so warm, dass man nach W. ins Bad gehen kann. - Bezugsscheine sind hier immer noch keine angekommen. Ich werde mich dann selbst drum kümmern. Jetzt will ich mich noch schnell schaben, denn gleich ist Kino u. anschließend geht es zum Nachtflug. - Für den Babo sind übrigens schon wieder einige Zigarren auf Lager - / Viel liebe Grüße an alle, doch Dir ganz besonders / von / Deinem / Pitter
Die Produktion von Flugzeugen erreichte 1944 zahlenmäßig ihren Höhepunkt. Doch nicht nur die "Kampfmoral" der Flieger nahm angesichts alliierter Stärke mehr und mehr ab, auch die Ausfälle "ohne Feindeinwirkung" an Menschen und Material waren zwar von Anfang an ein bedeutender Faktor, erreichten aber im Juni 1944 das unglaubliche Ausmaß von 48% aller Ausfälle mit entsprechend hoher Todesrate. Das lag in erster Linie an ungenügender Erfahrung der jungen Piloten mit verschiedenen Flugzeugtypen und ungewohnten Start- , Lande-, und Flugumgebungen und erst in zweiter Linie an abnehmender Verarbeitungsqualität der Maschinen. Im "Luftkampf" wirkten sich die Ausbildungsmängel zunehmend verheerend aus, zumal die Alliierten technisch innovierte Jäger flogen, während deutscherseits die innovative Produktion stagnierte und die propagierten "Wunderwaffen" ("Düsenjäger") auf sich warten ließén.
Unter dem 22. Mai 1944, einem Montag, schreibe ich an die Eltern: "Aus meinem Pfingsturlaub wird nun wahrscheinlich doch nichts werden, aber ich komme dann mit Sicherheit in der Woche nach Pfingsten. Ev. muss ich diese Woche noch zu einer Beerdigung fahren. Es hat nämlich in K‘laibach mal wieder 3 Tote gegeben, nachdem es lange Zeit mal gut gegangen war. - Heute ist auch die mdl. Prüfung beendet worden. Ich habe in keinem Fach dran teilnehmen brauchen. Nun muss ich nur noch meinen Prüfungsflug machen. Bei meiner allerletzten Nachtlandung habe ich doch tatsächlich noch Bruch gemacht, meinen ersten Bruch, und zwar knickte mir bei der Landung das rechte Fahrwerk ein, aus unerfindlichen Gründen. Passiert ist nichts, nur die Mühle ist restlos im Eimer. / Frau v. Ri schrieb mir gestern ganz kurz aus einem Krankenhaus in Forbach/ Baden, dass sie viel Pech gehabt hätte u. noch sehr elend sei. Näheres würde mir ihr Mann erzählen. Wahrscheinlich hat es mit der Geburt nicht geklappt. Es wär jammerschade! Herr v. Ri scheint jetzt bei seiner Frau zu sein. Sein Gepäck wurde nämlich mit einer Maschine hierher gebracht. Er ist also scheinbar wieder nach Pretzsch versetzt. Er ließ übrigens die Musch in seinem letzten Brief herzlich grüßen. - Wenn meine Kiste noch nicht abgegangen ist, lasst sie bitte stehen. Ich nehme sie dann als Reisegepäck mit. Hoffenlich ist sie gut angekommen."
Einen Tag später geht ein Schrieb an meinen Schwager Ple ab: "Lieber Schwager! / Nun will ich es endlich mal wahrmachen u. dem Kartengruß einen Brief folgen lassen. Bevor ich von meinem kümmerlichen Dasein berichte, möchte ich aber zuerst der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass es Dir, wenigstens in körperlicher Hinsicht, recht gut gehen möge (Hab ich das nicht fein gesagt. Eine solche Ausdrucksweise berechtigt doch zu den schönsten Hoffnungen, nicht wahr?) - Ich habe es also nun glücklich geschafft u. stehe am Ende meiner Ausbildung in PSCH. In den letzten Wochen mussten wir ziemlich ran mit Tag- und Nachtflug, Unterricht, Prüfungen usw. Bis auf den Prüfungsflug bin ich jetzt fertig. Leider habe ich noch bei meiner letzten Nachtlandung eine Maschine hingedonnert, anscheinend Materialfehler. Dagegen kann man eben nichts machen. - Du darfst nun nicht annehmen, dass ich jetzt schon wieder rauskomme. Oh nein! Das kann sich noch ein paar Monate hinziehen. Den Sommer gedenke ich noch in der Heimat zu verbringen. Nächste Woche geht es erst mal auf Urlaub – 10 Tage. / Kannst Du nicht auch bald mal kommen? Ich hoffe stark, dass das Wetter im Urlaub schön ist,. Damit ich in W feste die Badeanstalt benutzen kann. Bei Dir wird es wohl auch jetzt schon ganz schön warm werden: Der Übergang ist im Osten ja ziemlich kurz. – / Hals- und Beinbruch, lieber Schwager u. / recht herzl. Grüße von / Deinem E
Anfang Juni bin ich endlich in Urlaub in B. Der dauernde Stress der Flüge bei Tag und bei Nacht, bei gleichzeitigem Wissen, dass alliierten Jägern und Bombern inzwischen überall " der Himmel gehörte", war plötzlich weg. Mein Körper reagierte paradox. Mitgespielt haben mögen Ängste beim Gedanken an, mich und die Kameraden zwangsläufig verpflichtende, "Durchhalteparolen", die in der zivilen Umgebung bei der aktuellen Kriegslage eindeutig als Aufforderung zum Kamikaze erschienen. Ein Kamikaze-Flieger wollte ich nicht sein... Ich, der immer gern und viel aß, hatte mit unmotivierten Brechanfällen zu kämpfen. Am 4 Juni 1944 hatten sich die deutschen Truppen kampflos aus Rom zurückgezogen, am 6 Juni war unerwartet die alliierte Landung in der Normandie geglückt. Ein "Ausstieg" der Finnen aus dem Krieg stand schon länger an, zog sich aber noch bis zum 15. September 1944 hin. Niemand konnte noch ernstlich behaupten, der Krieg wahre "Interessen des deutschen Vokes". Ich bin kein Fanatiker, der sich, seiner selbst nicht achtend, an Parolen klammert. Aber im zivilen Leben fühlte ich mich, auch bei meinen "Lieben" mittlerweile so einsam und fremd, dass ich mir nicht vorstellen konnte, "die Kameraden im Stich zu lassen". Zurück in Pretzsch schrieb ich am 21. Juni:
Ihr Lieben! / Ich bin gestern morgen gut hier gelandet. Die Fahrt klappte sehr gut. Heute war ich gleich beim Arzt. Er hat mich nochmal untersucht u. kam auch zu dem gleichen Ergebnis – Urlaub gibt es allerdings nicht, aber ich bin vom Dienst befreit u. kann mich pflegen. Ich werde also viel schlafen, und bei schönem Wetter zum Baden gehen. Das Wetter scheint sich ja zu machen. - Für Mutters Brief herzl. Dank. Den Füller schickt mir bitte sofort nach. / Seid alle recht herzl. gegrüßt u. nochmals bedankt für alles, womit Ihr mir den Urlaub verschönt habt. / Euer E
Von Pretzsch werde ich zum Flughafen Perleberg, 120 km nordwestlich von Berlin und etwa ebenso weit südöstlich von Hamburg versetzt. Ich schlage mich noch immer mit meinem "Leiden" herum. Vom 10. Juli 1944 geht ein Brief an die Eltern:
"Nun habe ich also endlich mal wieder meinen Standort gewechselt. u. sitze hier in Perleberg. In vieler Beziehung ist es hier besser, vor allem auch in Unterkunft und Essen, aber man hat hier fast nichts zu tun für uns. Es würde voraussichtlich noch 3-4 Monate dauern, bis ich von hier nach Posen versetzt würde u. dort dürfte ich wahrscheinlich auch noch mal einige Monate zubringen. Mir dauert das aber zu lange u. ich will versuchen, ob ich nicht irgend einen kürzeren Weg finden kann. Vorerst bin ich aber erst mal dabei mich gründlich auszukurieren. Freitag bekam ich ganz plötzlich Fieber u. Sonntags bin ich dann zum Arzt gegangen, hab ihm meine ganze „Leidensgeschichte“ erzählt u. mich gründlich untersuchen lassen. 2 Tage habe ich dann im Revier gelegen u. das Fieber weggetrieben. Morgen fahre ich nun mit einem dicken Bericht des hiesigen Arztes nach Wismar ins Lazarett zu einem Spezialisten. Will mal sehen was der so aus mir rausquetscht. / Am Dienstag habe ich noch von PSCH aus meinen Pelzmantel nach B. abgeschickt. Hoffentlich kommt er gut an."
Nicht gleich, sondern erst eine Woche später, am Montag, den 17. Juli 1944 werde ich im Lazarett aufgenommen. In der zurückliegenden Woche konnte ich meine Verwandten in Neubrandenburg besuchen, sprach mit Onkel K, dem Arzt und Sanitätsofffizier des Weltkriegs über die Kriegslage und meine Verfassung. Am 18. schrieb ich nach B:
Nun komme ich endlich mal dazu für Mutters u. Babo‘s Brief herzlich zu danken. Wie ich schon in meiner Karte von Nbdbg ankündigte, bin ich gestern abend hier im Lazarett gelandet. Samstag u. Sonntag war ich noch in Warnemünde u. habe dort mal die alten Bekannten begrüßt Ich traf auch einen alten Kameraden vom Zerstörergeschwader, der mit mir zusammen dort Bordfunker war u. jetzt auch Flugzeugführer wird. Die Wiedersehensfreude war natürlich groß. / Ich bin nun mal gespannt, was der Arzt nun an mir auszusetzen hat. Ich dachte schon, meine Brecherei hätte aufgehört, weil ich fast 14 Tage nicht mehr gebrochen habe, aber am Freitag musste ich sogar 2x brechen. / Mit der Versetzung zur Front ist es noch lange nichts, aber das schrieb ich ja wohl schon. / Nach Brillengestellen habe ich mich bereits schon umgesehen, konnte aber außer einfachen Nickelgestellen nichts finden. / Mit Onkel K sprach ich auch über die Grundstückssache. Er ist mit allem einverstanden u. schrieb an den Babo wohl auch dementsprechend. / Dass die Urlaubssperre im Osten aufgehoben sein soll, dürfte wohl ein kleiner Irrtum sein!! / Es gibt Mittagessen, Verpflegung ist hier ausgezeichnet
Das 1939 fertiggestellte Luftwaffenlazarett Wismar lag am südwestlichen Stadtrand, ca 2 km von Hafen und Altstadt und 2,5 km vom Bahnhof entfernt. - Bei der "Grundstückssache" handelte es ich um einen Tausch der die Grenze zum Nachbarn in B begradigte. Das Terrain gehörte zum ungeteilten Erbe der Musch und ihrer Brüder. 4 Tage später habe ich eine erste Diagnose:
"Eben erhielt ich Babos Brief mit dem Fahrplan. Herzlichen Dank. Den Plan kann ich hier gut gebrauchen. Hoffentlich klappt es auch noch mit dem Kursbuch. - ich bin froh, dass der Pelzmantel gut angekommen ist, Ein feines Stück, nicht wahr? - Hat aber auch seine 300 Märker gekostet. / Heute bin ich wieder durchleuchtet worden. Der Arzt sagte allerdings, dass er noch nichts hätte festellen können. Ich nehme demnach nach wie vor an, dass es sich um eine reine Nervensache handelt. Selbstverständlich werde ich nicht eher wieder zum Einsatz gehen, als bis mein Corpus wieder vollständig in Ordnung ist. / Ich hoffe, dass der Babo seinen Hexenschuss bald wieder los ist, damit er die Ferien noch voll genießen u. ev. auch für die Gartenarbeit ausnutzen kann. Er soll aber wirklich auch mal Ferien machen und nicht bis zum Dunkelwerden im Garten schuften. - Ich bin erstaunt, wie ich auf einmal wieder essen und schlafen kann. Seit ich hier im Lazarett liege, klappt es wieder prima. Morgen, wenn schönes Wetter ist, werde ich einen Sonntagsausflug zur Insel Pöhl machen u. dort baden. Dort soll ein sehr schöner Strand sein. Heute Nachmittag gehe ich zum Kaffee in die Stadt u. anschließend ins Kino. Ihr seht also, ich verlebe hier eine ganz angenehme Urlaubszeit unter ärztlicher Kontrolle, wie in einem Bad. - ich wäre Euch sehr dankbar, wenn Ihr mir ein wenig Räucherware schicken könntet (auf alle Fälle über Perleberg), denn seit 14 Tagen fallen für mich die täglichen 6 Zigaretten des flgdn Personals fort, weil ich aus dem Truppendienst ausgeschieden bin. Eben bläst es wieder Voralarm. Wir müssen fast jede Nacht in den Keller, aber daran gewöhnt man sich . Wir können ja tagsüber genug schlafen."
Die Insel Pöhl liegt 15 km nördlich von Wismar 1km vor der Ostküste der Lübecker Bucht. Vom wichtigsten Vorkommnis, dem gescheiterten Umsturzversuch am 20 Juli 1944, kein Wort. Nur relative Nichtigkeiten wie der Pelzmantel, der mich 300 Mark gekostet hat. Mit der vermuteten Ursache meiner Schlaf- und Essstörungen sollte ich Recht behalten: eine "reine Nervensache". Seit einem schweren Luftangriff im September 1942 war Wismar verschont geblieben. Mit erneuter Bombardierung war jedoch zu rechnen. Am 24. August wurde dann auch vor Allem das große Dornier- Werksgelände 2 km nord-nordöstlich des Stadtzentrums, heftig bombardiert und die Anlagen weitgehend zerstört. 205 Menschen starben. Der Friedrichshafener Flugzeugbauer war seit 1933 hier angesiedelt.
Am 28. Juli 1944 sind die ärztlichen Untersuchungen zwar beendet, aber ich bleibe im Lazarett: Ihr Lieben! / Ihr könnt also um Euren Pitter ganz unbesorgt sein, es fehlt ihm nämlich garnichts besonderes. Ich bin halt nur so im Großen und Ganzen etwas auf den Hund gekommen, u. nun soll ich mich hier wieder auf Schwung bringen. Insgesamt werde ich wohl etwa 4 Wochen hierbleiben, also jetzt noch ungefähr 14 Tage. Wenn ich Schwein habe, gibt es anschließend ein paar Tage Urlaub. Soll ich mich da nicht in B sehen lassen? . Natürlich – Ihr müsst ja feststellen, wie die Kur bei mir angeschlagen hat. - Ich habe jetzt übrigens Verpflegungzulage bekommen. Ist auch nötig, denn ich bin wieder unheimlich gefräßig geworden. Gestern war ich in Perleberg um mir noch einige Sachen zu holen. Dort werde ich voraussichtlich Ende Oktober wegkommen. Unterwegs traf ich einen alten Kameraden vom Zerstörergeschwader, einen, der schon fast Museumswert besitzt. War sehr nett. / Herzl. Grüße ! / Euer E
Einen Tag später kriegt auch Schwager Ple einen kurzen Brief, der zwischen Lwiw und Krakow unterwegs ist. Dort drängen die sowjetischen Truppen bis Ende August die deutschen Verbände bis an die Weichsel zurück und erobern den Brückenkopf Baranow, von dem ausgehend sie im Januar nach Deutschland stürmen werden.
„Ich danke Dir herzlich für Deinen Brief u.freue mich, dass es Dir, den Umständen entsprechend gut geht. Ich selbst liege augenblicklich hier im Lazarett auf 3-4 Wochen zu Erholung. Ich war so ein wenig auf den Hund gekommen u. werde hier nun wieder aufgepäppelt. Anschließend bekomme ich vielleicht sogar noch Urlaub. Wann wirst Du Dich denn mal wieder blicken lassen? All zu weit brauchst Du doch sicher nicht mehr zu fahren? - Die Russen machen uns ja jetzt verdammt zu schaffen, aber ich hoffe bestimmt, dass wir ihnen bald mit frischen Kräften entgegentreten können. Mit mir wird es noch einige Monate dauern, bis ich wieder an die Front komme. Daher habe ich mich auch entschlossen, mich in Behandlung zu geben. - Also, lieber Schwager, lass Dich bald mal sehen! Hals- und Beinbruch u. herzl. Grüße!“
Der Schwager wird sich über zwei Jahre lang nicht in B sehen lassen. Hilles gibt ihre Wohnung in Babelsberg auf und zieht mit dem anderthalbjährigen Sohn nach B. Im Anschluss an meine „Kur“ im Lazarett habe ich ein paar Tage Urlaub und helfe ihr Koffer zu packen und abzuschicken, Bin dann wieder in Perleberg. Nach meiner Rückkehr schreibe ich am 30. August 1944:
„Es wird Zeit, dass ich mal was von mir hören lasse. Bis gestern war das Wetter wunderschön, so dass ich jeden Tag ab mittags zum Baden fahren konnte. In der Landwirtschaft sieht es allerdings dafür trostlos aus. Alles vertrocknet, denn es hat schon seit Wochen nicht mehr geregnet, und das ist bei dem hiesigen Sandboden doppelt schlimm. Sogar die Bäume verlieren schon ihr Laub u. machen teilweise schon einen regelrecht herbstlichen Eindruck. Gestern abend hat es etwas geregnet, aber nicht viel u. es scheint mir so, als ob bald die Sonne wieder die Oberhand bekäme… / Ich traf hier bei der Staffel Kptn Pentzien, einen alten Kameraden meiner Fernaufklärerstaffel, an. Die Wiedersehensfreude war natürlich groß. Ich hoffe, dass ich im Einsatz mal in seine Staffel kommen kann. Vorläufig ist an Einsatz noch gar nicht zu denken. - Bin gespannt, ob die Koffer von Babelsberg alle den Weg nach B. gefunden haben.“
Inzwischen haben sich die Ereignisse überstürzt: Im Mai hatten die Alliierten bereits die Raffinerien und Hydrieranlagen um Leuna und anderorts in massiven Luftangriffen praktisch außer Betrieb gesetzt. Flächenbombardements im Juli und zuletzt am 19 August hatte die Ölförderung und die Raffinerien im rumänischen Ploijesti weitgehend zerstört. Ein Staatsstreich in Rumänien am 23 August 1944 hatte das Ende des Bündnisses zur Folge. Zwar lief die deutsche Flugzeugproduktion immer noch auf Hochtouren, aber die Versorgung mit Treibstoff insbesondere mit Flugbenzin versagte fast ganz, bis auf wenige Prozent der 1943 von den Fliegern verbrauchten Mengen. Ende August lancierten Edmund Geilenberg und Carl Krauch in Hitlers Auftrag eine gigantische Aktion zur Gewinnung und Aufarbeitung von Ölschiefer, zur Verlegung der Treibstoffproduktion, der Hydrier- und Dehydrieranlagen unter Tage. 100 000nde Kz-Häftlinge und Kriegsgefangene wurden unter mörderischen Bedingungen zu Schwerstarbeiten gezwungen, rücksichtslos zu Tode gequält, obwohl klar war, dass der Plan nicht aufgehen konnte. Praktisch war die Wehrmacht ihrer Transportmittel weitgehend beraubt und die Luftwaffe kaum mehr flugfähig.
September 1944 - Januar 1945. Letzte Flüge
Das Wiedersehen mit Pentzien befreite mich von der Ungewissheit meiner „Zukunft“ in allgemein aussichtsloser Lage. Hans Pentzien (1914-2007) geboren in Doberan, sieben Jahre älter als ich, war im November 1942 mit dem Deutschen Kreuz in Gold ausgezeichnet und am 1. April 1943 zum Hauptmann befördert worden und hatte im Mai 1943, bald nach meiner Versetzung zur Flugzeugführerschule Erich Putzka als Staffelkapitän der 3 (F) AG 121 abgelöst. Jetzt, Ende August 1944 vermittelt er mich nach Prag, bevor er als Kapitän einer Fernaufklärungsstaffel nach Nordnorwegen geht. Am 1. September schreibe ich:
„Ihr Lieben! / Übermorgen werde ich zum Ergänzungsverband nach Prag versetzt. Mit Hilfe meines Hauptmanns hab ich es glücklich geschafft u. damit die Zeit bis zum Einsatz um etliche Monate gedrückt, denn hier hätte ich bestimmt noch eine Ewigkeit sitzen können. Wann ich nun von Prag aus wieder zum Einsatz komme, muss ich dann mal sehen. Wird natürlich noch einige Zeit dauern.“
Zu lesen: Die Zeit bis zum Einsatz um etliche Monate hinausgeschoben! 3 Tage später habe ich inzwischen erfahren, dass der Babo mit seinen 61 Jahren zu Bauarbeiten am „Westwall“ eingezogen wurde. Am 24. August hatte Hitler per Erlass die Wiederaufnahme der seit Anfang des Krieges eingestellten Arbeiten an der Verteidigungslinie befohlen. Diese war infolge der technischen Entwicklung obsolet, jetzt sollten in erster Linie Gräben als Panzersperren ausgehoben werden. Der Erlass sah den Einsatz von Zwangsarbeitern und Arbeitsdiensleistenden vor sowie von "abkömmlichen Männern aus der Umgebung". B lag im äußersten Nordosten des Regierungsbezirks Koblenz der auch weite linksrheinische Gebiete umfasste und zur „Umgebung“ gerechnet wurde.
„Die Nachricht von Babo‘s Einsatz hat mich einigermaßen überrascht. Hoffentlich habt Ihr inzwischen gute Nachricht von ihm erhalten. Wenn er nur anständig untergebracht ist und gutes Essen bekommt! Die Arbeit an der frischen Luft ist ihm ja gottseidank nichts Ungewohntes. / Meine Versetzung nach Prag hat sich auf Freitag verschoben. Meine neue Anschrift ist : Prag-Rusin, Fernaufkl. Staffel 103. Nun werde ich also auch Gelegenheit haben, mir Prag mal richtig anzusehen. / Ihr habe jetzt sicher viel Arbeit durch Babo‘s Wegkommen, denn die Kaninchen wollen doch besorgt sein und im Garten gib es doch auch noch viel zu ernten. Da habt Ihr schon ein schönes Päckchen zu tragen. Ich müsste halt die Zeit die ich hier vertrödle bei Euch sein können. / Gute Nacht! / Euer Pitter“
In Prag-Rusin waren der Stab der Ergänzungsfernaufklärungsgruppe und ihre Staffeln 1, 2, 3, seit August 44 stationiert. Die 1. und die 3. Staffel wurden am 11. September aufgelöst. Im November werden der Stab und die 2. Staffel nach Pütniz-Damgarten verlegt werden, Ebenfalls in Ruzyné stationiert war bis Juni 1944 eine Staffel des Lehrgeschwaders 1. Meine neue Adresse war angesichts ständiger Umgruppierungen und Umrüstungen transitorisch oder falsch: eine Staffel 103 hat vermutlich nicht existiert. Im Dezenber 1944 würde es in Perleberg und Jüterbog ein Aufklärungsschulgeschwader 103 geben, kommandiert vom bereists erwähnten, inzwischen zum Major beförderten, Erwin Fischer. Der Gruppenkommandeur in Prag war Gerhard Kopper (1904-1967), Oberstleutnant, schon vor dem Krieg Beobachter-Fernaufklärer und im Krieg zeitweilig Bildsachverständiger im Luftfahrtministerium. - In diesem Jahr habe ich meines Vaters Geburtstag am 13. September nicht vergessen, aber erst am 11. komme ich zum Schreiben.
„Lieber Babo! / Zu Deinem Geburtstag den Du ja wohl diesmal in der Fremde verleben musst, sende ich Dir ganz besonders liebe Grüße u. all meine guten Wünsche für Dein weiteres Leben. Ich hatte den Tag diesmal nicht vergessen u. trotzdem bekommst Du nun den Brief nicht pünktlich, aber durch die Versetzung ließ es sich nicht anders machen. Eben habe ich nun endl. Mal alle Laufereien hinter mich gebracht u. mich hingesetzt. Gleich muss ich mich noch beim Kommandeur vorstellen – anschließend umziehen zum Herrenabend. Das ist immer eine reichlich langweilige Angelegenheit mit mehr oder weniger interessanten Vorträgen und Dünnbier. - In den nächsten Tagen werde ich mir dann auch mal Prag ansehen. Es ist sicher wohltuend, wenn man nochmal eine unzerstörte Stadt sieht u. dann noch eine so schöne wie Prag. / Von Dir hab ich nun noch gar keine Nachricht. Ich bin sehr gespannt zu erfahren, wie Du es angetroffen hast u. ob Dir die Arbeit nicht zu schwer fällt. Was nur unser Garten ohne Dich macht ist mir nicht ganz klar. Wer soll das bloß alles schaffen? - Habt Ihr auch anständige Verpflegung? Bei uns hier ist sie wirklich ganz ausgezeichnet u. ich glaube, dass ich hier wieder etwas Gewicht aufholen kann. / Doch nun muss ich zum „Alten“ marschieren. Machs gut, lieber Babo u. sei herzlich gegrüßt / von Deinem / Bub!“
Gruppenkommandeur war Gerhard Kopper (1904-1967) Oberstleutnant, Fernaufklärer schon bor dem Krieg und zeitweise Bildexperte im Reichsluftfahrministerium. - Unter dem 17 September 1944 geht wieder ein Brief nach B: "Ihr Lieben! / Gestern bekam ich die erste Nachricht von unserem Babo u zwar eine Karte aus Wittlich. Von Hilles kam heute ein Brief aus Freiburg, über den ich mich sehr gefreut habe. Besten Dank! Seit einer Woche bin ich nun schon in Prag u. es gefällt mir ganz gut hier. Die Einsatzaussichten sind zwar auch nicht riesig, aber ich hoffe, dass es im Laufe des Jahres noch klappen wird. Gut, dass ich von Perleberg weg bin, denn dort ist jetzt gar nichts mehr los. Hier wird wenigstens noch etwas geflogen u. ich hoffe auch bald mal wieder dran zu kommen. - Auf meiner Reise nach Prag war ich auch noch eine Nacht in Berlin u rief Bl. an. Frau Wi sagte mir aber, dass sie nach Aachen gefahren sei. Was ist denn nun eigenlich aus den Achenern geworden? Sind etwa irgendwelche Teile in B gelandet? / Mein Gepäck ist nun schon seit 10 Tagen unterwegs u. ich sitze hier nur mit ein paar Klamotten u habe fast nichts anzuziehen. Meinen Kameraden geht es genau so. Möchte nur mal wissen, wo der ganze Kram hängen geblieben ist. / Abends fahre ich meist nach Prag rein um zu essen. Es gibt dort ein kleines Fischrestaurant, wo man sich ohne Marken den Bauch voll Fisch schlagen kann, dazu gibt es Tomatensalat . Als Nachtisch guten Kuchen oder Eis. Komischerweise muss man hier für Kartoffeln Brotmarken abgeben, aber an Brotmarken ist ja noch ranzukommen. Es gibt überhaupt noch sehr schöne Lokalitäten in Prag. Im Hotel Alcron kann man sämtliche deutschen Filmgrößen bewundern, denn der deutsche Film hat sich ja nach Prag verlagert. Heute abend habe ich Dienst u. muss also den Sonntag im Bau verbringen. Machts gut, alle miteinander / Herzl. Grüße / Euer E."
Bl war die in Berlin lebende Schwester von Hilles' Mann P., dessen militärischer Funkwetterdienst inzwischen aus Sizilien zum Feldberg bei Freiburg verlegt war. Hilles, inzwischen mit ihrem kleinen Sohn nach B umgezogen, konnte ihn dort besuchen. Bl. und die Eltern hatten Aachen verlassen, amerikanische Truppen hatten am Vortag, dem 16 September 1944 die Umgebung erreicht. 20 000 der 160 000 Einwohner waren in der Stadt geblieben. 5000 Soldaten unter Gerhard Wilck, Oberst, sollten sie verteidigen; Einen Monat später, am 21. Oktober werden noch 300 Soldaten übrig sein, die sich ergeben. Die anderen waren tot oder gefangen. 5000 Tote auf beiden Seiten und 5600 gefangene deutsche Soldaten einschließlich derer, die die Umschließung hatten verhindern sollen. In Aachen erschien in der Folge die erste inländische post-NS-Zeitung.
Im Hotel Alcron, nahe dem Wenzelsplatz wohnten zeitweiig die Schauspieler Willy Fritsch, Hans Albers, Gustav Fröhlich, Zarah Leander, Oskar Sima, Johannes Heesters u. a. Gedreht wurde tagsüber in den 8 km entfernten Barrandov-Ateliers. Es werden nach wie vor unvermindert Filme produziert, während Theater und Variété geschlossen sind, bleiben die Kinos im Reich in Betrieb.
Wurde mir bewusst, dass das böhmische Prag auch eine sehr alte jüdische Tradition hatte und im 19 Jahrhundert das Zentrum der Haskala, der jüdischen Aufklärung wurde? Seit 1918 war Prag die Hauptstadt der neuen tschechoslowakischen Republik. Wie in der deutschen Republik gab es verfassungsrechtlich keine Diskriminierung mehr, wohl aber nach wie vor manifesten Antisemitismus. Nach der Annexion des Landes 1939 waren die Nürnberger Gesetze auch hier in Kraft getreten und wer zwangsweise als Jude deklariert war, kam ins 60 km nördlich von Prag gelegene Konzentrationslager Theresienstadt.
Im August war im Flughafen Prag-Rusin/Ruzyné die ERG FA (Ergänzungs – Fernaufklärungs-) Gruppe aus Posen/Poznan angekommen. Sie wird im Nov. 44 nach Pütnitz transferiert, die 4te Staffel ist bis Januar 45 in Brieg (50 km SO von Breslau), die 5te in Rahmel/Rumia (Nördlich v. Danzig/Gdansk). Am 10. Jan 45 ändern sich die Bezeichnungen in II Aufklärungsgeschwader 1 : Stab II./EAG1, die Staffeln ändern ihre Bezeichnungen: 2./Erg.FAGr. wird 5./EAG1; 4./Erg.FAGr. wird 6./EAG1; 5./Erg.FAGr. wird 7./EAG1 Im Dez. 44 hat die Gruppe insgesamt etwa 30 Maschinen, davon 13 Ju188 F1
Am 23. September 1944 schreibe ich an die Musch: Herzl. Dank für Deinen l. Brief, der mich über vieles beruhigte. Ich kann mir denken, dass Ihr dort jetzt etwas auf dem Pulverfass sitzt, aber ich glaube nicht, dass es zur Explosion kommt. - Hier im Protektorat ist noch alles vollkommen ruhig. Die Tschechen sind zu klug, eine Dummheit zu machen, es sei denn, der Erfolg wäre 100 %ig gewiss. - An Onkel R habe ich schon geschrieben. Er schrieb mir nämlich gleich eine Karte als stolzer Uffz. - Schick mir bitte von meinem B'er Konto 250.- Mark. Der Babo wird Dir ja wohl den Schlüssel zum Sparbuch dagelassen haben. Du kannst die Überweisung per Zahlkarte oder Postanweisung machen. - / Wo mag denn bloß unser Ple stecken? Er kann doch garnicht so weit von mir weg sein. Dass W 's ihr Heim in Aachen verlassen mussten, ist ja sehr bitter. Hoffentlich sehen sie es noch mal wieder. - Ja u. ich als Soldat lebe mal wieder am besten u. sorglosesten. - Verkehrte Welt! Aber was will man machen. Machs gut, liebe Musch, u. versprich mir, dass Du nichts über Deine Kräfte tust. Das Hilleschen muss aufpassen!!! / Allen herzl. Grüße! / Dein Pitter
Mein guter Onkel R, gefühlvoll aber auch sehr "eigen" und manchmal cholerisch, inzwischen 57 Jahre alt, hatte seit 1919 die Rückkehr ins zivile Leben nach 4 Jahren Krieg nicht wirklich geschafft und er hatte früh gesucht, seine Enttäuschung in blindem Eifer für die nationale "Bewegung" und den "Führer" zu überwinden. Hitlers Aufruf zur letzten Mobilmachung um wenige Tage vorwegnehmend, hatte es ihn getrieben, dem bedrohten Vaterland beizustehen. Man hatte ihm den seinem Weltkriegsrang entsprechenden Waffenrock nicht verweigert. Sein Einsatzort war allerdings nicht unmittelbar die Front, sondern wie für seinen Schwager der Westwall,
In B sorgte man sich um die beiden Männer in der Eifel und rechnete mit schnellem Vordringen der Allierten. Aber Ermüdung und Nachschubschwierigkeiten führten zu einer Pause. Die Deutschen konnten Truppen und Material auffrischen, und britisch-amerikanische Vorstöße im Herbst 1944 unter beiderseits großen Verlusten weitgehend verhindern. Allerdings zerstörten alliierte Flieger systematisch und praktisch ungehindert in Vorbereitung ihrer Offensiven alle Dörfer und Städte im deutschen Nachschubgebiet mit Flächenbombardements. -
Im Gegensatz zu mir hat mein Schwager Ple es verstanden, als „Obergefreiter“ und „Putzer“ weitere Beförderungen zu vermeiden, konnte bei Gelegenheit, wie er schrieb, seinem "Spieß", dem Feldwebel und Kompanieführer, "reinen Wein einschenken". Zur Zeit operierte seine Truppenversorgungseinheit im Raum Katowitz/Katowice, 3-400 km östlich von Prag.
Am 9. Oktober schreibe ich der Mutter wieder. Meine Briefe sind zwar immer noch "vorsichtig" verfasst, aber "optimistische" Phrasen für unberufene Leser fehlen jetzt, auch bin ich mehr als früher in Gedanken bei meinen Lieben.. "Heute bekam ich Deinen l. Brief vom 25.9. Herzlichen Dank u. vom Babo kam auch Post. Er hat mir auch über seine Lage, die ja augenblicklich wohl einigermaßen ertragbar ist, berichtet. Das letzte Mal schrieb er von einer Erkältung, die ihm ein paar Ruhetage einbrachte. Hoffentlich kann er bald wieder zu Euch zurückkehren und seine Arbeitskraft wieder im häuslichen Betrieb einsetzen. Ihr habt doch jetzt sicher einen Haufen Arbeit u. ich sitze hier u. faulenze. Verkehrte Welt! An Onkel R schreibe ich heute noch mal. Er hat doch am 12. Geburtstag, wenn ich nicht irre? - Dass es meinem Bully wieder gut geht, freut mich von Herzen. Macht er denn auch nicht zu viel Dummheiten? - Nun kann ich also nicht mehr auf Urlaub kommen, wenn mein Stübchen so militärisch belegt ist oder habt Ihr noch ein Plätzchen frei für mich? Einsatz – Urlaub gibt es jetzt übrigens auch nicht mehr. Es sieht also schlecht aus. - Wenn Ihr mal Zeit habt, packt doch bitte meinen Miliärmantel ( nicht den guten u. auch nicht den Pelzmantel) u. meinen weißen Pullover ein und schickt mir die Sachen her. Ich habe gar keine Winterkleidung hier u. die Aussichten dass ich die Sachen selbst holen könnte, sind restlos dahin. - Mit Rauchsachen sind wir infolge einer neuerlichen Kürzung natürlich sehr knapp. ( auf Deine Frage) u. wenn mal wieder was übrig ist, bei Euch, würde ich mich natürlich sehr freuen. Aber schickt mir vorallem dem Babo was, denn er kann es jetzt in dem Dreck besser gebrauchen. - Von Edenkoben bekam ich auch wieder einen Bericht über die Fliegertätigkeit. Muss ja ganz doll sein im Westen. Wir müssen die Zähne zusammenbeißen. Ich lasse die Hoffnung nicht sinken. / Herzl. Grüße an alle im Hause einschl. Bully / Dein Pitter / G. schrieb mir auch eben. Sie macht jetzt demnächst einen orthopädischen Kursus mit u. wird an der orthopädischen Klinik in F. fest angestellt. Was macht Ple???
In "meinem Stübchen" wohnten einstweilig Frau M aus Bonn und ihre heranwachsende Tochter, Freunde, die vor ständigem Fliegeralarm aus der Stadt geflohen waren. Städte und Dörfer in Süd- und Westdeutschland waren seit Anfang September fast täglich das Ziel von Tagesangriffen von regelmäßig hunderten bis über 1000 amerikanischen und britischen Bombern, mit Begleitschutz durch Jagdflieger. Die Angriffe galten insbesondere der Treibstoffproduktion. Ludwigshafen-Oppau etwa, wurde immer wieder bombardiert. Mit Jagdbomberbeschuss war auf allen Straßen und Bahnstrecken zu rechnen. - Bully, mein Foxterrier hatte zwar die Staupe überstanden, diese vor Einführung der Impfung 1960 häufige Viruserkrankung, aber sein Orientierungssinn hatte gelitten, so dass er den Heimweg von seinen Ausflügen nicht fand und immer wieder gesucht und gefunden wurde
Unter dem 21. Oktober 1944 lasse ich von mir hören: Ihr Lieben! / Heute ist mal wieder Wochenende, aber trotzdem ist man nicht weitergekommen, als man am Anfang schon war. Es ist halt nicht mehr viel los mit der Fliegerei. / Ich hatte ganz vergessen, ob das Paket mit meiner Knautsch u. den Büchern, von Perleberg abgeschickt, angekommen ist. Ich will es doch hoffen. Geschrieben habt Ihr mir nichts davon – Was macht unser Babo? Ob er nun bald durch den Volkssturm abgelöst wird u. nach Hause kommen kann? Onkel R habe ich zum Geburtstag geschrieben. An Onkel K schreibe ich auch in den nächsten Tagen. - Euch allen, einschl. Bully, recht herzl. Grüße von / Eurem E.
Das Paket kam nicht an. Und der Babo wurde vorläufig nicht abgelöst. Ich schreibe ganz offen, was allen angesichts der ungehindert geschehenden Bombenangriffe klar war. Die Flugzeuge blieben weitgehend am Boden. Dabei hatten die Aufklärer Priorität in der Treibstoffversorgung.
Schon am 25. September 1944 hatte Hitler per Erlass zum „Volkssturm“ aufgerufen: „Wie im Herbst 1939 stehen wir nun wieder ganz allein unseren Feinden gegenüber. In wenigen Jahren war es uns damals gelungen, durch den ersten Großeinsatz unserer Volkskraft die wichtigsten militärischen Probleme zu lösen, den Bestand des Reiches und damit Europas für Jahre hindurch zu sichern. Während nun der Gegner glaubt, zum letzten Schlag ausholen zu können, sind wir entschlossen den zweiten Großeinsatz unseres Volkes zu vollziehen. Es muss und wird uns gelingen wie in den Jahren 1939 bis 1941, ausschließlich auf unsere eigene Kraft bauend, nicht nur den Vernichtungswillen der Feinde zu brechen, sondern sie wieder zurückzuwerfen und solange vom Reich abzuhalten bis ein die Zukunft Deutschlands und seiner Verbündeten und damit Europa sichernder Friede gewährleistet ist. / Dem uns bekannten Vernichtungswillen unserer jüdisch-internationalen Feinde setzten wir den totalen Einsatz aller deutschen Menschen entgegen...“An diese, der Realität und jeder Vernunft spottenden, wahnwitzigen Sätze schloss sich der Befehl an, alle geeigneten Männer im Alter zwischen 16 und 60 Jahren zu sammeln und zu bewaffnen.
Am 6. November 1944 weiß ich nur, dass wir verlegt werden. Dank der guten L in der Telefonvermittlung in B hatten wir telefonieren können: „Unser Telefongespräch hat ja prima geklappt. Ich hätte nicht gedacht, dass die Verständigung so gut sein würde. - Unsere Verlegung wird wohl demnächst steigen. Ein fester Termin liegt allerdings noch nicht vor. - Zu erzählen gibt es sonst nix. / Grüß mir den Babo u. den Bully u. alle im Hause / Dein Pitter.“
Am 18. November bin ich immer noch in Prag: "Heute kam ein Brief vom Babo vom 29.10. in dem er davon spricht, dass er wahrscheinlich bald nach Hause kommen kann. Sollte er am Ende schon dort sein? - Ich hoffe jedenfalls, dass die Familie bald wenigstens einen Mann im Hause hat. - Mit meiner Versetzung nach Pütnitz ist es anscheinend vorläufig noch nichts. Wann es nun wird, wissen die Götter. / Von Euch hörte ich schon länger nichts mehr, seit dem Telefongespräch, glaube ich. Hoffentlich seid Ihr alle gesund und munter. Die Post scheint ziemlich zu bummeln. Das Paket ist natürlich noch nicht da. Von Tante H kam heute ein lieber Brief. Sie sind ja jetzt umgesiedelt. Ein Glück, dass sie gut aus Stuttgart raus sind. / Euch allen viele liebe Grüße, natürlich einschl. Bully! Euer Pitter / Hat der Babo meinen Geburtstagsbrief nicht bekommen?"
Eine Woche später, am 25. November 1944 bin ich in Pütnitz-Dammgarten gelandet. Die Post hat Schwierigkeiten infolge der alliierten Bombardierungen. Briefe und Pakete gehen verloren. "Ihr Lieben! / Vor einer Woche kam Löles‘ Brief vom 6. d. M. Herzl. Dank dafür. Es ist die letzte Nachricht, die ich von Euch habe. Gestern kam Post von Prag nach, doch da war auch nichts drin. Ich hoffe, das alles in Ordnung ist bei Euch, u. dass vor allem unser Babo wieder zu Hause ist. Wie kommt Ihr eigentlich darauf, dass man keine Päckchen mehr schicken kann? - Ich habe mich jetzt genau erkundigt, weil Kameraden dauernd Päckchen bekommen, u. auch weil Tante H danach fragte, u. ich habe erfahren, dass man an offene Feldpostanschriften Päckchen bis zu 2 Pfund schicken kann. Leider kann man in den Postbezirk 22 nichts mehr schicken. Ich hatte in Prag etwas Spielzeug für das „kleine Geräppels“ besorgt- Pferd mit Wagen u. so. Wie ich überhaupt mal meine Klamotten nach Hause kriegen soll, wenn ich wieder zum Einsatz komme, ist mir noch schleierhaft. In 4 Wochen ist nun schon Weihnachten. Mein Gott, da fällt mir ein, dann muss ja heute der 1. Advent sein! Das hätte ich wahrhaftig fast vergessen. Bei Euch brennt nun sicher das Kränzchen. Ein paar Kerzenstummel werden ja wohl noch da sein? Dieses Jahr wird es ja wohl auch nichts mit dem Weihnachtsurlaub. So komme ich auch wenigstens nicht aus der Gewohnheit. / Herzl. Grüße / Euer Ebo. / Mantel immer noch nicht da.
Pütnitz liegt unweit der Küste, ca 60 km westlich von Strahlsund und Rügen und etwa ebenso weit süd-südöstlich der dänischen Insel Falster. - Der Postbezirk 22 umfasste im "Großdeutschen Reich" das Rheinland und Luxemburg und damit auch den "Gau Köln-Aachen", in dem B lag. Am 30. 11. fährt ein Kamerad in Urlaub nach G. (60 km von B im "Gau Hessen-Nassau"). Gelegenheit für einen "Eilbrief":
"Von Euch kam immer noch keine Post. Wo mag das wohl dran liegen? - Mir geht es, wie immer, glänzend. Nur hab ich augenblicklich einen anständigen Schnupfen, aber der geht ja bald wieder weg. Sonst gibt es in Pütnitz nichts Neues. - Bis jetzt habe ich den Fliegerhorst noch nicht verlassen. Das Wetter ist meist nass u. kalt u. da bleib ich halt am besten in meiner warmen Bude. - Übrigens könnte ich 500.- M für 1 Pfund Herzmittel gebrauchen. Vielleicht können wir wieder eine Sammlung veranstalten u. unserm Ömichen eine Weihnachtsfreude machen. - Falls alles einverstanden ist, schickt mir das Geld bitte postwendend, wenn möglich auch telegrafisch. - Dann möchte ich noch um Zwiebeln bitten, die ich hier sehr vermisse u. sehr nötig für meine Bratskartoffeln brauche. - Mit dem 1. Advent hatte ich mich ja geirrt. Er ist ja erst am kommenden Sonntag. Vielleicht habt Ihr bis dahin diesen Schrieb schon. Ich wünsche Euch ein paar schöne Stunden beim Kränzchen. / Herzl. Grüße! E
Der Schwarzmarktpreis für Kaffee war unvorstellbar hoch. Ein Facharbeiter hatte 1944 wöchentlich höchstens 75 RM in der Tasche, Hilfsarbeiterinnen gar nur 25 RM. Am Sonntag den 3. Dezember 1944 schreibe ich an die Musch: "Vorgestern kamen Deine beiden Briefe vom 22. u. 26. 11. Über Vaters Geschichte war ich einigermaßen erschüttert. Ich hatte immer geglaubt, dass die ganze Organisation von der Wehrmacht geführt würde, doch da das nicht der Fall ist, wundere ich mich natürlich über gar nichts mehr. Ich will nur hoffen, dass er doch noch vor Weihnachten nach Hause kommt. / Ein Glück, dass Du Dich wieder bekrabbelt hast u. auf dem Damm bist, l. Musch. Du musst immer mal wieder eine Pause einlegen, wenn Du merkst, dass es nötig ist. Anstatt Dir soll lieber etwas anderes in die Binsen gehen, das ist nicht so schlimm. - Vom Löles kam gestern das Plätzchenpäckchen. Ich hab mich schwer gefreut u. danke ihr herzlich. Hat sie meinen Geburtstagsbrief nicht bekommen? - Von Neubrandenburg bekam ich vor einer Woche eine Karte. Es scheint alles in Ordnung zu sein. Vielleicht kann ich dort bald mal einen Besuch machen, denn ich muss unbedingt nächste Woche nach Berlin u. mir einen Mantel besorgen. Mein Wettermantel ist nämlich auch hinüber. / Heute ist nun wirklich der 1. Advent. Ich habe einen Strauß Tannenäste mit einem Lichtstümpfchen auf dem Tisch. Gleich steck ich es an. Gestern dachte ich an das „Peitschchen“ Ihr habt es doch gelesen? Eine Schocka von einem Kameraden spendiert, wird auch geöffnet. / Viele liebe Grüße schickt Dir / Dein Pitter"
Vaters "einigermaßen erschütternde Geschichte" am "Westwall" war, dass er in eine "Strafkompanie" versetzt wurde, vielleicht infolge einer seinem Temperament entsprechend unvorsichtigen Äußerung. Meine Meinung von einer die Menschenwürde eher achtenden Wehrmacht entsprach einer weitverbreiteten Vorstellung und jedenfalls in dieser Allemeinheit und besonders in dieser Phase des Krieges nicht den Realitäten.
„Scho-ka -kola die stärkende Schokolade“ gehörte zur Fliegerverpflegung und hieß daher auch „Fliegerschokolade“. Die orangefarbene Blechdose enthielt zwei flache runde Tafeln a 50 g davon 0,1 g Koffein (= 2 Espresso). Soviel zu dem vergleichsweise harmlosen Koffein. Dass uns auch das ungleich gefährlichere Methamphetamin, die Kampf- und Durchhaltedroge, bei Einsätzen gegeben wurde und Schlaf- und Essbedarf empfindlich störte, schreibe ich nicht. Schon gar nicht, ob und wann sie mir „diente“ oder im Zweifel gedient hatte.
„Das Peitschchen – Weihnachtslegende, drei Kindern erzählt“ von Rudolf G. Binding (1867-1938), illustriert von Fritz Franke erschien 1927 und seither in vielen Neuauflagen mit Bildern von verschiedene Illustratoren u. a. von Alfred Kubin. Szene: drei Kinder im weihnachtlichen Spielzeugstand der Mutter nahe der Kathedrale in Gent. Ihre Weihnachtswünsche: jedes einen Kreisel und eins der Kreisel-Peitschchen im Aushang. Ein Knabe auf einem müden Esel reitend, die Mutter geht nebenher. Der Knabe greift sich ein Peitschchen, sein magischer Blick lässt die Kinder widerstandslos hinnehmen was geschieht ebenso der freundliche Gruß der Dame. Beide verschwinden in der Kathedrale, die Kinder beschließen, dass sie das Christkind gesehen haben, was ihnen die dann erst hinzukommende Mutter nicht abnimmt. Am Abend ist das Geschäft gut gelaufen, die Mutter zufrieden, doch die Kinder - ohweh: zwar sind gerade noch 3 Kreisel vom ganzen Haufen übrig geblieben, aber kein Peitschchen. Doch da öffnet sich das große Portal der Kathedrale, die Dame, Mutter des Knaben kommt zum Stand, das Peitschchen in der Hand: "Dies gehört wohl hierher". Die drei Kinder sind glücklich und das Peitschchen erweist sich als ganz besonderes: nie hat es Streit gegeben unter den dreien, wen eins seinen Kreisel damit treiben wollte. Lehre: die Menschen können und sollten friedlich miteinander teilen. - Binding war 1933 ein Unterzeichner des Treuegelöbnis der 88 Schriftsteller an Hitler. Der Sohn des zuletzt Leipziger Strafrechtslehrers und (posthum) ns-„Euthanasiejuristen“ Karl Binding (1841-1920) studierte Jura und Medizin, war dann Rennreiter, Pferdezüchter und Schriftsteller. Rittmeister u. Stabsoffizier im 1. Weltkrieg. - Fritz Franke war 1920 auch der erste Illustrator von Waldemar Bonsels‘ vielgelesener „Biene Maja“. Die Weihnachtsgeschichte meiner Kindheit vom Eselchen, das das Christkind suchte (s.o.) hatte bisher jedes Jahr den Weg von B zu mir gefunden. Nur dieses Mal nicht. Irgend wann war „Das Peitschchen“ aufgetaucht.
Der in Aussicht genommene Besuch in Neubrandenburg gelang am 7. Dezember abends und am nächsten Tag geht eine Postkarte von mir, Tante M, "Nenntante" H, und Onkel K nach B., Aufdruck: "Der Führer kennt nur Kampf, Arbeit und Sorge. Wir wollen ihm den Teil abnehmen, den wir ihm abnehmen können".
"Auf meiner Durchreise nach Brieg bin ich gestern abend 23 Uhr hier eingefallen. Ich versuchte erst mittels Klingel, dann durch Telefon, die heilige Familie aus dem Bett zu schmeißen, aber die Bande war stur. Als ich aber dann mit diversen Gegenständen aus meiner Tasche die Fenster bombardierte, hatte ich Erfolg. - Gleich muss ich wieder weiter nach Berlin. Es war sehr schön hier die paar Stunden mit Braten, Tee, Honigkuchen u. Adventskranz. / Grüß Euch!" / M: "Wie wir uns freuen, könnt Ihr Euch wohl denken. Schade dass es nur kurz ist. Das kl. Weihnachtspäckchen für Euch werden wir leider nicht los. Es liegt hier und muss warten. Wir sind alle gesund und grüßen Euch herzlichst / Eure M." / Tante H: "Liebe Grüße Euch allen. Wir denken sehr an Euch. Tante H." "Wie fein dass wir E noch einmal hier haben". K: "Liebes Geschwax! Fein, dass E mal wieder einsehen konnte. Leider muss er heute abend schon weiter. Hal de Ohrn stiff! / Herzl Grüße euch allen / K."
"Geschwax" für "Geschwisterherz"; "Hal de Orn stiff" - "Halt die Ohren steif" in heimatlicher Mundart. - Unter dem 14. Dezember 1944 schreibe ich einen Weihnachtsbrief aus Brieg an Schwager Ple, der mich mit einem Adventsgruß beglückt hatte:
"Ich danke Dir herzlich für Deinen Adventsbrief, der sogar ziemlich zur rechten Zeit eintraf. Den Adventsgestank habe ich mir auch gemacht u. musste dabei an „das Peitschchen“ denken. Schade, dass ich es nicht bei mir hatte. Ich hätte es gern gelesen. - Inzwischen habe ich mich nun hierher zu Nachtstaffel versetzen lassen, weil die „Aussichten“ etwas günstiger sind. Auf meiner Herfahrt war ich in Neubrandenburg u. konnte vor meiner Abreise noch an einer Teestunde mit Adventskranz im Familienkreis teilhaben. Von so ein paar schönen Stunden kann dann die etwas sehr verkümmerte, menschlich-familiäre Seite des Ich‘s wieder eine ganze Weile zehren. - Du bist ja in dieser Beziehung noch viel schlechter dran, denn in Deiner Gegend laufen ja keine Verwandten von uns rum. Nun bist Du schon 1 Jahr im Einsatz. Donnerwetter, da wär ja allmählich mal ein Urlaub angebracht. Dazu noch, wo Du doch 3 Gören hast. / Bei mir ist vorläufig an Einsatz noch nicht zu denken. Die Luftwaffe ist augenblicklich noch ein untätiger Verein. Nach Hause komme ich aber natürlich auch nicht. / Grüß Dich recht herzlich, l. Ple u. ich wünsche Dir ein paar schöne, stille Weihnachtsstunden, in denen sich unser aller Gedanken wohl treffen werden / Dein E
Wie bereits gesagt, lag die 4te Staffel unserer Ergänzungsgruppe, die der Nacht-Fernaufklärung, in Brieg, war jedoch, wie ich schrieb "ein untätiger Verein". Treibstoff wurde anderswo dringender gebraucht: am 16. Dezember begann, absichtlich bei schlechtem Winterwetter wegen der alliierten Luftüberlegenheit, vom Westwall aus, zwischen Monschau und Echternach, die für die Alliierten überraschende "Ardennenoffensive", die aber schon nach einer Woche, als sich das Wetter aufklärte, noch vor der Maas, in einen langsamen Rückzug überging, der beiderseits mit hohen Verlusten verbunden war. SS-Truppen verübten Massaker an Gefangenen und Zivilisten. In weitaus geringerem Maß kam es auch beim "Gegner" zu Kriegsverbrechen. Im Februar waren die überlebenden Deutschen wieder in ihren Ausgangsstellungen oder an die Ostfront verlegt, wo seit Mitte Januar die sowjetische Weichsel-Oder-Operation zu eiligem Rückzug zwang.
Unabhängig von der Offensive der Wehrmacht wurde am 16. Dezember 1944, einem Samstag, die Stadt S nachmittags von über 100 britischen viermotorigen Flugzeugen bombardiert, 348 Menschen starben. Im 20 km entfernten B leuchtete in der Nacht der Feuerschein am östlichen Horizon. Weitere Bombardierungen folgten im Februar und nach der Rheinüberquerung der Alliierten Anfang März wurde auch B weitgehend zerstört. Elternhaus und Familie kamen jedoch mit dem Schrecken und geringeren Schäden davon. Anfang April 1945, zogen alle derzeitigen Hausbewohner in den Keller, die 2 ½ Obergeschosse requirierte ein Regimentsstab bis die Verteidiger wenige Tage später abgezogen wurden und amerikanische Truppen eilig vorbeizogen.
Schon am 19. Dezember bin ich wieder in Pütniz: Ich sitze im D-Zug Breslau-Berlin, auf dem Weg nach Pütnitz. Eigentlich wollte ich schon Samstag schreiben, damit der Brief noch rechtzeitig ankommt. Freitag mittag musste ich aber plötzlich dienstlich nach Prag reisen u. kam erst gestern nacht zurück. Heute morgen um 6 Uhr bin ich wieder abgedampft. Nun will ich den Brief in Berlin einwerfen, vielleicht kommt er dann noch pünktlich zu Euch. / Ich bin ganz froh, dass ich wieder nach Pütnitz komme, denn dort kann ich mit anderen alten Kameraden Weihnachten feiern. Hoffentlich ist meine Weihnachtspost noch dort. / Wünsche Euch allen ein schönes Zusammensein unterm Lichterbaum u. vor Allem wünsch ich, dass unser Babo daheim sein wird. / Viel liebe Grüße – dem ganzen Haus! / Euer E
Am 23 Dezember 1944 schreibe ich an meinen Vater, der mit Beginn der „Ardennenoffensive“ entlassen wurde. „Lieber, guter Babo! / gestern erhielt ich Deine Karte vom 1. Advent, die mir Deine „Befreiung“ ankündigte. Ich bin ja so froh, dass Du nun zu Weihnachten zu Hause sein kannst u. die übrige Familie wird sich nicht minder freuen, nehme ich an. - Meine Weihnachtsfeier wird ja nun etwas dünn werden, denn bis jetzt habe ich noch gar keine Post bekommen. Vom Ple kam allerdings vorgestern ein Brief, aber das wird wohl auch alles sein. Aber das ist ja alles nicht so tragisch. Außerdem werde ich mit meinen Kameraden sicher ein nettes Weihnachtsfest haben. Ein Bäumchen habe ich mir natürlich besorgt. Etwas Lametta fand ich noch in meiner Kiste vom vorigen Jahr, u. eine Kerze ist auch noch vorhanden u. die kommt oben auf die Spitze. Ein guter Kamerad von mir hat eine Fülle von Fresswaren, darunter auch 2 Gänse, so dass ich also in dieser Beziehung recht friedensmäßig versorgt bin. / Da die Post so langsam geht, ist es wohl angebracht, Dir und allen anderen im Haus schon jetzt einen guten Rutsch ins neue Jahr zu wünschen. Hoffen wir, dass… usw. usw. / Herzl. Grüße / Dein Burle“
Mein nächster Brief geht im Neuen Jahr, am 7. Januar 1945, nach B : „Ihr Lieben! / Vorgestern kam Mutters Adventspäckchen an. Und höret und staunet, sogar das Paket mit meinem Mantel, Pullover u. etlichen, bis zur Unkenntlichkeit erfrorenen, Äpfeln kam gestern an, nachdem es mir von Prag nach Pütnitz, von Pütnitz nach Brieg u, von Brieg wieder nach hier nachgereist war. Nun steht also wohl nur noch ein Weihnachtspäckchen u. Euer Einschreibebrief aus, nicht wahr? Allmählich weiß man nämlich nicht mehr, was noch unterwegs ist. Ob Ihr meinen Brief überhaupt bekommen habt?. Wo ich wegen des „Herzstärkers“ anfragte? 500 M für ein Pfund wären notwendig gewesen. Ob es jetzt noch so „billig“ geht ist fraglich. / Eben beginnt im Radio die Oper „Rigoletto“ Ich möchte sie gern hören. Es ist auch sonst nichts mehr zu berichten. / Herzl. Grüße! Euer E“.
Giuseppe Verdi's Erfolgsoper von 1851, libretto nach Le roi s‘amuse von Victor Hugo 1832, hatte für den Kritiker Eduard Hanslick (1825-1904) eine “dicke, lärmende Instrumentalisierung“ und setzte nach seiner Meinung auf vordergründige Effekte. Berühmt wurde vorallem die Arie: „La donna e mobile“, ein "Ohrwurm".
"Fliegen" war immer meine Leidenschaft. Während der beiden Jahre vom Segelfliegen in der Schulzeit bis Anfang März 1941 als ich endlich in der Ausbildung zum Bordfunker fliegen konnte, hatte ich zwar Frankreich erlebt und beim Bodenpersonal immer Kontakt zu den Fliegern gehabt, aber mein Ziel war fliegen zu können. Bei der mörderischen Zerstörerfliegerei zu zweit mit meinen "Kutschern" und dann als kommandierender "Beobachter" zu viert in der Fernaufklärung konnte ich Bedenken, die mir hätten kommen können, verdrängen, solange ich nur in der Luft sein konnte. Auch die ständige Herausforderung und Anspannung in Lebensgefahr "oben zu bleiben", die militärische und zivile Anerkennung der "Pflichterfüllung" trugen dazu bei, dass eine Art morbide Sucht entstehen konnte: immerzu fliegen und verdrängen. Erst 1943, in der Ausbildung zum Piloten und mit meinen 22 Jahren als „erfahrener Frontflieger“, schlugen erlebte und fortdauernde Zerstörung und Leid zu, rumorte das uneingestandene Wissen um Mittäterschaft unter verbrecherischer Führung, so dass mein Körper zeitweilig rebellierte. Gedanken an eine „unbeschwerte“ zivile Zukunft waren da nicht hilfreich. Vorläufig hing ich an der Fliegerei wie ein Alkoholiker an der Flasche.
Am 16. Januar 1945 bin ich zwar Flugzeugführer im Verein der Aufklärer, die vorzugsweise mit Treibstoff versorgt werden. Aber Flugbenzin ist nach der gescheiterten Offensive im Westen und angesichts des Treibstoffbedarfs zur Abwehr der eben begonnenen sowjetischen Weichsel-Oder-Operation nur noch knapper geworden. Schlechte Aussichten für mein in der Luft sein zu können:
„Augenblicklich läuft bei uns ein infanteristischer Lehrgang, der mich von morgens bis abends auf den Beinen hält. Ihr sollt aber schnell einen Gruß u. Dank haben. Von Babo kam das Einschreibpäckchen vom 5. 1. u. von Löles das Weihnachtspäckchen. Ich hab mich natürlich sehr gefreut, bes. weil es mit dem Rauch ziemlich schlecht bestellt war. Nun kann der Schornstein wieder qualmen. / Gestern kam auch der Brief von Musch u. Babo vom 1.1. an. Für die guten Wünsche herzl Dank. Mutters Briefe nach Brieg werde ich sicher noch bekommen. Es tut mir nur leid, dass das Weihnachtspäckchen noch immer nicht da ist, aber das kann ja noch kommen. Vor einer Woche bekam ich ja erst das Adventspäckchen. / Von G hörte ich über 2 Monate nichts mehr. Ich wartete immer auf ihre neue Anschrift u. werde ihr nun mal über F schreiben. / Von Ple kam ein Geburtstagsbrief. Die Postverbindung mit ihm ist sehr gut. 5-6 Tage laufen die Briefe. / Dem l. Babo danke ich noch bes,. Für das E. H. Bändchen. Er soll es aber nicht schicken, es wäre schade, wenns verloren ginge. Dank Euch Allen nochmals für Eure l. Post u. dem Löles bes. fürs Weihnachtspäckchen u. sende Euch viel liebe Grüße / Euer E“
Am 20 Januar 1945 schreibe ich eine Postkarte aus Brieg, abgestempelt von der "Dienstelle Feldpostnummer 05065(?)" und mit einem Poststempel versehen: Dresden 3.2. 45. Als sie am 30 September 1949 (!), vergilbt und schwer zu lesen, in B ankam, trug sie obendrein einen roten Stempel "Weiterleitung durch Kriegsverhältnisse verhindert." Dresden und Breslau/Wroclaw waren bis Herbst 1944 von Bombenangriffen verschont geblieben, dann nicht mehr. Dresden wurde am 16. Januar 1945, also noch vor den verheerenden britischen Bombardierungen am 13. und 14. Februar von 133 amerikanischen Flugzeugen angegriffen, 334 Menschen starben. Meine Karte mag hier hängen geblieben sein, wenn nicht schon in Breslau...
"Ihr Lieben! Eben, als ich das Datum schreibe, fällt mir ein, dass ich morgen Geburtstag habe. Ich bin mal wieder beim Rumzigeunern. Kam heute Nacht von Pütnitz, fahre morgen nach Breslau um von dort Maschinen zu holen, wohin weiß ich noch nicht. Einigemale werde ich hin- und herfahren müssen. Der Spass wird wieder seine 3 Wochen dauern, darüber wird die Wäsche schwarz werden. - Hier bekam ich Mutters Weihnachtseinschreibebrief mit dem Stern. Habe mich sehr gefreut. - Mit Bully werde ich selbst ein Ende machen, ich möchte ihn aber nochmal sehen. Einmal muss ich ja wieder auf Urlaub kommen."
Den Bully-Foxterrier der seinen Orientierungssinn verloren hatte, hatte der Nachbar-Förster auf Muschs Bitten widerstrebend mit seinem Jagdgewehr erschossen.
Hier endet mein Rückblick. ich wurde, auf den Tag genau, 24 Jahre alt. Danach Nichts. Jedenfalls verschwand ich an diesem Geburtstag für meine Lieben und gelte seither als "vermisst".
* * *
Ende August 1946 hat ein seinerzeit in Pütniz stationierter ehemaliger Luftwaffensoldat angegeben, E habe den Auftrag gehabt, eine Maschine aus Breslau-Langenau nach Pütniz zu bringen und sei mit einem Bordfunker und einem Mechaniker abgereist. Die fragliche Maschine habe auch den Abflug gemeldet, aber dann kein Signal mehr gegeben. In der Dunkelheit habe man in großer Höhe ein Flugzeug gehört, aber kein Funksignal empfangen. Möglicherweise sei E. mangels Treibstoff über der Ostsee abgestürzt, ein Absturz über Land sei zu diesem Zeitpunkt mit Sicherheit noch bekannt geworden. Ein genaues Datum für den Vorgang fehlt in den Angaben. Skepsis scheint angebracht.
In Brieg muss schon vor E's Ankunft im Lauf des 20ten Januar 1945 die Situation grauenhaft gewesen sein. Sowjetische Truppen näherten sich im Eiltempo, Auf allen Straßen und Bahnhöfen drängten sich, den Evakuierungsbefehlen folgend, flüchtende Menschen. Am nächsten Tag, dem 21.Januar 1945 erreichen sowjetische Verbände das Dorf Scheidewitz, 5 km nördlich von Brieg, 1-2 km vom östlichen Oderufer. Fraglich, ob E an diesem Tag noch nach Breslau kommen konnte. Die Bahnlinie Brieg-Breslau verläuft an dieser Stelle 2-3 km vom linken Oderufer. Am 22. standen dann die russischen Truppen an der Oder, und Brieg wurde intensiv beschossen, in der Nacht vom 23. auf den 24. gelang die Oderüberquerung nördlich und südlich der Stadt. Allerdings war der Flughafen südwestlich von Brieg wohl noch offen, bis er in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar gesprengt wurde. War die Maschine in Brieg und nicht in Langenau zu holen? Gab es in Brieg noch Maschinen und Treibstoff? - Der Flughafen Breslau-Langenau (heute Lantwirtschaftsflächen Cienin) lag 12 km nördlich vom Zentrum Breslau östlich der Oder. Am 20./21 hatten sowjetische Truppen bereits die Gegend um Oels und Trebnitz erreicht, bewegten sich also jedenfalls 10-15 km nördlich von Cienin auf Wroclaw zu. Fraglich, ob Breslau-Langenau am 21. für E und die beiden Kameraden von Brieg aus noch zu erreichen gewesen wäre.
E hat schon im August 1940 den Tod seines Freundes Felix, dann den seiner Freunde und Fliegerkameraden Otto K., Johannes Cl., Kurt Schr., den seines zweiten Kutschers R‘s und seines Pretzscher Stubenkameraden Kr. erleben müssen, den Tod der drei Nachbarsjungen in B, des Bruders von G. In seinen Briefen werden weitere, ihm weniger nahestehende Tote erwähnt. Ein winziger Bruchteil der "Verluste" - im militärischen Jargon, der Hekatomben der Gestorbenen, "Gefallenen". Überschattet von den Millionen Ermordeter.
Gert Elf überlebte, vermutlich auch v. Ri. G. blieb zeitlebens Ärztin in F. "Hauptmann Hans Pentzien" starb 2007 als Oberst der Bundeswehr im Ruhestand. Der Chef der Erg.(F)A Gruppe in Prag und Pütnitz, zuletzt des Erg.AGeschwaders, Gerhard Kopper, starb 1967 und hat einen Grabstein "Oberst AD." im Kreis der Wedekind auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg, so auch seine Frau Hildegard, geborene Wedekind, verwitwete Gieße (1911-1994) und Alf Gieße (1902-1943), vermutlich der erste Ehemann, "Oberst i.G" (im Generalstab) , auch ein Fernaufklärer, der von einem Flug über England nicht zurückkam. Auch Hans Baasner (1916-1983), hochdekorierter Leutnant der Fernaufklärerstaffel 1942/43, überlebte.
* * *
An Rollfeldern rund um Breslau/Wroclaw, wo eventuell Maschinen abzuholen waren, mangelte es nicht: Breslau-Gandau/Wroclaw-Gadow, ca 15 km süd-westlich des Stadtzentrums diente einem Junkers-Werk als Industrieflughafen. Auch Breslau-Langenau war u.a. ein Reperaturhafen für Junkersflugzeuge. Gandau war wohl in Bertrieb bis zum 23. Januar.1945. Wie schnell sowjetische Truppen vordringen zeigt auch, dass der Flugplatz Lubin, 50 km nordwestlich von Wroclaw, am 26. /27. Januar von den Deutschen gesprengt wurde. - Aus Pütnitz müssten in den nächsten Tagen nach dem 22. Januar gleichzeitig nicht nur eine Vermisstenmeldung, sondern 2 oder 3 abgegangen sein, was für einen letzten Flug sprechen würde.